Beschluss des BGH 1. Zivilsenat vom 11.05.2022, AZ I ZR 186/20

BGH 1. Zivilsenat, Beschluss vom 11.05.2022, AZ I ZR 186/20, ECLI:DE:BGH:2022:110522BIZR186.20.0

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 16. Dezember 2021, Az: I ZR 186/20, Beschluss
vorgehend OLG Hamm, 15. September 2020, Az: I-4 U 177/19, Urteil

vorgehend LG Münster, 30. Oktober 2019, Az: 21 O 76/17, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. September 2020 wird gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Anschlussrevision der Beklagten verliert damit ihre Wirkung (§ 554 Abs. 4 ZPO).

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Anschlussrevision zu tragen.

Der Streitwert wird auf 1.560.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin ist gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision auch keine Aussicht auf Erfolg hat. Zur Begründung verweist der Senat auf seinen Hinweisbeschluss vom 16. Dezember 2021 (§ 552a Satz 2, § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO).

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II. Die Stellungnahme der Klägerin vom 17. Februar 2022 gibt keinen Anlass, von der Zurückweisung der Revision im Beschlusswege abzusehen.

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1. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, die Beklagte habe den Vortrag der Klägerin hinreichend bestritten, die Geschäftsführer und Gesellschafter der Beklagten hätten als Geschäftsgeheimnisse einzustufende Unterlagen unberechtigt mitgenommen beziehungsweise kopiert, der Beklagten zur Verfügung gestellt und mit diesen Unterlagen als Nachahmung das Flüsteraggregat gebaut.

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Den Vortrag der Beklagten, ihren Geschäftsführern seien Toleranzen bei den Maßen einzelner Bauteile des Stopfaggregats der Klägerin bekannt gewesen, hat das Berufungsgericht auf Seite 54 des Berufungsurteils wiedergegeben. Dies hat die Klägerin mit ihrem Tatbestandsberichtigungsantrag vom 22. Oktober 2020 nicht angegriffen, so dass sie sich im Revisionsverfahren nicht darauf berufen kann, die Beklagte habe einen solchen Vortrag nicht gehalten.

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Ob diese Behauptung der Beklagten plausibel ist, kann dahinstehen. Ausschlaggebend für die nicht zu beanstandende Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Vortrag der Klägerin substantiiert bestritten, ist der Vortrag der Beklagten, dass J.  T. im Besitz von Zeichnungen der drei maßgeblichen Bauteile gewesen sei, die bei der Konstruktion des Flüsteraggregats vorgelegen hätten. Dieser Vortrag liefert bereits für sich genommen eine nachvollziehbare, dem Vortrag der Klägerin entgegenstehende Erklärung für die Übereinstimmung in den Zeichnungen der Parteien.

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2. Ob der von der Beklagten vorgetragene Geschehensablauf, dass sie Informationen von J.  T. erhalten habe, seinerseits einen Geheimnisverrat impliziert, ist unerheblich. Die Klägerin hat die Klage hierauf nicht gestützt.

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Das Berufungsgericht hat das entsprechende Vorbringen der Beklagten ausdrücklich nicht geprüft, weil es seiner Beurteilung auf Seite 52 des Berufungsurteils zugrunde gelegt hat, dass die Klägerin sich dieses Vorbringen der Beklagten nicht hilfsweise zu eigen gemacht, sich vielmehr mit ihm umfangreich auseinandergesetzt und es ausdrücklich bestritten hat. Auf Seite 53 des Berufungsurteils hat das Berufungsgericht festgehalten, dass die Klägerin noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf Nachfrage allein an dem von ihr erhobenen Vorwurf festgehalten habe, die Geschäftsführer der Beklagten hätten während ihrer Zeit als Mitarbeiter der Klägerin als Geschäftsgeheimnisse einzustufende Unterlagen unberechtigt mitgenommen, der Beklagten zur Verfügung gestellt und mit diesen Unterlagen als Nachahmung das Flüsteraggregat gebaut.

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Soweit die Revision sich in ihrer Stellungnahme vom 17. Februar 2022 zum Hinweisbeschluss des Senats vom 16. Dezember 2021 erstmals auf den an das Berufungsgericht gerichteten Tatbestandsberichtigungsantrag der Klägerin vom 22. Oktober 2020 bezieht (die Bezugnahme der Revision auf den am selben Tag gestellten „Protokollberichtigungsantrag“ ist ein offenkundiges Versehen), verhilft ihr dies nicht zum Erfolg. Zwar kann eine Unrichtigkeit tatbestandlicher Feststellungen im Berufungsurteil in der Revisionsinstanz mit einer Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO geltend gemacht werden, soweit eine Berichtigung des Tatbestands nach § 320 ZPO beantragt worden ist und sich aus der den Berichtigungsantrag zurückweisenden Entscheidung des Berufungsgerichts ergibt, dass seine tatbestandlichen Feststellungen widersprüchlich sind (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 – I ZR 161/08, GRUR 2011, 459 Rn. 12 = WRP 2011, 467 –; Satan der Rache, mwN). Verfahrensfehler, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, dürfen vom Revisionsgericht gemäß § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO jedoch nur geprüft werden, wenn sie innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ordnungsgemäß erhoben wurden (§ 551 Abs. 2 und 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO). Das Nachschieben einer Verfahrensrüge oder ihrer Begründung ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – I ZR 5/15, NJW 2016, 3233 Rn. 17 mwN). Eine Verfahrensrüge hat die Klägerin innerhalb der Frist zur Begründung der Revision nicht erhoben. Es geht im Übrigen aus dem den Berichtigungsantrag insoweit zurückweisenden Beschluss des Berufungsgerichts vom 28. Dezember 2020 auch nicht hervor, dass die in diesem Zusammenhang getroffenen tatbestandlichen Feststellungen auf Seite 52 und 53 des Berufungsurteils widersprüchlich sind.

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Da die Klägerin für die unredliche Kenntniserlangung darlegungs- und beweisbelastet ist, durfte das Berufungsgericht eine Verurteilung der Beklagten nicht auf den allein von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt stützen.

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3. Entgegen der Ansicht der Stellungnahme der Revision zum Hinweisbeschluss des Senats ist der von der Beklagten vorgetragene Geschehensablauf auch nicht deswegen unbeachtlich, weil er offensichtlich widersprüchlich oder unglaubhaft wäre. Für ein substantiiertes Bestreiten des von der Klägerin vorgetragenen Geschehensablaufs ist es ausreichend, dass sich aus dem Vortrag der Beklagten ein möglicher Geschehensablauf ergibt, der nicht auszuschließen ist. Dieser muss nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Entgegen der Ansicht der Revision war das Berufungsgericht auch nicht gehalten, den Sachverhalt durch Erhebung der von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweise aufzuklären.

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a) Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beklagte ihren Vortrag zur Konstruktion des Flüsteraggregats korrigiert beziehungsweise klargestellt hat, ist nicht ersichtlich, dass ihr Vortrag offensichtliche Widersprüche aufweist.

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b) Das Berufungsgericht ist entgegen der Ansicht der Revision nicht davon ausgegangen, dass die Beklagte die Zeichnungen der Klägerin erstmals von dem bei der J.  T. tätigen Herrn K.  mit der E-Mail aus dem Jahr 2018 erhalten hat. Das Berufungsgericht hat auf Seite 55 des Berufungsurteils vielmehr den E-Mail-Verkehr aus dem Jahr 2018 als Beleg dafür herangezogen, dass Herr K.  im Besitz von Originalzeichnungen der Klägerin war, die er nach eigener Aussage bereits einige Jahre vor 2018 von Mitarbeitern der Klägerin erhalten habe. Außerdem hat das Berufungsgericht auf Seite 5 des Berufungsurteils festgestellt, dass mittlerweile zwischen den Parteien unstreitig sei, dass durch einen Mitarbeiter der deutschen Konzerngesellschaft der Klägerin zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt einige Jahre vor 2018 Pläne der Bauteile Pickelhalter, Schwenklager und Pickelarm ohne Geheimhaltungsmaßnahmen an Herrn K.  von der J.  T. übermittelt worden seien. Den dagegen gerichteten Tatbestandsberichtigungsantrag der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, ohne dass die Revision dies beanstandet hat.

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Das Berufungsgericht hat es zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin gehen lassen, dass nicht ersichtlich oder feststellbar sei, dass die Originalzeichnungen der Klägerin erst nach der Fertigung der Handzeichnung oder der Entwicklung des Aggregats der Beklagten an Herrn K.  geschickt worden seien. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

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c) Auch kann dahinstehen, ob – wie die Revision geltend macht – es zumindest denkbar erscheint, dass die Beklagte die Zeichnungen bei Herrn K.  dergestalt „bestellt“ hat, dass sie diesem die Zeichnungen übergeben hat, damit er sie von seinem E-Mail-Account von J.  T. an die Beklagte sendet, um so eine andere Herkunft der Pläne als von der Klägerin plausibel zu machen. Denkbar ist ebenso, dass die Aussage von J.  T. , die Zeichnungen seien bei ihr ausschließlich als Anhänge zu den E-Mails von Herrn K.  aus dem Jahr 2018 auffindbar, nicht der Wahrheit entspricht. Das Berufungsgericht hat im Übrigen auf Seite 55 des Berufungsurteils festgestellt, dass es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gebe, dass die über Herrn K.  verfügbaren Pläne ursprünglich von der Beklagten beziehungsweise von deren Geschäftsführern stammten.

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d) Welche von der Klägerin angebotenen Beweise das Berufungsgericht hätte erheben müssen, führt die Revision in ihrer Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats vom 16. Dezember 2021 nicht aus. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht nicht gehalten war, den Zeugen W.   anzuhören, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 16. Dezember 2021 ausgeführt (Rn. 48).

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4. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die im Hinweisbeschluss vom 16. Dezember 2021 vom Senat gebilligte Annahme des Berufungsgerichts auf Seite 55 des Berufungsurteils, dass Geheimhaltungsmaßnahmen der Klägerin ganz offensichtlich zu einem Zeitpunkt einige Jahre vor 2018 zu umgehen waren (Rn. 44). Soweit sie geltend macht, dass vor Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen am 26. April 2019 beziehungsweise vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung am 9. Juni 2018 noch der Geheimnisbegriff des § 17 UWG aF zu Grunde zu legen sei, berücksichtigt sie nicht hinreichend den Zusammenhang der Ausführungen des Senats im Hinweisbeschluss vom 16. Dezember 2021. Dort geht es nicht um die Frage, ob Ansprüche der Klägerin nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen deswegen ausscheiden, weil sie keine angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen getroffen hat. Vielmehr stehen diese Ausführungen in Zusammenhang mit der Frage, ob auf der Grundlage eines Indizienbeweises Feststellungen getroffen werden können, die den Vorwurf der Klägerin gegen die Geschäftsführer der Beklagten rechtfertigen, die Pläne seien schon bis Ende 2012 nur durch unzulässige Umgehung interner Sicherungsmaßnahmen der Klägerin greifbar gewesen. Sie beziehen sich damit allein auf die Behauptung der Klägerin, dass es keine andere Möglichkeit als ein unredliches Verhalten der Geschäftsführer der Beklagten gebe, wie die Beklagte an die Zeichnungen der Klägerin gekommen sein könnte.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97, § 92 Abs. 2 ZPO. Wird die Revision gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückgewiesen und verliert dadurch eine unselbständige Anschlussrevision gemäß § 554 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung, fallen allerdings im Grundsatz die Kosten des Revisionsverfahrens nach § 97 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO beiden Parteien im Verhältnis der Werte von Revision und Anschlussrevision zur Last (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 1981 – GSZ 1/80, BGHZ 80, 146 [juris Rn. 14]; Beschluss vom 16. September 2020 – IV ZR 8/18, juris Rn. 11). Da jedoch die Zuvielforderung der Beklagten verhältnismäßig geringfügig ist, sind der Klägerin gemäß § 97 in Verbindung mit § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.

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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 45 Abs. 2 in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Streitwert einer unselbständigen Anschlussrevision (hier: 60.000 €) ist dem Wert der Revision (hier: 1.500.000 €) hinzuzurechnen, wenn die Revision gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückgewiesen wird und dadurch die Anschlussrevision ihre Wirkung verliert (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1978 – GSZ 1/78, BGHZ 72, 339 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 8. Mai 2012 – XI ZR 261/10, NJW 2012, 2446 Rn. 13).

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