BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 10.05.2022, AZ VI ZB 4/20, ECLI:DE:BGH:2022:100522BVIZB4.20.0
Leitsatz
Zu den inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Frankfurt, 12. November 2019, Az: 25 U 180/19, Beschluss
vorgehend LG Marburg, 13. Juni 2019, Az: 5 O 99/18
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 25. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Kassel vom 12. November 2019 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 27.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb von einem Dritten am 21. Mai 2016 einen gebrauchten VW Multivan T5 Highline zum Preis von 27.000 €. In dem von der Beklagten hergestellten Fahrzeug ist ein ebenfalls von ihr hergestellter Motor des Typs EA189 verbaut. Mit seiner Klage verlangt der Kläger Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übereignung des Pkws. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zum Schadensersatz verpflichtet, weil dieser Motor mit einer manipulativen Umschaltsoftware ausgestattet sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und festgestellt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht die als Umschaltlogik bekannte Software enthalte und nicht von der Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes vom 14. Oktober 2015 betroffen sei. Es hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch ergebe sich insbesondere nicht aus § 826 BGB, weil in dem Fahrzeug zwar ein Motor des Typs EA189 verbaut sei, aber keine Umschaltung zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb hinsichtlich der Abgasrückführung in zwei unterschiedlichen Abgasrückführungsmodi stattfinde. Das Kraftfahrtbundesamt habe für das Fahrzeug kein Software-Update angeordnet. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedürfe es schon deshalb nicht, da die Ausführungen des Klägers vor dem Hintergrund, dass der Motor nicht von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes oder einer vergleichbaren Behörde betroffen sei, wie der gesamte Vortrag des Klägers ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt seien und die Einholung eines Sachverständigengutachtens einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen würde. Darüber hinaus habe der Kläger das Fahrzeug mehrere Monate nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworben. Eine zurechenbare vorsätzliche Täuschungshandlung der Beklagten komme nicht in Betracht. Auch im Hinblick auf Fahrzeuge, in denen ein Motor des Typs EA189 mit der bekannten Umschaltlogik verbaut sei, liege kein sittenwidriges Verhalten vor.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und diese auch fristgerecht begründet. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung nach vorausgehendem Hinweis an den Kläger als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 ZPO entspreche. Dazu hat es ausgeführt, das Landgericht habe die Klage zentral mit der Begründung abgewiesen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug zwar ein Motor des Typs EA189 verbaut sei, aber gerade keine Umschaltung zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb stattfinde. Mit dieser Begründung setze sich der Kläger nicht ansatzweise auseinander. Ohne Gründe dafür darzulegen, warum die Feststellung im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, wonach es unstreitig sei, dass im Modell T5 – abweichend von den meisten anderen Pkw mit EA189 Motor – gerade keine Motorsteuerung mit Differenzierung zwischen Prüfstand und normalem Fahrtrieb vorhanden sei, unrichtig sei, gehe der Kläger durchgängig davon aus, eine Software dieser Art sei vorhanden. Der Kläger setze sich sodann auch in keiner Weise damit auseinander, dass das Landgericht angesichts des Umstandes, dass das Fahrzeug des Klägers unstreitig gerade nicht von einer Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes betroffen sei, davon ausgegangen sei, dass der Vortrag des Klägers zu den Eigenschaften des Fahrzeugs „ins Blaue hinein“ erfolgt und einem Beweis nicht zugänglich sei. Darüber hinaus fehle jegliche Auseinandersetzung mit der weiteren tragenden Begründung, dass ein Schaden nicht schlüssig dargetan sei. Stattdessen verfehle der Kläger den vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt, ohne sich mit der Divergenz überhaupt zu befassen, indem er – fallbezugslos – auf kaufvertragliche Mängel, eine Entscheidung des Landgerichts Hildesheim zu einem Motor mit der Umschaltlogiksoftware, jedoch keinem VW T5, eine Entscheidung des Landgerichts Kleve zu einem ebenfalls von der Umschaltlogiksoftware betroffenen Fahrzeug und eine Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf zu Fragen der Folgen eines Software-Updates, das es für das Fahrzeug des Klägers überhaupt nicht gebe, eingehe.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2010 – I ZB 97/08, juris Rn. 5; vom 14. April 2020 – VIII ZB 27/19, juris Rn. 1; jeweils mwN), nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich.
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1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zur Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führte. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2020 – VI ZB 81/19, juris Rn. 7 mwN). Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2003 – XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531 Rn. 8 mwN; vgl. zum alten Recht BGH, Beschluss vom 6. März 1997 – VII ZB 26/96, NJW 1997, 1787, juris Rn. 8, zu § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F.).
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2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht.
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a) Der Kläger hat zwar in der Berufungsbegründung vorgetragen, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei, er hat jedoch keine konkreten Anhaltspunkte bezeichnet, die Zweifel an der Richtigkeit der gegenteiligen Tatsachfeststellung des Landgerichts begründen. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Frage, ob das Berufungsgericht die Tatsache, dass das Fahrzeug keine Abschalteinrichtung enthalte, zutreffend als unstreitig bezeichnet hat, nicht an.
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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann auch in dem klägerischen Vortrag in der Berufungsbegründung, es sei irrelevant, ob für sein Fahrzeug vom Kraftfahrtbundesamt ein Software-Update angeordnet worden sei oder nicht, kein Angriff gegen die Tatsachenfeststellung des Landgerichts gesehen werden, dass das Fahrzeug des Klägers nicht von einer Rückrufaktion betroffen gewesen sei.
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c) Auch die Rüge, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Kläger die Schadensersatzansprüche nicht nur auf die Anspruchsgrundlage des § 826 BGB, sondern in der ersten Instanz auch auf § 823 Abs. 2, § 31 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt habe, erweist sich im Ergebnis nicht als durchgreifend.
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aa) Der Kläger hat sich in seiner Berufungsbegründung zwar darauf gestützt, dass das Landgericht die Entscheidung des Landgerichts Kleve nicht berücksichtigt habe, welches für Fälle vergleichbarer Art zu Recht einen Verstoß gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, den notwendigen Schutzgesetzcharakter dieser Normen und somit auch den deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm diesen Normen bejaht habe. Mit dieser Anspruchsgrundlage hat sich das Landgericht in seiner Entscheidung nicht befasst. Ihre Geltendmachung könnte grundsätzlich zu einer ausreichenden Begründung der Berufung führen. Waren in erster Instanz mehrere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen verneint worden, so braucht die Berufungsbegründung nicht auf alle Anspruchsgrundlagen einzugehen und es reicht der Angriff gegen eine Verneinung (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2021 – VI ZB 30/19, juris Rn. 10). Entsprechendes gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Anspruchsgrundlage übersieht oder nicht behandelt, auf die der Kläger in der Berufungsbegründung (erneut) seinen Anspruch stützt. Für die Zulässigkeit der Berufung wäre es auch ohne Bedeutung, dass die Ausführungen der Berufungsbegründung zum Schutzgesetzcharakter dieser Normen rechtlich nicht zutreffend sind (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 73 ff.) und auch diese etwaigen Anspruchsgrundlagen eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers voraussetzen würden.
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bb) Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes oder auf rechtliches Gehör steht aber jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
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Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rn. 10; vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; vom 18. November 2020 – VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 67; Beschlüsse vom 28. März 2019 – IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; jeweils mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; vom 29. September 2021 – VIII ZR 226/19, VRS 141, 13, 20, juris Rn. 30). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f., juris Rn. 16). Nichts Anderes kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. September 2021 – VI ZB 30/19, MDR 2022, 57 Rn. 12; vom 22. März 2022 – VI ZB 27/20, juris Rn.15; BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 – IV ZB 10/15, VersR 2016, 137 Rn. 7; vom 12. Januar 2022 – VII ZB 37/21, juris Rn. 7).
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Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, in seiner Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss die drohende Nichtberücksichtigung seiner Ausführungen in der Berufungsbegründung zur weiteren Anspruchsgrundlage zu rügen. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, dass die Berufungsbegründung unzureichend sei, in einem Hinweisbeschluss, mit dem es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, dargelegt. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme dazu lediglich allgemein ausgeführt, dass er Vorbringen zum Inhalt seiner Berufungsbegründung gemacht habe, das geeignet gewesen sei, das landgerichtliche Urteil insgesamt in Frage zu stellen, und allgemeine Rechtsgrundsätze zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung dargestellt. Er hat aber nicht geltend gemacht, dass er seine Schadensersatzansprüche auf die weitere Anspruchsgrundlage aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt und das Berufungsgericht dies ausweislich des Hinweisbeschlusses übergangen habe. Damit hat er die eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.
- von Pentz
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