BPatG München 8. Senat, Beschluss vom 25.04.2022, AZ 8 W (pat) 19/20, ECLI:DE:BPatG:2022:250422B8Wpat19.20.0
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2015 001 323.8
…
hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 25. April 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dipl. Phys. Dr. phil. nat. Zehendner sowie die Richter Dipl.-Ing. Rippel, die Richterin Uhlmann und den Richter Dipl.-Ing. Univ. Maierbacher
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Patentanmeldung 10 2015 001 323.8 mit der Bezeichnung „Schneidwerkzeug, eine Schneidmesserkombination mit polsterunterstütztem Trennmesser“, ist am 31. Januar 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet worden.
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In dem Prüfungsbescheid vom 5. Oktober 2015 hat die Prüfungsstelle auf Mängel der Anspruchsformulierung und die fehlende Patentfähigkeit des Gegenstands der Patentansprüche hingewiesen. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2015 hat der Beschwerdeführer die Anmeldung erläutert und neue Patentansprüche 1 bis 5 eingereicht. Mit dem Ladungszusatz vom 29.10.2019 hat die Prüfungsstelle weitere Patentliteratur in das Verfahren eingeführt und auf die fehlende Patentfähigkeit der Patentansprüche sowie formelle Mängel der Anmeldeunterlagen hingewiesen.
3
Der Beschwerdeführer hat mit Schreiben vom 22. November 2019, eingegangen am 30. November 2019, neue Patentansprüche 1 bis 5 sowie eine geänderte Beschreibung eingereicht, die Gegenstand einer Anhörung am 5. Februar 2020 waren, wegen deren Inhalts im Einzelnen auf die Niederschrift der Anhörung verwiesen wird. Eine Zurückweisung der Anmeldung wurde in Aussicht gestellt.
4
Mit Schreiben vom 27. Februar 2020, eingegangen am 4. März 2020, hat der Beschwerdeführer unter Einreichung neuer Patentansprüche 1 bis 5, einer geänderten Beschreibung sowie weiterer Unterlagen zum Ergebnis der Anhörung Stellung genommen.
5
Mit Beschluss vom 28. September 2020 hat die Prüfungsstelle für Klasse B21D des Deutschen Patent- und Markenamtes die Anmeldung zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Gegenstand nach Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Druckschrift DE 198 01 203 A1 (D1) und der Inhalt der nebengeordneten Patentansprüche 4 und 5 sei unzulässig erweitert gegenüber den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen.
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Gegen diesen am 2. Oktober 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders vom 6. Oktober 2020, eingegangen am 16. Oktober 2020. Er trägt unter Vorlage von Unterlagen aus einem Schriftverkehr mit der Prüfungsstelle sowie mit seinem ehemaligen Arbeitgeber sinngemäß vor, der Gegenstand der Anmeldung sei patentfähig. Die Angaben der Druckschrift D1 entsprächen nicht dem Gegenstand der Anmeldung, da dort ein Druckeinsatz 3, auf dem ein Lochstempel 2 platziert sei, beschrieben sei, der Begriff „Schneidmessereinsatz“ komme in der D1 nicht vor. Die Bauteilfunktionsbewegungen seien somit nicht identisch. Damit sei die Patentfähigkeit gegeben und auch eine unzulässige Erweiterung der Ansprüche 4 und 5 liege nicht vor.
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Der Anmelder stellt sinngemäß den Antrag,
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den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle B21D des Deutschen Patent- und Markenamtes aufzuheben und das Patent 10 2015 001 323 mit den am 4. März 2020 eingereichten Ansprüchen und den am selben Tag eingereichten Beschreibungsseiten 1 bis 4 sowie Figuren 1 bis 4 zu erteilen.
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Der geltende Anspruch 1 lautet:
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Schneidwerkzeuganordnung für eine 2-Ebenenschneidfolge, die den Einsatz gummielastischer Polster voraussetzt,
11
dadurch gekennzeichnet,
12
wobei eine Kunststofffeder (4), oder der Werkzeuggeometrie angepasste Polsterformen unter dem Schneidmessereinsatz (2) ihre Verwendung findet.
13
Der nebengeordnete Anspruch 4 lautet in der geltenden Fassung:
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Trennmesser (6),
15
dadurch gekennzeichnet,
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wobei es im Untermesser (5) in der Führungsnut (10) und dem Trennmesserführungseinsatz (9) geführt wird,
17
gegebenenfalls einen geringen Ausgleichsweg in Pfeilrichtung nimmt und aufgrund der Schneiddruck-Widerstandsunterlage, ein gemäßigtes und gedämpftes Aneinandergleiten der Schneidkanten erfolgt,
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und durch den Dämpfungseffekt bei Teilfehlablage, Schäden abgewendet, zumindest aber verringert werden, da das Trennmesser (6) auf einer Schneiddruck-Widerstandsunterlage ruht.
19
Der nebengeordnete Anspruch 5 lautet in der geltenden Fassung:
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Die Schneidmesserkombinationen, in ihrer Anordnung,
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dadurch gekennzeichnet,
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wobei eine Kunststofffeder (4) in einer Bohrung, die auf axialen Druck setzbare Kunststofffeder (4) umschließt und ein zentraler Federführungsbolzen (4a) in der Bohrung auf umlaufend gleichen Kontakt sichert,
23
wobei erforderliche Druckwerte kraftbeaufschlagend, durch entsprechende, berechenbare Volumenwahl zwischen festzulegender Bohrung, nach Wahl der Kunststofffeder (4) und des Führungsbolzens (4a) variabel bestimmbar werden.
24
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 und 3 und weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
25
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet, denn der Anmeldungsgegenstand gemäß dem geltenden Anspruch 1 stellt keine patentfähige Erfindung im Sinne von §§ 1 bis 5 PatG dar.
26
Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil der Beschwerdeführer keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat und eine solche auch nicht aus Gründen der Sachdienlichkeit erforderlich ist.
27
1. Der Anmeldegegenstand nach Anspruch 1 betrifft nach den Ausführungen auf Seite 1 der geltenden Beschreibung eine Schneidwerkzeuganordnung für eine 2-Ebenenschneidfolge, die den Einsatz gummielastischer Polster voraussetzt.
28
Nach den Ausführungen in Absatz 2 der geltenden Beschreibung sind aus der Praxis Schneidwerkzeuge bekannt, die ein Beschneiden in zwei hintereinander folgenden Schneidphasen verrichten. Hierbei erfolge das Halten auf Beschneidniveau mittels Gasdruckfeder. Diese Gasdruckfedern seien teuer und nicht verschleißunanfällig.
29
Nach den Ausführungen in Absatz 3 der geltenden Beschreibung besteht die Aufgabe der Erfindung sinngemäß darin, simple Kunststofffedern, die nach dem Polsterverdrängungsprinzip ihren Einsatz finden, als preisgünstige Lösung in Verbindung mit Schneidmesserkombinationen in Werkzeugen unterschiedlichster Art zu integrieren, um so für ein optimiertes Beschneiden der Produkte zu sorgen und ein problemloses Trennen des Beschnittrandes hervorzurufen.
30
Zuständiger Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit beruflicher Erfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Stanz- und Schneidwerkzeugen.
31
Einige Merkmale des Anspruchs 1 bedürfen einer Auslegung:
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Der Begriff „2-Ebenenschneidfolge“ ist in den Patentanmeldungsunterlagen nicht erläutert. Nach den Ausführungen in der Eingabe vom 14. Oktober 2015 ist der Begriff vom Beschwerdeführer geprägt und soll sinngemäß beschreiben, dass die Schneidfolge in zwei Phasen erfolgt, wobei Schneidphase 1 in der Ebene 1 stattfindet und das Produkt beschnitten wird, während Schneidphase 2 in der Ebene 2 stattfindet und der Beschnittrand (vom Produkt) getrennt ist. Dies ist auch der Figur 4 zu entnehmen, in der auf der linken Seite die Schneidphase 1 in der Ebene 1 und auf der rechten Seite die Schneidphase 2 in der Ebene 2 dargestellt ist.
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Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 enthält eine „oder“ Kombination. Demnach soll entweder eine Kunststofffeder unter dem Schneidmessereinsatz ihre Verwendung finden oder es soll eine der Werkzeuggeometrie angepasste Polsterform unter dem Schneidmessereinsatz ihre Verwendung finden.
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2. Der Anmeldungsgegenstand nach geltendem Anspruch 1 ist nicht neu gegenüber dem Stand der Technik nach der Druckschrift D1.
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Die Druckschrift D1 zeigt insbesondere in der Figur 1 eine Vorrichtung zum Lochen fließender Ziehbleche, in der ein Lochstempel 2 zum Lochen bzw. Schneiden der Bleche angeordnet ist. Der Druckschrift D1 liegt die Aufgabe zugrunde (Spalte 1, Zeilen 23 bis 29), eine kombinierte Tiefzieh-Lochvorrichtung herkömmlicher Art derart zu verbessern, dass in der Endphase eines Ziehvorgangs durch Eingliederung einer Lochvorrichtung ein genaues Lochen und/oder Schneiden ermöglicht wird, wobei die Standzeit der Schneidelemente möglichst hoch ist. Weil die bekannte Werkzeuganordnung nach der Druckschrift D1 somit auch zum Schneiden vorgesehen ist und auch Schneidelemente in Form des Lochstempels aufweist, ist sie somit eine Schneidwerkzeuganordnung im Sinne des Anmeldungsgegenstandes, auch wenn statt des Begriffs „Schneidmessereinsatz“ in der Druckschrift ein Lochstempel beschrieben wird.
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Auch eine 2-Ebenenschneidfolge im Sinne der Patentanmeldung weist die bekannte Schneidwerkzeuganordnung auf, weil sich der Lochstempel 2 aus dem Druckstück 1 über die Ziehebene 9 hinaus in Richtung Lochmatrize in eine zweite, zeichnerisch nicht dargestellte Ebene bewegt, in der der Beschnittrand (vom Produkt) getrennt ist.
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Nach den Ausführungen in Spalte 1, Zeile 34 bis 37 der Druckschrift D1 sind an einem von der Ziehebene 9 abgewandten Ende das Druckstück 1 als Kombination und der Lochstempel 2 über ein Polster 5 miteinander kraftschlüssig verbunden. Weil dieses Polster 5 nach Spalte 2, Zeile 6 bis 8 ein gummielastisches Poster ist, setzt somit auch die bekannte Schneidwerkzeuganordnung nach der Druckschrift D1 den Einsatz gummielastischer Polster voraus.
38
Wie aus der Figur 1 der Druckschrift D1 zu ersehen, ist die Form des gummielastischen Polsters 5 der Geometrie des Werkzeugs unter dem Schneidmessereinsatz in Form des Druckeinsatzes 3 und des Druckringes 4 angepasst, so dass auch das Merkmal des Anspruchs 1 bei der bekannten Schneidwerkzeuganordnung nach der Druckschrift D1 verwirklicht ist, wonach der Werkzeuggeometrie angepasste Polsterformen unter dem Schneidmessereinsatz ihre Verwendung finden.
39
Da industriell genutzte gummielastische Polster zudem üblicherweise synthetisch hergestellt werden und somit aus Kunststoff bestehen, findet somit eine Kunststofffeder unter dem Schneidmessereinsatz in Form des Lochstempels ihre Verwendung.
40
Somit sind alle Merkmale des Anspruchs 1 bereits aus der Druckschrift D1 bekannt.
41
Der Anspruch 1 ist mangels Neuheit seines Inhalts gegenüber der Druckschrift D1 nicht gewährbar.
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Die Merkmale der abhängigen Ansprüche 2 und 3 enthalten Selbstverständlichkeiten, wie sie beispielsweise weitgehend auch aus der Druckschrift D1 bekannt sind. Denn auch bei der bekannten Schneidwerkzeuganordnung nimmt der Kunststofffedersitz ein angepasstes Volumen hubabhängig zwischen Kunststofffeder 5 und Aufnahmekammer ein, wobei die dafür gefertigten Kammern, Bohrungen oder anderen Aufnahmegeometrien in selbstverständlicher Weise hubabhängig durch Berechnungen abgestimmt worden sind und eine kraftbeaufschlagende Funktion durch berechenbare Abstimmung der vorgespannten Kunststofffeder 5 bewirkt, was sich beispielsweise aus den Ausführungen in Spalte 2 , Zeilen 40 bis 52 hinsichtlich des vorbestimmten Verhältnisses der sich im Polster 5 ergebenden Reaktionskraft erschließt.
43
Wie sich aus der Figur 1 der Druckschrift D1 unmittelbar ergibt, ist der Schneidmessereinsatz in Form des Lochstempels ersichtlich in einem spielfreien Gleitsitz geführt, wobei derartige Gleitsitze stets verschleißfeste Oberflächen aufweisen und die eingesetzten Lochstempel an die zu lochenden Geometrien angepasst werden und deshalb unterschiedliche variable Geometrien aufweisen können, wie im Anspruch 3 beschrieben.
44
Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 sind daher auch nicht gewährbar.
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Der nebengeordnete Anspruch 4 ist auf ein Trennmesser gerichtet. Auch der aus der Druckschrift D1 bekannte Schneideinsatz in Form des Lochstempels 2 ist ein Trennmesser, weil es ein kreisförmiges Blechstück aus dem Metallblech ausstanzt und somit abtrennt. Dieses Trennmesser in Form des Lochstempels 2 ruht auf einer Schneiddruck- Widerstandsunterlage in Form des gummielastischen Polsters 5 und kann einen geringen Ausgleichsweg in Pfeilrichtung 10 nehmen, weil aufgrund der Schneiddruck-Widerstandsunterlage in Form des gummielastischen Polsters 5 zwangsläufig ein gemäßigtes und gedämpftes Aneinandergleiten der Schneidkanten erfolgen muss und folglich durch den Dämpfungseffekt bei Teilfehlablage Schäden abgewendet, zumindest aber verringert werden.
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Das Trennmesser in Form des Lochstempels 2 ist gemäß Spalte 1, Zeilen 49 bis 59 sowie der Darstellung gemäß Figur 1 im Untermesser 1 in einem Gleitsitz in einer Bohrung geführt, wobei alle erdenklichen geometrischen Stempelformen einsetzbar sind. Daher ist es für den Fachmann völlig naheliegend, den Lochstempel 2 sofern er keinen runden, sondern einen eckigen Querschnitt aufweist, in einer Führungsnut des Untermessers und eines Trennmesserführungseinsatzes anstelle der Bohrung zu führen.
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Der nebengeordnete Anspruch 4 ist mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber der Druckschrift D1 nicht gewährbar.
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Der nebengeordnete Anspruch 5 ist auf eine Schneidmesserkombination gerichtet. Auch die aus der Druckschrift D1 bekannte Schneidwerkzeuganordnung ist in ihrer in Figur 1 dargestellten Anordnung eine Schneidmesserkombination, wobei eine Kunststofffeder in Form des gummielastischen Polsters 5 in einer Bohrung des Blechhalters 8 angeordnet ist, welche die auf axialen Druck setzbare Kunststofffeder (Polster 5) umschließt, wobei erforderliche Druckwerte kraftbeaufschlagend, durch entsprechende, berechenbare Volumenwahl zwischen festzulegender Bohrung 8 und nach Wahl der Kunststofffeder 5 variabel bestimmbar werden.
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Zwar weist die bekannte Schneidmesserkombination keinen zentralen Federführungsbolzen auf, der die Kunststofffeder in der Bohrung umlaufend auf gleichen Kontakt sichert. Dies kann eine erfinderische Tätigkeit jedoch nicht begründen, weil besonders in dem vorliegenden Fachgebiet der Stanz- und Ziehtechnik zentrale Führungsbolzen zur Führung gummielastischer Federn seit langem üblich und gebräuchlich sind. Beispielsweise wird diesbezüglich auf die bereits im Ladungszusatz vom 29.10.2019 genannte Druckschrift D3 verwiesen.
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Der nebengeordnete Anspruch 5 ist mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber der Druckschrift D1 nicht gewährbar.
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3. Nachdem weder der Anspruch 1 noch die abhängigen oder unabhängigen Patentansprüche etwas Schutzfähiges enthalten, ist eine Patenterteilung nicht möglich.
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Die Beschwerde des Anmelders war daher zurückzuweisen.