1. Ein Vertretungsmangel kann durch Nachreichen der Originalvollmacht gemäß § 80 Satz 2 ZPO oder gemäß § 89 Abs…. (Beschluss des BGH 7. Zivilsenat)

BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 29.06.2022, AZ VII ZB 14/19, ECLI:DE:BGH:2022:290622BVIIZB14.19.0

§ 56 ZPO, § 79 Abs 2 S 2 ZPO, § 79 Abs 3 S 1 ZPO, § 79 Abs 3 S 2 ZPO, § 80 S 2 ZPO

Leitsatz

1. Ein Vertretungsmangel kann durch Nachreichen der Originalvollmacht gemäß § 80 Satz 2 ZPO oder gemäß § 89 Abs. 2 ZPO dadurch geheilt werden, dass der Gläubiger die ohne beigebrachte Vollmacht vorgenommenen Prozesshandlungen genehmigt. Dies ist in jeder Lage des Verfahrens, auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beziehungsweise zum Zeitpunkt der Beschlussfassung möglich (Anschluss an BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 303/20, NJW 2021, 1956).

2. Der einen Bevollmächtigten mangels Vertretungsbefugnis gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO ausschließende Beschluss wirkt konstitutiv und entfaltet keine Rückwirkung; die bis zum Zurückweisungsbeschluss durch den Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen bleiben gemäß § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO wirksam.

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 29. Juni 2022, Az: VII ZB 14/19, Beschluss
vorgehend LG Köln, 15. März 2019, Az: 39 T 226/17

vorgehend AG Köln, 14. September 2017, Az: 287 M 6426/17
nachgehend BGH, 29. Juni 2022, Az: VII ZB 14/19, Beschluss

Tenor

1. Der Vertreter des Gläubigers wird als Bevollmächtigter zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 39 T 226/17 – vom 15. März 2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der am 6. Januar 2001 geborene Gläubiger ist der leibliche Sohn des Schuldners. Er betreibt die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsforderungen aus der Urkunde über die Festsetzung des Unterhalts des Jugendamtes des Kreises B.     vom 18. Juli 2007 (Urkundenregister        ).

2

Am 10. März 2017 beantragte in Vertretung des Gläubigers der Landrat des Kreises B.    , Fachbereich Soziales, den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem Ansprüche des Schuldners auf Arbeitseinkommen gepfändet und dem Gläubiger zur Einziehung überwiesen werden sollten. Die Mutter des Gläubigers hatte den Kreis B.     am 16. Mai 2008 bevollmächtigt, wegen der Unterhaltsansprüche ihres seinerzeit minderjährigen Sohnes aus der Jugendamtsurkunde die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu betreiben, die gepfändeten Beträge entgegenzunehmen, und ihn ermächtigt, gegen Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts Rechtsmittel einzulegen und sie in den durch die Zwangsvollstreckung eventuell notwendigen Gerichtsverfahren zu vertreten. Dem Antrag war diese Vollmacht nicht beigefügt.

3

Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – hat den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 7. April 2017 (Az.:             ) antragsgemäß erlassen. Der Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht teilweise abgeholfen und den pfändungsfreien Selbstbehalt heraufgesetzt und sie im Übrigen zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 15. März 2019 zurückgewiesen.

4

Mit der durch das Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren, gerichtet auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, weiter.

5

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der inzwischen volljährige Gläubiger am 29. April 2022 seine gerichtliche Vertretung durch den Kreis B.     in diesem Zwangsvollstreckungsverfahren genehmigt.

II.

6

Gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO war der Kreis B.     als Bevollmächtigter durch Beschluss zurückzuweisen, weil ihm die Vertretungsbefugnis für das Zwangsvollstreckungsverfahren des Gläubigers fehlt.

7

1. Nach allgemeiner Meinung gelten für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 704 ff. ZPO neben den spezifischen Verfahrensvorschriften die allgemeinen prozessualen Regelungen der §§ 1 bis 252 ZPO sinngemäß (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 20. Januar 2011 – I ZR 122/09 Rn. 21, NJW 2011, 929), also auch die Regelungen über die Vertretung nach §§ 78 ff. ZPO. Die nicht anwaltliche Vertretung ist hiernach bei der Zwangsvollstreckung nur nach Maßgabe des § 79 Abs. 2 ZPO zulässig (Keller in Keller, Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht, 1. Aufl. 2013, Kapitel I, A 45). Die Vorschrift betrifft alle Prozesshandlungen im Zwangsvollstreckungsverfahren, die Vertretungsbefugnis war darum schon für die Antragstellung vor dem Vollstreckungsgericht erforderlich (Stöber/Rellermeyer/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., B. 23; Gaul/Schilken-Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl. § 5 Rn. 36) und gemäß § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium zu prüfen.

8

2. Der Kreis B.     gehört, was dieser im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht in Abrede stellt, nicht zu den in § 79 Abs. 2 Satz 2 ZPO abschließend genannten Bevollmächtigten, welche zur Vertretung im Zwangsvollstreckungsverfahren des Gläubigers befugt sind.

9

Die fehlende Vertretungsbefugnis, die bislang übersehen wurde, hat zwingend seine Hinausweisung als Bevollmächtigter durch Beschluss (vgl. MünchKommZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 79 Rn. 16) zur Folge.

III.

10

Die gemäß § 120 Abs. 1, § 112 Nr. 1, § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG i.V.m.§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse, ausgeführt, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei zu Recht erlassen worden. Die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen hätten vorgelegen. Der Antrag des Gläubigers sei wirksam. Der Landrat des Kreises B.     – Fachbereich Soziales – habe als Stellvertreter des Gläubigers beziehungsweise seiner gesetzlichen Vertreterin bei der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses tätig werden dürfen. Die Mutter des Gläubigers habe den Landrat am 16. Mai 2008 bevollmächtigt; dass die Erteilung der Vollmacht länger als zehn Jahre zurückliege, stehe ihrer Wirksamkeit nicht entgegen.

11

Zwar sei der Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes eröffnet, da die Betreibung der Zwangsvollstreckung und die Vertretung vor Gericht eine Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG sei, weil es sich um eine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten handele, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordere. Nach § 8 RDG seien aber Rechtsdienstleistungen erlaubt, die Behörden im Rahmen ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs erbringen. Behörde in diesem Sinne sei der Landrat des Landkreises B.    , zu dessen Zuständigkeitsbereich die Rechtsberatung von Bürgern zähle, sofern diese mit seinem Aufgabengebiet in Zusammenhang stehe. Der Landrat berate über das Jugendamt auch über Unterhaltsverpflichtungen und deren Durchsetzung. Für die Wahrnehmung der Rechtsdienstleistungen bedürfe es keiner gesetzlich statuierten Pflicht. Indem der Landrat des Kreises B.     die vorrangig für den Lebensunterhalt einzusetzenden Unterhaltsansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung realisiert habe, sei er seinem gesetzlichen Auftrag nachgekommen, den Nachrang der Sozialleistungen herzustellen.

12

2. Das hält der rechtlichen Prüfung nur im Ergebnis stand.

13

Zu Recht hat das Beschwerdegericht dem Begehren des Schuldners nicht entsprochen, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzuheben.

14

a) Zwar stand dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 829, 835 ZPO) ursprünglich entgegen, dass der in Vertretung des Gläubigers handelnde Landrat des Kreises B.    , Fachbereich Soziales (im Folgenden: Kreis B.    ), dem Pfändungsgesuch als verfahrenseinleitender Prozesshandlung keinen Nachweis seiner Vollmacht beigefügt hatte. Der Mangel ist aber geheilt.

15

aa) Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass im Parteiprozess der Vertreter seine Bevollmächtigung schon bei Antragstellung durch Vorlage einer Originalvollmacht nachweisen muss. § 80 Satz 1 ZPO bestimmt, dass der Nachweis der Vollmacht durch Einreichung der schriftlichen Vollmachtsurkunde zu den Gerichtsakten zu führen ist, was die Einreichung der Originalurkunde erfordert (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZB 18/18, z.V.b.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2006 – III ZB 50/05 Rn. 9, BGHZ 166, 278). Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – war gemäß § 88 Abs. 2 ZPO zur Prüfung der Vollmacht von Amts wegen verpflichtet (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2002 – III ZB 43/00, WM 2002, 1147, juris Rn. 8; Stöber/Rellermeyer/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., B. 39).

16

bb) Der fehlende Nachweis der Vollmacht nach § 80 Satz 1 ZPO als nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit führender Verfahrensfehler (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZB 18/18, z.V.b.) ist aber geheilt.

17

Ob die Heilung gemäß § 80 Satz 2 ZPO schon dadurch eingetreten ist, dass im Erinnerungsverfahren der Kreis B.     mit Schriftsatz vom 4. August 2017 zusammen mit dem Originaltitel die Vollmacht vom 16. Mai 2008 vorgelegt hat, muss offenbleiben. Das Beschwerdegericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich dabei um die Originalvollmacht gehandelt hat, die mit diesem Schriftsatz eingereichten Anlagen befinden sich nicht bei den Akten.

18

Dies kann jedoch dahinstehen, denn der Verfahrensfehler ist jedenfalls dadurch geheilt worden, dass der Gläubiger im Rechtsbeschwerdeverfahren die in diesem Zwangsvollstreckungsverfahren ohne beigebrachte Vollmacht vorgenommenen Prozesshandlungen ausdrücklich genehmigt hat, § 89 Abs. 2 ZPO. Diese Genehmigung hat rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vornahme der Prozesshandlung den prozessualen Mangel der vollmachtlosen Prozessführung geheilt (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 17. April 1984 – GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, juris Rn. 13).

19

Dies war noch im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich, denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist der Schluss der mündlichen Verhandlung beziehungsweise der Zeitpunkt der Beschlussfassung. Deshalb kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Vertretungsmangel in jeder Lage des Verfahrens, also auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz geheilt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – XII ZB 303/20 Rn. 10 f., NJW 2021, 1956).

20

b) Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, gegen dessen Rechtmäßigkeit nach der Heraufsetzung des Selbstbehalts des Schuldners im Übrigen keine Bedenken bestehen, war nicht aufzuheben, obwohl der Kreis B.     gemäß § 79 Abs. 2 ZPO über keine Vertretungsbefugnis im Zwangsvollstreckungsverfahren des Gläubigers verfügt und ihn darum bei der Antragstellung vor dem Vollstreckungsgericht nicht wirksam vertreten konnte.

21

aa) Nach § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist der Antrag ungeachtet der von Anfang an fehlenden Postulationsfähigkeit des gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 ZPO inzwischen zurückgewiesenen Kreises B.     wirksam. Der den Bevollmächtigten vom Verfahren ausschließende Beschluss wirkt konstitutiv und entfaltet keine Rückwirkung; die bis zum Zurückweisungsbeschluss durch den Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen bleiben gemäß § 79 Abs. 3 Satz 2 ZPO wirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – V ZB 122/09 Rn. 5, NJW-RR 2010, 1361), soweit die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen (vgl. Anders/Gehle/Becker, ZPO, 80. Aufl., § 79 Rn. 26; PG/Burgermeister, ZPO, 13. Aufl., § 79 Rn. 8).

22

Diese sind gegeben. Die von der Mutter des damals noch minderjährigen Gläubigers als seiner gesetzlichen Vertreterin erteilte privatschriftliche Vollmacht ist wirksam. Der zwischenzeitliche Eintritt der Volljährigkeit des Gläubigers während des Erinnerungsverfahrens hat gemäß § 86 ZPO hierauf keinen Einfluss (Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl., § 86 Rn. 9).

23

bb) Hieran würde sich entgegen der Rechtsbeschwerde nichts ändern, wenn die den Kreis B.     legitimierende Vollmacht unwirksam wäre, weil sie zu Handlungen ermächtigt, die den Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes widersprechen. Dies hätte auf die Wirksamkeit des in Vertretung des Gläubigers gestellten Antrags auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses keinen Einfluss.

24

Bereits für die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts mit Wirkung zum 1. Juli 2008 (BGBl. I 2007, S. 2840) geltende Rechtslage war anerkannt, dass Prozesshandlungen nicht unbeachtlich sind, wenn der Bevollmächtigte dabei gegen Art. 1 § 1 RBerG verstoßen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – V ZB 122/09 Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2010, 1361; Beschluss vom 29. September 1970 – IV ZB 10/70, BGHZ 54, 274, juris Rn. 21). Begründet wurde dies damit, dass das Rechtsberatungsgesetz dem Schutz der Rechtsuchenden dient und es dieser Schutzrichtung zuwiderliefe, wenn an Verstöße gegen dieses Gesetz prozessrechtliche Folgerungen zu Lasten desjenigen geknüpft würden, der die untersagte Rechtshilfeleistung in Anspruch genommen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2003 – 2 BvR 917/03, NJW 2004, 1373, juris Rn. 12 f.). Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, mit dem der Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes nach § 1 RDG auf außergerichtliche Rechtsdienstleistungen beschränkt und die gerichtliche Vertretungsbefugnis im Parteiprozess in § 79 ZPO neu geregelt wurde, bewusst fortgeschrieben (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 34, 45, 86). Von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – V ZB 122/09 Rn. 5 f., NJW-RR 2010, 1361), führt ein Verstoß gegen die Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht zur Unwirksamkeit der Vollmacht und beeinflusst die Wirksamkeit der Prozesshandlung, hier des für den Gläubiger lediglich vorteilhaften verfahrenseinleitenden Antrags nicht.

IV.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

  • Pamp
  • Kartzke
  • Graßnack
  • Borris
  • Brenneisen