BPatG München 30. Senat, Beschluss vom 23.06.2022, AZ 30 W (pat) 517/20, ECLI:DE:BPatG:2022:230622B30Wpat517.20.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2018 015 398.0
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterin Dr. Weitzel und des Richters Merzbach beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6 . November 2019 aufgehoben.
Gründe
I.
1
Die am 16. Juni 2018 als „andere Markenform“ wie folgt eingereichte Darstellung:
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soll für die Waren der
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„Klasse 09: Elektrische Verlängerungskabel, insbesondere elektrische Verlängerungskabel mit einem Schutzkontaktstecker und einer Schutzkontaktsteckdose; Kabeltrommeln mit einem elektrischen Kabel; vorgenannte Waren ausgebildet zur Verwendung bei einer elektrischen Spannung von 220 bis 240 Volt.“
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in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register eingetragen werden.
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Die Farben zur Markendarstellung sind in der Anmeldung angegeben als: „orange entsprechend Pantone 165C und grau entsprechend
Pantone 421C“. Der Anmeldung ist folgende Beschreibung beigefügt: „Die Marke besteht aus einer Kombination der Farben Orange, nämlich Pantone 165c und Hellgrau, nämlich
Pantone 221c, wobei das Kabel der Ware durch zwei Streifen in den Farben Orange und Hellgrau in Längsrichtung gestreift ist, wobei der hellgraue und der orange Streifen jeweils die Hälfte des Umfangs des Kabels einnehmen“. Die Anmelderin hat im weiteren Verfahren klargestellt, dass es in der Beschreibung der Anmeldung statt „Pantone 221C“ richtig „Pantone 421C“ heißen muss.
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Mit Beschluss vom 6. November 2019 hat die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 09 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die beanspruchten Elektrokabel bestünden, wie alle Stromkabel, aus mehreren Kupferadern, die einzeln isoliert seien. Die Isolationsschichten hätten unterschiedliche Farben, damit man die Adern nach ihrer Funktion unterscheiden könne. Insofern werde der angesprochene Verbraucher der angemeldeten Farbkombination in Bezug auf die beanspruchten Produkte lediglich eine technische Bedeutung zumessen. Zudem seien Kabel in verschiedenen Farben mit andersfarbigen Steckern und Kabeltrommeln üblich. Die Vielfalt an Farbkombinationen führe ebenfalls dazu, dass der Verkehr das angemeldete Zeichen nicht als Herkunftshinweis verstehe.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin mit der sie geltend macht, das Warenverzeichnis sei eng umgrenzt. Es greife aus dem breit gefächerten Warenangebot von Elektroinstallations- und Elektrozubehörartikeln lediglich Verlängerungskabel mit Stecker und Steckdose, sowie Kabeltrommeln mit Kabel heraus. Gleichzeitig begrenze das Warenverzeichnis diese Waren auf den Spannungsbereich von 220 bis 240 Volt und damit auf Haushaltsstrom. Angesprochener Verkehrskreis sei damit der Durchschnittsverbraucher.
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Überdies umfasse der sich aus dem Warenverzeichnis ergebende Markt ein kleines und sehr spezifisches Segment des Elektroinstallationsartikelmarktes.
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So gebe es für dieses Marktsegment nur eine relativ kleine Anzahl von ca. 27 inländischen Herstellern, von denen zudem nicht alle Verlängerungskabel bzw. Kabel auf Kabeltrommeln produzierten.
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Die Verbraucher sähen in der zweifarbigen Gestaltung der Verlängerungskabel und der Kabel auf Kabeltrommeln kein rein technisches Merkmal. Zweifarbige Streifen, die längs am Kabel entlangliefen, seien teilweise für die
innen im Elektrokabel laufenden Adern zur Funktionsunterscheidung gebräuchlich. Das gelte jedoch nicht für die hier maßgebliche
äußere Hülle von Elektrokabeln.
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Die von der Markenstelle vorgelegten Rechercheergebnisse beträfen nicht die angemeldeten Waren. Sie zeigten Fahrzeugleitungen, die von Autoelektrikern und nicht von Durchschnittsverbrauchern verwendet würden und Textilkabel, die ein anderes Warensegment als Verlängerungskabel beträfen. Soweit mehrfarbige Kabeltrommeln gezeigt würden, umfassten diese einfarbige Kabel. Kabeltrommeln mit zweifarbigen Kabeln seien nicht aufgeführt, weil es solche bisher nicht gebe.
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Die Zweifarbigkeit der Kabel sei auch keine bloße Dekoration. Zwar seien die Verbraucher an die einfarbige Gestaltung der äußeren Kabelummantelung gewöhnt und sähen darin keinen Herkunftshinweis. Die zweifarbige (äußere) Gestaltung der Elektrokabel sei hingegen innovativ und einzigartig. Die Anmelderin grenze sich damit von bisher bekannten Farbgestaltungen bei Verlängerungskabeln und Kabeln auf Kabeltrommeln ab und damit auch von anderen Herstellern. Die zweifarbig gestalteten Kabel reihten sich ein in eine neue Produktpalette der Anmelderin. Die typische Farbkombination der Anmelderin werde vom Verbraucher als deren Kennzeichen und damit als Herkunftshinweis wahrgenommen.
13
In diesem Zusammenhang habe die Markenstelle auch die Röhren-Entscheidung des BPatG nicht hinreichend berücksichtigt (BPatG, Beschluss vom 8. Juli 2003, 33 W (pat) 208/01).
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Die Anmelderin habe überdies ein Patent auf die Herstellung zweifarbiger Kabel. Der Hersteller Electraline in der als Anlage 1 übermittelten Senatsrecherche dürfe das abgebildete zweifarbige Kabel aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Lieferanten und der Anmelderin frühestens seit dem Jahr 2018 vertreiben. Insofern könne die in der Recherche gezeigte Abbildung trotz der übereinstimmenden Bestellnummer nicht aus dem Jahr 2016 stammen.
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Es bestehe auch kein Freihaltebedürfnis für die angemeldete Farbzusammenstellung. Zum einen seien die – von dem Anmeldezeichen abweichenden – technisch als Kennfarben dienenden Farbkombinationen seit langem festgelegt und beträfen nur die innenliegenden Adern. Überdies gebe es eine fast unbegrenzte Anzahl an möglichen Farben und Farbkombinationen für Kennzeichnungen von Verlängerungskabeln und Kabeltrommeln.
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Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 09 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. November 2019 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige, nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
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Die streitgegenständliche Marke ist sowohl gemäß § 3 Abs. 1 MarkenG abstrakt markenfähig als auch grafisch darstellbar im Sinne von § 8 Abs. 1 MarkenG.
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1. Bei dem angemeldeten Zeichen handelt es sich um eine konkrete Aufmachungsfarbkombinationsmarke, bei der zwei Farben in der Weise unter Schutz gestellt werden sollen, dass die im Warenverzeichnis genannten Kabel in den Farben Orange und Grau in Längsrichtung jeweils hälftig gestreift sind. Dass in der Anmeldung in Feld (6) „Andere Markenform“ angekreuzt ist, steht der Einordnung als Farbmarke nicht entgegen, da die Gesamtwürdigung der Anmeldeunterlagen für eine solche spricht: die genannten Pantone-Nummern, das eingereichte Farbmuster und die Beschreibung.
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Bei einer konkreten Aufmachungsfarbkombinationsmarke – und auch im vorliegenden Fall – werfen Bestimmtheit und Darstellbarkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 MarkenG, anders als bei einer abstrakten Farbmarke, keine grundsätzlichen Schwierigkeiten auf, weil die farbliche Aufmachung im Hinblick auf einen konkreten Gegenstand, hier Kabel, festgelegt ist (vgl. Miosga in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 3 Rn. 46).
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Der grafischen Darstellbarkeit steht auch nicht entgegen, dass die Bezeichnung der Farbe Grau im Anmeldeformular mit „421C“ und in der Beschreibung mit „221c“ angegeben ist. Diesbezüglich hat die Anmelderin klargestellt, dass es sich hierbei offensichtlich um Versehen gehandelt hat – zumal sich „221c“ auf einen roten Farbton bezieht – und es auch in der Beschreibung „Pantone 421C“ heißen muss. Die beiden Farbtöne Orangen (Pantone 165C) und Grau (Pantone 421C) sind nach dem international anerkannten Pantone-System insofern eindeutig definiert.
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2. Der beanspruchten Farbkombinationsmarke steht auch nicht das Schutzhindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen.
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Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rn. 59 f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH GRUR 2018, 932 Rn. 7 – #darferdas?; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH a. a. O. – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas?). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH GRUR 2015, 581 Rn. 16 – Langenscheidt-Gelb).
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Diese Grundsätze finden auch bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von Farbmarken Anwendung, bei denen kein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei anderen Markenformen (vgl. EuGH GRUR Int. 2005, 227 Rn. 78 – Farbe Orange; EuGH GRUR 2014, 776 Rn. 47 – Deutscher Sparkassen- und Giroverband/Banco Santander [Sparkassen-Rot]; BGH GRUR 2015, 1012 Rn. 11 – Nivea-Blau). Allerdings ist bei bestimmten Markenkategorien zu beachten, dass sie vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen werden wie eine herkömmliche Wort- oder Bildmarke, die ein gesondertes Zeichen darstellt und vom Erscheinungsbild der gekennzeichneten Ware unabhängig ist.
27
Häufig schließen Verbraucher aus der Farbe eines Produkts nicht auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Unternehmen (EuGH GRUR 2003, 604 Rn. 65 – Libertel; GRUR 2004, 858 Rn. 39 – Heidelberger Bauchemie; BGH GRUR 2015, 581 Rn. 10 – Langenscheidt-Gelb).
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Bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer farbigen Warenaufmachung ist zu berücksichtigen, dass das angesprochene Publikum nicht daran gewöhnt ist, allein aus der Farbe von Waren oder ihrer Verpackung auf die Herkunft der Waren zu schließen, da eine Farbe im Handel grundsätzlich nicht als Mittel der Identifizierung verwendet wird. Nur im Ausnahmefall unter außergewöhnlichen Umständen besteht die Möglichkeit der Bejahung der Unterscheidungskraft einer Farbmarke, nämlich auf spezifischen, eng begrenzten Bereichen von Waren oder Dienstleistungen; nur auf einem spezifischen Markt kann eine Gewöhnung des Verkehrs an Farben als Kennzeichnungsmittel erfolgen (vgl. EuGH, GRUR 2003, 604 Rn. 65 – Libertel; BGH, GRUR 2010, 637 Rn. 28 – Farbe Gelb; GRUR 2015 581 Rn. 15 – Langenscheidt Gelb; GRUR 2015, 1201, Rn. 93 – Sparkassen-Rot/Santander-Rot; GRUR 2016, 1167, Rn. 25 – Sparkassen-Rot). Für Farbzusammenstellungen gelten diese Bewertungsmaßstäbe entsprechend (EuGH, GRUR 2004, 858, 860 Rn. 39 – 42 – Heidelberger Bauchemie GmbH).
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Im konkreten Fall liegen besondere Umstände vor, die die Annahme rechtfertigen, dass die angemeldete Farbmarke von Haus aus unterscheidungskräftig ist.
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a. Die Unterscheidungskraft ergibt sich allerdings nicht aus der von der Anmelderin zitierten Röhren-Entscheidung des Bundespatentgerichts vom 8. Juli 2003 (BPatG 33 W (pat) 208/01), da sich die dortige Ausgangssituation von der vorliegenden maßgeblich unterscheidet. Bei der „Röhren-Entscheidung“ hatte die Recherche ergeben, dass nahezu jede Firma ein bestimmtes System von Rohren mit einer eigenen Farbgebung anbot. Für Erweiterungen und Reparaturen konnte so vom relevanten Fachverkehr ohne weiteres erkannt werden, welches Rohrsystem im konkreten Fall Verwendung gefunden hat. Im vorliegenden Fall ist – wie im Folgenden ausgeführt – hingegen nicht ermittelbar, dass Hersteller von Verlängerungskabeln bzw. von Kabeln auf Kabeltrommeln diese mit einer eigenen, speziellen Farbgebung anbieten. Der Einsatz der beanspruchten Kabel in einem „Kabelsystem“ ist, anders als bei den vorgenannten Rohren in einem Rohrsystem, nicht vorgesehen, so dass die farbliche Zuordnung bei den Kabeln, anders als bei den Rohren, keine Rolle spielt.
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Es liegen dennoch besondere Umstände vor, die zur Bejahung der Unterscheidungskraft führen.
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b. Zunächst umfasst das Verzeichnis der Anmeldung mit „Elektrische Verlängerungskabel, Kabeltrommeln mit einem elektrischen Kabel; vorgenannte Waren ausgebildet zur Verwendung bei einer elektrischen Spannung von 220 bis 240 Volt“ sehr spezifische Waren, die in einem eng umgrenzten Segment des Elektroinstallationsartikelmarktes angeboten werden. Die sich aus dem Warenverzeichnis ergebende Einschränkung auf einen Spannungsbereich von 220 bis 240 Volt begrenzt den ohnehin spezifischen Warenbereich darüber hinaus nochmals auf Kabel für Haushaltsstrom in Abgrenzung zu im Gewerbe benutzten Strom im höheren Voltbereich.
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Überdies hat die Anmelderin ausgeführt und belegt, dass es für den einschlägigen Bereich der Elektroinstallationsartikel nur eine relativ kleine Anzahl von ca. 27 inländischen Herstellern gibt, deren Zahl tatsächlich noch geringer ist, weil nicht alle Hersteller Verlängerungskabel bzw. Kabeltrommeln mit Kabeln produzieren.
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c. Farben kommt für die spezifischen Waren überdies keine beschreibende, insbesondere keine technisch-funktionale oder dekorative Funktion zu.
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aa. Soweit die Markenstelle eine technisch-funktionale Wirkung der angemeldeten Farbkombination auf Farben/Farbcodes (z.B.: Phase: schwarz, Neutralleiter: blau, Erdung: grün-gelb) für innenliegende Adern eines Kabels stützt, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden, da sich die Anmeldung auf „einsatzbereite“ Verlängerungskabel und Kabel auf Kabeltrommeln bezieht, die der Verkehr bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ausschließlich mit ihrer Außenummantelung wahrnimmt. Wie auch die Anmelderin einräumt, ist diese äußere Kabelummantelung häufig farbig, allerdings
einfarbig, ausgestaltet (neben schwarz, grau und weiß z.B. rot, orange, gelb und blau).
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Für den vorliegend beanspruchten Bereich von 220 bis 240 Volt werden Farben überdies nicht als Kennzeichen für besondere Einsatzbereiche verwendet. In dem speziellen Produktbereich ist es gerade nicht üblich, technische Merkmale durch Farben (einfarbig oder zweifarbig) hervorzuheben. So gibt es im vorgenannten Voltbereich auch keine Signalfarben, die z.B. auf Starkstrom hindeuten.
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Nichts anderes ergibt sich auch aus dem von der Markenstelle mit dem angegriffenen Beschluss übermittelten Rechercheergebnis („m-e.Bay.pdf“) zu farbigen Fahrzeugleitungen. Zwar sind diese nach DIN 72551 in acht unterschiedliche Farben (auch zweifarbige) unterteilt, um Autoelektrikern die korrekte Verbindung der Kabel zu erleichtern und einen Kurzschluss zu vermeiden. Jedoch handelt es sich dabei um spezielle, in der Autoelektrik von Fachleuten verwendete Kabel, die sich von den vorliegend beanspruchten Verlängerungskabeln und Kabeln auf Kabeltrommeln für den Hausgebrauch grundlegend unterscheiden.
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bb. Der angemeldeten Farbkombination kommt für die beanspruchten Waren auch keine dekorative Wirkung zu. Zwar mag es sein, dass sichtbar verwendete Verlängerungskabel in der ein oder anderen Farbe besser zur Bodenfarbe oder zu Einrichtungsgegenständen passen.
39
Dass die Verbraucher ihnen aber eine spezielle dekorative oder ästhetische Wirkung zumessen, ist nicht festzustellen. Dazu trägt der Umstand bei, dass Verlängerungskabel bzw. Kabel auf Kabeltrommeln häufig nach Bedarf zu unterschiedlichen Gelegenheiten in verschiedenen Umgebungen eingesetzt werden. Dauerhaft eingesetzte Verlängerungskabel werden möglichst nicht oder kaum sichtbar hinter Möbeln verlegt, so dass ihnen auch insoweit keine dekorative Wirkung zukommt.
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Soweit die Markenstelle eine dekorative Wirkung für Verlängerungskabel bzw. Kabel auf Kabeltrommeln mit dem Hinweis auf die entsprechende Wirkung farbiger (auch zweifarbiger) Textilkabel herleitet, kann dem nicht gefolgt werden. Anders als die beanspruchten Elektrokabel finden Textilkabel nämlich insbesondere bei Lampen, z.B. Pendelleuchten im Wohnbereich Verwendung, sind damit gut sichtbarer Teil der Einrichtung und regelmäßig schon für sich Dekorationsobjekte, die sich, je nach Geschmack, in das Wohnambiente einfügen oder besonders hervortreten sollen.
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d. Anders als bei dem vielfältigen Angebot einfarbiger Kabel in verschiedenen Farben lässt sich zum Anmeldetag keine Branchenübung feststellen, dass die beanspruchten Kabel zweifarbig angeboten wurden. Zwar zeichnet sich das vorliegende Warengebiet durch eine Vielzahl von Farben aus. So sind (orange, rote, blaue, gelbe, schwarze etc.) Kabel häufig mit andersfarbigen Steckern und/oder Kabeltrommeln kombiniert. Allerdings lassen sich zum Anmeldetag ausschließlich einfarbige Kabel für den beanspruchten Produktbereich ermitteln. Selbst im Hinblick auf den (einen) Anbieter, die Firma Elektraline, die nach einer Senatsrecherche bereits im Jahr 2016 unter der Kennziffer 01730 ein – vermeintlich – zweifarbiges, orange/schwarz längsgestreiftes Verlängerungskabel anbot, hat die Anmelderin überzeugend dargelegt, dass dieses Kabel wegen einer Vereinbarung mit ihr als Inhaberin eines Patents (DE 10 2016 125 364 A1) für zweifarbige Kabel frühestens seit 2018 angeboten worden sein konnte.
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Insofern weicht die angemeldete Aufmachungsfarbkombinationsmarke für die beanspruchten Waren durch die Zweifarbigkeit der Kabel von den verkehrsüblichen Farbgestaltungen (
einfarbig) ab. Es lässt sich nicht feststellen, dass die zweifarbig längsgestreifte Ausgestaltung von Verlängerungskabeln bzw. von Kabeln auf Kabeltrommeln im Voltbereich 220 bis 240 branchenüblich ist. Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass das angemeldete Zeichen im Verkehr als Mittel zur betrieblichen Herkunftsindividualisierung aufgefasst wird.
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In diesem Zusammenhang stellt das Kriterium des Allgemeininteresses ein Korrektiv gegenüber einer rational oft schwer fassbaren Einschätzung der Verkehrsauffassung dar (BPatG 30 W (pat) 30/12 – you smile we care). Als objektiv nachvollziehbare Entscheidungshilfe bietet sich (jedenfalls in Zweifels- oder Grenzfällen) die Kontrollfrage an, ob und inwieweit eine Monopolisierung der angemeldeten Marke mit dem maßgeblichen Allgemeininteresse in Einklang zu bringen ist, das den entscheidenden Auslegungsmaßstab des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG darstellt (vgl. m.w.N. Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG,13. Aufl., § 8 Rn. 96). Beispielsweise kann Wortfolgen mit einer für sich genommen eher einfachen Aussage die Unterscheidungskraft nicht stets abgesprochen werden (vgl. BGH GRUR 2000, 321, 322 – Radio von hier; GRUR 2000, 323, 324 – Partner with the Best), sondern nur dann, wenn sich feststellen lässt, dass die Aussage in ihrer konkreten Form vom Verkehr zur freien Verwendung benötigt wird (vgl. BPatG GRUR 2004, 333, 334 – ZEIG DER WELT DEIN SCHÖNSTES LÄCHELN).
44
Nach diesen Grundsätzen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die es rechtfertigen würden, der angemeldeten Aufmachungsfarbkombinationsmarke im Allgemeininteresse den nachgesuchten Schutz zu versagen. Sie betrifft – wie ausgeführt – ein sehr spezifisches Warengebiet mit sehr wenigen Anbietern und weist darüber hinaus keinen beschreibenden Bezug zu den beanspruchten Waren auf.
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Überdies besteht eine unübersehbare Anzahl möglicher Farbkombinationen für die beanspruchten Elektrokabel.
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2. Wegen der fehlenden Eignung zur unmittelbaren Beschreibung der beanspruchten Waren kann für die angemeldete Marke auch ein Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht bejaht werden.
47
Der angegriffene Beschluss waren deshalb aufzuheben.