BAG 6. Senat, Urteil vom 29.06.2022, AZ 6 AZR 465/21, ECLI:DE:BAG:2022:290622.U.6AZR465.21.0
§ 11 Abs 1 S 1 TVÜ-L, § 29 BAT-O, § 11 Abs 1 S 3 TVÜ-L, § 64 EStG, § 65 EStG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Cottbus, 16. Februar 2021, Az: 6 Ca 717/20, Urteil
vorgehend LArbG Berlin-Brandenburg, 3. August 2021, Az: 8 Sa 434/21, Urteil
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. August 2021 – 8 Sa 434/21 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Zahlung der „Besitzstandszulage Kind“ nach § 11 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) vom 12. Oktober 2006.
2
Die Klägerin ist bei dem beklagten Land beschäftigt. Im Arbeitsverhältnis der Parteien sind der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006 und der TVÜ-Länder anzuwenden.
3
§ 11 TVÜ-Länder lautet auszugsweise wie folgt:
- „
§ 11 - Kinderbezogene Entgeltbestandteile
- (1)
- 1Für im Oktober 2006 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des BAT/BAT-O oder MTArb/MTArb-O in der für Oktober 2006 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG gezahlt würde.
2Die Besitzstandszulage entfällt ab dem Zeitpunkt, zu dem einer anderen Person, die im öffentlichen Dienst steht oder auf Grund einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder nach einer Ruhelohnordnung versorgungsberechtigt ist, für ein Kind, für welches die Besitzstandszulage gewährt wird, das Kindergeld gezahlt wird; die Änderung der Kindergeldberechtigung hat die/der Beschäftigte dem Arbeitgeber unverzüglich schriftlich anzuzeigen.
3Unterbrechungen der Kindergeldzahlung wegen Ableistung von Grundwehrdienst, Zivildienst oder Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres sind unschädlich; soweit die unschädliche Unterbrechung bereits im Monat Oktober 2006 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt. - Protokollerklärung zu § 11 Absatz 1:
- 1.
- 1Die Unterbrechung der Entgeltzahlung im Oktober 2006 bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Elternzeit, Rente auf Zeit oder Ablauf der Krankenbezugsfristen ist für das Entstehen des Anspruchs auf die Besitzstandszulage unschädlich.
2Bei späteren Unterbrechungen der Entgeltzahlung in den Fällen von Satz 1 wird die Besitzstandszulage nach Wiederaufnahme der Beschäftigung weiter gezahlt. …“
4
§ 29 des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 lautete in der zuletzt geltenden Fassung auszugsweise wie folgt:
- „
§ 29 - Ortszuschlag
- A.
- Grundlage des Ortszuschlages
- (1)
- Die Höhe des Ortszuschlages richtet sich nach der Tarifklasse, der die Vergütungsgruppe des Angestellten zugeteilt ist (Absatz 2), und nach der Stufe, die den Familienverhältnissen des Angestellten entspricht (Abschnitt B).
- …
- B.
- Stufen des Ortszuschlages
- …
- (3)
- Zur Stufe 3 und den folgenden Stufen gehören die Angestellten der Stufe 2, denen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zusteht oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG zustehen würde. Die Stufe richtet sich nach der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder.
- …“
5
Bis einschließlich 31. August 2012 erhielt die Klägerin für ihre am 12. Juli 1990 geborene Tochter Kindergeld sowie den kinderbezogenen Entgeltbestandteil des BAT-O bzw. die „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 TVÜ-Länder. Die von der Klägerin für die Folgezeit beantragte Gewährung von Kindergeld lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 29. Mai 2013 ab, da die Tochter die wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden überschreite.
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Auf einen erneuten Antrag der Klägerin bewilligte die Familienkasse mit Bescheid vom 26. Februar 2015 Kindergeld vom 1. Oktober 2014 bis einschließlich 31. Juli 2015, lehnte dessen Festsetzung aber für die Zeit vom 1. September 2012 bis einschließlich 30. September 2014 wiederum ab. Der gegen die Ablehnung erhobene Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Im Klageverfahren nahm die Klägerin nach einem Hinweis des Finanzgerichts auf den unwidersprochen gebliebenen und daher bestandskräftigen Bescheid vom 29. Mai 2013 ihre Klage teilweise – soweit sie sich auf den Zeitraum vom 1. September 2012 bis einschließlich 31. Mai 2013 bezog – zurück. Das Finanzgericht wies die Klage für den verbliebenen Streitzeitraum ab. Im Revisionsverfahren hob der Bundesfinanzhof dieses Urteil des Finanzgerichts auf und verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für die Zeit vom 1. Juni 2013 bis einschließlich 30. September 2014 festzusetzen. Dem kam die Familienkasse nach und zahlte Kindergeld bis zum Ende des Kindergeldzeitraums, dh. bis zum 30. Juni 2015.
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Ein dritter Antrag der Klägerin vom 20. Dezember 2016 auf Kindergeld für den Zeitraum vom 1. September 2012 bis einschließlich 31. Mai 2013 wurde wiederum abgelehnt. Einspruch und Untätigkeitsklage hiergegen blieben erfolglos, da nach Auffassung des Finanzgerichts der begehrten Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum jedenfalls die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 26. Februar 2015 entgegenstehe.
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Für die Zeit ab dem 1. September 2012 stellte das beklagte Land die Zahlung der „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 TVÜ-Länder ein. Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung mit der vorliegenden Klage.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe die „Besitzstandszulage Kind“ auch für den Zeitraum vom 1. September 2012 bis zum 30. Juni 2015 zu. § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder knüpfe an das Bestehen eines Anspruchs auf Kindergeld und damit an eine materielle Kindergeldberechtigung an. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs lasse sich entnehmen, dass sie durchgehend anspruchsberechtigt gewesen sei. Allein aus prozessualen Gründen könne sie diesen Anspruch teilweise nicht mehr durchsetzen.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
- das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.760,96 Euro brutto nebst Zinsen in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe zu zahlen.
11
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder knüpfe an die Festsetzung von Kindergeld an. Deren Ablehnung im Bescheid der Familienkasse für die Zeit vom 1. September 2012 bis einschließlich 31. Mai 2013 sei durch Rücknahme der Klage vor dem Finanzgericht bestandskräftig geworden. Daher bestehe insoweit auch kein Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“. Für den restlichen Streitzeitraum bis einschließlich 30. Juni 2015 sei diese Unterbrechung der Kindergeldfestsetzung ebenfalls schädlich und der Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“ nicht wieder aufgelebt.
12
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht die mit der Klage begehrte „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder für den Streitzeitraum 1. September 2012 bis 30. Juni 2015 nicht zu. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der fehlende Kindergeldbezug der Klägerin ab 1. September 2012 bis einschließlich 31. Mai 2013 ihrem Anspruch auf die hierzu akzessorische Besitzstandszulage gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder in diesem Zeitraum entgegensteht. Aufgrund dieser Unterbrechung ist der Anspruch auf die Besitzstandszulage erloschen, so dass die Klägerin auch keinen Anspruch auf die Besitzstandszulage für den weiteren Streitzeitraum 1. Juni 2013 bis zum 30. Juni 2015 hat. Im Unterschied zum Kindergeld lebte dieser Anspruch nicht wieder auf.
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I. Der Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder setzt den tatsächlichen Bezug von Kindergeld auf der Grundlage einer entsprechenden Festsetzung der Familienkasse voraus, der außer in den Fällen des – hier nicht einschlägigen – § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder ununterbrochen sein muss. Die bloße materielle Anspruchsberechtigung ohne eine entsprechende Festsetzung reicht hierfür nicht aus. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags
(vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen zuletzt etwa BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 104/20 – Rn. 24 mwN; 7. Februar 2019 – 6 AZR 44/18 – Rn. 27 mwN).
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1. Bereits im Wortlaut der als reine Besitzstandsregelung ausgestalteten Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder ist die Differenzierung danach, ob der Besitzstand ununterbrochen fortbesteht, dh. das Kindergeld ununterbrochen fortgezahlt wird, oder der Anspruch auf Kindergeld, an den der schützenswerte Besitzstand knüpft – sei es auch nur vorübergehend – untergeht, eindeutig angelegt
(vgl. BAG 14. April 2011 – 6 AZR 734/09 – Rn. 21 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder besteht der Anspruch auf die Besitzstandszulage nur so lange, wie für die im Oktober 2006 zu berücksichtigenden Kinder ohne Unterbrechung Kindergeld „gezahlt“ wird oder ohne Berücksichtigung der §§ 64, 65 EStG oder der §§ 3, 4 BKGG gezahlt würde. Die erste Alternative erfordert daher die – grundsätzlich ununterbrochene – Festsetzung und Zahlung von Kindergeld. Nur in der zweiten Alternative, dh. bei dem Zusammentreffen mehrerer Kindergeldberechtigter oder der Kollision mit anderen Leistungen, reicht nach dem Tarifwortlaut die bloße Kindergeldberechtigung als Voraussetzung für den Erhalt der Besitzstandszulage aus
(vgl. BAG 13. August 2009 – 6 AZR 319/08 – Rn. 26 iVm. Rn. 20, 27) und wird diese dem tatsächlichen Kindergeldbezug gleichgestellt. Aufgrund dieser eindeutigen Unterscheidung verbietet es sich, die erste Alternative („gezahlt wird“) – wie von der Revision gefordert – im Lichte der zweiten Alternative („gezahlt würde“) über den Wortlaut hinaus extensiv auszulegen.
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Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien durch die im Vergleich zur Vorgängerregelung in § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT geänderte Wortwahl klargestellt, dass die Zulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nur noch reiner Besitzstandsschutz, nicht aber mehr Beitrag zu den durch Kinder ausgelöste Unterhaltslasten ist
(vgl. BAG 14. April 2011 – 6 AZR 734/09 – Rn. 21). Nach § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT kam es für den Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag nur darauf an, dass dem Beschäftigten Kindergeld „zusteht“. Das war auch dann der Fall, wenn es an einer formalen Festsetzung des Kindergeldes fehlte oder dieses nicht gezahlt wurde
(BAG 13. März 2008 – 6 AZR 294/07 – Rn. 15). Demgegenüber ist Voraussetzung für die Zulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA, dass Kindergeld „gezahlt“ wird. Damit haben die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass sie sich von dem bis dahin bestehenden Automatismus zwischen Kindergeldanspruch und Anspruch auf kinderbezogene Entgeltbestandteile lösen wollten und die Zulage mit Ausnahme der abschließend geregelten Sonderfälle nur solange gezahlt werden sollte, wie tatsächlich Kindergeld gezahlt wird.
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2. Diesem Wortlautverständnis entsprechen Sinn und Zweck dieser Besitzstandsregelung. Die Tarifvertragsparteien haben den Bestand des Anspruchs auf die Besitzstandszulage im Grundsatz an den ununterbrochen fortbestehenden Kindergeldbezug geknüpft. Sie wollten nur den tatsächlichen, individuellen Besitzstand der übergeleiteten Beschäftigten, wie er im Monat vor der Überleitung bestand, schützen. Dieser Besitzstand erlischt mit der Einstellung der Kindergeldzahlung, sofern nicht einer der in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder abschließend aufgezählten Ausnahmefälle vorliegt
(vgl. BAG 14. April 2011 – 6 AZR 734/09 – Rn. 21 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA). Für die Zeit des fortbestehenden Besitzstands haben die Tarifvertragsparteien zu erkennen gegeben, dass sie widersprüchliche Entscheidungen über Kindergeld und Besitzstandszulage vermeiden wollten. Der Anspruch auf das Kindergeld und die Besitzstandszulage sollen insoweit kein unterschiedliches rechtliches Schicksal erfahren. Solange Kindergeld seit der Überleitung des Beschäftigten in den TV-L ununterbrochen festgesetzt ist und daher gezahlt wird, ist deshalb auch die Besitzstandszulage zu gewähren. Umgekehrt entfällt der Anspruch auf die Besitzstandszulage, wenn die Kindergeldfestsetzung bestandskräftig abgelehnt oder aufgehoben ist. Er entsteht nur in den von § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder erfassten Fällen neu, wenn die Kindergeldzahlung wieder auflebt
(BAG 25. April 2013 – 6 AZR 711/11 – Rn. 15 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-Bund). Damit haben die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise pauschalisierend auf die – sei es auch nur vorübergehende – Einstellung des Kindergeldbezugs abgestellt und diese zum Anlass genommen, den Anspruch auf die Besitzstandszulage endgültig untergehen zu lassen
(vgl. BAG 14. April 2011 – 6 AZR 734/09 – Rn. 23). Daher ist es entgegen der Annahme der Revision unzureichend, wenn der Beschäftigte lediglich „materiell kindergeldberechtigt“ in dem Sinne ist, dass er die Voraussetzungen der §§ 62, 63 EStG erfüllt, solange diese Berechtigung nicht in einem entsprechenden Festsetzungsbescheid
(vgl. § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG) ihren Ausdruck gefunden hat
(vgl. BAG 25. April 2013 – 6 AZR 711/11 – Rn. 13), auf dessen Grundlage die Kindergeldzahlung erfolgt. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Beschäftigte einen zwar rechtswidrigen, weil in der Sache unrichtigen, aber nicht nichtigen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid nicht mit Einspruch und/oder Klage angreift und bestandskräftig werden lässt. Die aus der Bestandskraft resultierende „prozessuale Nichtdurchsetzbarkeit“ des Kindergeldanspruchs führt entgegen der Auffassung der Revision ungeachtet einer etwaig bestehenden „materiellen Anspruchsberechtigung“ im Hinblick auf das Kindergeld nach der tariflichen Ausgestaltung zum Untergang des Anspruchs auf die „Besitzstandszulage Kind“.
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Der Beschäftigte ist insoweit auch nicht schutzlos gestellt. Es steht ihm offen, die behördliche Entscheidung über die Versagung von Kindergeld fristgerecht gerichtlich überprüfen zu lassen, um so mittelbare negative Folgen für seine Vergütung zu verhindern
(vgl. BAG 13. März 2008 – 6 AZR 294/07 – Rn. 15). Das hat die Klägerin versäumt und den Bescheid vom 29. Mai 2013 bestandskräftig werden lassen.
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3. Die von der Klägerin angeführten systematischen Erwägungen bedingen kein anderes Auslegungsergebnis. Entgegen der Annahme der Revision folgt aus der Verwendung des Begriffs der „Kindergeldberechtigung“ in § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TVÜ-Länder nicht, dass die Tarifvertragsparteien die materielle Kindergeldberechtigung als ausreichend angesehen haben. Diese Regelung stellt im Gegenteil klar, dass – sofern kein Fall der später eingefügten Protokollerklärung Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder vorliegt – bereits ein Wechsel in der Person des Kindergeldberechtigten zum Erlöschen des Anspruchs auf die Besitzstandszulage führt, weil nur der individuelle, im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Tarifrechts bestehende Besitzstand geschützt werden sollte
(vgl. BAG 30. Oktober 2008 – 6 AZR 712/07 – Rn. 8 ff, BAGE 128, 219). Die Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 TVÜ-Länder setzt damit ebenfalls den ununterbrochenen Bezug von Kindergeld voraus und soll lediglich Überzahlungen vermeiden
(Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L TVÜ-Länder Stand Dezember 2012 Rn. 334).
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Soweit die Klägerin auf die Protokollerklärungen Nr. 1 und Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder verweist, folgt aus diesen nichts Anderes. Sie regeln gerade nicht die hier streitbefangene Frage, ob der Anspruch auf die Besitzstandszulage den tatsächlichen Kindergeldbezug voraussetzt oder nicht. Einen Rückschluss auf den Bedeutungsgehalt des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder lassen sie darum nicht zu. Die Protokollerklärung Nr. 1 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder erfasst mit dem Ruhen des Entgeltanspruchs des Beschäftigten selbst im Stichmonat Oktober 2006 eine andere Tatbestandsvoraussetzung der streitbefangenen Zulage. Die Protokollerklärung Nr. 3 zu § 11 Abs. 1 TVÜ-Länder regelt wiederum den Wechsel der Kindergeldberechtigung, ohne auf den ununterbrochenen Kindergeldbezug für das Kind zu verzichten.
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II. Dem Auslegungsergebnis stehen die Entscheidungen des Senats vom 8. Dezember 2011
(- 6 AZR 452/10 und 6 AZR 397/10 – BAGE 140, 99) nicht entgegen. Diese befassen sich nicht mit der Tatbestandsvoraussetzung der ununterbrochenen Zahlung von Kindergeld, sondern derjenigen des kinderbezogenen Entgeltbestandteils des BAT/BAT-O oder MTArb/MTArb-O für „zu berücksichtigende Kinder“ in der für den Stichmonat Oktober 2006 „zustehenden“ Höhe. Aus diesen Formulierungen hat der Senat geschlossen, dass die Anspruchsberechtigung des Beschäftigten auf diese kinderbezogenen Entgeltbestandteile im Stichmonat Oktober 2006 als Voraussetzung für den Erhalt des Anspruchs auf die „Besitzstandszulage Kind“ ausreichend sei. Die tatsächliche Zahlung dieses Entgeltbestandteils durch den Arbeitgeber setze der Tarifvertrag hingegen nicht voraus
(BAG 8. Dezember 2011 – 6 AZR 452/10 – Rn. 12 ff.; 8. Dezember 2011 – 6 AZR 397/10 – Rn. 21 ff., aaO). Dies ist bei der vorliegend streitigen Tatbestandsvoraussetzung anders. Hier fordert – wie dargelegt – der Tarifvertrag, dass Kindergeld tatsächlich gezahlt wird.
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III. Der Anspruch auf die „Besitzstandszulage Kind“ des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder erlischt damit mit dem Ende der Kindergeldzahlung bzw. mit dem Ende des Zeitraums, für den ohne Berücksichtigung der §§ 64, 65 EStG oder der §§ 3, 4 BKGG Kindergeld gezahlt würde. Wird die Kindergeldzahlung nach einer Unterbrechung später wieder aufgenommen, lebt die Besitzstandszulage nur in den in § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-Länder abschließend aufgezählten Fällen, in denen die Unterbrechung vom Tarifvertrag ausdrücklich als unschädlich bezeichnet wird, wieder auf. Insoweit stehen § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 TVÜ-Länder in einem eindeutigen und abschließenden Regel-Ausnahmeverhältnis. Hätten die Tarifvertragsparteien Satz 3 dieser Bestimmung nur beispielhaft gemeint, hätten sie dies mit Zusätzen wie „zum Beispiel“, „insbesondere“ oder „etwa“ deutlich gemacht
(BAG 14. April 2011 – 6 AZR 734/09 – Rn. 13 zum inhaltsgleichen § 11 TVÜ-VKA). Soweit für den Fall einer Unterbrechung der Kindergeldzahlung aufgrund verspäteter Antragstellung
(vgl. § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG) bei dem Grunde nach durchgängig bestehender Kindergeldberechtigung die „Besitzstandszulage Kind“ abweichend von den tariflichen Regelungen mit Wiederaufnahme der Kindergeldzahlung fortgezahlt wird
(vgl. zu dieser Handhabung die Hinweise bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Juli 2021 TVÜ-Länder Rn. 332b auf die 10./2017 Mitgliederversammlung der TdL am 13./14. Dezember 2017 bzw. das BMI-Rundschreiben vom 25. Mai 2018 – D5-31002/9#1 – sowie bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD TVÜ-Bund/TVÜ-VKA Stand Dezember 2019 Rn. 132a auf das VKA-Rundschreiben vom 16. März 2018 – R 22/2018 -), geschieht dies übertariflich. § 11 TVÜ-Länder gebietet dies nicht.
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IV. Danach kann die Klägerin die „Besitzstandszulage Kind“ gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder im streitgegenständlichen Zeitraum nicht beanspruchen.
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1. Diesem Anspruch steht in den Monaten September 2012 bis Mai 2013 der fehlende tatsächliche Bezug von Kindergeld entgegen. Dieser rechtfertigte sich aus dem Ablehnungsbescheid vom 29. Mai 2013 bzw. jedenfalls aus demjenigen vom 26. Februar 2015, der nach teilweiser Klagerücknahme im Verfahren vor dem Finanzgericht in Bestandskraft erwachsen ist. Dem steht das in diesem Verfahren auf die Revision der Klägerin ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. September 2016
(- III R 27/15 -) nicht entgegen. Dieses bezog sich nach der Klagerücknahme nicht mehr auf den Zeitraum vom 1. September 2012 bis zum 31. Mai 2013.
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Die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in diesem Urteil zur „materiellen Kindergeldberechtigung“ der Klägerin vermögen an dem für § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder allein maßgeblichen fehlenden Kindergeldbezug nach den vorstehenden Ausführungen entgegen der Annahme der Revision nichts zu ändern. Im Übrigen verhält es sich im vorliegenden Fall nicht so, dass über die Kindergeldberechtigung der Klägerin in den Monaten September 2012 bis Mai 2013 noch gar keine Entscheidung der Familienkasse ergangen war (und die Frage der Kindergeldberechtigung somit offen war). Die Familienkasse hat vielmehr, wie dargelegt, den Anspruch der Klägerin bestandskräftig abgelehnt.
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An dieser Ablehnung änderte auch der erneute Kindergeldantrag der Klägerin vom 20. Dezember 2016 nichts. Diesen sowie den Einspruch der Klägerin beschied die Familienkasse abschlägig. Die daraufhin erhobene Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Finanzgericht rechtskräftig abgewiesen.
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2. Für den restlichen Streitzeitraum vom 1. Juni 2013 bis zum 30. Juni 2015 besteht ebenfalls kein Anspruch der Klägerin. Aufgrund des ab 1. September 2012 unterbrochenen Kindergeldbezugs lebte die „Besitzstandszulage Kind“ des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin ab 1. Juni 2013 wieder Kindergeld bezogen hat, nicht wieder auf. Es fehlt insoweit an der von § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder vorausgesetzten ununterbrochenen Zahlung. Einer der in Satz 3 dieser Tarifnorm abschließend aufgeführten Ausnahmefälle liegt ebenfalls nicht vor. Das ist zwischen den Parteien nicht streitig.
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Auf eine übertarifliche Gewährung hat sich die Klägerin nicht berufen. Eine solche kommt auch nicht in Betracht. Die Klägerin hat die fristgerechte Beantragung des Kindergeldes nicht versäumt.
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V. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen
(§ 97 Abs. 1 ZPO).
- Spelge
- Wemheuer
- Heinkel
- C. Klar
- Sieberts