BPatG München 4. Senat, Urteil vom 08.04.2022, AZ 4 Ni 5/22 (EP), ECLI:DE:BPatG:2022:080422U4Ni5.22EP.0
Tenor
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent EP 2 454 894
(DE 50 2010 014 622)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2022 durch die Vorsitzende Richterin Grote-Bittner sowie die Richter Dipl.-Ing. Altvater, Dipl.-Ing. Matter, Dr. Meiser und Dipl.-Phys. Univ. Dr. Haupt
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 2 454 894 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 454 894, das auf die PCT-Anmeldung PCT/EP2010/060370 (offengelegt als WO 2011/007010 A1) zurückgeht, am 16. Juli 2010 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 102009027816 vom 17. Juli 2009 angemeldet und dessen Erteilung am 31. Januar 2018 veröffentlicht worden ist. Im Patentregister des Deutschen Patent- und Markenamts wird das Streitpatent mit der Bezeichnung „System und Verfahren zur Übertragung von Daten zwischen Kommunikationsendgeräten“ unter dem Aktenzeichen 50 2010 014 622 geführt.
2
Das Streitpatent umfasst in seiner erteilten Fassung 14 Ansprüche mit dem unabhängigen Anspruch 1, den auf diesen rückbezogenen abhängigen Ansprüchen 2 bis 13 sowie dem nebengeordneten Anspruch 14.
3
Die Klägerin greift das Streitpatent in vollem Umfang – und im Weiteren alle von der Beklagten mit Hauptantrag und Hilfsanträgen verteidigten, geänderten Fassungen – an und macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit und zudem erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2022 den Nichtigkeitsgrund mangelnder Ausführbarkeit geltend.
4
Die Beklagte verteidigt das Streitpatent zuletzt in geänderter Fassung nach in der mündlichen Verhandlung am 8. April 2022 eingereichtem Hauptantrag sowie den Hilfsanträgen 1 und 2 vom selben Tag.
5
- Der geänderte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet mit hinzugefügter Merkmalsgliederung wie folgt (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch sind durch Streichungen gekennzeichnet):
6
1 System zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20), mit
7
1.1 a) mindestens einem ersten Kommunikationsendgerät (10)
8
und mindestens einem zweiten Kommunikationsendgerät (20),
9
wobei mindestens ein Kommunikationsendgerät (10, 20) als mobiles Gerät, insbesondere Handgerät, ausgebildet ist,
10
1.2 b) einer mit allen Kommunikationsendgeräten (10, 20) über ein Datennetzwerk (100) koppelbaren Vermittlungseinheit (30),
11
1.3 c) einem Mittel (40) zur Berechnung und / oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte (10, 20),
12
1.4 d) einem Mittel (50) zur Bestimmung und / oder Auswertung von zeitlichen Abständen von Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) an die Vermittlungseinheit (30),
13
1.4.1 um eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20) einzuleiten,
14
1.5 wobei ein der Vermittlungseinheit (30) zugeordnetes Verbindungsmittel (60), in Abhängigkeit von vorgebbaren Schwellenwerten der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte (10, 20) und des zeitlichen Abstands zwischen den Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) die Datenübertragung steuert, und
15
1.6 e) wobei die Kommunikationsanfrage an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20) durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20),
eine Bewegung des mindestens einen Kommunikationsendgerätes im Raum, ein akustisches Signal, eine Spracheingabe und / oder Berühren des berührungssensitiven Bildschirms auslösbar ist
16
1.6.1 und eine entsprechende Kodierung in der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203) und / oder dem Anfragedatensatz (70) gespeichert wird.
17
Der nebengeordnete Patentanspruch 14 gemäß Hauptantrag lautet unter Hinzufügen einer Gliederung (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch sind durch Streichungen gekennzeichnet):
18
14.1 Verfahren zur Übertragung von Daten zwischen
19
14.1.1 mindestens einem ersten Kommunikationsendgerät (10)
20
14.1.2 und einem zweiten Kommunikationsendgerät (20),
21
14.1.3 wobei a) mindestens ein Kommunikationsendgerät (10, 20) als mobiles Gerät, insbesondere Handgerät, ausgebildet ist,
22
14.2 wobei b) Daten über ein Datennetzwerk (100) zwischen den Kommunikationsendgeräten (10, 20) und einer damit koppelbaren Vermittlungseinheit (30) austauschbar sind,
23
14.3 wobei c) ein Mittel (40) die räumliche Distanz zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20) berechnet und / oder auswertet,
24
14.4 d) ein Mittel (50) die zeitlichen Abstände von Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) an die Vermittlungseinheit (30) bestimmt und / oder auswertet,
25
14.4.1 e) in Abhängigkeit von der räumlichen Distanz und den zeitlichen Abständen eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20) eingeleitet wird,
26
14.5 wobei ein Verbindungsmittel (60), in Abhängigkeit von vorgebbaren Schwellenwerten der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte (10, 20) und dem zeitliche [sic!] Abstand der Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) die Datenübertragung steuert,
27
14.6 f) wobei die Kommunikationsanfrage an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20) durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20),
eine Bewegung des mindestens einen Kommunikationsendgerätes (10, 20) im Raum, ein akustisches Signal, eine Spracheingabe und / oder Berühren des berührungssensitiven Bildschirms auslösbar ist
28
14.6.1 und eine entsprechende Kodierung in der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203) und / oder dem Anfragedatensatz (70) gespeichert wird.
29
Wegen der – gegenüber der erteilten Fassung nicht geänderten – Unteransprüche 2 bis 13 nach Hauptantrag wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2022 verwiesen.
30
- Nach
Hilfsantrag 1 ist der Unteranspruch 6 gestrichen und die Nummerierung der nachfolgenden Ansprüche entsprechend angepasst. Am Ende des unabhängigen Anspruchs 1 sowie des nebengeordneten Anspruchs 13 kommen jeweils folgende Merkmale des erteilten Unteranspruchs 6 hinzu:
31
1.7H1 f)
32
bzw.
33
13.7 g)wobei vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203) ein zu sendender Nutzdatensatz (90) auswählbar ist, insbesondere wobei der Nutzdatensatz (90) aus einer vordefinierten Menge von Nutzdatensätzen (90) automatisch anhand spezifischer Merkmale der Signalisierung der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203), insbesondere der Kodierung des Anfragedatensatzes (70), auswählbar ist.
34
- Der Anspruch 1 gemäß
Hilfsantrag 2 enthält gegenüber dem Anspruch nach Hauptantrag die folgenden (durch Unterstreichung gekennzeichneten) zusätzlichen Merkmale und Änderungen:
1 – 1.2.
35
1.2.1H2 (…)
36
wobei die Vermittlungseinheit (30) datentechnisch mit einem Datenaustauschknoten (31) gekoppelt ist,
37
1.2.2H2c) wobei ein Nutzdatensatz (90) von dem mindestens einen ersten Kommunikationsendgerät (10) auf den Datenaustauschknoten (31) übertragen wird,
38
1.2.3H2d) wobei das mindestens eine erste Kommunikationsendgerät eine erste Kommunikationsanfrage (201) an die Vermittlungseinheit übermittelt, womit Ort, Zeit und die Nutzdatenadresse (91) des Nutzdatensatzes (90) ermittelt und übertragen werden,
39
1.2.4H2e) wobei anschließend von dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät (20) eine zweite Kommunikationsanfrage (202) an die Vermittlungseinheit (30) übermittelt wird, die anzeigt, dass das zweite Kommunikationsendgerät (20) empfangsbereit gemacht wird, womit Ort und Zeit der Kommunikationsanfrage (202) ermittelt und übertragen werden,
40
1.3H2 f
) wobei die Vermittlungseinheit (30) ein Mittel (40) zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte (10, 20)
und
41
1.4H2g) ein Mittel (50) zur Bestimmung und / oder Auswertung von zeitlichen Abständen
der Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) an die Vermittlungseinheit (30)
aufweist,
42
1.4.1 um eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20) einzuleiten,
43
1.5h) wobei (…)
44
1.5.1H2indem es mit dem Mittel (40) zur Berechnung und / oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und mit dem Mittel (50) zur Bestimmung und / oder Auswertung von zeitlichen Abständen der Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) registriert, dass die notwendigen Bedingungen für die Datenübertragung erfüllt sind,
45
1.5.2H2i) so dass der Nutzdatensatz (90) vom Datenaustauschknoten (31) zu dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät (20) übertragbar ist, und
46
1.6 –
47
1.6.1.j) (…)
48
- Der Patentanspruch 14 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom nebengeordneten Patentanspruch nach Hauptantrag durch die folgenden zusätzlichen Merkmale und Änderungen (durch Unterstreichung hervorgehoben):
14.1.-14.1.3
49
14.2H2 (…)
50
wobei b) Daten über ein Datennetzwerk (100) zwischen den Kommunikationsendgeräten (10, 20) und einer damit koppelbaren Vermittlungseinheit (30)
und einem mit der Vermittlungseinheit (30) datentechnisch gekoppelten Datenaustauschknoten (31) austauschbar sind,
51
14.2.1H2c) wobei ein Nutzdatensatz (90) von dem mindestens einen ersten Kommunikationsendgerät (10) auf den Datenaustauschknoten (31) übertragen wird,
52
14.2.2H2d) wobei das mindestens eine erste Kommunikationsendgerät eine erste Kommunikationsanfrage (201) an die Vermittlungseinheit übermittelt, womit Ort, Zeit und die Nutzdatenadresse (91) des Nutzdatensatzes (90) ermittelt und übertragen werden,
53
14.2.3H2e) wobei anschließend von dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät (20) eine zweite Kommunikationsanfrage (202) an die Vermittlungseinheit (30) übermittelt wird, die anzeigt, dass das zweite Kommunikationsendgerät (20) empfangsbereit gemacht wird, womit Ort und Zeit der Kommunikationsanfrage (202) ermittelt und übertragen werden,
14.3
14.4
54
14.5-14.5.1f) (…)
55
g) (…)
56
h) (…)
57
14.5.2H2indem es mit dem Mittel (40) zur Berechnung und / oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und mit dem Mittel (50) zur Bestimmung und / oder Auswertung von zeitlichen Abständen der Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) registriert, dass die notwendigen Bedingungen für die Datenübertragung erfüllt sind,
58
14.5.3H2
59
14.6-14.6.1i) so dass der Nutzdatensatz (90) vom Datenaustauschknoten (31) zu dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät (20) übertragbar ist,
60
j) (…)
61
Wegen des Wortlauts der im Übrigen unveränderten Unteransprüche nach den Hilfsanträgen 1 und 2 wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. April 2022 verwiesen.
62
Die Klägerin stützt ihr Vorbringen gegen sämtliche im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren befindlichen Fassungen des Streitpatents wegen fehlender Patentfähigkeit insbesondere auf folgende Dokumente:
63
NK6 WO 2007/121414 A2
64
NK7 Ken Hinckley: “Synchronous Gestures for Multiple Persons and Computers“, in: chi-letters 2003 (Band 5, Ausgabe 2, Seiten 149 – 158);
65
NK8 Sasha Segan, “Review: Bump, the One Billionth iPhone App” (im Folgenden bezeichnet als: „Bump-Artikel“);
66
NK8a-8d zur Veröffentlichung des „Bump-Artikels“, im Einzelnen:
67
NK8a „Bump-Artikel“ wie NK8 mit Zeilennummern;
68
NK8b „Internet Archive Wayback Machine“ (web.archive.org), „Bump-Artikel“ auf der Internetseite „www.appscout.com“, Erscheinungsdatum: 24. April 2009, Erfassung durch die Wayback Machine: 27. April 2009;
69
NK8c Screenshot des Internet-Archivs des PC-Magazine („https://www.pcmag.com/archive/…“) mit dem „Bump-Artikel“;
70
NK8d „Internet Archive Wayback Machine
“ (web.archive.org)
, „10 iPhone Apps That Were NOT The Billionth“ auf „http://www-appscout.com/2009/04/10_iphone_(…)“, Erscheinungsdatum: 24. April 2009, Erfassung durch die Wayback Machine: 27. April 2009;
71
NK9 Daniel Melinger u.a., “Socialight: A Mobile Social Networking System“, in: “Proceedings of the 6
th International Conference on Ubiquitous Computing” (Nottingham, England, 2004);
72
NK9a NK9 mit Zeilennummern
73
NK10 US 2007/0124503 A1
74
NK11 US 2007/0191028 A1
75
NK13 Google-Suchergebnis zu der Anfrage „bump one billionth iphone app“ (zu NK8)
76
NK14 Wikipedia-Eintrag zu „PC Magazine“ (zu NK8)
77
NK15 zur Veröffentlichung von NK9 („ubicomp2004“)
78
NK16 zur Veröffentlichung von NK7 („CHI letters“)
79
NK17 Anlagenkonvolut zur „weiteren Veröffentlichung im Zusammenhang mit „Bump“ “; App Bump als Gegenstand eines Business-Plan Wettbewerbs (Thirteenth Annual Edward L. Kaplan Venture Challenge – 2009).
80
Die Klägerin rügt bereits die Verspätung des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 8. April 2022 eingereichten Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 und 2 und hält darüber hinaus die Verteidigung des Streitpatents mit diesen Anträgen schon für unzulässig. Jedenfalls müsse die Verteidigung des Streitpatents in diesen Fassungen wegen fehlender Patentfähigkeit und nicht ausführbarer Offenbarung erfolglos bleiben.
81
Der Gegenstand des Streitpatents nach Hauptantrag mit der Streichung der identischen Passage in den Ansprüchen 1 und 14 (Merkmale 1.6. und 14.6, „(…) durch (…)
eine Bewegung des mindestens einen Kommunikationsendgerätes im Raum, ein akustisches Signal,“) sei nicht zulässigerweise beschränkt, zumal in Unteranspruch 11 nach Hauptantrag weiterhin ein Gestenkommunikationsmittel beansprucht sei. Die Streichung der Passage führe zudem zu einer mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung.
82
Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung wie auch nach Hauptantrag und ebenso in der Fassung nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sei zudem nicht patentfähig, da er jeweils durch den angeführten Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder zumindest nahegelegt sei. Dabei sei auch der „Bump-Artikel“ (Druckschrift NK8 bzw. NK8a-c) als Stand der Technik zu berücksichtigen. Die Veröffentlichung des Artikels sei am 24. April 2009 – mithin vor dem Prioritätszeitpunkt – im Zusammenhang mit dem Ereignis erfolgt, dass die App „Bump“ als milliardste Anwendung auf ein Mobilfunkgerät der Firma Apple heruntergeladen worden sei. Der Ursprungs-Post „Bump“ sei dabei auf der Internetseite „AppScout“ erschienen und – wie durch die Anlage NK8d belegt – verlinkt worden. Sodann sei der „Bump-Artikel“ im April 2009 auch auf der Internetseite des renommierten Fachmagazins „PC Mag“ („PC Magazine“) erschienen und in dessen Online-Archiv aufgenommen worden. Beide Plattformen („AppScout“ und „PC Mag“) seien zum damaligen Zeitpunkt Online-Angebote desselben Verlages (Z… Verlag) gewesen.
83
Ausgehend von dem angeführten Stand der Technik sei auch der nebengeordnete Anspruch 14 nach Hauptantrag nicht patentfähig. Dies gelte gleichermaßen für sämtliche Unteransprüche. Auch die Hilfsanträge 1 und 2 könnten die Patentfähigkeit des Streitpatents in den jeweiligen Fassungen nicht begründen, was die Klägerin weiter ausführt.
84
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 23. Dezember 2021 mit einer Frist zur abschließenden Stellungnahme bis zum 4. März 2022 und einen weiteren rechtlichen Hinweis vom 7. April 2022 erteilt.
85
Die Klägerin beantragt,
86
das europäische Patent 2 454 894 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
87
Die Beklagte beantragt,
88
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hauptantrags (eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 8. April 2022) erhält,
89
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 und 2 (eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 8. April 2022) erhält.
90
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen, soweit sich dieses gegen den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 richtet.
91
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung neu geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit als verspätet vorgebracht zurückzuweisen sei.
92
Der Nichtigkeitsgrund der nichtausführbaren Offenbarung greife darüber hinaus auch in der Sache nicht. Das Streitpatent in der Fassung nach Hauptantrag erweise sich darüber hinaus auch als patentfähig, insbesondere als neu und auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.
93
Die Entgegenhaltung NK8 stelle schon keinen berücksichtigungsfähigen Stand der Technik dar, weil sie der Öffentlichkeit vor dem Prioritätsdatum (17. Juli 2009) nicht zugänglich gewesen sei. Bei der NK8 handele es sich nicht um einen Aufsatz auf der Webseite eines Fachmagazins, sondern lediglich um ein „Online-Posting“, wobei die näheren Umstände der Veröffentlichung unklar erschienen und insbesondere eine Veröffentlichung auf der Webseite „PC Mag“ nicht belegt sei. Dem vorgelegten Posting des Autors „Sascha Segan“ (NK8) fehle jeglicher Hinweis auf einen aktuellen Speicherort, wie z. B. eine URL. Die weiteren Dokumente (NK8a-d) bezögen sich auf einen Artikel aus dem Portal „Appscout“ und stünden in keinem Zusammenhang zu der von der Klägerin behaupteten Veröffentlichung auf dem Portal „PC Mag“.
94
Im Übrigen nähmen der „Bump-Artikel“ und die weiteren Entgegenhaltungen den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag nicht vorweg und legten diesen auch nicht nahe. Insbesondere werde in dem System gemäß Druckschrift NK8/NK8b („Bump-Artikel“) wie auch in dem weiteren angeführten Stand der Technik stets die physische Nähe der Nutzer vorausgesetzt in dem Sinne, dass beispielsweise Sichtkontakt bestehe. Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag setze aber weder eine solche örtliche Nähe der beteiligten Nutzer noch einen bestimmten Maximalabstand voraus. Daher führe die Lehre der NK8 sowie der weiteren Druckschriften von dem Gegenstand des Streitpatents nach Hauptantrag weg. Der NK8 fehle zudem das Merkmal der Steuerung in Abhängigkeit von Schwellenwerten, während die NK12 keine zeitliche Dimension habe und ihr Schwellenwerte nicht entnehmbar seien, so dass auch die Kombination der beiden Druckschriften den Gegenstand des Streitpatents nach Hauptantrag nicht nahelege.
95
Darüber hinaus sei der Gegenstand des Streitpatents auch in den Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2 patentfähig, was die Beklagte weiter ausführt.
96
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und den weiteren Inhalt der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
97
Die Nichtigkeitsklage, mit der die Nichtigkeitsgründe unzureichende Offenbarung der Erfindung und fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht werden (Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a), b), Art. 54, Art. 56 EPÜ), ist zulässig.
98
Die Klage erweist sich auch als begründet. Soweit das Streitpatent vorliegend in zulässigerweise eingeschränkten Fassungen verteidigt worden ist, war es in dem Umfang, in dem es durch die Patentinhaberin nicht mehr verteidigt worden ist, ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. etwa BGH GRUR 2007, 404, Rn. 15 – Carvedilol II; GRUR 2011, 707, Rn. 8 – Dentalgerätesatz; Urteil vom 21. März 2017, X ZR 19/15, Rn. 19 – juris).
99
Die Klage hat auch im Übrigen Erfolg, weil sich das Streitpatent sowohl in der Fassung nach Hauptantrag wie auch in den Fassungen der Hilfsanträge wegen mangelnder Patentfähigkeit der beanspruchten Gegenstände als nicht rechtsbeständig erweist und daher für nichtig zu erklären ist.
I.
100
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind der Hauptantrag und die Hilfsanträge der Beklagten vom 8. April 2022 nicht wegen Verspätung gemäß § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG zurückzuweisen.
101
Zwar sind diese Anträge von der Beklagten erst nach Ablauf der im qualifizierten Hinweis vom 23. Dezember 2021 gesetzten Frist eingereicht worden. Jedoch machten sie eine Vertagung nicht erforderlich (§ 83 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 PatG). Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hauptantrag beschränkte sich auf die Streichung jeweils derselben Passage in den Merkmalen 1.6 und 14.6, während es sich bei dem neu eingereichten Hilfsantrag 1 lediglich um eine Kombination bekannter Ansprüche (der Ansprüche 1 und 14 nach Hauptantrag mit dem erteilten Anspruch 6) handelte und die Ergänzungen gemäß Hilfsantrag 2 auf der Beschreibung zu Figur 7 der ursprünglichen Unterlagen (WO 2011/007010 A1) basierten. Es wurden daher vorliegend durch die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträge keine tatsächlichen oder rechtlichen Fragen aufgeworfen, die in der Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären gewesen wären (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 9. Aufl., § 83 Rn. 19 mwN). Schließlich hat sich die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung zu den neuen Anträgen in der Sache einlassen können.
102
Bei dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung neu geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit handelt es sich um eine zulässige, da sachdienliche Klageänderung gemäß § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO. Mit der Zulassung des neuen Nichtigkeitsgrundes kann ein weiterer Prozess vermieden werden. Die Beklagte hat sich zudem auch zu dem Nichtigkeitsgrund der mangelnden Ausführbarkeit in der Sache einlassen können Soweit die Beklagte der Geltendmachung des neuen Nichtigkeitsgrundes widersprochen hat, kommt es darauf wegen der festgestellten Sachdienlichkeit der Klageänderung nicht an.
II.
103
1. Hintergrund des Streitpatents ist es, Daten, wie z. B. Adressen, Telefonnummern oder beliebige andere Daten, spontan von einem Kommunikationsendgerät eines Teilnehmers zu einem anderen Kommunikationsendgerät zu übermitteln. Hierfür sei es bisher erforderlich, dass die Kommunikationsendgeräte entweder zuvor eine Kommunikationsadresse austauschten, etwa eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, oder im Falle des Austauschs über eine lokale Ad-Hoc Verbindung über Bluetooth oder Infrarot ein Teilnehmer den anderen aus einer Liste auswähle (vgl. Streitpatentschrift, Absätze 0001 und 0002).
104
2. Davon ausgehend ist es Aufgabe der Erfindung, einen schnellen Datenaus-tausch zu erleichtern (vgl. Streitpatentschrift, Absatz 0004).
105
Gelöst wird diese Aufgabe mit dem System zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten nach Patentanspruch 1 sowie mit dem Verfahren zur Übertragung von Daten zwischen mindestens einem ersten Kommunikationsendgerät und mindestens einem zweiten Kommunikationsendgerät nach Patentanspruch 14.
106
3. Als maßgeblicher Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe ist ein Ingenieur mit Hochschulabschluss auf dem Gebiet der Elektrotechnik, Nachrichtentechnik oder Informationstechnik anzusehen, der über eine mehrjährige Berufserfahrung und einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der Datenübertragung zwischen Kommunikationsendgeräten verfügt.
107
4. Die Merkmale der unabhängigen Patentansprüche 1 und 14 (bzw. 13) in den zuletzt verteidigten Fassungen nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 bedürfen der Erläuterung:
108
Im Folgenden ist der Gegenstand des Streitpatents am Beispiel des Patentanspruchs 1 betrachtet. Die Ausführungen gelten für den jeweils inhaltlich im Wesentlichen damit übereinstimmenden nebengeordneten Verfahrensanspruch 14 bzw. 13 in gleicher Weise.
109
a) Der Fachmann versteht die Merkmale des unabhängigen
Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag folgendermaßen:
110
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist auf ein System zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten gerichtet (
Merkmal 1). Dabei ist mindestens ein Kommunikationsendgerät als mobiles Gerät, insbesondere Handgerät, ausgebildet (
Merkmal 1.1). Die Kommunikationsendgeräte sind somit zur Datenübertragung eingerichtet. Das Streitpatent unterscheidet mobile Geräte, wie bspw. Smartphones, von stationären Geräten (Abs. 0009, 0013, 0087).
111
Das System umfasst weiter eine mit allen Kommunikationsendgeräten des Systems über ein Datennetzwerk koppelbare Vermittlungseinheit (
Merkmal 1.2). Daraus folgt, dass es sich bei den Kommunikationsendgeräten und der Vermittlungseinheit um separate, unabhängige Geräte handelt, wie die Streitpatentschrift in Absatz 0007 explizit ausführt, und dass alle Kommunikationsendgeräte mit der Vermittlungseinheit über ein Datennetzwerk kommunizieren können (Abs. 0011). Eine funktionale Anordnung der Vermittlungseinheit bzw. deren Funktionalität in einzelnen Kommunikationsendgeräten ist nach Merkmal 1.2 dagegen ausgeschlossen, da eine solche Vermittlungseinheit nicht mit allen Kommunikationsendgeräten des Systems über ein Datennetzwerk koppelbar wäre. Eine solche Anordnung in einem Endgerät stünde auch im Widerspruch zum Einleiten der Kommunikation nach Merkmal 1.4.1, da das dazu vorausgesetzte Empfangen von Kommunikationsanfragen eine bereits bestehende Kommunikationsverbindung zwischen den Endgeräten voraussetzen würde.
112
Das System weist ein Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte auf (
Merkmal 1.3). Grundlage dafür ist beispielsweise eine Ortsbestimmung durch GPS (Abs. 0014, 0028, 0039, 0074), auf Basis von Mobilfunkbasisstationen (Abs. 0024, 0039, 0074), WLAN-Basisstationen (Abs. 0025 – 0027, 0039) und zusätzlich oder alternativ durch die Auswertung von Daten von Bluetooth Verbindungen (Abs. 0029).
113
Außerdem ist ein Mittel zur Bestimmung und/oder Auswertung von zeitlichen Abständen von Kommunikationsanfragen an die Vermittlungseinheit vorgesehen (
Merkmal 1.4). Unter einer „Kommunikationsanfrage“ ist das Signalisieren eines (konkreten, aktuellen) Kommunikationswunsches zu verstehen (Abs. 0017), jedoch keine ständige oder periodische Übermittlung von Daten, die beispielsweise einen Empfänger ohne konkreten Anlass über den aktuellen Standort des Kommunikationsendgeräts informieren würden. Die zeitliche Nähe der Kommunikationsanfragen kann durch Auslesen von geräteinternen und/oder über ein Datennetzwerk synchronisierte Uhren gemessen und/oder mittels einer in der Vermittlungseinheit befindlichen Uhr gemessen werden (Abs. 0021). Die sich anschließende Zweckangabe nach Merkmal 1.4.1 lässt syntaktisch offen, auf welche Mittel der vorangehenden Merkmale Bezug genommen wird („
um eine Datenübertragung … einzuleiten“). Die Streitpatentschrift beschreibt in Absatz 0007 das Vorliegen von Orts-
und Zeitinformationen als Voraussetzung, um im Sinne von Merkmal 1.4.1 die Datenübertragung zwischen den Kommunikationsendgeräten einzuleiten. Das Streitpatent gibt keinen Hinweis auf einen anderen Zusammenhang. Daher geht der Fachmann von einer Bezugnahme auf die Berechnung und Auswertung der räumlichen
und der zeitlichen Distanz im Hinblick auf die Mittel nach Merkmal 1.3 und 1.4 aus. Die Bestimmung und/oder Auswertung der örtlichen Distanz der Endgeräte und der zeitlichen Abstände von Kommunikationsanfragen dient somit dazu, eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten einzuleiten (
Merkmal 1.4.1).
114
Das System nach Anspruch 1 umfasst weiterhin ein Verbindungsmittel, das dem Steuern der Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten dient und welches der Vermittlungseinheit zugeordnet ist. Diese Steuerung erfolgt in Abhängigkeit von vorgebbaren Schwellenwerten der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte und dem zeitlichen Abstand der Kommunikationsanfragen (
Merkmal 1.5). Hierbei ist das Steuern der Datenübertragung so zu verstehen, dass – bei erfüllten Bedingungen hinsichtlich Orts- und Zeitabstand (Abs. 0007, 0036) – die Vermittlungseinheit die Voraussetzungen zur eigentlichen Datenübertragung schafft, indem je nach gewünschter oder vorbestimmter Übermittlungsart die Daten selbst oder eine Adresse des Speicherorts der Daten übermittelt werden (Abs. 0046, 0047 und Abs. 0058, 0061, 0063). Das „Steuern“ der Datenübertragung gemäß Merkmal 1.5 präzisiert somit das „Einleiten“ der Datenübertragung nach Merkmal 1.4.1 hinsichtlich einer Berücksichtigung von Schwellenwerten bei der Auswertung des zeitlichen und räumlichen Abstands. Für einen solchen Zusammenhang zwischen den Merkmalen 1.4.1 und 1.5 spricht zudem die Zugehörigkeit dieser Merkmale zur gleichen Merkmalsgruppe „d)“. Merkmal 1.5 stellt daher – entgegen dem Verständnis der Beklagten – keine vom Einleiten der Kommunikation nach Merkmal 1.4.1 unabhängige Maßnahme dar, denn eine Steuerung, die nach dem Einleiten der Datenübertragung unter Auswertung von Zeit- und Ortsinformationen gemäß Merkmal 1.4.1 steuernd in diese (bereits eingeleitete) Datenübertragung eingreift oder eine nochmalige, zweite Bewertung von Zeit- und Ortsinformationen vornimmt, ist dem Streitpatent nicht zu entnehmen. Die Auswertung von Zeit- und Ortsinformationen ist bereits Voraussetzung für das „Einleiten“ der Datenübertragung (vgl. Merkmal 1.4.1 i. V. m. Merkmal 1.4 und Merkmal 1.3). Dies genügt auch gemäß den Ausführungsbeispielen der Streitpatentschrift als Voraussetzung für die Übertragung der Nutzdaten, ohne dass zu deren Steuerung die Zeit- und Ortsinformationen ein weiteres Mal ausgewertet werden (Abs. 0034, 0045, 0057-0058, 0081-0086).
115
Die jeweilige Kommunikationsanfrage ist – für Sende- und Empfangsanfragen – immer an die Vermittlungseinheit gerichtet (vgl. auch Merkmale 1.4 und 1.5), womit die einzelnen Kommunikationsendgeräte keine Kenntnis von den Kommunikationsanfragen der anderen Endgeräte haben. Die Mittel zur Auswertung der örtlichen oder zeitlichen Distanz nach Anspruch 1 sind daher implizit der Verbindungseinheit zugeordnet, da eine entsprechende Auswertung durch diese Mittel die Kenntnis der Zeitpunkte der (mehreren) Kommunikationsanfragen an die Vermittlungseinheit von (mehreren) Kommunikationsendgeräten und deren jeweilige Position voraussetzt (Abs. 0034, 0035, 0057, 0076 und Fig. 1 mit Beschreibung). Folglich ergibt sich auch aus der „Zuordnung“ des Verbindungsmittels zur Vermittlungseinheit – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht, dass diese in einer oder mehreren Kommunikationsendgeräten realisiert ist, da die Funktionalität des Verbindungsmittels nach Merkmal 1.5 ebenfalls auf der Kenntnis der räumlichen Distanz der Endgeräte und dem zeitlichen Abstand der Kommunikationsanfragen beruht.
116
Aufgrund der Beschreibung der Schwellenwerte als vorgebbar und nicht als vorgegeben liest der Fachmann mit, dass diese änderbar sind. Es handelt sich daher nicht um einmalig vom Hersteller des Systems festgelegte Toleranzbereiche, sondern um Werte, die beispielsweise vom Nutzer vorgegeben oder aufgrund der Nähe von mehreren Kommunikationsendgeräten automatisch angepasst werden können (Abs. 0037, 0038).
117
In
Merkmal 1.6 sind mehrere Möglichkeiten zum Auslösen einer Kommunikationsanfrage in Kombination bzw. als Alternativen angeführt. Anspruch 1 sieht vor, dass die Kommunikationsanfrage an mindestens einem Kommunikationsendgerät durch Betätigen mindestens einer Taste, eine Spracheingabe und/oder Berühren des berührungssensitiven Bildschirms auslösbar ist. Die Streitpatentschrift nennt in der Beschreibung und in den Ansprüchen der erteilten Fassung als weitere Möglichkeiten einer Benutzerhandlung außerdem die Bewegung des Kommunikationsendgerätes im Raum sowie ein akustisches Signal (Abs. 0006, 0017-0020, 0088), die jedoch im jeweiligen Anspruch 1 in den verschiedenen Antragsfassungen nicht mehr genannt werden.
118
Eine entsprechende Kodierung gemäß
Merkmal 1.6.1 wird in der Kommunikationsanfrage und/oder dem Anfragedatensatz gespeichert, wobei sich das Merkmal auf die möglichen Aktionen des Nutzers zum Auslösen der Kommunikationsanfrage nach Merkmal 1.6 bezieht, die gemeinsam mit Merkmal 1.6.1 die Merkmalsgruppe „e)“ des Anspruchs 1 bilden. Die Speicherung einer entsprechenden Kodierung ist daher so zu verstehen, dass die jeweilige Kommunikationsanfrage bzw. der ihr zugeordnete Anfragedatensatz eine Information darüber umfasst, wie die Kommunikationsanfrage ausgelöst wurde und nicht nur, welches Kommunikationsendgerät diese ausgelöst hat. Die Kodierung ist – auch mangels näherer Angaben im Streitpatent – nicht darauf beschränkt, dass die Handlung selbst benannt und entsprechend kodiert wird, sondern schließt auch die kodierte Angabe charakteristischer Daten – bspw. Berührungsmuster oder Bewegungsdaten – mit ein.
119
Die Notwendigkeit einer Angabe der Art der Bedienhandlungen in der Kommunikationsanfrage bzw. im Anfragedatensatz ergibt sich daraus, dass die Vermittlungseinheit entscheiden muss, ob an zwei oder mehr Kommunikationsendgeräten eine korrespondierende Bedienhandlung vorgenommen wurde.
120
Welche weiteren Informationen die Kommunikationsanfrage umfasst, ist nicht explizit angegeben. Da in der Vermittlungseinheit neben der Identifikation der Kommunikationsendgeräte auch Angaben zu Ort und Zeit der jeweiligen Anfrage und ggf. die Adresse des Nutzdatensatzes verwendet werden, was eine entsprechende Übermittlung voraussetzt, können Kommunikationsanfragen diese ggf. mit umfassen (Abs. 0083, 0084, sowie Abs. 0026, 0027). Zum Inhalt des „Anfragedatensatzes“ ist der Streitpatentschrift nur zu entnehmen, dass dieser eine eindeutige Identifizierung des Kommunikationsendgeräts erlaubt (Abs. 0083).
121
b)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem Hauptantrag um die
Merkmalsgruppe 1.7H1 (Merkmalsgruppe „f)“) ergänzt, wonach vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage ein zu sendender Nutzdatensatz auswählbar ist, insbesondere wobei der Nutzdatensatz aus einer vordefinierten Menge von Nutzdatensätzen automatisch anhand spezifischer Merkmale der Signalisierung der Kommunikationsanfrage, insbesondere der Kodierung des Anfragedatensatzes, auswählbar ist. Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist damit gegenüber dem Hauptantrag dahingehend eingeschränkt, dass das System ermöglicht, einen zu sendenden Nutzdatensatz vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage auszuwählen, also bevor die Kommunikationsanfrage beispielsweise durch eine oder mehrere Nutzerhandlungen nach Merkmal 1.6 ausgelöst wird. Bei den weiteren Präzisierungen der Merkmalsgruppe 1.7
H1 hinsichtlich einer automatischen Auswahl handelt es sich um fakultative, mit „insbesondere“ gekennzeichnete Merkmale, die den Anspruch nicht weiter beschränken.
122
c)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sieht ergänzend zur Anspruchsfassung nach Hauptantrag ausdrücklich vor, dass die Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und zur Bestimmung und/oder Auswertung von zeitlichen Abständen der Kommunikationsanfragen Teil der Vermittlungseinheit sind (
Merkmal 1.3H2, 1.4H2). Das Einleiten und Steuern der Datenübertragung basiert darauf, dass notwendige Bedingungen zur räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und der zeitlichen Abstände der Kommunikationsanfragen erfüllt sind (
Merkmale 1.5.1H2und 1.5.2H2). Dementsprechend werden in den Kommunikationsanfragen des ersten und zweiten Kommunikationsendgeräts jeweils (unter anderem) Ort und Zeit ermittelt und an die Vermittlungseinheit übertragen (
Merkmale 1.2.3H2und 1.2.4H2).
123
Ein mit der Vermittlungseinheit datentechnisch verbundener Datenaustauschknoten ist dazu eingerichtet, dass ein Nutzdatensatz von dem mindestens einen ersten Kommunikationsendgerät auf diesen übertragen wird (
Merkmale 1.2.1H2und 1.2.2H2). Ein Zeitpunkt für diese Übertragung ist in Anspruch 1 nicht explizit angegeben, jedoch liest der Fachmann mit, dass die Übertragung des Nutzdatensatzes vor einer ersten Kommunikationsanfrage des ersten Kommunikationsendgeräts erfolgen muss, da in dieser ersten Kommunikationsanfrage an die Vermittlungseinheit unter anderem die Nutzdatenadresse des Nutzdatensatzes übertragen wird (Merkmal 1.2.3
H2). Mit der anschließend von dem (mindestens einen) zweiten Kommunikationsendgerät übermittelten zweiten Kommunikationsanfrage wird angezeigt, dass das zweite Kommunikationsendgerät empfangsbereit gemacht wird (Merkmal 1.2.4
H2), d. h. mit der Kommunikationsanfrage wird die Kommunikationsbereitschaft des zweiten Kommunikationsendgeräts signalisiert und Ort und Zeit der Anfrage übermittelt. Bei erfüllten notwendigen Bedingungen zur räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und zum zeitlichen Abstand der Kommunikationsanfragen nach Merkmal 1.5.1
H2 in Verbindung mit Merkmal 1.5 erfolgt eine Steuerung der Datenübertragung durch das Verbindungsmittel derart, dass die Übertragung des Nutzdatensatzes vom Datenaustauschknoten zu dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät ermöglicht wird (1.5.2
H2). Die Übertragung selbst ist nicht Gegenstand des Anspruchs.
124
d) Die Merkmale des Verfahrensanspruchs 14 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 2 bzw. Anspruch 13 gemäß Hilfsantrag 1 entsprechen inhaltlich jeweils den funktionalen Merkmalen des Systems zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten gemäß dem jeweiligen Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2.
125
5.Zum Hauptantrag
126
Der Hauptantrag der Beklagten ist zulässig, jedoch kann sie das Streitpatent in dieser Fassung nicht erfolgreich verteidigen, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 sich als nicht patentfähig erweist. Dagegen greift der Nichtigkeitsgrund der nicht ausführbaren Offenbarung nicht.
127
a) Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich von der erteilten Fassung des Anspruchs in der Streichung von zwei Alternativen in Merkmal 1.6. Da damit nur die Anzahl mehrerer Alternativen reduziert wurde, geht die Änderung weder über die ursprüngliche Offenbarung hinaus noch wird der Schutzbereich gegenüber der erteilten Fassung erweitert. Patentanspruch 14 wurde in gleicher Weise angepasst.
128
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung weiter geltend gemacht hat, dass die Streichung der Alternative einer Bewegung eines der Kommunikationsendgeräte in Merkmal 1.6 des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag auch keine Beschränkung darstelle, da weiterhin der Anspruch 11 ein „Gesteninterpretationsmittel“ umfasse, ist ihr nicht zuzustimmen.
129
Denn nach Patentanspruch 1 ist das Auslösen zumindest einer der Kommunikationsanfragen mittels einer Geste nicht vorgesehen. Daran ändert auch eine Ausgestaltung gemäß Anspruch 11 nichts, die ergänzend ein zusätzliches Gesteninterpretationsmittel vorsieht.
130
b) Zwar hat die Klägerin keinen Erfolg mit dem Nichtigkeitsgrund der nichtausführbaren Offenbarung, den sie in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen damit begründet hat, dass die in Merkmal 1.6 gestrichene Alternative der Bewegung eines der Kommunikationsendgeräte (auch als Geste bezeichnet) als einzige Ausführungsform im Streitpatent detailliert offenbart sei.
131
Merkmal 1.6 zählt verschiedene Möglichkeiten auf, mit denen ein Nutzer eine „Kommunikationsanfrage“ auslösen kann, d. h. mit denen der Nutzer zu diesem Zweck mit einer Applikation auf seinem Endgerät interagiert. Angesichts dessen, dass zu den Alternativen in Merkmal 1.6 Eingaben mittels Tastatur und Touchscreen zählen, welche auch zum Anmeldezeitpunkt die üblichen Eingabemittel zur Bedienung von Applikationen in Mobiltelefonen darstellten, greift der Einwand der Klägerin nicht durch.
132
Der Gegenstand des Streitpatents ist daher auch für die verbliebenen Alternativen in Merkmal 1.6 so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann diese ausführen kann.
133
c) Der Gegenstand des
Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht gegenüber Druckschrift NK8b nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. II § 6 Abs 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ).
134
aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten gehört der sog. Bump-Artikel zum Stand der Technik. Das Dokument war vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents öffentlich zugänglich, da es bereits im April 2009 in der Fassung der NK8b im Internet auf dem Portal AppScout veröffentlich wurde.
135
Offenbarungen im Internet gehören – entgegen der von der Klägerin zitierten, zwischenzeitlich überholten Rechtsprechung BPatGE 46, 76 (= GRUR 2003, 323) –; grundsätzlich zum Stand der Technik, dies jedenfalls dann, wenn sie genügende Zeit zugänglich bleiben, um mit Hilfe einer üblichen Suchmaschine aufgefunden zu werden (Moufang, in: Schulte, PatG, 11. Aufl., § 3 Rn. 41 mwN; vgl auch weitergehend BGH GRUR 2022, 59, Rn, 83 – Diskontinuierliche Funkverbindung). Vorliegend belegen die von der Klägerin vorgelegten Dokumente eine diesen Anforderungen genügende Internet-Veröffentlichung des „Bump-Artikels“ auf der Webseite AppScout zum Zeitpunkt Ende April 2009.
136
Sämtliche vorgelegten Ausdrucke des Bump-Artikels (Anlagen NK8 sowie NK8a bis c) weisen übereinstimmend das Datum „April 24, 2009“ auf, bei dem es sich naheliegend um das (redaktionelle) Erscheinungsdatum des Artikels handelt (vgl. BPatG, Urteil vom 13.12.2016, 3 Ni 5/16 – Thermische Isoliermatte, juris). Die Klägerin hat mit der Anlage NK8b ferner eine Bildschirmkopie der „Internet Archive Wayback Machine“ (https://web.archive.org) vorgelegt, die den Bump-Artikel auf der Webseite von AppScout (www.apscout.com) zeigt und die hierzu den 27. April 2009 als Erfassungsdatum (Datum der Erfassung durch die Wayback Machine) aufweist. Soweit in den weiteren Anlagen NK8, 8a und 8c mit dem Bump-Artikel jeweils am Textende vermerkt ist: „
This post originally appeared on AppScout“, stützt dies den Vortrag der Klägerin, dass es sich bei der Veröffentlichung auf der Webseite AppScout (gemäß der NK 8b) um den „Ursprungs-Post“ handelte. Schließlich tritt hinzu, dass sich der Bump-Artikel inhaltlich auf ein konkretes Ereignis aus April 2009 bezieht, nämlich den milliardsten Download im App Store. Das Internet-Veröffentlichungsdatum des Bump-Artikels Ende April 2009 ist daher plausibel und stimmt auch mit der Datierung weiterer Berichterstattung zum selben Ereignis überein (vgl. hierzu die Anlage NK8d, datierend auf „Friday April 24, 2009“ sowie die Google-Recherche gemäß Anlage NK 13, u. a. mit den Fundstellen: www.macworld und www.computerwoche.de (jeweils vom 24.04.2009), „Meet Bump, the App Store’s billioth download“; www.dealerscope.com (27.04.2009), „Apple App Store Hits 1 Billion Downloads with Bump“).
137
Die von der Klägerin vorgelegten Dokumente belegen mithin in ihrer Gesamtschau eine Internet-Veröffentlichung des Bump-Artikels (in der Fassung der NK8b) Ende April 2009 auf der Webseite von AppScout. Aufgrund der Erfassung des auf AppScout eingestellten „Bump-Ursprungsposts“ durch die „Wayback Machine“ ab dem 27. April 2009 (NK8b), der (heute noch überprüfbaren) Verlinkung dieses Artikels in der Anlage NK8d sowie der Archivierung des Bump-Artikels im Online-Archiv von PC Mag (Anlage NK8c), wo der Artikel bis heute abrufbar ist, ist ferner nachgewiesen, dass der auf AppScout veröffentlichte Bump-Artikel (NK8b) für eine hinreichende Zeit der Öffentlichkeit zugänglich war, um mit Hilfe der üblichen Suchmaschinen aufgefunden zu werden. Er gehört daher zum Stand der Technik.
138
Entgegenstehende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Beklagte hat die Vorveröffentlichung des Bump-Artikels in der Fassung der NK8b auf dem Portal AppScout letztlich schon nicht in Abrede gestellt und auch auf den rechtlichen Hinweis des Senats vom 7. April 2022 sowie in der mündlichen Verhandlung insoweit keine Zweifel mehr erhoben. Soweit sich ihr Bestreiten alleine auf die Vorveröffentlichung des Artikels in der Fassung der Anlage NK8 auf der konkreten Webseite des PC Mag (www.pcmag.com) bezog, kommt es hierauf nicht an. Denn da der Bump-Ursprungspost jedenfalls auf AppScout bereits Ende April 2009 öffentlich zugänglich und damit Stand der Technik war, kann die Frage, ob auch eine (weitere) Vorveröffentlichung aufgrund einer Einstellung auf der Webseite von PC Mag (www.pcmag.com) zu bejahen ist, dahingestellt bleiben.
139
bb) Aus der
Druckschrift NK8b ist, in Worten des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ausgedrückt, Folgendes bekannt:
140
1 System zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten, mit
141
1.1 a) mindestens einem ersten Kommunikationsendgerät und mindestens einem zweiten Kommunikationsendgerät ,
142
wobei mindestens ein Kommunikationsendgerät als mobiles Gerät, insbesondere Handgerät, ausgebildet ist,
143
(…
to trade contact information, vgl. zweiter Absatz;
phone, email, address, photo, or the entire contact card, vgl. dritter Absatz; in Verbindung mit:
„bump“ your device together with another, vgl. zweiter Absatz; sowie: …
iPhones and iPod Touches, vgl. erster Absatz;
phone, vgl. vierter Absatz)
144
1.2 b) einer mit allen Kommunikationsendgeräten über ein Datennetzwerk koppelbaren Vermittlungseinheit,
145
(Kontaktdaten (
contact information, vgl. zweiter Absatz;
the entire contact card, vgl. dritter Abs.) sind über das Datennetzwerk (
Internet connection) zwischen allen Kommunikationsendgeräten (
iPhones and iPod Touches, vgl. erster Absatz) und einer mit dem Netzwerk koppelbaren Vermittlungseinheit (
Bumps’s Internet server) austauschbar:
two phones upload their contacts to Bump’s servers in an encrypted format, downloading the other contact in exchange, vgl. vierter Absatz)
146
1.3 c) einem Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte,
147
(Der Fachmann liest mit, dass ein Mittel vorhanden ist, welches die räumliche Distanz zwischen zwei Kommunikationsendgeräten berechnet und/oder auswertet, da für das Übertragen der Daten vorausgesetzt wird, dass beide Kommunikationsendgeräte am selben Ort sind:
Bump’s Internet Server, which checks to see if another phone is being bumped or wavedin the same location…, vgl. vierter Absatz i. V. m.
uses the iPhones and iPod Touches … location data, vgl. erster Absatz)
148
1.4 d) einem Mittel zur Bestimmung und/oder Auswertung von zeitlichen Abständen von Kommunikationsanfragen an die Vermittlungseinheit,
149
(Der Fachmann liest weiter mit, dass ein Mittel vorhanden ist, welches den zeitlichen Abstand zwischen zwei Kommunikationsanfragen berechnet und/oder auswertet, da für das Übertragen der Daten vorausgesetzt wird, dass beide Kommunikationsanfragen zur selben Zeit erfolgen:
Bump’s Internet Server, which checks to see if another phone is being bumped or waved …at the same time, vgl. vierter Absatz. Da der Nutzer die zu übertragenden Daten auswählt und anschließend (
Then, …) eine bestimmte Geste ausführt (
…, bump the phone. Or wave it, vgl. vierter Absatz) und daraufhin die Anwendung auf seinem Kommunikationsendgerät die Vermittlungseinheit alarmiert (
The app alerts Bump’s Internet server; vgl. vierter Absatz), handelt es sich bei diesem Alarmieren um eine Kommunikationsanfrage an die Vermittlungseinheit)
150
1.4.1 um eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten einzuleiten,
151
(Das gleichzeitige Auftreten der Gesten (
is being bumped or waved …
at the same time) und die räumliche Nähe (
is being bumped or wavedin the same location…) sind Voraussetzung für das Einleiten der Datenübertragung:
If it finds a match …
two phones upload their contacts to Bump’s servers in an encrypted format, downloading the other contact in exchange, vgl. jeweils vierter Absatz)
152
1.5teil wobei ein der Vermittlungseinheit zugeordnetes Verbindungsmittel, in Abhängigkeit von
vorgebbaren Schwellenwerten der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte und des zeitlichen Abstands zwischen den Kommunikationsanfragen die Datenübertragung steuert, und
153
(Das Steuern der Datenübertragung (
two phones upload their contacts to Bump’s servers in an encrypted format, downloading the other contact in exchange, vgl. jeweils vierter Absatz) über die Vermittlungseinheit bzw. ein funktional darin enthaltenes Verbindungsmittel (
Bumps’s Internet server) erfolgt in Abhängigkeit eines Toleranzbereichs der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte (…
waved two Apple devices about ten feet apart; vgl. fünfter Absatz) und implizit innerhalb eines vorbestimmten zeitlichen Abstands, da ein gemeinsames und damit weitgehend gleichzeitiges Ausführen der auslösenden Gesten mit den Endgeräten vorausgesetzt wird. Der Fachmann wird einerseits einen beliebigen räumlichen und zeitlichen Abstand der Gesten der Endgeräte ausschließen, da der Server in der Lage sein muss, einen Zusammenhang zwischen den Kommunikationsanfragen (
The app alerts…) zu erkennen. Andererseits ist eine völlig gleichzeitige Ausführung der Gesten der Nutzer nicht zu erwarten. Daher liest er einen Toleranzbereich bzw. eine räumliche und zeitliche Grenze mit, die als Schwellenwert verstanden werden kann. Die Möglichkeit, jeweils einen solchen Schwellenwert für die räumliche Distanz und den zeitlichen Abstand der Kommunikationsanfragen vorzugeben, ist jedoch nicht genannt.)
154
1.6teil e) wobei die Kommunikationsanfrage an mindestens einem Kommunikationsendgerät
durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20), eine Spracheingabe und/oder Berühren des berührungssensitiven Bildschirms auslösbar ist
155
(Mit dem Winken (
wave) oder Anstoßen (
bump) sind zwei verschiedene Bewegungen der Kommunikationsendgeräte vorgesehen, die jeweils dem Auslösen einer Kommunikationsanfrage dienen. Daraus, dass die App jeweils die Vermittlungseinheit über ein solches Ereignis gezielt informiert (
The app alerts Bump’s Internet server…), folgt, dass die App ein solches Ereignis auch erkennt und nicht nur ständig Bewegungsdaten an die Vermittlungseinheit überträgt, womit die jeweilige Benachrichtigung des Servers als Kommunikationsanfragen im Sinne des Streitpatents zu verstehen ist:
Then, bump the phone. Or wave it … The app alerts Bump’s Internet server, which checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time; vgl. vierter Absatz.)
156
1.6.1 und eine entsprechende Kodierung in der Kommunikationsanfrage und/oder dem Anfragedatensatz gespeichert wird.
157
(Der Fachmann liest mit, dass eine Information über die Art der Bewegung des Endgeräts (
wave,
bump) geeignet kodiert in der Kommunikationsanfrage übermittelt bzw. gespeichert wird. Denn mit dem Winken (
wave) und Anstoßen (
bump) sind verschiedene Gesten zum Einleiten einer Datenübertragung möglich. Da die Vermittlungseinheit (
Bumps’s Internet server) prüfen muss, ob Ort und Zeit als Voraussetzung für den Datenaustausch übereinstimmen, muss sie auch in der Lage sein, die verschiedenen Gesten zu unterscheiden und einander zuordnen zu können, womit zwangsläufig wiederum eine geeignete Information über die vom Endgerät erkannte Bewegung in der Kommunikationsanfrage (
The App alerts…, vgl. vierter Absatz) enthalten sein muss.)
158
Mithin stimmt der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag mit dem aus der NK8b bekannten System im oben dargelegten Umfang überein. Als Unterschiede verbleiben die vorgebbaren Schwellenwerte (Rest des Merkmals 1.5) und die Art der Auslösung der Kommunikationsanfrage (Rest des Merkmals 1.6).
159
Ein Vorsehen vorgebbarer Schwellenwerte (Rest des Merkmals 1.5) an Stelle der ohnehin erforderlichen Toleranzbereiche bei Ort- und Zeitbestimmung ergibt sich naheliegend ausgehend von Druckschrift NK8b aufgrund fachmännischer Überlegungen in Verbindung mit dem Fachwissen, wie es beispielsweise die Druckschriften NK9 und NK12 belegen.
160
Der Klägerin ist hinsichtlich der Bestimmung einer Orts- und Zeitdifferenz (Merkmale 1.3, 1.4 und 1.5) zuzustimmen, dass diese zwangsläufig einen jeweiligen Toleranzbereich voraussetzt. Denn die Genauigkeit der Orts- und Zeitbestimmung ist einerseits von der Ausstattung und den Voreinstellungen des Endgeräts abhängig (bspw. Zeitsynchronisierung, aktive Methoden zur Ortsbestimmung), andererseits ist offensichtlich, dass Auslösehandlungen wie das Winken (
wave) zwischen den Nutzern nie exakt gleichzeitig erfolgen. Allerdings stellt die Vorgabe eines solchen Toleranzbereichs für den Auslösezeitpunkt bei der Implementierung, die der Fachmann mitlesen würde, keine Vorgebbarkeit bzw. Einstellbarkeit im Sinne des Merkmals 1.5 beim Betrieb des anspruchsgemäßen Systems dar. Bei der Auswertung des Ortes wird auch in Druckschrift NK8b bereits von einem Bereich ausgegangen, in dem sich die Benutzer mit ihren Kommunikationsendgeräten beim Auslösen der Kommunikationsanfrage aufhalten, wofür eine zulässige Distanz zwischen den Endgeräten festgelegt ist (
A colleague and I waved two Apple devices about ten feet apart, and they connected; vgl. fünfter Absatz). Eine Vorgebbarkeit bzw. Einstellbarkeit dieser Distanz beim Betrieb des anspruchsgemäßen Systems im Sinne des Merkmals 1.5 ist nicht ersichtlich. Es ist daher der Druckschrift NK8b weder nutzer- noch serverseitig eine Anpassung des Orts- oder Zeitbereichs entnehmbar. Vielmehr sieht die NK8b nur ein Wiederholen der Kommunikationsanfragen vor (…
the app will just ask to re-bump…; vgl. fünfter Absatz), falls die Kommunikationspartner nicht eindeutig identifizierbar sind. Aus dieser – aus Nutzersicht unbefriedigenden Lösung – ergibt sich allerdings eine Veranlassung für den Fachmann, nach Möglichkeiten zu suchen, die zu einer verbesserten eindeutigen Zuordnung der Kommunikationsanfragen bei größeren Personengruppen oder bei nicht eindeutiger Erkennung der Bewegung von infrage kommenden Kommunikationspartnern bzw. deren Endgeräten führen.
161
Um das System flexibler und dabei die Zuordnung der Kommunikationspartner sicherer zu gestalten, erkennt der Fachmann aufgrund seines Fachwissens, dass eine Konfigurierbarkeit des zwangsläufig erforderlichen Toleranzbereichs durch vorgebbare Schwellenwerte möglich ist und durch Anpassung des Zeit- und/oder Ortsbereichs zu einer entsprechenden Einschränkung der Zahl der in Frage kommenden Kommunikationspartner führen kann. Damit wird jeweils eine verbesserte Zuordnung ermöglicht, ohne dass die Nutzer die Gesten zur Einleitung der Kommunikation mehrmals wiederholen müssen. Dass die Anwendung solcher vorgebbaren Schwellenwerte zum Fachwissen gehört, wird beispielsweise belegt durch die Druckschriften NK9 (vgl. zweite Seite, Abschnitt
Sticky Shadow:
configured … to be available in only a specific area und Figur 1) und NK12 (vgl. Spalte 14, Zeilen 45-51:
a preferred distance defined by the user). Denn diese Druckschriften lehren unterschiedliche Anwendungsfälle zum Einleiten einer Kommunikation bzw. Datenübertragung, wobei jeweils die Möglichkeit der Vorgabe des relevanten Aufenthaltsbereichs des Endgeräts durch den Nutzer besteht, also ein Schwellenwert für den ermittelten Aufenthaltsort vorgebbar ist. Solche Schwellenwerte auch auf den zeitlichen Abstand der Kommunikationsanfragen anzuwenden, ist aufgrund der zugrundeliegenden Problemstellung und des offensichtlich sowohl bei der Ortsbestimmung auch für die Zeitbestimmung erforderlichen Toleranzbereichs naheliegend (Rest des Merkmals 1.5).
162
Ein Auslösen einer Kommunikationsanfrage durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät und/oder durch Berühren des berührungssensitiven Bildschirms (Rest des Merkmals 1.6) ergibt sich ebenfalls naheliegend ausgehend von Druckschrift NK8b aufgrund fachmännischer Überlegungen in Verbindung mit dem Fachwissen, wie es beispielsweise die Druckschriften NK6, NK7 und NK11 belegen.
163
Druckschrift NK8b sieht kein Auslösen einer Kommunikationsanfrage durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät, durch Spracheingabe und/oder durch Berühren des berührungssensitiven Bildschirms vor, sondern nur durch verschiedene Gesten durch Bewegen des Endgeräts (
Then, bump the phone. Or wave it; vgl. vierter Absatz). Das Verwenden einer Tastatureingabe oder eines Berührungsmusters des berührungsempfindlichen Bildschirms gemäß dem fehlenden Rest des Merkmals 1.6 als Ergänzung oder Alternative zu einer Bewegung des Endgeräts (
bump,
wave) gemäß Druckschrift NK8b zum Einleiten der Kommunikationsanfrage ist allerdings dem Fachwissen des Fachmanns zuzurechnen, da Tastatur und berührungsempfindlicher Bildschirm zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents mit Abstand die gebräuchlichsten Mittel zur Benutzerinteraktion mit einem Kommunikationsendgerät waren. Auch hier liegt die Veranlassung für den Fachmann in der in Druckschrift NK8b beschriebenen Problemstellung, dass Kommunikationsanfragen nicht eindeutig einander zuordenbar sein können, wofür Druckschrift NK8b als einzige Lösung ein (ggf. mehrfaches) Wiederholen der auslösenden Bewegung der Endgeräte vorsieht. Durch die (alternative oder zusätzliche) Nutzung einer Tatstaureingabe oder eines Berührungsmusters des berührungsempfindlichen Bildschirms kann eine Fehlinterpretation der einander zuzuordnenden Bewegungen verringert werden, insbesondere, wenn sich die relevanten Personen selbst bewegen und damit unbeabsichtigt eine Bewegung des Endgeräts verursachen, die anhand der Beschleunigungsmessung des Endgeräts als Wink- oder Stoßbewegung (
wave, bump) interpretiert würde.
164
Zudem hat der Fachmann aufgrund seines Wissens um die unterschiedliche Ausstattung von Endgeräten im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents erkannt, dass dadurch auch die Nutzung älterer Endgeräte ermöglicht wird, deren Bewegungserkennung unzuverlässig ist oder die nicht über eine solche verfügen. Bei der Nutzung einer Tasttatur- oder Touchscreen-Eingabe handelt es sich nicht nur um ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel, das zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Fachmanns gehört; der Einsatz der betreffenden Lösungsmittel stellt sich auch als objektiv zweckmäßig dar (BGH, Urteil vom 11. März 2014 – X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 – Farbversorgungssystem; BGH, Urteil vom 27. März 2018 – X ZR 59/16, GRUR 2018, 716 – Kinderbett).
165
Das zusätzliche Vorsehen der Möglichkeit einer Tastatureingabe zum Auslösen einer Kommunikationsanfrage mit dem Ziel des Verbindungsaufbaus zwischen zwei Endgeräten folgt für den Fachmann daher ausgehend von Druckschrift NK8b naheliegend aufgrund seines Fachwissens (Rest des Merkmals 1.6). Dass eine solche Möglichkeit zum Auslösen von Kommunikationsanfragen im Prioritätszeitpunkt fachüblich war, zeigen beispielsweise auch die Druckschriften NK11 (Abs. 0037), NK6 (Abs. 0078; 00102) und NK7 (vgl. S. 157, rechte Spalte, zweiter Absatz). Sie beschreiben jeweils die Betätigung von Tasten (
button;
key) oder die Verwendung des berührungsempfindlichen Bildschirms (
touch-screen; vgl. NK6, Abs. 00102) an zwei Kommunikationsendgeräten, um eine Kommunikation zwischen diesen Endgeräten einzuleiten.
166
Soweit die Beklagte weiter die Auffassung vertritt, ein zusätzlicher Unterschied im System gemäß Druckschrift NK8b gegenüber dem Streitpatent liege darin, dass dort die Nähe der Nutzer vorausgesetzt werde, also dass bspw. Sichtkontakt bestehe, ist dem nicht zu folgen. Zwar beschreibt die Streitpatentschrift eine mögliche räumliche Distanz zwischen den Nutzern von bis zu 20 km (vgl. Abs. 0039) bzw. eine mögliche Anwendung in einem Stadion (vgl. Abs. 0040). Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag schließt jedoch weder eine örtliche Nähe der beteiligten Nutzer aus, noch setzt er eine Mindestentfernung der Nutzer oder ihrer Kommunikationsendgeräte voraus.Eine solche Beschränkung auf eine Kommunikation ohne (möglichen) Blickkontakt zwischen den Nutzern folgt auch nicht implizit aus den gegenüber der erteilten Fassung beschränkten Nutzerhandlungen nach Merkmal 1.6, welche unabhängig vom Abstand der beteiligten Nutzer sind.
167
Damit ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag für den Fachmann in naheliegender Weise aus Druckschrift NK8b und seinem Fachwissen.
168
6. Zum Hilfsantrag 1
169
Der Hilfsantrag 1 ist zulässig. Jedoch verteidigt die Beklagte das Streitpatent auch mit dieser Fassung ohne Erfolg, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 nicht patentfähig ist.
170
a) Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber der Fassung nach Hauptantrag dadurch geändert, dass folgendes Merkmal am Ende des Anspruchs angefügt ist:
171
1.7H1 wobei
172
f) vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203) ein zu sendender Nutzdatensatz (90) auswählbar ist, insbesondere wobei der Nutzdatensatz (90) aus einer vordefinierten Menge von Nutzdatensätzen (90) automatisch anhand spezifischer Merkmale der Signalisierung der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203), insbesondere der Kodierung des Anfragedatensatzes (70), auswählbar ist.
173
Merkmal 1.7
H1 entspricht Anspruch 6 der erteilten bzw. den Ansprüchen 7 und 8 der ursprünglich eingereichten Fassung und ist damit ursprungsoffenbart und schränkt den Schutzbereich ein statt ihn zu erweitern. Patentanspruch 14 wurde in gleicher Weise angepasst. Die Anspruchsfassung des Hilfsantrags 1 ist damit zulässig.
174
b) Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die mangelnde Ausführbarkeit des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag aufgrund der Änderung des Merkmals 1.6 geltend gemacht, welche sich auch in der Fassung nach Hilfsantrag 1 wiederfindet. Es wird daher auf die Ausführungen zur Ausführbarkeit des Anspruchsgegenstands gemäß Hauptantrag verwiesen, welche für den Hilfsantrag 1 in gleicher Weise gelten. Der Gegenstand des Streitpatents ist auch in der Fassung des Hilfsantrags 1 so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann diese ausführen kann.
175
c) Der Gegenstand des
Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht ausgehend von Druckschrift NK8b in Verbindung mit dem Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. II § 6 Abs 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ).
176
Das System gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von der Anspruchsfassung des Hauptantrags nur darin, dass nunmehr „vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage ein zu sendender Nutzdatensatz auswählbar“ sein soll. Bei den weiteren, mit „insbesondere“ eingeleiteten Teilmerkmalen des Merkmals 1.7
H1 handelt es sich um fakultative Angaben, welche den Anspruch nicht weiter beschränken und die bereits aus diesem Grund nicht geeignet sind, eine erfinderische Tätigkeit zu begründen.
177
Druckschrift NK8b ist zu entnehmen, dass eine Auswahl des Nutzdatensatzes (
contact) aus mehreren Nutzdatensätzen vor einer Kommunikationsanfrage (
The app alerts…) erfolgt (vgl. NK8b, vierter Absatz:
You choose the contact to send on Bump’s settings screen, …). Die folgende Auswahl der Datenfelder bezieht sich dabei auf den ausgewählten Kontaktdatensatz (…
along with the fields you want to send…; vgl. jeweils dritter Absatz). Damit ergibt sich Merkmal 1.7
H1 bereits aus Druckschrift NK8b.
178
Hinsichtlich der weiteren Anspruchsmerkmale wird auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen, die für Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 in gleicher Weise gelten. Denn diese Merkmale sind gegenüber dem Hauptantrag unverändert und es ergibt sich aus diesen auch in Kombination mit dem ergänzten Merkmal 1.7
H1 keine darüber hinausgehende synergistische Wirkung.
179
Damit ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus Druckschrift NK8b und seinem Fachwissen.
180
7.Zum Hilfsantrag 2
181
Der Hilfsantrag 2 ist zulässig. Jedoch verteidigt die Beklagte das Streitpatent auch mit dieser Fassung ohne Erfolg, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 nicht patentfähig ist. Dagegen greift der Nichtigkeitsgrund der nicht ausführbaren Offenbarung nicht.
182
a) Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von der Fassung nach Hauptantrag dadurch, dass
183
– die Vermittlungseinheit dahingehend näher charakterisiert ist, dass sie datentechnisch mit einem Datenaustauschknoten gekoppelt ist, wobei ein Nutzdatensatz von dem mindestens einen ersten Kommunikationsendgerät auf den Datenaustauschknoten übertragen wird (Merkmale 1.2.1
H2 und 1.2.2
H2), sowie die Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und des zeitlichen Abstands der Kommunikationsanfragen jeweils einen Teil der Vermittlungseinheit bilden (Merkmale 1.3
H2 und 1.4
H2), und
184
– die Steuerung der Datenübertragung durch das der Vermittlungseinheit zugeordnete Verbindungsmittel derart konkretisiert ist, dass das Verbindungsmittel mit dem Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und mit dem Mittel zur Bestimmung und/oder Auswertung von zeitlichen Abständen der Kommunikationsanfragen registriert, dass die notwendigen Bedingungen für die Datenübertragung erfüllt sind, so dass der Nutzdatensatz (90) vom Datenaustauschknoten (31) zu dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät (20) übertragbar ist (Merkmale 1.5.1
H2 und 1.5.2
H2).
185
Diese Ergänzungen basieren auf der Beschreibung zu Figur 7 der ursprünglichen Unterlagen, wie sie in der WO 2011/007010 A1 veröffentlicht sind und stellen eine zulässige Beschränkung gegenüber der erteilten Fassung dar.
186
b) Der Gegenstand des Streitpatents ist auch in der Fassung des Hilfsantrags 2 so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann diese ausführen kann. Der Auffassung der Klägerin, der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag sei aufgrund der Änderung des Merkmals 1.6, welcher sich auch in der Fassung nach Hilfsantrag 2 wiederfindet, nicht ausführbar offenbart, ist nicht zutreffend. Es wird insoweit auf die Begründung zur Ausführbarkeit des Anspruchsgegenstands gemäß Hauptantrag verwiesen, welche für den Hilfsantrag 2 in gleicher Weise gilt.
187
c) Auch der Gegenstand des
Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht ausgehend von Druckschrift NK8b in Verbindung mit dem Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. II § 6 Abs 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52, 56 EPÜ).
188
Aus Druckschrift NK8b ist bekannt, dass der Nutzdatensatz vor der Übermittlung an ein anderes Endgerät an die Vermittlungseinheit übermittelt wird (…
and the two phones upload their contacts to Bump’s servers…; vgl. vierter Absatz). Dies bedeutet, dass keine direkte Übertragung der Nutzdaten von Endgerät zu Endgerät vorgesehen ist, sondern der Datenaustausch zwischen den Endgeräten ausschließlich über die Vermittlungseinheit erfolgt. Damit übernimmt der als Vermittlungseinheit dienende Server (
Bump’s Internet server) nach Druckschrift NK8b auch die Funktion des Datenaustauschknotens gemäß den Merkmalen 1.2.2
H2 und 1.5.2
H2, womit die Vermittlungseinheit implizit auch datentechnisch mit einem Datenaustauschknoten gekoppelt ist und ein Nutzdatensatz (
contact) von dem mindestens einen ersten Kommunikationsendgerät (
phone) auf den Datenaustauschknoten übertragen wird (
upload their contacts…).
189
Im Unterschied zum vorliegenden Patentanspruch 1 erfolgt das Übertragen des Nutzdatensatzes gemäß Druckschrift NK8b jedoch nicht unabhängig von der ersten Kommunikationsanfrage, sondern erst dann, wenn der Nutzer des ersten Endgeräts die Kommunikation mit einem anderen Nutzer einleiten will, d. h. wenn er durch Anstoßen oder Winken eine Kommunikationsanfrage veranlasst (
Then, bump the phone. Or wave it…; vgl. vierter Absatz).
190
Diese von Druckschrift NK8b abweichende Vorgehensweise ergibt sich für den Fachmann jedoch in naheliegender Weise aus seinem Fachwissen und kann daher eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Denn beim Nutzdatensatz nach Druckschrift NK8b handelt es sich um eine elektronische Visitenkarte (
contact card), die mehrere Kontaktinformationen sowie ein Foto enthalten kann (vgl. dritter Absatz). Eine solche Visitenkarte wird üblicherweise mehrfach verwendet und ändert sich in ihrem Inhalt nur vergleichsweise selten oder gar nicht. Daher ist es aus Gründen der Verringerung des zu übertragenden Datenvolumens (und damit ggf. auch zur Verringerung der Kosten für den Nutzer) und zur Zeitersparnis (insbesondere bei schlechten Netzbedingungen) ausgehend von der Druckschrift NK8b für den zuständigen Fachmann naheliegend, einen solchen, mehrfach verwendbaren Datensatz vorab an die Vermittlungseinheit bzw. den Datenaustauschknoten zu übermitteln und nicht bei jeder Verwendung erneut an die Vermittlungseinheit bzw. den Datenaustauschknoten zu übertragen. Dies gilt auch dann, wenn der Nutzer – wie in Druckschrift NK8b – eine Auswahl aus mehreren Kontaktdatensätzen nutzt, bspw. zur privaten oder geschäftlichen Verwendung (
You choose the contact…; vgl. dritter Absatz), da auch dann die Auswahl des Datensatzes zu einer deutlich verringerten Datenmenge gegenüber der wiederholten Übermittlung der gesamten Visitenkarte (ggf. inklusive Foto) führt. Die
Merkmale 1.2.1H2und 1.2.2H2 ergeben sich damit für den Fachmann nahliegend aus Druckschrift NK8b aufgrund seines Fachwissens.
191
Der aus Druckschrift NK8b bekannte Server (
Bump’s Internet server) zeigt auch die
Merkmale 1.5.1H2und 1.5.2H2.
192
Wenn die Mittel zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte und die Mittel zur Bestimmung und / oder Auswertung von zeitlichen Abständen der Kommunikationsanfragen registrieren, dass die notwendigen Bedingungen für die Datenübertragung erfüllt sind, d. h. wenn in der Vermittlungseinheit festgestellt wird, dass die räumliche Distanz der Endgeräte nicht überschritten ist und die Kommunikationsanfragen in einem ausreichend geringen Zeitabstand erfolgt sind, ist der Nutzdatensatz vom Datenaustauschknoten zu dem mindestens einen zweiten Kommunikationsendgerät übertragbar. Druckschrift NK8b sieht entsprechend vor, dass die Vermittlungseinheit (
Bump’s Internet server) registriert, dass die beiden Endgeräte (
both phones) am gleichen Ort und zur gleichen Zeit angestoßen wurden oder einander zugewinkt haben (
…checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time). In diesem Fall (
If it finds a match…) kann der Nutzerdatensatz (
contact) vom Server in seiner Funktion als Datenaustauschknoten an das zweite Endgerät übermittelt werden (…
downloading the other contact; vgl. jeweils vierter Absatz). Dass dabei gemäß Druckschrift NK8b die Bereitschaft des Nutzers zum Datenaustausch nochmals abgefragt wird (…
asking if you want to trade information) und dass ein gegenseitiger Datenaustausch erfolgt (…
in exchange; vgl. jeweils vierter Absatz), steht nicht im Widerspruch zum Anspruchswortlaut.
193
In Hilfsantrag 2 ist gegenüber dem Hauptantrag weiter ergänzt, dass Ort, Zeit und die Nutzdatenadresse durch das erste Kommunikationsendgerät ermittelt und in der ersten Kommunikationsanfrage übertragen werden (Merkmal 1.2.3
H2).
194
Der Fachmann liest in Druckschrift NK8b bereits mit, dass die Ortsbestimmung durch das Endgerät erfolgt und der Ort zwangsläufig an die Vermittlungseinheit übermittelt werden muss, da die Vermittlungseinheit nach NK8b als Server im Internet (
Bump’s Internet server) selbst keine Ortsinformationen über das Endgerät besitzt, diese aber zur Bestimmung der örtlichen Nähe der Kommunikationsendgeräte benötigt (
The app alerts Bump’s Internet server, which checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time; vgl. vierter Absatz).
195
Ausgehend von Druckschrift NK8b ist es naheliegend, den Zeitpunkt des Auslösens der Kommunikationsanfrage durch das Kommunikationsendgerät zu ermitteln und zu übertragen, da die Endgeräte in Druckschrift NK8b als Telefone (
phones) einerseits für ihre Mobilfunkfunktionen ein zuverlässige Zeitmessung und genaue Uhrzeit benötigen, womit der Fachmann von einer weitgehend verlässlichen Systemzeit des Endgeräts ausgehen kann, und andererseits durch das Erfassen des tatsächlichen Auslösezeitpunkts der Kommunikationsanfrage ermöglicht wird, den tatsächlichen Zeitabstand zwischen dem Auslösen der jeweiligen Kommunikationsanfragen zu ermitteln, ohne dass Verzögerungen auf der Übertragungsstrecke oder bei der Auswertung in der Vermittlungseinheit berücksichtig werden müssen.
196
Da der Nutzerdatensatz gemäß Druckschrift NK8b auswählbar ist (
You choose the contact…; vgl. dritter Absatz) und – wie vorstehend zu Merkmal 1.2.1
H2 und 1.2.2
H2 gezeigt – naheliegend in der Vermittlungseinheit bzw. dem Datenaustauschknoten hinterlegt wird, folgt zwangsläufig, dass der ausgewählte Nutzerdatensatz bei einer Kommunikationsanfrage auch angegeben werden muss, was – wie auf dem Gebiet der Datenverarbeitung üblich – durch Angabe der Adresse erfolgt, unter welcher der Datensatz vom Nutzer des zweiten Kommunikationsendgeräts abgerufen bzw. heruntergeladen werden kann (…
downloading the other contact in exchange). Damit ergibt sich auch
Merkmal 1.2.3H2 für den Fachmann aus Druckschrift NK8b aufgrund seines Fachwissens.
197
Gemäß Hilfsantrag 2 soll weiterhin das zweite Kommunikationsendgerät mit seiner (zweiten) Kommunikationsanfrage gegenüber der Vermittlungseinheit anzeigen, dass es empfangsbereit gemacht wird, also signalisiert, dass eine Kommunikation mit dem ersten Kommunikationsendgerät gewünscht ist, wobei Ort und Zeit durch das zweite Kommunikationsendgerät ermittelt und in der zweiten Kommunikationsanfrage übertragen werden (Merkmal 1.2.4
H2).
198
Nach Druckschrift NK8b ist analog zur Kommunikationsanfrage des ersten Kommunikationsendgeräts eine Benachrichtigung (
The app alerts…) vorgesehen, wenn der Nutzer eine entsprechende Bewegung mit dem zweiten Kommunikationsendgerät ausführt (
bump;
wave). Da die Vermittlungseinheit (
Bump’s Internet server) gemäß Druckschrift NK8b prüft, ob Ort und Zeit übereinstimmen (
The app alerts Bump’s Internet server, which checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time; vgl. vierter Absatz), müssen zwangsläufig auch vom zweiten Endgerät der Aufenthaltsort beim Auslösen der Kommunikationsanfrage und der Zeitpunkt der Kommunikationsanfrage ermittelt werden. Dies geschieht naheliegend aus den gleichen Gründen wie beim ersten Kommunikationsendgerät durch das jeweilige Endgerät (vgl. Ausführungen zu Merkmal 1.2b
H2), welches die Angaben zu Ort und Zeit zur Auswertung an die Vermittlungseinheit (
Bump’s Internet server) übermitteln muss, da diese dort ausgewertet werden (
…, which checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time; vgl. vierter Absatz).
199
Damit ergibt sich
Merkmal 1.2.4H2 für den Fachmann ebenfalls aus Druckschrift NK8b aufgrund seines Fachwissens.
200
Die Anpassungen der
Merkmale 1.3H2und 1.4H2 geben nur das fachmännische Verständnis der Merkmale 1.3 und 1.4 nach Hautantrag wieder, wonach die Vermittlungseinheit (
Bump’s Internet server) geeignet ist, die Bedingungen hinsichtlich des örtlichen und zeitlichen Abstands zu überprüfen und damit die räumliche Distanz der Kommunikationsendgeräte (
phones) und den zeitlichen Abstand der jeweiligen Kommunikationsanfragen (
The app alerts…) zu berechnen oder auszuwerten. Voraussetzung dafür sind zwangsläufig entsprechende Mittel in der Vermittlungseinheit, denn eine Auswertung von örtlichem bzw. zeitlichem Abstand durch die Kommunikationsendgeräte selbst kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil dies eine Kommunikation zwischen den Endgeräten voraussetzen würde, welche aber erst als Reaktion auf die Kommunikationsanfragen durch die Vermittlungseinheit eingeleitet werden soll (vgl. vorstehende Ausführungen zur Auslegung und zu Merkmal 1.3 und 1.4 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag). Entsprechende geeignete Mittel, um zu prüfen, ob ein Anstoßen oder Winken der Endgeräte am gleichen Ort und zur gleichen Zeit erfolgt, liest der Fachmann – wie bereits zum Hauptantrag dargelegt – in Druckschrift NK8b mit (
The app alerts Bump’s Internet server, which checks to see if another phone is being bumped or waved in the same location at the same time; vgl. vierter Absatz).
201
Hinsichtlich der weiteren Anspruchsmerkmale wird auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen, die für Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 in gleicher Weise gelten. Denn diese Merkmale sind gegenüber dem Hauptantrag inhaltlich unverändert und es ergibt sich aus diesen auch in Kombination mit den vorstehend betrachteten ergänzten bzw. geänderten Merkmalen keine darüberhinausgehende technisch synergistische Wirkung.
202
Damit ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 für den Fachmann in naheliegender Weise aus Druckschrift NK8b und seinem Fachwissen.
III.
203
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
204
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.