Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig… (Urteil des BGH 6. Zivilsenat)

BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 10.05.2022, AZ VI ZR 838/20, ECLI:DE:BGH:2022:100522UVIZR838.20.0

§ 31 BGB, § 826 BGB

Leitsatz

Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt voraus, dass einer ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 26. Mai 2020, Az: 12 U 486/19
vorgehend LG Stuttgart, 18. Oktober 2019, Az: 24 O 208/19

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Mai 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb im August 2015 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A4 Avant 2,0 TDI zu einem Kaufpreis von 18.500 €. Der Kläger finanzierte den Kauf. Die Kosten für Kreditschutzbrief und Zinsen beliefen sich auf 1.398,51 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, der von Mitarbeitern der Beklagten in das streitgegenständliche Fahrzeug eingebaut wurde. Die die Abgasrückführung steuernde Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchläuft, und erhöhte ausschließlich in diesem Fall die Abgasrückführungsrate, um den Stickoxidausstoß zu optimieren und die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten. Unter den Bedingungen des normalen Straßenbetriebs wurde die Stickoxidoptimierung ausgeschaltet.

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Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises zuzüglich der Finanzierungskosten und abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, sowie Rechtshängigkeitszinsen. Die Beklagte weist die geltend gemachten Ansprüche zurück und hat den Einwand der Verjährung erhoben.

4

Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil im Hinblick auf die Höhe der anzurechnenden Nutzungsentschädigung zum Nachteil des Klägers abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 15.326,39 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen folgendes ausgeführt:

6

Dem Kläger stehe aus § 826 Abs. 1, § 31 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz zu, wobei der Höhe nach vom Kaufpreis im Wege des Vorteilsausgleichs eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.572,12 € abzuziehen sei und die Aufwendungen für Kreditschutzbrief und Finanzierungszinsen zu addieren seien. Es stehe fest, dass die Beklagte in den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut habe. Aufgrund dieses Umstands habe zumindest die Gefahr bestanden, dass die nur unter Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung erlangte Typgenehmigung und damit auch die Zulassung für das streitgegenständliche Fahrzeug nachträglich entzogen werde. Indem die Beklagte das Fahrzeug und den Motor in Verkehr gebracht habe, habe sie potenziellen Käufern des Fahrzeugs einen Schaden in Form eines nachteiligen und ungewollten Vertragsschlusses beigebracht. Es sei davon auszugehen, dass potenzielle Käufer der Fahrzeuge die unausgesprochene, weil selbstverständliche Erwartung gehabt hätten, ein ordnungsgemäß zugelassenes Fahrzeugs zu erwerben, bei dem auch keine nachträgliche Entziehung der Typgenehmigung und damit der Zulassung gedroht habe. Sie seien somit bezüglich dieser Erwartung von der Beklagten getäuscht worden. Es sei vorliegend auch davon auszugehen, dass die Täuschung kausal für den Vertragsschluss gewesen sei. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass ein Käufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehme, wenn ihm offenbart werde, dass dem Fahrzeug die Entziehung der Zulassung und damit die Stilllegung drohe. Dass ein Software-Update nachträglich mit Billigung des Kraftfahrtbundesamtes aufgespielt worden sei, spiele für den im Abschluss des Kaufvertrages liegenden Schaden keine Rolle.

7

Das Verhalten der Beklagten verstoße bei der erforderlichen Gesamtwürdigung auch gegen die guten Sitten. Maßgebliche Gründe für die Annahme der Sittenwidrigkeit seien, dass die Beklagte in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen bewusst die illegale Abschalteinrichtung in die Motoren verbaut habe, dabei mit hoher krimineller Energie die staatlichen Behörden systematisch getäuscht habe, um auf diese Weise massenhaft Fahrzeugkäufer täuschen zu können, und sich dabei zudem allein aus wirtschaftlichen Erwägungen über die Belange des Umweltschutzes, denen die Zulassungsvorschriften dienten, hinweggesetzt habe. Die Beklagte habe auch vorsätzlich gehandelt. Dabei müsse sie sich das vorsätzliche Handeln ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter gemäß § 31 BGB als eigenes Handeln zurechnen lassen. Dass Mitarbeiter der Beklagten bewusst und in Kenntnis der maßgeblichen tatsächlichen Umstände, die die Gesetzeswidrigkeit ihres Tuns begründeten, die unzulässige Software in den hier streitgegenständlichen Motor eingebaut hätten, stehe außer Frage. Es spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung über den massenhaften Einsatz der Motorsteuerungssoftware im Rahmen der Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Emissionswerte nicht ohne Kenntnis und Billigung, wenn nicht des Vorstands, so jedenfalls eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten erfolgt sei. Die Beklagte treffe daher zumindest eine sekundäre Darlegungslast bezogen darauf, dass entgegen der Vermutung kein verfassungsmäßig berufener Vertreter Kenntnis von der Manipulationssoftware gehabt habe. Um dieser sekundären Darlegungslast nachzukommen, hätte die Beklagte Näheres dazu vortragen müssen, wie der Entscheidungsprozess abgelaufen sei und welche nicht als verfassungsmäßig berufene Vertreter anzusehende Mitarbeiter hieran beteiligt gewesen seien. Derartigen Vortrag habe die Beklagte nicht gehalten, mit der Folge, dass das Vorbringen des Klägers insoweit als zugestanden gelte.

II.

8

Die zulässige Revision ist begründet. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB können mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bejaht werden, wobei sich die Annahme einer deliktischen Haftung der Beklagten auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist.

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1. Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen bereits nicht die Annahme des Berufungsgerichts, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten habe durch das Inverkehrbringen des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs mit dem Dieselmotor der Baureihe EA189 sittenwidrig gehandelt.

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a) Das Berufungsgericht geht zwar zu Recht davon aus, dass ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig handelt, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. nur Senatsurteile vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 875/20, GmbHR 2022, 354 Rn. 9; vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 19; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff.; BGH, Urteile vom 13. Januar 2022 – III ZR 205/20, ZIP 2022, 694 Rn. 18; vom 25. November 2021 – VII ZR 257/20, WM 2022, 87 Rn. 20).

11

b) Soweit das Berufungsgericht unter diesem Gesichtspunkt ein sittenwidriges Verhalten von verfassungsmäßig berufenen Vertretern der Beklagten bejaht, ist Ausgangspunkt seiner Erwägungen die Annahme, Mitarbeiter der Beklagten hätten wissentlich und willentlich eine unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung in den hier streitgegenständlichen Motor eingebaut. Diese Annahme steht jedoch – wie die Revision zu Recht beanstandet – im Widerspruch zu den vom Berufungsgericht ausdrücklich in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts, wonach der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Dieselmotor der Baureihe EA189 unstreitig nicht von der Beklagten, sondern von der Volkswagen AG entwickelt und hergestellt und dann von Mitarbeitern der Beklagten – lediglich – in das Fahrzeug eingebaut wurde. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung – wie auch die in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen zu Verfahren gegen die Volkswagen AG zeigen – offenbar aus dem Blick verloren. Eines Tatbestandsberichtigungsantrags, den die Revisionserwiderung für notwendig erachtet, bedurfte es nicht, da keine widerspruchsfreie Feststellung im Berufungsurteil zur Entwicklung und Herstellung des Motorentyps EA189 bzw. der bekannten Motorprüfstanderkennung durch die Beklagte vorliegt.

12

2. Die Verurteilung der Beklagten zum Schadensersatz stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

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a) Ein nach §§ 826, 31 BGB haftungsbegründendes sittenwidriges Vorgehen des betreffenden Automobilherstellers kommt allerdings nicht nur dann in Betracht, wenn dieser den Motor samt „Täuschungssoftware“ selbst entwickelt und hergestellt hat, sondern bereits dann, wenn seine verfassungsmäßig berufenen Vertreter zumindest wissen, dass die von einem anderen hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet sind, und sie Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit einem solchen Motor versehen und in den Verkehr bringen (Senatsurteile vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 875/20, GmbHR 2022, 354 Rn. 11; vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 21).

14

Ausgehend von seiner Annahme, Mitarbeiter der Beklagten hätten den Motor mit der Manipulationssoftware versehen, hat das Berufungsgericht zu einem derartigen Vorstellungsbild im Hinblick auf Personen, für die die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, jedoch keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Die vom Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils nicht weiter erwähnte tatbestandliche Feststellung des Landgerichts, wonach ein namentlich benannter Motorenentwickler der Beklagten beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs Kenntnis von der Steuerung der Abgasrückführung hatte, genügt insoweit nicht. Ohne nähere Angaben zur Funktion bzw. Stellung des Mitarbeiters der Beklagten lässt sich aus dessen Tätigkeit als „Motorenentwickler“ allein – anders als bei einem Leiter der Entwicklungsabteilung eines großen, weltweit tätigen Automobilherstellers – schon nicht schließen, dass es sich bei ihm nach den dafür maßgeblichen Grundsätzen (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 33 mwN) um einen verfassungsmäßigen Vertreter im Sinne des § 31 BGB gehandelt hat.

15

Anders als die Revisionserwiderung meint, ergibt sich eine tragfähige Feststellung zur Kenntnis verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten vom Einsatz der Manipulationssoftware auch nicht aus der Erwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung über den massenhaften Einsatz der Motorsteuerungssoftware nicht ohne eine solche Kenntnis und Billigung erfolgt sei, nicht im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast widerlegt. Zum einen geht das Berufungsgericht auch bei dieser Überlegung erkennbar davon aus, die Beklagte habe die Software in die Motoren eingebaut. Zum anderen ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht, welchen Vortrag der Kläger zur Beteiligung eines verfassungsmäßigen Vertreters der Beklagten am Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Kenntnis der verwendeten Abschalteinrichtung gehalten hat. Es fehlt daher bereits der nötige Bezugspunkt für die vom Berufungsgericht in Betracht gezogene tatsächliche Vermutung.

16

b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kann auch ein Anspruch des Klägers aus § 831 Abs. 1 Satz 1 iVm § 826 BGB nach derzeitigem Verfahrensstand nicht bejaht werden. Denn das Berufungsgericht hat die hierzu notwendigen Feststellungen (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 33 ff. mwN) nicht getroffen.

III.

17

Soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, ist das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte es dabei noch auf das von der Revision thematisierte verbriefte Rückgaberecht des Klägers ankommen, wird auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2021 – VII ZR 389/21, VersR 2022, 391 Rn. 16 ff. hingewiesen. Soweit die Revision die Erstattungsfähigkeit von Finanzierungkosten anzweifelt, hat der Senat hierzu bereits Stellung genommen (vgl. Senatsurteile vom 27. Juli 2021 – VI ZR 865/20, VersR 2021, 1451 Rn. 13; vom 27. Juli 2021 – VI ZR 480/19, VersR 2022, 115 Rn. 16; vom 13. April 2021 – VI ZR 274/20, ZIP 2021, 1220 Rn. 14 ff.). Die Zurückverweisung wird dem Berufungsgericht auch Gelegenheit geben, sich – soweit entscheidungserheblich – mit der von der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede zu befassen, auf die im Berufungsurteil nicht eingegangen wurde, wobei auch insoweit im Blick zu behalten ist, dass nicht die Volkswagen AG als Motorenhersteller in Anspruch genommen wird.

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