BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 20.01.2022, AZ III ZR 194/19, ECLI:DE:BGH:2022:200122UIIIZR194.19.0
§ 252 HGB, § 253 Abs 4 S 1 HGB, § 286 ZPO
Leitsatz
Bilanzielle Bewertung von Forderungen
1. Zur Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz.
2. Zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin (Fortführung von Senat, Urteil vom 23. November 2006 – III ZR 65/06, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14 und BGH, Beschluss vom 9. April 2019 – VI ZR 377/17, VersR 2019, 1033 Rn. 9).
Verfahrensgang
vorgehend OLG Düsseldorf, 23. Oktober 2019, Az: I-14 U 84/18
vorgehend LG Düsseldorf, 13. Juni 2018, Az: 13 O 178/18
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 23. Oktober 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Kläger machen Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb von Hypothekenanleihen der W. AG (im Folgenden: W. AG) unter dem Vorwurf geltend, die beklagte Wirtschaftsprüfergesellschaft habe für den Jahresabschluss der W. AG für das Jahr 2008 zu Unrecht ein Testat erteilt.
2
Hauptgeschäftsgegenstand der 2003 gegründeten, mittlerweile insolventen W. AG, die sich insbesondere durch Hypothekenanleihen finanzierte, waren An- und Verkauf sowie Verwaltung von Grundstücken. Die Beklagte testierte die Jahresabschlüsse der W. AG für die Geschäftsjahre 2007 bis 2012. Die Parteien streiten über die Bewertung des folgenden Vorgangs:
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Im Jahr 2008 erwarb die W. AG sechs Immobilien zum Preis von insgesamt 43.597.000 €, die sie am 28. Oktober 2008 durch drei Verträge an drei jeweils am Vortag gegründete und als GmbH & Co. KG strukturierte Fonds (im Folgenden: Fonds Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3) zu einem Kaufpreis in Höhe von insgesamt 57.850.000 € verkaufte; Besitz, Nutzungen und Lasten sollten sofort übergehen. Die Kaufpreise waren (verzinslich) bis zum 31. Mai 2009 (Fonds Nr. 1), 31. Juli 2009 (Fonds Nr. 2) beziehungsweise 31. Oktober 2009 (Fonds Nr. 3) gestundet. An den Fonds, die ihre Geschäftsadresse mit der W. AG teilten, war jeweils der Vorstandsvorsitzende der W. AG beteiligt.
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Die W. AG stellte die Kaufpreisforderungen mit ihrem Nennwert als offene Forderung in ihren Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2008 (Stichtag: 31. Dezember) ein, der damit einen Überschuss von 4.736.460,87 € aufwies. Die Beklagte testierte am 28. April 2009 den Jahresabschluss, ohne Beanstandungen zu erheben.
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In der Folgezeit gab die W. AG sechs Anleihen heraus mit einem Volumen von insgesamt 300 Mio. €, darunter die Anleihe W. 05 über 100 Mio. € mit einem Zeichnungsstart am 1. Oktober 2009. Im Vertriebsprospekt ist die Beklagte als Abschlussprüfer unter Hinweis auf den von ihr erteilten uneingeschränkten Bestätigungsvermerk für die Abschlüsse 2007 und 2008 erwähnt; die Jahresabschlüsse samt Bestätigungsvermerk waren dem Prospekt als Anlagen beigefügt.
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Der Kläger erwarb am 27. Mai 2010, die Klägerin am 6. September 2010 die Anleihe W. 05 zu einem Nennwert von jeweils 25.000 €, wofür sie 25.004,50 € beziehungsweise 25.429,50 € aufwandten. Sie machen geltend, Rückflüsse in Höhe von jeweils 4.793 € erhalten zu haben.
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Am 28. Oktober 2010 trat die W. AG von den Kaufverträgen mit den Fonds Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 zurück, nachdem diese den Kaufpreis nicht bezahlt hatten. Daraufhin erstellte die W. AG rückwirkend korrigierte Jahresabschlüsse für die Jahre 2008 und 2009, in denen die Forderungen gegen die drei Fonds nunmehr mit dem Anschaffungspreis der Immobilien, also mit 43.597.000 € statt mit 57.850.000 €, bewertet waren. Insbesondere dadurch ergab sich für das Jahr 2008 statt eines Überschusses ein Fehlbetrag in Höhe von 6.625.177,45 € und für das Jahr 2009 statt eines Überschusses ein Fehlbetrag in Höhe von 6.817.043,55 €. Die Beklagte testierte die Abschlüsse am 13. Mai 2011.
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Die Kläger machen geltend, die Kaufpreisforderungen hätten offensichtlich nicht mit dem Nennbetrag in den Jahresabschluss für das Jahr 2008 eingestellt werden dürfen, sondern mit dem Betrag der Anschaffungskosten für die Grundstücke bewertet werden müssen, so dass die Abschlüsse von vornherein einen Fehlbetrag hätten ausweisen müssen. Sie, die Kläger, hätten die Anlagen in Kenntnis der ursprünglichen Abschlüsse erworben; wäre ein Fehlbetrag ausgewiesen worden, hätte die W. AG überhaupt keine Anleihen mehr platzieren können. Sie werfen der Beklagten vor, sie im Sinne des § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt zu haben, und begehren – soweit im Revisionsverfahren noch gegenständlich – Erstattung ihrer Aufwendungen für den Erwerb der Anleihen abzüglich der Rückflüsse. Die Beklagte hält die ursprünglichen Jahresabschlüsse für zutreffend, jedenfalls sei ihr bezüglich der Testate keine Leichtfertigkeit vorzuwerfen. Schadensersatzansprüche der Kläger seien außerdem verjährt.
9
Das Landgericht hat die im Jahr 2017 erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht der Klage überwiegend, nämlich hinsichtlich der Klägerin in Höhe von 16.365,75 € und des Klägers in Höhe von 15.940,75 €, stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
10
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
11
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte schulde gemäß § 826 BGB Schadensersatz. Sittenwidrigkeit liege im Rahmen der Erteilung von Bestätigungsvermerken durch einen Wirtschaftsprüfer vor, wenn dieser bei der Erteilung des Testates in einem solchen Maße Leichtfertigkeit an den Tag lege, dass sie als Gewissenlosigkeit zu werten sei.
12
Die Voraussetzungen hierfür seien erfüllt. Die Erteilung des Testats für das Jahr 2008 sei unvertretbar gewesen. Die Beklagte habe die Bewertung der Forderungen mit ihrem Nennbetrag beanstanden müssen. Zwar sei es zutreffend, dass die Forderungen aktiviert worden seien, weil das wirtschaftliche Eigentum auf die Fonds übergegangen sei, und grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen seien. Es habe jedoch eine Einzelabwertung erfolgen müssen, weil offenkundig gewesen sei, dass die Fonds die gestundeten Kaufpreise nicht fristgemäß an die W. AG würden zahlen können und eine Rückabwicklung von vornherein im Raum gestanden habe. Der Wert der Forderungen sei daher praktisch gleich null gewesen. Die Beklagte habe sich auf eine Plausibilitätsprüfung der Businesspläne beschränkt. Für die Werthaltigkeit der Forderungen sei es aber nicht auf die Plausibilität, sondern darauf angekommen, welche Maßnahmen konkret zur Umsetzung des Geschäftskonzepts eingeleitet und welche Resultate hierbei erzielt worden seien. Diesbezügliche Prüfungen habe die Beklagte nicht behauptet.
13
Die Abschlussprüfer der Beklagten hätten sich vorsätzlich, zumindest aber mit so großer Leichtfertigkeit über die offensichtlichen Bedenken hinweggesetzt, dass die uneingeschränkte Erteilung des Bestätigungsvermerks am 28. April 2009 als gewissenlos zu bewerten sei. Angesichts der herausragenden Bedeutung der Bewertung der drei Kaufpreisforderungen für das Bilanzergebnis der W. AG im Jahr 2008 seien die Abschlussprüfer zu einer intensiven und genauen Prüfung dieser Forderungen verpflichtet gewesen. Die Verträge seien ungewöhnlich gewesen, die Käufer hätten über kein Vermögen verfügt und der Kaufpreis sei gestundet worden, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Fremdkapital aufzubringen. Gleichzeitig sei aber der wirtschaftliche Übergang der Grundstücke vereinbart worden mit der Folge, dass die Kaufpreisforderungen hätten bilanziert und dadurch eine bilanzielle Überschuldung habe vermieden werden können. Es liege auf der Hand, dass die wirtschaftliche Betätigung der W. AG erheblich erschwert worden wäre, wenn sie hätte bekennen müssen, dass sich ihre Vermögenslage in 2008 nicht verbessert, sondern dieses Geschäftsjahr sogar mit einer bilanziellen Überschuldung von mehr als 6 Mio. € geendet habe. Diese offenkundigen Zusammenhänge seien der Beklagten bewusst gewesen; gleichwohl habe sie eine eingehende Prüfung unterlassen.
14
Dieses Verhalten stelle sich gegenüber den Anlegern als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar. Die Beklagte habe gewusst, dass sich die W. AG im Wesentlichen über Hypothekenanleihen finanziere. Sie habe es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass die Anleger den Jahresabschluss, den Lageplan und den von der Beklagten erteilten Bestätigungsvermerk zur Grundlage ihrer Entscheidung, Hypothekenanleihen der W. AG zu erwerben, machen würden.
15
Der Bestätigungsvermerk vom 28. April 2009 sei kausal für die Anlageentscheidungen der Kläger gewesen. Hierfür spreche bei einem Prospektfehler, der hier vorliege, eine tatsächliche Vermutung, die erst entfalle, wenn zwischen dem Prüfungsstichtag und dem Anlageentschluss eine so lange Zeit verstrichen sei, dass mit wesentlichen Änderungen gerechnet werden müsse. Die Kläger hätten hinreichend dargelegt, Kenntnis von dem Prospekt gehabt zu haben. Der von der Beklagten als Gegenbeweis angebotenen Vernehmung der Kläger als Partei sei nicht nachzugehen gewesen, weil es sich um eine Behauptung „ins Blaue hinein“ handele.
16
Der Schadensersatzanspruch der Kläger sei nicht verjährt. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass die Kläger vor dem Jahr 2014 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hätten. Dazu reiche die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Bestätigungsvermerks vom 28. April 2009 nicht aus; vielmehr sei auch die Kenntnis von den Umständen, die den Sittenwidrigkeitsvorwurf begründeten, erforderlich. Eine solche habe die Beklagte nicht aufgezeigt.
II.
17
Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht bejaht werden. Seine Beurteilung, das von der Beklagten erteilte Testat sei fehlerhaft, beruht auf Rechtsfehlern.
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1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Erteilung eines unrichtigen Testats für einen Jahresabschluss durch einen Wirtschaftsprüfer bei einer besonders schwerwiegenden Verletzung der Sorgfaltspflichten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB sein kann. Als sittenwidrig ist dabei zu beurteilen, dass der Auskunfterteilende aufgrund des Expertenstatus ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genügt. Der Sittenverstoß setzt ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftgebers voraus. Die Vorlage eines unrichtigen Bestätigungsvermerks allein reicht dabei nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe qualifiziert nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein, und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 12. März 2020 – VII ZR 236/19, VersR 2020, 1120 Rn. 35; vom 19. November 2013 – VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 10 und vom 26. September 2000 – X ZR 94/98, BGHZ 145, 187, 202; jeweils mwN). Ob dies der Fall ist, kann nur dann sachgerecht beantwortet werden, wenn vorher geklärt wird, ob und in welchen Punkten der Jahresabschluss objektive Fehler enthält (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1986 – IVa ZR 86/85, VersR 1987, 262).
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2. Nach diesen Maßstäben ist zunächst entscheidend, in welchem Umfang die Ansprüche gegen die Fonds werthaltig waren, wobei das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Forderungen zu aktivieren waren, weil die Gefahr auf den Käufer übergegangen und der Gewinn damit realisiert war (vgl. u.a. BFHE 246, 155 Rn. 10; 210, 398, 400; Claussen in Kölner Kommentar zum Rechnungslegungsrecht, § 252 HGB Rn. 45; Böcking/Gros/Wirth in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 252 Rn. 30; Kreipl/Müller in Haufe, HGB Bilanz Kommentar, 10. Aufl., § 252 Rn. 106).
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a) Für die Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz gilt Folgendes:
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Forderungen aus Lieferung und Leistung gehören zum Umlaufvermögen (Lahme in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stand: 1. Januar 2021, Stichwort: Forderungen Rn. 4; Böcking/Gros in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 247 Rn. 6; zur Abgrenzung gegenüber Anlagevermögen vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – II ZR 56/20, NJW-RR 2021, 1484 Rn. 52 f) und wären daher gemäß § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB grundsätzlich mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Diese beiden Begriffe passen allerdings für Forderungen nicht (Lahme aaO Rn. 10). Für diese ist vielmehr im Ausgangspunkt der Nennwert anzusetzen (Böcking/Gros/Wirth aaO § 253 Rn. 112; Lahme aaO).
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Ist eine Forderung nicht sofort fällig, ist eine Abzinsung vorzunehmen, wenn die Forderung nicht oder nur gering verzinst wird (Baumbach/Hopt, HGB, 40. Aufl., § 253 Rn. 26; Lahme aaO Rn. 31). Bei einer Restlaufzeit von bis zu einem Jahr kann allerdings aus Vereinfachungsgründen der Verzicht auf eine Abzinsung für zulässig angesehen werden (Böcking/Gros/Wirth aaO Rn. 113).
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Ist eine Forderung risikobehaftet, ist diesem Umstand durch eine Abschreibung nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1, § 253 Abs. 4 HGB Rechnung zu tragen (vgl. Schubert/Berberich, Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl., § 253 Rn. 569 f; Lahme aaO Rn. 11). Diese sogenannten zweifelhaften Forderungen sind mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 – IX ZR 26/20, NJW-RR 2021, 1350 Rn. 30; so auch zur Steuerbilanz BFH, DStR 2003, 2060, 2061 mwN). Dies ist der Wert, mit dem sie wahrscheinlich realisiert werden können (Bertram/Kessler in Haufe, HGB Bilanz Kommentar, 10. Aufl., § 253 Rn. 306), wobei grundsätzlich eine Einzelbewertung vorzunehmen ist (Bertram/Kessler aaO Rn. 311 ff; leicht einschränkend Böcking/Gros/Wirth aaO). Ein (wegen Ausfallrisikos) unter ihrem Nennbetrag liegender Wert von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Dabei kommt dem Ermessen des Kaufmanns besondere Bedeutung zu (zum Beurteilungsrahmen des Kaufmanns vgl. auch BGH, Urteil vom 29. März 1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 272). Maßgebend ist, ob ein vorsichtig bewertender Kaufmann nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles die Annahme eines – teilweisen – Forderungsausfalls herleiten darf. Die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit (Bonität) eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen zu ermitteln. Allerdings muss die Schätzung eine objektive Grundlage in den am Abschlussstichtag gegebenen Verhältnissen finden. Schätzungen, die auf bloßen pessimistischen Prognosen zur zukünftigen Entwicklung beruhen, sind unbeachtlich (vgl. zur Steuerbilanz BFH aaO mwN).
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In zeitlicher Hinsicht sind bei der Bewertung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Ab-schlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekanntgeworden sind (sog. wertaufhellende Tatsachen, vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1996 – VIII ZR 238/95, NJW-RR 1997, 27, 28; Kahle/Braun/Eichholz in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht Kommentar, 2. Aufl., § 252 Rn. 141 f; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 aaO Rn. 52 und 55). Der zu berücksichtigende Umstand selbst muss jedoch bereits zum Abschlussstichtag vorgelegen haben; wertbegründende oder wertbeeinflussende Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben (vgl. Kahle/Braun/Eichholz aaO Rn. 143; Tiedchen in BeckOGK, HGB, § 252 Rn. 49 [Stand: 15. September 2020]).
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b) Die Beurteilung, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt Umstände vorlagen, die die Abschreibung einer Forderung vonnöten machten, und in welchem Umfang dies gegebenenfalls vorzunehmen war, erfordert demgemäß eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die zumeist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt. Deshalb ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin (vgl. hierzu zB Senatsurteil vom 23. November 2006 – III ZR 65/06, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 9. April 2019 – VI ZR 377/17, VersR 2019, 1033 Rn. 9; jew. mwN). Es ist nicht ersichtlich, dass die Bewertung der hier in Rede stehenden Kaufpreisforderungen zum maßgeblichen Stichtag keine besondere Sachkunde erforderte. Vielmehr belegen die eingehenden – nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen rechtlich nicht zweifelsfreien – Erörterungen der Vorinstanz das Gegenteil. Das Berufungsgericht hat aber nicht dargetan, über die erforderliche Sachkunde zu verfügen. Dementsprechend hätte es den Klägervortrag zur Wertlosigkeit der Forderungen, wie die Revision mit Recht rügt, nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als richtig feststellen dürfen. Beide Seiten haben entsprechende Anträge gestellt (Kläger [hauptbeweislich] Klageschrift, S. 10 – GA I 10 sowie Schriftsatz vom 27. August 2018, S. 3, 8 – GA II 400, 405; Beklagte [gegenbeweislich] Schriftsatz vom 12. Januar 2018, S. 6, 7 – GA I 120, 121 und Schriftsatz vom 2. August 2019, S. 12 – GA II 373). Das Berufungsgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, diesen Beweisanträgen nachzugehen, was im neuen Verfahren nachzuholen sein wird.
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c) Da hiernach bislang prozessordnungsgemäß getroffene Feststellungen dazu fehlen, wie die Forderungen zu bewerten waren sowie ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Testat objektiv fehlerhaft war, kann derzeit auch nicht beurteilt werden, ob das Verhalten der Beklagten als gewissenlos zu beurteilen ist.
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2. Unbegründet ist indessen die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht sei dem Antrag der Beklagten auf Parteivernehmung der Kläger zur Frage der Kausalität des (etwaig) unrichtigen Testats für deren Entscheidung, die Anleihen zu erwerben, zu Unrecht nicht gefolgt.
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Zutreffend und von der Revision insoweit auch nicht angegriffen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Lebenserfahrung entspricht, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (z.B. Senatsurteil vom 21. Februar 2013 – III ZR 139/12, WM 2013, 689 Rn. 15 und Senatsbeschluss vom 31. Januar 2008 – III ZR 119/07, juris Rn. 2 zu Wirtschaftsprüfertestaten; siehe weiter Senatsurteile vom 16. März 2017 – III ZR 489/16, WM 2017, 708 Rn. 32 und vom 13. Dezember 2012 – III ZR 70/12, juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 19. Februar 2009 – III ZR 168/08, juris Rn. 5; BGH, Urteile vom 8. Februar 2010 – II ZR 42/08, BeckRS 2010, 05639 Rn. 23 m. umfangr. w. N. und vom 3. Dezember 2007 – II ZR 21/06, ZIP 2008, 412 Rn. 16; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Februar 2006 – III ZR 20/05, NJW-RR 2006, 685 Rn. 22 mwN). Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Davon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hat (Senatsurteil vom 13. Dezember 2012; BGH, Urteile vom 8. Februar 2010 und vom 3. Dezember 2007; jew. aaO). Das Berufungsgericht hat indessen angenommen, der Prospekt sei im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anleihen durch die Kläger verwendet worden. Hierauf bezogen zeigt die Revision keinen konkreten übergangenen Sachvortrag der Beklagten auf und beanstandet die Richtigkeit der Feststellung auch im Übrigen nicht. Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass es entgegen der Hilfserwägung des Berufungsgerichts nicht allein ausreicht, dass der Prospekt im Internet abrufbar war.
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Die Revision verweist als übergangene Behauptung hinsichtlich der Kausalitätsfrage konkret lediglich auf den Vortrag der Beklagten, die Kläger hätten die Anleihen erst weit über ein Jahr nach der Testaterteilung erworben, so dass schon wegen der verstrichenen Zeit kein Kausalzusammenhang mehr habe bestehen können. Denn die Kläger hätten sich jedenfalls nicht auf die fortdauernde Aktualität des Testats verlassen dürfen, da sich dieses auf einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit bezogen habe und den Wirtschaftsprüfer keine Aktualisierungspflicht treffe (Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 27. August 2019, S. 2 – GA II 396). Hierbei handelt es sich jedoch um die Äußerung einer Rechtsansicht, auf die das Berufungsgericht auf Seite 28 seines Urteils eingegangen ist. Ungeachtet dessen befindet sich an der von der Revision angeführten Aktenstelle nicht der als übergangen gerügte Beweisantritt.
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Dieser bezog sich vielmehr allein auf den – von der Revision ebenfalls als übergangen gerügten – Vortrag, es lasse sich dem Klägervorbringen nicht entnehmen, dass sie ihre Investitionsentscheidungen auf Grundlage und in Kenntnis des streitgegenständlichen Testats getroffen hätten, was ausdrücklich bestritten werde. Richtigerweise werde man davon ausgehen müssen, dass das Testat vom 28. April 2009 keinen Einfluss auf die Anlageentscheidung der Kläger gehabt habe (Klageerwiderung S. 11 – GA I 64). Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht jedoch zu Recht als nicht mehr zureichend betrachtet. Vor dem Hintergrund der im Berufungsverfahren gemachten Angaben der Kläger zur Kausalität, der Tatsache, dass die von ihnen unterschriebenen Zeichnungsscheine auf den Anlageprospekt Bezug nahmen, und die daraus folgende tatsächliche Vermutung der Ursächlichkeit des (behauptet) unrichtigen Testats für den Anlageentschluss der Kläger genügte das pauschale Bestreiten der Kausalität in der Klageerwiderung im zweiten Rechtszug nicht mehr. Vielmehr wurde konkreter, diese Umstände berücksichtigender Vortrag der Beklagten notwendig. Sie hat insoweit im Hinblick auf die zwischen der Testaterteilung und der Anlageentscheidung der Kläger verstrichene Zeit in Abrede gestellt, dass der Bestätigungsvermerk für die Kläger noch von Bedeutung gewesen sei. Mit diesem Vorbringen hat sich das Berufungsgericht jedoch, wie ausgeführt, auseinandergesetzt.
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3. Die Sache ist nicht deshalb zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil die Klageforderung verjährt wäre. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die Verjährungseinrede der Beklagten für nicht durchgreifend erachtet. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, das Berufungsgericht habe ihren Vortrag nicht berücksichtigt, dass die Kläger seit dem Ausbleiben von Zinszahlungen im März 2013 Anlass gehabt hätten, das von der Beklagten erteilte Testat kritisch zu hinterfragen, trifft dies nicht zu. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass die Kenntnis von der Unrichtigkeit des Testats die Verjährung noch nicht in Lauf gesetzt habe, weil darüber hinaus eine Kenntnis von den Umständen, die den Sittenwidrigkeitsvorwurf begründen, erforderlich sei; hierzu habe die Beklagte nicht vorgetragen. Hiergegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
32
4. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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