(Sozialgerichtliches Verfahren – Nichtzulassungsbeschwerde – Verfahrensrüge – Divergenzrüge – Sachaufklärungsrüge – Antrag auf ein Gutachten nach § 109 SGG) (Beschluss des BSG 5. Senat)

BSG 5. Senat, Beschluss vom 31.03.2022, AZ B 5 R 320/21 B, ECLI:DE:BSG:2022:310322BB5R32021B0

§ 103 SGG, § 106 SGG, § 109 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG

Verfahrensgang

vorgehend SG Heilbronn, 20. Januar 2021, Az: S 16 R 60/20, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 15. November 2021, Az: L 10 R 641/21, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

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I. Der 1960 geborene Kläger begehrt die Weitergewährung der ihm aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs seit Mai 2015 befristet bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.9.2019 hinaus. Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den entsprechenden Antrag unter Berufung auf ein von der Psychiaterin P erstelltes Gutachten ab
(Bescheid vom 10.7.2019, Widerspruchsbescheid vom 29.11.2019). Im Klageverfahren hat das SG zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und sodann von Amts wegen ein Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters B eingeholt. Die Begutachtung bei B am 15.7.2020 hat der Kläger nach dem Ausfüllen testpsychologischer Fragebögen und einem Anamnesegespräch (Dauer: 100 Minuten) abgebrochen. Der Sachverständige ist in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bestehe, sich jedoch keine Hinweise auf neurologische Störungen, eine hirnorganische Psychopathologie, eine Psychose aus dem endogenen Formenkreis, eine depressive Einengung oder eine Antriebsstörung fänden. Hinweise auf nicht authentische Beschwerdeschilderungen seien extrem ausgeprägt gewesen. Es seien qualitative Leistungseinschränkungen anzunehmen (Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, mit überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen oder mit Nacht- oder Wechselschicht); quantitative Einschränkungen ließen sich hingegen nicht belegen. Das SG hat ua hierauf gestützt die Klage abgewiesen
(Gerichtsbescheid vom 20.1.2021). Das LSG hat nach ergänzender Befragung des Sachverständigen B die Berufung des Klägers zurückgewiesen
(Urteil vom 15.11.2021). Den Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei dem Nervenarzt R hat es als rechtsmissbräuchlich abgelehnt.

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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel und macht zudem eine Divergenz geltend.

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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat weder eine Divergenz
(Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) noch einen Verfahrensmangel
(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) entsprechend den Anforderungen in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

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1. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht in der erforderlichen Weise gerügt.

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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne
(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels
(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Tatsachen substantiiert dargetan werden, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

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a) Soweit der Kläger beanstandet, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren beantragte Beweiserhebung nach § 109 SGG zu Unrecht unterlassen, muss hier dahinstehen, ob die im Berufungsurteil angeführte Begründung für das Absehen von einer gutachterlichen Anhörung des vom Kläger benannten Arztes tragfähig ist. Das LSG hat ausgeführt, die Gutachten von P und B hätten ihm die notwendigen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt
(LSG-Urteil S 16 unten). Deshalb ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern die Konstellation der Vereitelung einer von Amts wegen nach § 106 SGG durchgeführten Beweiserhebung hier vorgelegen haben könnte
(vgl dazu LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.12.2018 – L 8 R 2569/17 – juris RdNr 22, 39; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 11.12.2019 – L 13 SB 4/19 – juris RdNr 30 ff, 38; Müller in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, Stand 1.2.2022, § 109 RdNr 27). Ungeachtet dessen ordnet § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG ausdrücklich an, dass ein Verfahrensmangel im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht auf eine Verletzung des § 109 SGG gestützt werden kann. Dieser Ausschluss einer Rüge der fehlerhaften Anwendung des § 109 SGG gilt umfassend und unabhängig davon, worauf der geltend gemachte Verfahrensmangel im Einzelnen beruht
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.10.2005 – B 1 KR 107/04 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 14;BSG Beschluss vom 27.6.2019 – B 5 R 1/19 B – juris RdNr 17;BSG Beschluss vom 27.3.2020 – B 9 SB 83/19 B – juris RdNr 14 – jeweils mwN).

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b) Der Kläger rügt darüber hinaus auch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können
(stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 – B 13 RJ 179/03 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 – B 9 SB 71/19 B – juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 – B 5 R 248/20 B – juris RdNr 7; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56; Voelzke in jurisPK-SGG, § 160a RdNr 167, Stand der Einzelkommentierung 4.3.2022).

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Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen in der Beschwerdebegründung nicht. Zwar führt der Kläger aus, er habe in der mündlichen Verhandlung erneut beantragt, ein Gutachten nach § 109 SGG von R einzuholen. Das ausdrückliche Verlangen eines im Berufungsverfahren rechtskundig vertretenen Beteiligten nach einem „Gutachten nach § 109 SGG“, das nicht erkennen lässt, dass eine solche Begutachtung nur hilfsweise beantragt wird, sofern das Gericht eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen nicht für erforderlich hält, ist jedoch kein Beweisantrag iS des § 103 SGG
(vgl BSG Beschluss vom 22.6.2004 – B 2 U 78/04 B – SozR 4-1500 § 160 Nr 4 RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.6.2018 – B 9 V 69/17 B – juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 27.6.2019 – B 5 R 1/19 B – juris RdNr 18 mwN). Im Übrigen hat der Kläger auch nicht aufgezeigt, dass es nach der Rechtsauffassung des LSG auf die von ihm für notwendig erachtete Verlaufsbegutachtung und die Klärung der Frage, ob „eine Besserung des Gesundheitszustandes eingetreten ist“, überhaupt entscheidungserheblich ankam.

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2. Der Kläger hat auch eine Divergenz
(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargetan. Diese liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Darüber hinaus erfordert der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen
(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht
(stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 – B 9a VJ 5/06 B – SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 – B 1 KR 47/16 B – SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 10.8.2021 – B 5 R 108/21 B – juris RdNr 11 mwN).

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Der Beschwerdebegründung lassen sich schon keine unterschiedlichen Rechtssätze entnehmen, die als sich widersprechend gegenübergestellt werden. Der Kläger führt zur Divergenz lediglich aus, „diese Rechtsauffassung“ sei mit der ständigen Rechtsprechung des BSG unvereinbar. Dabei bleibt unklar, ob damit die drei Absätze zuvor wiedergegebenen Ausführungen des LSG zum Grundsatz der objektiven Beweislast oder die zuletzt erwähnte Ansicht des LSG zu den Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Kläger und dem Sachverständigen B gemeint sind. Soweit der Kläger auf Ausführungen im Beschluss des BSG vom 23.6.2015
(B 1 KR 17/15 B – juris RdNr 6) Bezug nimmt, die mangelnde Mitwirkung eines Beteiligten entbinde das Gericht nicht von der Pflicht, noch mögliche Ermittlungen anzustellen, zeigt er nicht auf, inwiefern dies einem vom LSG aufgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtssatz widerspricht. Zur ordnungsgemäßen Darlegung des Beruhens der angefochtenen Entscheidung auf einer Rechtsprechungsabweichung reicht schließlich die Behauptung nicht aus, es sei „nicht auszuschließen, dass bei Durchführung der weiteren Beweisaufnahme der Rechtsstreit zu einer günstigeren Lösung für die Position des Klägers geführt hätte“.

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Letztlich beanstandet der Kläger auch mit seiner Divergenzrüge, dass das LSG das von ihm geforderte Gutachten nach § 109 SGG als „noch mögliche Ermittlungen“ nicht in Auftrag gegeben habe. Die Rüge einer Verletzung des § 109 SGG ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedoch auch insoweit ausgeschlossen, als sie in Gestalt einer Divergenzrüge präsentiert wird.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab
(vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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