BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 29.06.2022, AZ XII ZB 153/21, ECLI:DE:BGH:2022:290622BXIIZB153.21.0
Leitsatz
Zur Erstreckung der Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf den Vatersnamen russischen Rechts (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18, FamRZ 2022, 421).
Verfahrensgang
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 5. März 2021, Az: 2 W 50/20
vorgehend AG Hamburg, 9. März 2020, Az: 60 III 170/18
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 5. März 2021 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Standesamt angewiesen wird, im Wege der Folgebeurkundung im Geburtenregister Nr. G den als „Vatersnamen“ bezeichneten weiteren Namen „Fedorovič“ einzutragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert: 5.000 €
Gründe
A.
1
Das Verfahren betrifft die Eintragung eines russischen Vatersnamens in das Geburtenregister.
2
Das betroffene Kind wurde im Oktober 2018 in Deutschland geboren. Es ist aus der Ehe seiner Eltern Irina F. Fo. (Beteiligte zu 1; Kindesmutter) und Fedor V. Fo. (Beteiligter zu 2; Kindesvater) hervorgegangen, die den gemeinsamen Ehenamen Fo. führen. Die Kindesmutter besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, der Kindesvater ist russischer Staatsangehöriger. Das betroffene Kind besitzt die deutsche und russische Staatsangehörigkeit. Das Standesamt (Beteiligter zu 4) trug es am 2. November 2018 mit dem Vornamen „Fjodor“ und dem Geburtsnamen „Fo.“ in das Geburtenregister ein.
3
Im Dezember 2018 haben die Kindeseltern bei dem Amtsgericht ein personenstandrechtliches Verfahren eingeleitet, mit dem sie zunächst eine Berichtigung des Geburtseintrags dahingehend erreichen wollten, dass zwischen Vorname und Geburtsname als weiterer Name des Betroffenen ein Vatersname nach russischem Recht eingetragen wird. Auf Hinweis des Amtsgerichts haben die Kindeseltern im Dezember 2019 gegenüber dem Standesamt erklärt, für den Namen des Kindes gemäß Art. 10 Abs. 3 EGBGB das russische Heimatrecht des Kindesvaters zu wählen. Das auf diese Rechtswahlerklärung gestützte Begehren, den vom Vornamen Fedor des Kindesvaters abgeleiteten weiteren Namen Fedorovič als Vatersnamen des Betroffenen in das Geburtenregister einzutragen, hat das Standesamt abgelehnt. Dem Antrag der Kindeseltern, das Standesamt nunmehr zur Eintragung des Vatersnamens anzuweisen, hat das Amtsgericht entsprochen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Standesamtsaufsicht hat das Oberlandesgericht, nachdem die fehlende öffentliche Beglaubigung der Rechtswahlerklärung im Laufe des Beschwerdeverfahrens nachgeholt worden war, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass nicht im Anweisungsverfahren, sondern im Berichtigungsverfahren zu entscheiden ist.
4
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht. Sie ist der Auffassung, dass das betroffene Kind durch eine Rechtswahlerklärung seiner Eltern den Vatersnamen Fedorovič nicht erhalten könne, weil es sich dabei nicht um einen Familiennamen im Sinne des Art. 10 Abs. 3 EGBGB handele.
B.
5
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie – für den Senat bindend – in der angefochtenen Entscheidung zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FamFG iVm § 51 Abs. 1 PStG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
I.
6
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2021, 1952 veröffentlichten Entscheidung das Folgende ausgeführt:
7
Das Namensrecht des betroffenen Kindes unterliege nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB deutschem Recht, weil es durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe, welche gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB der parallel bestehenden russischen Staatsangehörigkeit vorgehe. Die Eltern hätten allerdings aufgrund ihrer Rechtswahl wirksam das russische Recht als für den Familiennamen maßgebliches Sachrecht gewählt. Anders als das deutsche Recht kenne das russische Namensrecht einen vom Vornamen des Vaters abgeleiteten Vatersnamen als weiteren Namensbestandteil. Die Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB erstrecke sich auch auf den Vatersnamen nach russischem Recht. Zwar ermögliche diese Vorschrift eine Rechtswahl nur in Bezug auf den Familiennamen. Der Begriff des Familiennamens in Art. 10 Abs. 3 EGBGB erfasse aber auch den Vatersnamen nach russischem Recht. Dafür spreche schon der Wortlaut der Norm, denn der Vatersname bringe die familiäre Zugehörigkeit eines Kindes zu einem bestimmten Mann als seinem Vater zum Ausdruck, könne also als Name der Familie väterlicherseits und damit als Familienname verstanden werden. Im Übrigen habe der Gesetzgeber die Problematik von Zwischennamen nach ausländischem Recht im Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 3 EGBGB nicht gesehen und Überlegungen hierzu auch nicht zum Gegenstand seines Gesetzgebungswillens gemacht. Sinn und Zweck von Art. 10 Abs. 3 EGBGB sprächen dabei für eine Einbeziehung des Vatersnamens in den Anwendungsbereich der Norm. Mit der Vorschrift werde dem schutzwürdigen Interesse der Kinder binationaler Eltern Rechnung getragen, ihre familiäre Verbundenheit namensrechtlich über die freie Wahl eines ihrer Heimatrechte zum Ausdruck zu bringen. Das Ergebnis der von Art. 10 Abs. 3 EGBGB ermöglichten Rechtswahl bliebe aber unvollständig, wenn der Vatersname nicht oder nur als zweiter Vorname eingetragen werden könne. Dies berühre auch schutzwürdige Belange des Kindes. Wenn dem Kind das Tragen des Vatersnamens bei Wahl des russischen Namensrechts verwehrt werde, würde es dies in seinem Heimatrechtskreis dem falschen Anschein aussetzen, dass seine Mutter im Zeitpunkt der Geburt nicht mit einem Mann verheiratet noch in der Lage oder willens gewesen sei, einen Mann als Vater zu benennen. Der Vatersname verstoße auch nicht im Sinne des Art. 6 EGBGB gegen den Grundsatz des ordre public, weil nicht anzunehmen sei, dass der Vatersname russischen Rechts mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar wäre.
II.
8
Dies hält rechtlicher Überprüfung in der Sache stand.
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1. Nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB unterliegt der Name einer Person dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Danach richtet sich die Namensführung des Betroffenen im Ausgangspunkt nach deutschem Sachrecht. Das betroffene Kind hat nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts mit der Geburt die deutsche und die russische Staatsangehörigkeit erworben. Besitzt der Namensträger – wie hier – auch die deutsche Staatsangehörigkeit, ergibt sich die Anwendbarkeit des deutschen Namensrechts bei Mehrstaatern jedenfalls aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB, wonach der deutschen Staatsangehörigkeit der prinzipielle Vorrang einzuräumen ist.
10
2. Nach Art. 10 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB kann der Inhaber der elterlichen Sorge gegenüber dem Standesamt bestimmen, dass sein Kind den Familiennamen nach dem Recht eines Staates erhalten soll, dem ein Elternteil angehört. Dieses Wahlrecht wurde im vorliegenden Fall wirksam ausgeübt.
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a) Die Rechtswahlbefugnis steht dem Inhaber der elterlichen Sorge zu. Wer Inhaber der elterlichen Sorge ist, wird – wenn keine deutsche oder in Deutschland anzuerkennende ausländische Sorgerechtsentscheidung vorliegt – in selbständiger Anknüpfung gemäß Art. 16 Abs. 1 des Haager Kinderschutzabkommens (KSÜ) nach dem Sachrecht des Staates bestimmt, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das Aufenthaltsrecht entscheidet auch darüber, ob mehrere Sorgeberechtigte gemeinsam handeln müssen. Macht das Sorgerechtsstatut die Zuweisung der elterlichen Sorge von der Abstammung abhängig, ist diese – ebenfalls selbständig – nach Art. 19 EGBGB anzuknüpfen. Das Recht am Aufenthaltsort des Kindes kann daher wegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB auch für die Eltern-Kind-Zuordnung relevant sein (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 18).
12
Maßgeblich ist hiernach das deutsche Recht. Die Beteiligte zu 1, die den Betroffenen geboren hat, und der Beteiligte zu 2, der im Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet gewesen ist, sind gemäß §§ 1591, 1592 Nr. 1 BGB die rechtlichen Eltern des Kindes. Das Kind steht gemäß § 1626 BGB unter der gemeinsamen elterlichen Sorge von Vater und Mutter, die im Umfang der ihnen zustehenden elterlichen Sorge gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB Gesamtvertreter des Kindes sind, so dass diese – wie geschehen – die Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB gemeinsam zu erklären hatten (vgl. OLG Köln StAZ 2013, 319, 320).
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b) In formeller Hinsicht bedarf die Erklärung der Rechtswahl der öffentlichen Beglaubigung (§ 129 BGB). Diese Voraussetzung ist erfüllt, nachdem die gemäß Nr. 9.1. PStG-VwV berufene Standesbeamtin am 10. Februar 2021 die Rechtswahlerklärung der Kindeseltern in einer Niederschrift aufgenommen und verlesen hat und diese Erklärung anschließend von der Standesbeamtin sowie den Kindeseltern unterzeichnet und mit einem Dienstsiegel versehen wurde. Die damit eingehaltene Form der öffentlichen Beurkundung ersetzt gemäß § 129 Abs. 2 BGB die öffentliche Beglaubigung.
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3. Die wirksame Rechtswahl hat zu einer Sachnormverweisung (vgl. Art. 4 Abs. 2 EGBGB) in das materielle russische Namensrecht geführt. Sie bewirkt, dass der Betroffene den Vatersnamen nach russischem Recht trägt, weil sich die Rechtswahl auch auf diesen Namensbestandteil erstreckt.
15
a) Die Namensführung eines Kindes ist nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im russischen Sachrecht im Wesentlichen in Art. 58 des Familiengesetzbuches vom 29. Dezember 1995 geregelt (abgedruckt bei Lorenz in Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Länderteil Russische Föderation [Stand: 10. März 2021] S. 47 ff.; im Folgenden: russFGB). Charakteristisch für das russische Namensrecht ist dabei das grundsätzliche Vorhandensein von drei Namensbestandteilen, denn nach Art. 58 Nr. 1 russFGB hat jedes Kind Anspruch auf einen Vornamen, Vatersnamen und Familiennamen.
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aa) Den Vornamen bestimmen die Eltern gemäß Art. 58 Nr. 2 Satz 1 russFGB einvernehmlich. Zum Familiennamen des Kindes wird der Familiennamen der Eltern; fehlt ein solcher, so können die Eltern einvernehmlich bestimmen, dass das Kind den Familiennamen des Vaters, der Mutter oder einen Doppelnamen erhält, der sich aus den Familiennamen der Eltern zusammensetzt (Art. 58 Nr. 3 Satz 1 und 2 russFGB).
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bb) Während hinsichtlich des Vornamens und des Familiennamens strukturelle Übereinstimmungen zwischen dem deutschen und dem russischen Namensrecht bestehen, sieht das russische Namensrecht mit dem Vatersnamen (Patronym) einen dem deutschen Recht unbekannten Namensbestandteil vor.
18
Der Vatersname wird gemäß Art. 58 Nr. 2 Satz 2 russFGB nach dem Vornamen des Vaters verliehen, sofern in den Gesetzen der Subjekte der Russischen Föderation nichts anderes vorgesehen ist oder sich nichts anderes aus nationaler Sitte ergibt. Hintergrund dieser einschränkenden Regelung ist, dass nicht alle in der russischen Föderation lebenden Völker die bei der höflichen Anrede in Russland allgemein gebräuchliche Tradition haben, eine Person nicht nur bei ihrem Vornamen, sondern auch bei ihrem Vatersnamen anzusprechen, und in der Sowjetzeit vielen der Vatersname aufgedrängt worden war (vgl. Himmelreich Personennamen und Recht in Russland Namenkundliche Informationen 105/106 [2015] S. 244, 249).
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In den Fällen nichtehelicher Geburt, in denen die Vaterschaft weder freiwillig anerkannt noch gerichtlich festgestellt wurde, wird der Vatersname gemäß Art. 58 Nr. 5 iVm Art. 51 Nr. 3 russFGB nach dem Vornamen des Mannes gebildet, dessen Vorname und Vatersname anhand der Angaben der Mutter im Geburtenbuch eingetragen worden ist. Die im Geburtenbuch registrierten Angaben der Mutter zum Vornamen und zum Vatersnamen des Vaters des Kindes müssen aber nicht mit dem tatsächlichen Vornamen bzw. Vatersnamen des mutmaßlichen biologischen Vaters übereinstimmen; vielmehr kann es sich auch um fiktive Eintragungen, d.h. um Phantasienamen oder die Vornamen und Vatersnamen sonstiger Verwandter handeln (vgl. Himmelreich Personennamen und Recht in Russland Namenkundliche Informationen 105/106 [2015] S. 244, 251). Sind im Geburtenbuch keine – auch keine fiktiven – Angaben zum Vornamen eines Vaters enthalten, kann ein Vatersname für das Kind auf Anweisung der Mutter in das Personenstandsregister eingetragen werden (vgl. NK-BGB/Kurzynsky-Singer 4. Aufl. Länderbericht Russland Rn. 108).
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Der Vatersname wird als Ableitung vom väterlichen Vornamen durch das Anhängen eines Suffixes gebildet, der für das männliche (-ovič oder -evič, manchmal -ič) und das weibliche (-ovna oder -evna oder selten -ična oder -inična) Geschlecht des Kindes unterschiedlich ist (vgl. Himmelreich Personennamen und Recht in Russland Namenkundliche Informationen 105/106 [2015] S. 244, 249).
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b) Die Rechtswahlbefugnis des Sorgeberechtigten erstreckt sich indessen nicht auf den gesamten Namen des Kindes, sondern nur auf den Familiennamen.
22
aa) Daraus folgt zunächst, dass nach Art. 10 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB von vornherein nur solche Rechtsordnungen gewählt werden können, die eine den familiären Bezug erkennbar machende Namenserteilung vorsehen. Rechtsordnungen, die ausschließlich Eigennamen kennen oder die eine Namensbestimmung für das minderjährige Kind in das freie Belieben der sorgeberechtigten Eltern stellen und dabei auch die Erteilung von sogenannten Phantasienamen zulassen, können nicht gewählt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 47/17 – FamRZ 2018, 1245 Rn. 10). Demgegenüber ist der erforderliche familiäre Bezug bei einem Zwischennamen, der – wie beispielsweise beim Vatersnamen (Patronym) oder beim Muttersnamen (Matronym) – die Verbindung zum Eigennamen eines Elternteils erkennen lässt, durchaus gewährleistet (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 – XII ZB 47/17 – FamRZ 2018, 1245 Rn. 10). Es sind deshalb auch solche Rechtsordnungen nach Art. 10 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB wählbar, die keinen Familiennamen nach deutschem Rechtsverständnis kennen und in denen ein derartiger Zwischenname der einzige Bestandteil des gesamten Namens ist, durch den ein familiärer Bezug hergestellt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 26).
23
bb) Der Senat hat zwischenzeitlich entschieden, dass die Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB einen Vatersnamen auch dann (mit-)umfasst, wenn das Kind – wie hier – nach dem gewählten Recht bereits einen Namen führt, der nach deutschem Rechtsverständnis einem Familiennamen entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 30 ff.).
24
(1) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht einer weiten Auslegung von Art. 10 Abs. 3 EGBGB nicht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Ebenso wie der Begriff des Namens in Art. 10 Abs. 1 EGBGB ist – wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat – auch der Begriff des Familiennamens in Art. 10 Abs. 3 EGBGB in einem kollisionsrechtlichen Sinne zu verstehen. Dem kollisionsrechtlichen Namensbegriff liegt notwendigerweise ein weiteres Verständnis zugrunde als dem Namensbegriff im materiellen deutschen Recht, um die verschiedenen Erscheinungsformen des Namens in den unterschiedlichen Rechtsordnungen erfassen zu können. Er umfasst deshalb grundsätzlich jede sprachliche Kennzeichnung einer Person mit Unterscheidungsfunktion. Der kollisionsrechtliche Namensbegriff setzt insbesondere nicht voraus, dass sich die ausländische Kennzeichnung in die für das materielle deutsche Namensrecht prägende strukturelle Aufgliederung in Vornamen und Familienname einfügt. Für die Annahme, dass der Gesetzgeber dem in Art. 10 Abs. 3 EGBGB verwendeten Begriff des Familiennamens zwangsläufig das enge Begriffsverständnis des materiellen deutschen Namensrechts zugrunde legen wollte, ergeben sich weder aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes noch aus den Gesetzesmaterialien hinreichende Anhaltspunkte. Bei der gebotenen kollisionsrechtlichen Betrachtungsweise zeigt sich Art. 10 Abs. 3 EGBGB vielmehr offen für eine Auslegung, die dem Begriff des Familiennamens alle – auch dem deutschen Recht möglicherweise nicht bekannten – Bestandteile eines ausländischen Namens unterwirft, welchen die Funktion zukommt, die Abstammung einer Person und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie zu kennzeichnen (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 32).
25
(2) Diese Funktion erfüllt der Vatersname nach russischem Recht jedenfalls dann, wenn das Kind – wie hier – ehelich geboren wurde oder die nichteheliche Vaterschaft aufgrund eines Anerkenntnisses oder einer gerichtlichen Feststellung feststeht. Der Vatersname ist ein selbständiger Bestandteil des Namens, der dem Kind nach Art. 58 Nr. 1 russFGB grundsätzlich zu erteilen und deshalb nicht beliebig verzichtbar ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Gesetze einzelner Föderationssubjekte oder die nationalen Gebräuche einzelner Volksgruppen in Russland bezüglich der Führung eines Vatersnamens etwas anderes vorsehen können, zumal nicht ersichtlich ist, dass ein solcher Ausnahmefall hier eingreifen könnte. Die Ableitung des Vatersnamens vom väterlichen Vornamen ist durch Art. 58 Nr. 2 Satz 2 russFGB gesetzlich vorgeschrieben. Selbst wenn den Eltern – wie die Rechtsbeschwerde meint – bei der Wahl des anzuhängenden Suffixes ein gewisser Gestaltungsspielraum verbleiben sollte, macht dies den Vatersnamen noch nicht zu einem Individualnamen. Im Falle einer nachträglichen Feststellung der Vaterschaft ändert sich auch der im Geburtenbuch einzutragende Vatersname eines minderjährigen Kindes. Im Übrigen erfolgt eine Änderung des Vatersnamens nur bei einer staatlich registrierten Änderung des Vornamens des Vaters oder bei einer Adoption, bei der eine Namensänderung für das angenommene Kind beantragt worden war (vgl. Himmelreich Personennamen und Recht in Russland Namenkundliche Informationen 105/106 [2015] S. 244, 254 f.). Dies verdeutlicht, dass der Vatersname im russischen Recht – ebenso wie im gesamten slawischen Rechtskreis – die Funktion erfüllen soll, einen generationsübergreifenden familiären Zusammenhang zu kennzeichnen (vgl. zu Bulgarien: Senatsbeschlüsse vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 33 und vom 19. Februar 2014 – XII ZB 180/12 – FamRZ 2014, 741 Rn. 31).
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(3) Soweit gegen die Erstreckung der Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf den Vatersnamen eingewendet worden ist, dass dieser Namensbestandteil zwar die Zuordnung zu einer (Klein-)Familie kennzeichnet, aber nicht an die Nachkommen weitergegeben werden könne, ist dem entgegenzuhalten, dass die Weitergabe von Generation zu Generation nach deutschem Verständnis nicht mehr als eine zwingende Funktion des Familiennamens angesehen werden kann. Unter der Geltung eines Namensrechts, welches – wie das deutsche Recht – die Entschließung der Eltern über den Familiennamen für ihr Kind in den Mittelpunkt stellt (vgl. § 1616 iVm §§ 1355, 1617 Abs. 1, 1617 a Abs. 1 und 2 BGB), erscheint die Weitergabe eines bestimmten Familiennamens an die nächsten Generationen nicht mehr als Verwirklichung einer dem Namensrecht innewohnenden Idee, sondern vielmehr als Ausdruck einer sich in derartigen Traditionen ausdrückenden Selbstbestimmung (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 34).
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(4) Auch der Normzweck von Art. 10 Abs. 3 EGBGB spricht für die Einbeziehung des Vatersnamens in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 35 ff. mwN).
28
(a) Die Rechtswahl dient insbesondere dazu, eine unerwünschte gespaltene Namensführung zu vermeiden. Es besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, dass das betroffene Kind unter den hier obwaltenden Umständen in Russland („Fjodor Fedorovič Fo.“) und in Deutschland („Fjodor Fo.“) unterschiedliche Namen führen müsste, wenn sich die Wahl des russischen Rechts auf den Familiennamen „Fo.“ beschränken würde. Die Kindeseltern haben insoweit auch geltend gemacht, dass eine gespaltene Namensführung zu Schwierigkeiten beim Verkehr mit russischen Behörden führen kann.
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(b) Im Übrigen ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des derzeit geltenden Art. 10 Abs. 3 EGBGB, dass er den Eltern auch die Möglichkeit geben wollte, die Namensführung des Kindes an das soziale Umfeld oder an die konkret gelebte Familiensituation anzupassen. Dass dieser Gesetzeszweck eine Erstreckung der Rechtswahlbefugnis auf einen Vatersnamen nahelegt, verdeutlicht in besonderem Maße der dem vorliegenden Sachverhalt spiegelbildlich gelagerte Fall, in dem die Eltern eines ausländischen Kindes, das seit der Geburt aufgrund seines nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechts aus dem slawischen Rechtskreis einen Vatersnamen trägt, für die Führung des Familiennamens nach Art. 10 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB das Recht des deutschen Aufenthaltsstaats wählt. Die Wahl des deutschen Namensstatuts eröffnet den Anwendungsbereich des Art. 47 EGBGB, soweit die Verweisung des Art. 10 Abs. 3 EGBGB reicht, und verschafft dem Namensträger dadurch die Möglichkeit, sich weiter in die namensrechtliche Umwelt des deutschen Aufenthaltsstaats zu integrieren. Erstreckt sich die Wahl des deutschen Rechts auch auf den Vatersnamen, kann dieser dem deutschen Recht unbekannte Namensbestandteil nach Art. 47 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB abgelegt werden; es besteht daneben die Möglichkeit, den Vatersnamen gemäß Art. 47 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB zum zweiten Vornamen zu bestimmen und ihn in diesem Zusammenhang gemäß Art. 47 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB auf die – gegebenenfalls geschlechtsspezifisch angepasste – Grundform des ursprünglichen Eigennamens zurückzuführen. Zwar hätte dies eine gespaltene Namensführung zwischen dem ausländischen Heimatstaat und dem deutschen Aufenthaltsstaat zur Folge, was den weiteren Normzweck des Art. 10 Abs. 3 EGBGB vordergründig zu konterkarieren scheint. Diese gespaltene Namensführung beruht dann aber auf einer im Rahmen seiner Privatautonomie getroffenen Entscheidung des Namensträgers; ein allgemeiner „Zwang zur Einnamigkeit“ besteht nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2021 – XII ZB 60/18 – FamRZ 2022, 421 Rn. 38 mwN).
30
4. Die Erstreckung der Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB auf einen Vatersnamen nach russischem Recht verstößt schließlich auch nicht gegen den kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB). Die Ableitung eines Patronyms vom Namen des Vaters ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine geschlechterdiskriminierende Bevorzugung des Mannes bei der Bildung des Kindesnamens im sachlichen Recht, sondern sie ist notwendige Folge der manchen Rechtsordnungen innewohnenden namensrechtlichen Idee, die Zugehörigkeit des Kindes zum Familienverband zusätzlich durch einen Zwischennamen zum Ausdruck zu bringen, welcher die väterliche Abstammung kenntlich macht. Im Übrigen beruht die Rechtswahl zugunsten einer Rechtsordnung, die das Patronym kennt, im vorliegenden Fall auf einer gemeinsamen Entscheidung von Mutter und Vater.
III.
31
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts hat die Eintragung des Vatersnamens im Geburtenregister allerdings nicht im Wege der Berichtigung, sondern im Wege der Folgebeurkundung (§ 27 PStG) zu erfolgen, so dass der Senat in einer Maßgabenanordnung eine entsprechende Anweisung an das Standesamt nach § 49 Abs. 1 PStG auszusprechen hat. Der Geburtseintrag vom 2. November 2018 ist nicht unrichtig im Sinne von § 48 PStG. Die Berichtigung eines abgeschlossenen Eintrags in ein Personenstandsregister setzt eine von Anfang an bestehende Unrichtigkeit voraus. Unrichtig in diesem Sinne ist jeder Eintrag, dessen Inhalt auf der Verletzung materiell- oder verfahrensrechtlicher Vorschriften beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Juni 2021 – XII ZB 405/20 – FamRZ 2021, 1543 Rn. 11).
32
So liegt der Fall hier nicht. Eine für den Namenserwerb des Kindes relevante Rechtswahlerklärung nach Art. 10 Abs. 3 EGBGB hat der Standesbeamte bereits im Geburtseintrag zu berücksichtigen, wenn diese zeitlich mit der Beurkundung der Geburt verklammert ist, das heißt auch dann, wenn die Rechtswahl zwar erst nach der Geburt, aber noch vor der Eintragung in das Geburtenregister wirksam wurde. In diesen Fällen ist der auf die Geburt zurückbezogene Namenserwerb in den Geburtseintrag aufzunehmen, obwohl sich ein für den Namenserwerb maßgeblicher Umstand, nämlich die Rechtswahl, erst nach der Geburt ereignet hat (vgl. Hepting/Dutta Familie und Personenstand 3. Aufl. Rn. IV-7). Ist dies nicht geschehen, ist der Geburtenregistereintrag unrichtig im Sinne von § 48 PStG. Wurde demgegenüber die Rechtswahlerklärung – wie hier – erst zu einem Zeitpunkt wirksam, als sie nicht mehr im Geburtseintrag berücksichtigt werden konnte, führt dies verfahrensrechtlich zu einer nachträglichen „Änderung“ des Personenstands, die gemäß § 27 PStG im Wege einer Folgebeurkundung beigeschrieben werden muss. Dass eine solche „Änderung“ des Personenstands in materiell-rechtlicher Hinsicht – wie im vorliegenden Fall der Erwerb des Vatersnamens nach russischem Recht – auf den Zeitpunkt der Geburt zurückwirkt, ändert nichts daran, dass der nach einem abgeschlossenen Geburtenregistereintrag wirksam gewordenen Rechtswahl in verfahrensrechtlicher Hinsicht im Wege der Folgebeurkundung Rechnung zu tragen ist (vgl. Hepting/Dutta Familie und Personenstand 3. Aufl. Rn. IV-8 f.).
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