(Sozialgerichtsverfahren – Nichtzulassungsbeschwerde – Verfahrensfehler – gerügte Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG – vollständige Wiedergabe der Begründung des LSG) (Beschluss des BSG 5. Senat)

BSG 5. Senat, Beschluss vom 21.06.2022, AZ B 5 R 71/22 B, ECLI:DE:BSG:2022:210622BB5R7122B0

§ 73 Abs 4 SGG, § 106 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG

Verfahrensgang

vorgehend SG Berlin, 12. September 2018, Az: S 30 R 3656/15, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 14. Februar 2022, Az: L 17 R 722/18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-sozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Der 1949 geborene Kläger begehrt eine höhere Altersrente. Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte ihm ab August 2014 Regelaltersrente auf der Grundlage von 13,5246 persönlichen Entgeltpunkten. Zusätzlich gewährte er zu der sich daraus errechnenden monatlichen Rente von 386,94 Euro einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag iHv 28,25 Euro
(Rentenbescheid vom 13.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 18.6.2015). Klage und Berufung des Klägers, der ua einen Zuschuss zur Krankenversicherung von wenigstens 50 % seiner tatsächlichen Aufwendungen (einschließlich von monatlich einem Zwölftel der jährlichen Selbstbeteiligung) sowie die Berücksichtigung von mindestens zwölf Jahren an Kindererziehungszeiten je Kind forderte, sind ohne Erfolg geblieben
(Urteile des SG vom 12.9.2018 sowie des LSG vom 14.2.2022). Das LSG hat zu den Einwendungen des Klägers jeweils ausgeführt, weshalb es diese nicht als durchgreifend erachte.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensmängel.

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II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger, der sich als Rechtsanwalt gemäß § 73 Abs 4 Satz 5 SGG vor dem BSG selbst vertreten darf, hat weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargelegt noch einen Verfahrensmangel
(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

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a) Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht
(§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes
(vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 – B 1 KR 47/16 B – SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Daran fehlt es hier.

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  • Der Kläger formuliert folgende Fragen:
  • (1)
  • „Sind für die Berufsausbildung – trotz in die Rentenkasse geleisteten 42 Monaten der Beitragseinbringung – diese Leistungen auf 36 Monate zu mindern?“
  • (2)
  • „Ist die Nichtbewertung der Fachhochschul- und Hochschulausbildung im Jahre 2014 noch verfassungsgemäß aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Begebenheiten unter Berücksichtigung der Entscheidung, Bundesverfassungsgericht 117, 272-302, welches seine Entscheidung auf die Gewährung der Regensaltersrente <gemeint wohl: Regelaltersrente> aus dem Jahre 1997 bezieht?“
  • (3)
  • „Ist § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4a und Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) i.d.F. des Art. 1 Nr. 11 Buchstabe a des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz [WFG] vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461), in Kraft getreten am 1. Januar 1997, noch immer mit Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, soweit dadurch die erworbene Rangstelle von Anwartschaftsrechtsinhabern durch eine Neubewertung der ersten Berufsjahre gemindert worden ist?“
  • (4)
  • „Sind einem Rentner Zuschüsse für die Leistungen zur Krankenkasse seiner in den Jahren 1993 und 1995 geborenen Kinder zu gewähren?“
  • (5)
  • „Ist ein Rentenbescheid rechtmäßig oder zu unbestimmt, wenn er für seine Bescheidung (nicht konkret geschilderten) Mitwirkungspflichten des Rentenantragstellers abhängig macht?“
  • (6)
  • „Ist es eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung wenn einem Rentenantragsteller die Teilhabe an Leistungen für die private Krankenversicherung und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in einem Urteil des Sozialgerichts mit der Begründung versagt wird, dass der Rentner kein Pensionär ist und Väter und Mütter ungleich zu behandeln sind und trägt eine derartige offene und kurze Begründung eines Berufungsgerichts die gesetzlichen Voraussetzungen zur Begründung eines Urteils eines Sozialgerichts?“
  • (7)
  • „Ob sich ein Vater vorhalten lassen muss, dass Unterschiede zwischen Vätern und Müttern bestehen“ und „ist es rechtmäßig, wenn ein Landessozialgericht es sich so einfach macht und plakativ argumentiert, um begründete Ansprüche eines Rentners und Vaters beiseitezuschieben?“

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Zu diesen Fragen trägt der Kläger ohne rechtliche Ausführungen vor, sie seien „im Hinblick auf das angegriffene Urteil entscheidungserheblich“ und es bedürfe „aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung“ einer Konkretisierung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen durch das BSG. Im Übrigen nimmt er „auf den gesamten erstinstanzlichen Vortrag sowie auf den vor dem Berufungsgericht Bezug, insbesondere wegen der Kindererziehungszeiten und der Frage der Mitwirkungspflichten“. Damit wird der Kläger der Verpflichtung zu einer nachvollziehbaren Begründung der Klärungsfähigkeit, Klärungsbedürftigkeit und einer über den streitbefangenen Einzelfall hinausreichenden Bedeutung der Rechtssache nicht ansatzweise gerecht
(zur erforderlichen Art und Weise einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung mit Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13a, 14 ff; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 283 ff). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit ab, weil sie nicht geeignet wäre, zu einer Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen
(vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

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Der Bitte des Klägers um einen Hinweis des Revisionsgerichts, „falls es insoweit weiteren Vortrages bedarf“, war vor einer Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nachzukommen. Der Senat ist nicht verpflichtet, einen Rechtsanwalt vor einer Entscheidung auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Die Bestimmung des § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Das Gesetz unterstellt vielmehr, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, eine Nichtzulassungsbeschwerde formgerecht zu begründen, sofern die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen
(stRspr; vgl ua BSG Beschluss vom 26.10.2021 – B 4 AS 124/21 C – juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 29.11.2021 – B 5 R 272/21 B – juris RdNr 7). Gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG
(vgl BSG Beschluss vom 17.6.2019 – B 5 R 92/19 B – juris RdNr 12). Dasselbe gilt auch für einen in eigenen Angelegenheiten vor dem BSG vertretungsbefugten Rechtsanwalt
(vgl § 73 Abs 4 Satz 5 SGG). Im Übrigen ist die Bitte des Klägers um einen Hinweis am 1.6.2022 um 16.37 Uhr und somit erst kurz vor Ablauf der bis zum 2.6.2022 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist im elektronischen Gerichtsbriefkasten des BSG eingegangen.

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b) Auch ein Verfahrensmangel ist in der Beschwerdebegründung nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet.

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne
(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels
(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

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(1) Der Kläger beanstandet zunächst, das SG habe in erster Instanz die Beiladung seiner Ehefrau unterlassen. Dieser Mangel sei im Verfahren vor dem Berufungsgericht nicht heilbar, „insbesondere da sich das Berufungsgericht in erheblicher Weise auf die Entscheidung des Landessozialgerichts bezogen hat“. Abgesehen davon, dass der angeführte Mangel rechtlich nicht weiter begründet ist, fehlen nachvollziehbar Ausführungen dazu, inwiefern das angefochtene Urteil des LSG in der Sache auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann. Die pauschale Behauptung, dass die Beklagte „zu verurteilen gewesen“ wäre, wenn das LSG die dem BSG vorgetragenen Verfahrensrügen beachtet hätte, reicht für eine ordnungsgemäße Bezeichnung nicht aus.

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(2) Schließlich rügt der Kläger eine unzureichende Begründung des LSG-Urteils im Hinblick auf die von ihm geltend gemachten Kindererziehungszeiten und den höheren Zuschuss zur privaten Krankenversicherung. Der lapidare Hinweis des LSG, es bestünden zwischen Rentnern und Pensionären ebenso wie zwischen Vätern und Müttern erhebliche Unterschiede, welche die Ungleichbehandlung rechtfertigten, sei nichtssagend, ungenügend, diskriminierend und verfassungswidrig.

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Mit diesen Ausführungen ist ein Verstoß gegen die gerichtliche Begründungspflicht
(vgl § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) nicht ausreichend dargetan. Ein Urteil ist in diesem Sinne nur dann nicht oder nicht mit ausreichenden Entscheidungsgründen versehen, wenn ihm solche Gründe objektiv nicht entnommen werden können. Das ist etwa der Fall, wenn die angeführten Gründe objektiv unverständlich oder verworren sind, nur nichtssagende Redensarten enthalten oder zu einer vom Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nur ausführen, dass diese Auffassung nicht zutreffe
(vgl BSG Urteil vom 7.12.1965 – 10 RV 405/65 – SozR Nr 9 zu § 136 SGG). Eine Entscheidung ist dagegen nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung einer bündigen Kürze befleißigt und nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandelt
(vgl § 313 Abs 3 ZPO: „kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf der die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht“). Auch ist die Begründungspflicht nicht schon verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind
(vgl BSG Beschluss vom 21.12.1987 – 7 BAr 61/84 – juris RdNr 11; s zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 12.2.2004 – B 4 RA 67/03 B – juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.7.2018 – B 5 R 128/17 B – juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 1.12.2020 – B 1 KR 48/20 B – juris RdNr 9).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen muss zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Verletzung des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG jedenfalls die vom LSG zu dem jeweils betroffenen Aspekt tatsächlich gegebene Begründung vollständig wiedergegeben werden. Daran fehlt es hier. Der Kläger verweist nur auf eine von ihm als „Binsenweisheit“ empfundene „einsätzige Begründung“ auf Seite 11 des Urteils, zwischen Rentnern und Pensionären und ebenso zwischen Vätern und Müttern bestünden Unterschiede. Er erwähnt jedoch nicht, dass die betreffende Passage einen ganzen Absatz umfasst und außerdem auf zwei Entscheidungen des BVerfG Bezug nimmt. Ebenso wenig zeigt der Kläger auf, inwiefern er selbst zu diesen Fragen im Berufungsverfahren eingehend vorgetragen hat (etwa dazu, dass seiner Ansicht nach Beamte einen Anspruch auf einen Zuschuss zur Krankenversicherung ihrer studierenden Kinder hätten) und deshalb Ausführungen des Gerichts geboten gewesen wären, die über die vom LSG angeführte Begründung hinausgehen.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.
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