Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung – Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (Beschluss des BAG 3. Senat)

BAG 3. Senat, Beschluss vom 03.05.2022, AZ 3 AZN 45/22, ECLI:DE:BAG:2022:030522.B.3AZN45.22.0

§ 72 Abs 2 Nr 1 ArbGG

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Dresden, 19. August 2020, Az: 8 Ca 537/20, Urteil
vorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht, 26. November 2021, Az: 4 Sa 337/20, Urteil

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2021 – 4 Sa 337/20 – zugelassen.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 72a, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG liegen vor. Die Beschwerde wirft eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf.

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I. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt vor, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt. Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der Revisionsinstanz nach Maßgabe des Prozessrechts beantwortet werden kann. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist. Von allgemeiner Bedeutung ist die Rechtsfrage, wenn sie sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt
(BAG 19. Januar 2022 – 3 AZN 774/21 – Rn. 2; 8. Dezember 2020 – 3 AZN 849/20 – Rn. 8 f.; 23. Juli 2019 – 9 AZN 252/19 – Rn. 11).

3

II. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es liegt eine Rechtsfrage in diesem Sinne vor. Allerdings betrifft die von der Beklagten aufgeworfene Frage eine Auslegung der Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas (AVR Caritas). Als auf dem Dritten Weg entstandene Regelungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen
(BAG 4. August 2016 – 6 AZR 129/15 – Rn. 26). Solche haben trotz ihrer weiten Verbreitung keine normative Wirkung und sind grundsätzlich keine Rechtsnormen iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG
(BAG 24. Juli 2019 – 3 AZN 627/19 – Rn. 5; 11. April 2019 – 3 AZN 720/18 – Rn. 6; 24. Januar 2017 – 3 AZN 822/16 – Rn. 13). Das gilt jedoch dann nicht, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Bedeutung erlangen, die einer Rechtsnorm mit abstrakter Bedeutung für die Allgemeinheit gleichkommt. Denn dann erfordert der Zweck des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, den Zugang zum Revisionsgericht für Fragen zu gewährleisten, an deren Klärung ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit besteht, sie als Rechtnorm zu behandeln
(noch offengelassen BAG 19. Januar 2022 – 3 AZN 774/21 – Rn. 5). Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die betroffenen Regelungen der AVR Caritas Rechtsnormen in diesem Sinne.

4

III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 2 ArbGG abgesehen.

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IV. Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren fortgesetzt. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Revisionsbegründungsfrist von zwei Monaten
(§ 72a Abs. 6 iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

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