BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 23.06.2022, AZ 2 B 38/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:230622B2B38.21.0
Verfahrensgang
vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 7. Juni 2021, Az: 26 A 1139/19.D, Urteil
vorgehend VG Wiesbaden, 29. Januar 2019, Az: 25 K 1139/16.WI.D, Urteil
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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1. Der im Jahr 1959 geborene Beklagte ist Bundesbahnamtsrat (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) im Bundesdienst. Er war bei der Deutschen Bahn AG als Sachbearbeiter im Bereich Marketing und Service tätig und bearbeitete dort u. a. Entschädigungsforderungen von Bahnkunden.
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Im März 2008 wurde gegen den Beklagten ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Betrugs eingeleitet. Im Juni 2008 folgte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Beklagten, das wegen des sachgleichen Strafverfahrens sogleich ausgesetzt wurde. Im März 2009 wurde der Beklagte vorläufig des Dienstes enthoben; ein Teil seiner Dienstbezüge wurde einbehalten. Mit amtsgerichtlichem Urteil ebenfalls von März 2009 wurde der Beklagte wegen Betrugs in 13 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen verurteilt. Dem zugrunde lagen als Entschädigungszahlungen deklarierte Überweisungen zu Lasten der Deutschen Bahn AG, die der Beklagte im Zeitraum zwischen Dezember 2005 und Mai 2007 seiner Vorgesetzten vorlegte. Es handelte sich um Beträge zwischen 400 € und 1 600 €, insgesamt um 11 690 €. Diese Beträge waren für die Verwendung durch den Beklagten bzw. seine damalige Lebensgefährtin bestimmt.
3
Im Juli 2016 hat der Kläger Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Er hat insbesondere ausgeführt: Der Beklagte habe seine Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung und seine Pflicht, sich innerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten, verletzt, indem er sich wegen Betrugs in 13 Fällen strafbar gemacht habe. Dieser Sachverhalt stehe aufgrund des rechtskräftigen amtsgerichtlichen Urteils für die Disziplinargerichte bindend fest. Im Rahmen der Maßnahmenbemessung sei die Höchstmaßnahme auszusprechen. Der Beklagte habe über einen langen Zeitraum die Deutsche Bahn AG unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung in einer Vielzahl von Fällen vorsätzlich geschädigt. Durchgreifende Milderungsgründe kämen ihm nicht zugute.
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2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
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Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 – 2 B 2.11 – NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 – 2 B 107.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 – 2 B 84.16 – juris Rn. 9).
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a) Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit einer überlangen Verfahrensdauer als rechtsgrundsätzlich bedeutsam formulierten Fragen
„Muss sich die überlange Verfahrensdauer insbesondere dann (auch) als materieller Milderungsgrund auswirken, wenn das behördliche Disziplinarverfahren bereits verspätet eingeleitet wurde,
je weiter fortgeschritten das Lebensalter des von dem Disziplinarverfahren Betroffenen ist?“
und
„Führt eine Prüfung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das zuständige Gericht mit dem Ergebnis, dass ein Verstoß vorliegt, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dazu, dass sich dieser Verstoß materiell auswirken kann?“
und
„Führt eine Prüfung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das zuständige Gericht mit dem Ergebnis, dass ein solcher Verstoß vorliegt, der wahrscheinlich zu einer Verurteilung der BRD durch den EGMR zu Schadensersatz führt, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dazu, das sich dieser Verstoß materiell auswirken kann?“
lassen sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.
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aa) Es ist ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keinen bemessungsrelevanten Umstand darstellt, der das Disziplinargericht berechtigt, von der gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis abzusehen. Grundlegend ist das Senatsurteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 3.12 – (BVerwGE 146, 98), in dem der Senat ausgeführt hat (Rn. 50 ff.):
„Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. Diese dienen der Durchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. Daher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Beschluss vom 16. Mai 2012 – BVerwG 2 B 3.12 – NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 12).
Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der überlangen Dauer eines Verfahrens und den geltend gemachten materiellrechtlichen Positionen herzustellen. Er hat die Verfahrensbeteiligten auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) verwiesen. Diese Vorschriften finden nach § 173 Satz 2 VwGO, § 3 LDG MV auch für Disziplinarverfahren Anwendung (Urteil vom 29. März 2012 – BVerwG 2 A 11.10 – juris Rn. 85; Beschluss vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 14).
Daraus folgt für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach einem unangemessen lang andauernden Disziplinarverfahren:
Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG MV (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG), dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der Disziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. Das von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden.
Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen Dienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 – BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 – 2 BvR 1003/05 – DVBl. 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 – BVerwG 1 D 30.03 – juris Rn. 80; vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – juris Rn. 27 und vom 29. März 2012 – BVerwG 2 A 11.10 – juris Rn. 84 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8; vom 26. August 2009 – BVerwG 2 B 66.09 – juris Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 a.a.O. Rn. 9 f.).
Aus neuen Entscheidungen der für Beamtenrecht zuständigen Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts anderes. Die unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens steht auch der Aberkennung des Ruhegehalts nicht entgegen, wenn der Beamte während seiner Dienstzeit die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis verwirkt hat (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. Januar 2013 – 2 BvR 1912/12 – juris).“
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Hieran hat der Senat nachfolgend festgehalten. Im Beschluss vom 12. Juli 2018 – 2 B 1.18 – (Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr. 1 Rn. 11) hat der Senat ausgeführt, dass die Senatsrechtsprechung auch den Fall erfasst, dass der Beamte auf der Grundlage des einschlägigen Disziplinargesetzes (z. B. § 38 BDG) vorläufig des Dienstes enthoben oder gegen ihn auf der Grundlage des Beamtenstatusgesetzes (§ 39 BeamtStG) im Hinblick auf den disziplinarrechtlichen Vorwurf ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte ausgesprochen worden ist; eine sich über mehrere Jahre hinziehende Suspendierung könne für den betreffenden Beamten zwar sehr belastend sein, was aber nichts an der Endgültigkeit eines Vertrauensverlusts ändere, die zwingend die Höchstmaßnahme nach sich ziehe (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 – BVerwGE 160, 370 Rn. 92 f. und Beschluss vom 16. August 2021 – 2 B 21.21 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 53 Rn. 21 f.).
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bb) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, nach der auch eine unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens und damit ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht die disziplinare Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. der Aberkennung des Ruhegehalts hindert, bedürfen die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Fragen keiner Beantwortung in einem Revisionsverfahren.
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(1) Dies gilt zunächst für die beiden auf die Prüfung von Art. 6 Abs. 1 EMRK bezogenen Fragen, bei denen die Beschwerde selbst annimmt, dass sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind, aber meint, dass diese Rechtsprechung einer Änderung bedarf. Zwar kann eine bereits revisionsgerichtlich geklärte Rechtsfrage wieder im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO klärungsbedürftig werden. Das setzt aber voraus, dass neue Gesichtspunkte von Gewicht vorgebracht werden, die die bisherige Rechtsprechung in Frage stellen und eine erneute revisionsgerichtliche Entscheidung geboten erscheinen lassen (BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2014 – 2 B 96.13 – Buchholz 449 § 46 SG Nr. 22 Rn. 9 m. w. N.). Solche Gründe hat die Beschwerde nicht vorgebracht. Die von der Beschwerde insoweit vorgetragenen Gesichtspunkte sind bereits in der zitierten Rechtsprechung des Senats bedacht worden, ohne dass ein die Zulassung der Revision rechtfertigender neuer Klärungsbedarf aufgezeigt wurde.
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(2) Auch der von der Beschwerde außerdem angeführte Aspekt der verspäteten Einleitung des Disziplinarverfahrens führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
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Zwar ist der Dienstvorgesetzte nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG verpflichtet, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, sobald er erstmals Kenntnis von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten erlangt, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Dies dient dem Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zugunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Beweisteilhabe geführt werden. Der Dienstvorgesetzte darf, wenn die Voraussetzungen zur Einleitung vorliegen, nicht abwarten und weiteres Belastungsmaterial sammeln. Verzögert der Dienstvorgesetzte die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn die verzögerte Einleitung für das weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (BVerwG, Urteil vom 15. November 2018 – 2 C 60.17 – BVerwGE 163, 356 Rn. 21 m. w. N.; Beschlüsse vom 18. November 2008 – 2 B 63.08 – Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 11 ff. und vom 14. Januar 2021 – 2 B 66.20 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 83 Rn. 56).
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Im vorliegenden Fall ist das Disziplinarverfahren zwar wenige Monate zu spät eingeleitet worden. Aber es fehlt an der Ursächlichkeit der verzögerten Einleitung des Disziplinarverfahrens für nachfolgendes Fehlverhalten des Beamten; die dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen lagen nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs bereits Monate oder Jahre zurück. Dementsprechend würde der vorliegende Fall in einem Revisionsverfahren nicht die Frage aufwerfen, ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unbeachtlichkeit einer überlangen Verfahrensdauer bei der disziplinaren Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Hinblick auf die verspätete Einleitung des Disziplinarverfahrens einer Korrektur bedarf.
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(3) Der Aspekt des fortgeschrittenen Alters des Beamten ist von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unbeachtlichkeit einer überlangen Verfahrensdauer bei der disziplinaren Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erfasst. Wenn die disziplinare Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, dann kommt es nicht auf das Lebensalter des Beamten oder auch die Dauer seiner bereits absolvierten oder regulär noch zu absolvierenden Dienstzeit an. Neuen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
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b) Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung in den Fragen
„Liegt allein in der Nichtwürdigung einer behördeninternen Richtlinie durch ein Tatsachengericht, durch die der Rahmen eigenverantwortlichen Handelns eines Beamten begrenzt wird und dementsprechend eine gesteigerte Aufsichts- und Fürsorgepflicht des Dienstherrn greift, ein Umstand, der aufgrund eines Mitverschuldens des Dienstherrn zu einer Herabsetzung der Schwere des Dienstvergehens eines Beamten führen kann?“
und
„Stellt auch die Nichtbeachtung einer Richtlinie durch den Dienstherrn, mit der eine Obergrenze zulässiger Überweisungen im Einzelfall festgelegt wird, im Sinne der bisherigen Maßstäbe in der Rechtsprechung des BVerwG eine Aufsichtspflichtverletzung dar, die zugleich das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für besondere Umstände begründet, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machen, solche aber durch Nichtbeachtung der besagten Richtlinie pflichtwidrig unterblieben sind, mit der Folge, dass dies im Wege eines Mitverschuldens mildernd zugunsten des Beamten bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden kann?“
sieht, sind sie auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens zu beantworten.
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Die erstgenannte Frage ist – wörtlich verstanden – ohne Weiteres zu verneinen; eine richterliche Würdigung oder Nichtwürdigung kann kein maßnahmemilderndes Mitverschulden des Dienstherrn sein. Gemeint ist offenbar die in der zweiten Frage aufgeworfene Problematik der Nichtbeachtung einer Richtlinie durch den Dienstherrn. Allerdings ist auch die zweite Frage bei wörtlichem Verständnis ohne Weiteres zu verneinen; die Nichtbeachtung einer Richtlinie – mit einer Obergrenze zulässiger Überweisungen im Einzelfall – durch den Dienstherrn kann kein Umstand sein, der besondere Kontrollmaßnahmen erforderlich macht und zugleich durch Nichtbeachtung der Richtlinie unterblieben ist. Bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung sind die aufgeworfenen Fragen dahingehend zu verstehen, ob die Nichtbeachtung einer Richtlinie durch den Dienstherrn, mit der eine Obergrenze zulässiger Überweisungen im Einzelfall festgelegt wird, im Sinne der bisherigen Maßstäbe in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Aufsichts- oder Fürsorgepflichtverletzung darstellt, die im Wege eines Mitverschuldens bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden kann. Diese Frage ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens zu verneinen.
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Wenn ein Beamter oder Soldat mit Zugang zu dienstlichen Geldern in eine finanzielle Notlage gerät und dies seinen Vorgesetzten bekannt wird, sind diese gehalten, Maßnahmen zu treffen, um den Dienstherrn vor Schaden zu bewahren und um den Beamten oder Soldaten nicht in Versuchung zu führen, sich dienstliche Gelder anzueignen; das kann durch die Übertragung anderer Aufgaben oder durch eine erhöhte, wirksame Kontrolle geschehen (BVerwG, Urteil vom 19. September 1985 – 2 WD 63.84 – BVerwGE 83, 52 <57 f.>). Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte kann unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände – etwa bei Hinweisen auf eine Alkoholabhängigkeit – vorlagen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben sind oder nur unzureichend durchgeführt wurden (BVerwG, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 D 15.05 – Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 14 Rn. 22; Beschlüsse vom 11. Juli 2014 – 2 B 70.13 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 25 Rn. 9 und vom 20. Dezember 2016 – 2 B 110.15 – Buchholz 235.2 LandesdisziplinarG Nr. 48 Rn. 11).
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Die Pflicht der Vorgesetzten, entsprechend tätig zu werden, knüpft somit an ihre Kenntnis der besonderen Situation des Beamten an. Haben sie diese Kenntnis nicht, trifft sie auch keine Pflicht zum Tätigwerden. Ein solcher Fall liegt auf der Grundlage der Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs gerade nicht vor; die Vorgesetzten des Beklagten hatten vor der Aufdeckung der streitgegenständlichen Pflichtverstöße keine Kenntnis von der finanziellen Notlage des Beklagten.
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Ebenso wird aus der zitierten Rechtsprechung deutlich, dass eine Nichtbeachtung einer Richtlinie mit einer Obergrenze zulässiger Überweisungen im Einzelfall durch den Dienstherrn keinen Fall einer verletzten Fürsorgepflicht darstellt. Eine solche Richtlinie dient als allgemeine Maßnahme ausschließlich dem Vermögensinteresse des Dienstherrn, nicht hingegen dem Interesse des Beamten, schon gar nicht im Hinblick auf eine bei ihm individuell vorliegende besondere Not- oder Versuchungssituation. Schutzmaßnahmen bei vom Vorgesetzten erkannter individueller Anfälligkeit und damit Schutzbedürftigkeit sind etwas grundsätzlich anderes als Schutzmaßnahmen oder abgestufte Sicherungsmaßnahmen zum Schutz des Unternehmens ohne solche individuellen Anfälligkeiten. Unabhängig davon, ob man es nicht sogar im Gegenteil als besonders schweren Pflichtverstoß ansehen könnte, wenn der Beamte Überweisungen in einer ihm von vornherein – also auch bei einem nicht fingierten Erstattungsfall – nicht zustehenden Höhe auf den Weg bringt, liegt in der Nichtbeachtung einer solchen Richtlinie jedenfalls kein sich maßnahmemildernd auswirkender Umstand.
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3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
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a) Das gilt zunächst für die Nichtberücksichtigung und Nichtheranziehung der Richtlinie mit einer Obergrenze zulässiger Überweisungen im Einzelfall.
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Soweit die Beschwerde rügt, dass die Nichtbeachtung der Richtlinie nicht maßnahmemildernd berücksichtigt worden ist, handelt es sich um einen – vermeintlichen – Fehler bei der Maßnahmebemessung und damit bei der Anwendung nicht des Verfahrens-, sondern des materiellen Rechts.
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Soweit die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht die Richtlinie nicht herangezogen und in das Verfahren eingeführt hat, rügt sie der Sache nach die Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 58 Abs. 1 BDG i. V. m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht erfordert gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 – 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 6. März 1995 – 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 S. 8 f., vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 18. Juni 1998 – 8 B 56.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154 S. 475).
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Eine derartige substanziierte Darlegung enthält die Beschwerdebegründung nicht. Vor allem ist ihr nicht zu entnehmen, dass in der mündlichen Verhandlung durch Stellen eines (förmlichen, unbedingten) Beweisantrags auf die vermisste Heranziehung der Richtlinie hingewirkt wurde; auch ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ist dies nicht geschehen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist kein Mittel, in der Vorinstanz versäumte prozessuale Möglichkeiten durch Verfahrensrügen nachzuholen (stRspr, vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 2 B 50.21 – juris Rn. 15). Angesichts der oben bereits dargelegten Irrelevanz der Richtlinie für die Maßnahmebemessung musste sich dem Berufungsgericht die Heranziehung der Richtlinie nicht auch ohne entsprechenden Beweisantrag aufdrängen.
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b) Die Revision ist zudem nicht wegen eines Verfahrensfehlers im Hinblick auf die Ablehnung des „Vertagungsantrags“, gemeint ist der Terminverlegungsantrag, zuzulassen. Die Beschwerde ist der Ansicht, die Terminverlegung sei rechtlich geboten gewesen, weil wegen des zu erwartenden Ablebens des Schwiegervaters des Beklagten die fokussierte und konzentrierte inhaltliche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erschwert gewesen sei.
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In der Ablehnung des Terminverlegungsantrags liegt kein – insoweit allein in Betracht kommender – Gehörsverstoß.
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Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt, kann eine mündliche Verhandlung „aus erheblichen Gründen“ verlegt oder vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87b VwGO) und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Abs. 1 VwGO), andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) Rechnung zu tragen. Letzteres verlangt, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und tatsächliche und rechtliche Argumente im Prozess vortragen zu können (BVerwG, Urteil vom 11. April 1989 – 9 C 55.88 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 23 S. 4 m. w. N.). Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs versagte Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Vertagung rechtfertigende „erhebliche“ Gründe im Sinne des § 227 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. April 2004 – 3 B 119.03 – juris Rn. 3 und vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 – Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 6 f.).
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Die Ablehnung eines Terminverlegungsantrags kann den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 227 Abs. 1 ZPO, vgl. BVerwG, Urteile vom 27. März 1985 – 4 C 79.84 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 3 S. 2, vom 3. Juli 1987 – 8 C 39.85 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 186 S. 12 <13 f.> und vom 26. Januar 1989 – 6 C 66.86 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 212 S. 46 <49 f.> sowie Beschluss vom 28. August 1992 – 5 B 159.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 252 S. 103 <104>). Allerdings erfordert die prozessuale Mitwirkungspflicht jedes Beteiligten, dass ein Antrag auf Terminverlegung unverzüglich gestellt wird, nachdem die Verhinderung bekannt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. April 2004 – 3 B 119.03 – juris Rn. 4 m. w. N. und – 1 B 203.03 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 32 = juris Rn. 4 sowie vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 – Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 7).
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Es besteht keine Verpflichtung zur Terminverlegung, wenn der Antrag durch die Absicht der Prozessverschleppung getragen wird oder ansonsten gegen die prozessuale Mitwirkungspflicht eines Beteiligten verstößt. Im Übrigen muss etwa die Erkrankung oder sonstige Verhinderung des Prozessbevollmächtigten schlüssig aus dem beim Gericht vorgelegten Attest hervorgehen; die Bescheinigung muss so substanziiert sein, dass das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit selbst zu beurteilen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Mai 2001 – 8 B 69.01 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 30 S. 6 und vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 – Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 8 f.).
31
Wenngleich im vorliegenden Fall eine Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nicht in Rede steht, legt die Beschwerde nicht dar, dass der Beklagte alles nach dem Dargelegten Erforderliche getan hat. Zum einen hat er die Begründung für den Terminverlegungsantrag, nach „ärztlicher Prognose“ sei das Ableben des Schwiegervaters voraussichtlich um den Verhandlungstermin zu erwarten, nicht durch Vorlage dieser ärztlichen Prognose glaubhaft gemacht und dies auch trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderung nicht nachgeholt. Des Weiteren hat er erstmals in der Beschwerdebegründung auf den Umstand abgestellt, dass ihm dieser Umstand die inhaltliche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erschwert habe; hiervon war in dem Terminverlegungsantrag keine Rede. Außerdem ist der Beklagte zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erschienen und hat dort ausweislich des gerichtlichen Protokolls keinen Vertagungsantrag im Hinblick auf diesen Umstand gestellt; es ist auch nicht vorgetragen, dass er in der mündlichen Verhandlung auch nur auf diesen Umstand hingewiesen hat. Schließlich wäre auch inhaltlich ein substanziierter Vortrag zu der nunmehr vorgetragenen Erschwerung erforderlich gewesen. Zudem geht aus dem Vorbringen des Beklagten nicht hervor, was dieser bei einer – aus seiner Sicht fehlenden – fokussierten und konzentrierten inhaltlichen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht vorgetragen hätte.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.