Verhandlungstermin am 13. Mai 2022 um 9.00 Uhr in Sachen V ZR 23/21 (Nachbarstreit über grenzüberschreitende Wärmedämmung)
Ausgabejahr2022
Erscheinungsdatum29.03.2022
Nr. 040/2022
Der unter anderem für das Nachbarrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verhandelt erneut über ein Verfahren, in dem zu klären ist, ob eine landesrechtliche Regelung – hier des Landes Berlin –, die eine grenzüberschreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlaubt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Sachverhalt:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Berlin. Das auf dem Grundstück der Beklagten stehende Gebäude ist ca. 7,5 m niedriger als das Gebäude der Klägerin. Diese will im Rahmen einer Fassadensanierung den seit 1906 nicht mehr sanierten grenzständigen Giebel ihres Gebäudes mit einer 16 cm starken mineralischen Dämmung versehen und in diesem Umfang über die Grenze zum Grundstück der Beklagten hinüberbauen.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes zu dulden. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Das Landgericht meint, die Beklagte sei nach § 16a NachbarG Bln verpflichtet, das Anbringen der Wärmedämmung an der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes zu dulden. Die Norm sei verfassungsgemäß. Dem Land habe im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung die Gesetzgebungskompetenz zu ihrem Erlass zugestanden. Die in § 16a NachbarG Bln getroffene Regelung sei auch materiell
verfassungsgemäß. Sie begünstige nicht einseitig die Interessen des dämmenden Eigentümers, sondern sei vor dem Hintergrund der allgemein anerkannten Notwendigkeit der Steigerung der Energieeffizienz und der Senkung des Energiebedarfs zu sehen. Der Landesgesetzgeber habe bewusst auf unbestimmte Rechtsbegriffe verzichtet. Zwar sehe die Vorschrift keine Einschränkungen der Duldungspflicht vor – die sich aber aus allgemein geltenden Rechtsgrundsätzen ableiten ließen -, dafür aber den Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung des Überbaus, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen wolle. Zudem werde dem dämmenden Eigentümer die Unterhaltungspflicht für den Wärmeschutzüberbau auferlegt. Die Verweisung auf § 17 Abs. 3 NachbarG Bln stelle die zügige und schonende Ausübung des Überbaurechts sicher, die Verweisung auf § 912 Abs. 2 BGB die Entschädigungspflicht.
Schwerpunkt des Revisionsverfahrens:
Der Senat hat zwischenzeitlich in seinem zu § 23a Abs. 1 NachbarG NW ergangenen Urteil vom 12. November 2021 (V ZR 115/20) entschieden, dass Regelungen, die den Grundstückseigentümer zur Duldung einer nachträglichen grenzüberschreitenden Wärmedämmung des Nachbargebäudes verpflichten, aufgrund des Vorbehalts in Art. 124 EGBGB von der Gesetzgebungskompetenz der Länder umfasst sind (siehe hierzu die
Pressemitteilung Nr. 210/21).
Im vorliegenden Verfahren wird es in der Revisionsinstanz daher vor allem um die Frage gehen, ob die Regelung in § 16a NachbarG Bln materiell verfassungsgemäß ist, namentlich ob der Landesgesetzgeber den ihm bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten hat. Während die in anderen Bundesländern getroffenen Regelungen zumeist differenzierte Vorgaben zu Inhalt und Grenzen der Duldungspflicht vorsehen (vgl. § 7c NRG BW; Art. 46a BayAGBGB; § 19a BbgNRG; § 74a HBO; § 10a NachbarG HE; § 21a NNachbG; § 23a NachbarG NW; § 19a NachbarG SL; § 15 NachbarG SH; § 14a ThürNRG), setzt die Duldungspflicht des Nachbarn nach § 16a NachbarG Bln allein voraus, dass der Überbau zum Zwecke der Wärmedämmung eines Bestandsgebäudes erfolgt.
Vorinstanzen:
AG Pankow/Weißensee – Urteil vom 24. Januar 2018 – 7 C 245/17
LG Berlin – Urteil vom 28. Januar 2021 – 65 S 52/18
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 16a NachbarG Bln Wärmeschutzüberbau der Grenzwand
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks hat die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht.
(2) Im Falle des Wärmeschutzüberbaus ist der duldungsverpflichtete Nachbar berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen will.
(3) Der Begünstigte des Wärmeschutzüberbaus muss die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funktionsgerechten Zustand erhalten. Er ist zur baulichen Unterhaltung der wärmegedämmten Grenzwand verpflichtet.
(4) § 17 Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) § 912 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt entsprechend.
§ 912 BGB Überbau; Duldungspflicht
(1) Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, so hat der Nachbar den Überbau zu dulden, es sei denn, dass er vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.
(2) Der Nachbar ist durch eine Geldrente zu entschädigen. Für die Höhe der Rente ist die Zeit der Grenzüberschreitung maßgebend.
Art. 124 EGBGB Nachbarschaftsrecht
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen. Dies gilt insbesondere auch von den Vorschriften, nach welchen Anlagen sowie Bäume und Sträucher nur in einem bestimmten Abstand von der Grenze gehalten werden dürfen.
Karlsruhe, den 29. März 2022
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501