BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 28.04.2022, AZ 7 B 17/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:280422B7B17.21.0
§ 3 Abs 9 KrWG, § 15 Abs 1 S 1 KrWG, § 62 KrWG
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 9. Juni 2021, Az: OVG 11 B 20.16, Urteil
vorgehend VG Frankfurt (Oder), 28. September 2016, Az: 5 K 519/15, Urteil
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 120 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine abfallrechtliche Anordnung des Beklagten.
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Sie ist Eigentümerin eines Grundstücks in E., das sie an die G. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) verpachtet hatte, die auf dem Grundstück eine Anlage zur Behandlung nichtgefährlicher Abfälle zum Zwecke der Herstellung von Ersatzbrennstoffen betrieb. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2011 führte der Insolvenzverwalter den Betrieb nicht fort, zeigte die Stilllegung der Anlage an und gab die auf dem Grundstück lagernden Abfälle aus der Insolvenzmasse frei. Mit Bescheid vom 24. April 2013 gab der Beklagte der Klägerin auf, die auf dem ehemaligen Betriebsgrundstück der Insolvenzschuldnerin lagernden Abfälle zu beräumen und ordnungsgemäß zu entsorgen. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Geschäftsführer, Betriebsleiter bzw. Abfallbeauftragten der Insolvenzschuldnerin als Störer in Betracht zu ziehen.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
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Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 <91> und vom 22. Oktober 2021 – 7 BN 1.20 – juris Rn. 5). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.
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Die Klägerin wirft die Frage als rechtsgrundsätzlich bedeutsam auf:
„Sind der Geschäftsführer, der Betriebsleiter und der Abfallbeauftragte einer GmbH Abfallbesitzer nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (§ 3 Abs. 9 KrWG) und können sie damit nach § 15 KrWG für die Abfallbeseitigung in Anspruch genommen werden?“.
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Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie lässt sich, soweit sie überhaupt entscheidungserheblich ist, anhand des Gesetzes und der einschlägigen Rechtsprechung zum Abfallrecht beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
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1. Wenn man die Frage so versteht, dass der Geschäftsführer, der Betriebsleiter und der Abfallbeauftragte der Insolvenzschuldnerin von dem Beklagten in die Störerauswahl hätten einbezogen werden müssen, weil der abfallrechtliche Besitzbegriff einen Organbesitz nicht kennt und es auf die tatsächliche Sachherrschaft der genannten Personen ankommt, würde sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
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a) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG) sind u. a. Besitzer von Abfällen, die nicht verwertet werden, verpflichtet, diese zu beseitigen. Besitzer von Abfällen ist nach § 3 Abs. 9 KrWG jede natürliche oder juristische Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, eine tatsächliche Sachherrschaft des Geschäftsführers, Betriebsleiters bzw. Abfallbeauftragten über die auf dem Grundstück lagernden Abfälle habe im Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides am 28. März 2015 an die Klägerin nicht vorgelegen, nachdem die Insolvenzschuldnerin, für die diese Personen tätig gewesen seien, bereits 2011 in Insolvenz gegangen sei und der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb nicht fortgeführt, vielmehr die Stilllegung der Anlage zum 28. Februar 2011 angezeigt habe. Diese tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz werden von der Beschwerde nicht angegriffen. Danach stellt sich die Frage, ob im Abfallrecht neben der juristischen Person (hier der GmbH) auch deren Organe (vgl. § 35 GmbHG) bzw. Besitzdiener (vgl. § 855 BGB) Abfallbesitzer sein können, hier nicht. Denn im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung nach materiellem Recht maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2011 – 8 C 11.10 – juris Rn. 17 m. w. N.) hatten die genannten Personen jedenfalls keine Sachherrschaft mehr über die Abfälle.
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b) Die Frage, ob der Geschäftsführer, der Betriebsleiter und der Abfallbeauftragte der Insolvenzschuldnerin während des Betriebs der Abfallbehandlungsanlage bis zum Jahr 2011 Besitzer der auf dem Grundstück der Klägerin lagernden Abfälle im Sinne des § 3 Abs. 9 KrWG waren, was das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung, diese natürlichen Personen hätten für die Insolvenzschuldnerin gehandelt, verneint hat, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn unabhängig von der Beantwortung dieser Frage liegen die Voraussetzungen des § 22 Satz 2 KrWG, der die Heranziehung eines früheren Abfallbesitzers regelt, nicht vor. Nach dieser Vorschrift bleibt, wenn der Abfallbesitzer einen Dritten mit der Erfüllung seiner Beseitigungspflichten beauftragt, die Verantwortlichkeit des bisherigen Abfallbesitzers bis zum endgültigen und ordnungsgemäßen Abschluss der Entsorgung bestehen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2007 – 7 C 5.07 – BVerwGE 129, 93 Rn. 15; Beschluss vom 14. April 2014 – 7 B 26.13 – Buchholz 451.220 AbfVerbrG Nr. 1 Rn. 10). Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, dass Geschäftsführer, Betriebsleiter und Abfallbeauftragter der Insolvenzschuldnerin keinen Dritten mit der Erfüllung einer Entsorgungspflicht beauftragt hatten. Die Beauftragung eines privaten Entsorgungsunternehmens durch den Abfallbesitzer im Sinne des § 22 Satz 1 KrWG ist ein zivilrechtlicher Vertrag. Bei dem Dritten, der von einem privaten Abfallbesitzer beauftragt wird, handelt es sich um einen Auftragnehmer des Entsorgungspflichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2007 – 7 C 5.07 – BVerwGE 129, 93 Rn. 16). Das Zustandekommen eines solchen Auftragsverhältnisses zwischen den handelnden natürlichen Personen und der Insolvenzschuldnerin, für die sie als Organ bzw. Angestellte tätig geworden sind, behauptet die Klägerin selbst nicht. Inwiefern sich die genannten Personen der Insolvenzschuldnerin zur „Erfüllung ihrer Pflichten“ bedient haben, legt die Klägerin ebenso wenig dar, wie eine Regelungslücke, die eine analoge Anwendung erfordern könnte.
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2. Die von der Klägerin in erster Linie als grundsätzlich aufgeworfene Frage nach dem zutreffenden abfallrechtlichen Besitzbegriff rechtfertigt die Zulassung der Revision schon nicht, weil die Antwort auf sie nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden muss. Denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass im Abfallrecht nicht der bürgerlich-rechtliche, sondern ein öffentlich-rechtlicher Besitzbegriff zugrunde zu legen ist, bei dem es insbesondere auf einen Besitzbegründungswillen nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 11. Februar 1983 – 7 C 45.80 – BVerwGE 67, 8 <12> und vom 19. Januar 1989 – 7 C 82.87 – Buchholz 451.22 AbfG Nr. 31 S. 41). Sowohl der zivilrechtliche Besitzbegriff des § 854 Abs. 1 BGB als auch der öffentlich-rechtliche Besitzbegriff des § 3 Abs. 9 KrWG setzen allerdings die tatsächliche Gewalt bzw. Sachherrschaft voraus. Abfallbesitzerin war demnach die Insolvenzschuldnerin, für deren Geschäftsbetrieb ihr Geschäftsführer, ihr Betriebsleiter und ihr Abfallbeauftragter gehandelt haben. Anders als die Beschwerde meint, besteht auch kein Anlass, im abfallrechtlichen Besitzverständnis auf die Rechtsfigur des Organbesitzes zu verzichten. Die Beschwerde erkennt zutreffend, dass mit dieser im Zivilrecht entwickelten rechtlichen Konstruktion (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 – IX ZR 55/02 – BGHZ 156, 310 <316 f.> m. w. N.) der Eigenbesitz der für eine juristische Person handelnden natürlichen Personen im Abfallrecht ausgeschlossen wird und sie als Organe der juristischen Person nicht selbst die Verantwortlichkeit für die Beseitigung des Abfalls tragen. Dass dies zu einem Wertungswiderspruch zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Abfallbesitzers führt, ist entgegen der Behauptung der Beschwerde nicht erkennbar. Die Beschwerde übersieht insoweit bereits, dass die Strafbarkeit nach §§ 326, 327 StGB die tatsächliche Sachherrschaft des Täters über den Abfall nicht notwendig voraussetzt. Vielmehr ist insoweit das Verhalten des Täters maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1997 – 2 StR 339/96 – BGHSt 43, 219 <224, 231>). Im vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen eine strafbewehrte Norm liegt der Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit mit den daraus abzuleitenden Folgen für den Besitzbegriff. Dagegen kommt dem öffentlich-rechtlichen Besitzbegriff im Abfallrecht die Funktion zu, die Verantwortlichkeit für den Abfall mit Blick auf das abfallrechtliche Gebot der ordnungsgemäßen, insbesondere umweltgerechten Entsorgung zu bestimmen (BVerwG, Beschluss vom 5. November 2012 – 7 B 25.12 – juris Rn. 10 m. w. N.). Die Beschwerde, die eine Strafbarkeit des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin nach § 326 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Buchst. a sowie § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB als gegeben ansieht, geht im Übrigen von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung tragend zugrunde gelegt, dass Anknüpfungspunkt des angegriffenen Bescheides hier in erster Linie das Gebot der umweltgerechten Entsorgung von Abfällen sei, es jedoch nicht primär um die Bekämpfung konkreter, durch die rechtswidrige Ablagerung von Abfällen hervorgerufener Gefahren durch Heranziehung der Verantwortlichen im Sinne einer Störerhaftung gehe. Danach steht vorrangiges Bundesabfallrecht, das die tatsächliche Sachherrschaft des Abfallbesitzers voraussetzt, der Inanspruchnahme einer Person als persönlich Verhaltensverantwortlicher entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. November 2012 – 7 B 25.12 – juris Rn. 10 m. w. N.). Ginge es stattdessen um die Abwehr konkreter Gefahren, würden sich Maßnahmen und die Verantwortlichkeit nach dem Ordnungsrecht der Länder richten. In diesem Kontext kann auch eine Person, die keinen Besitz am Abfall hat, in die Position eines Abfallbesitzers und die damit verbundene Pflichtenstellung gewissermaßen hineingezwungen werden (BVerwG, Beschluss vom 5. November 2012 a. a. O. Rn. 11). Auch in diesem Fall bestünde mithin kein Bedürfnis für eine erneute revisionsgerichtliche Klärung des Begriffs des Abfallbesitzers im Sinne des § 3 Abs. 9 KrWG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.