Beschluss des BVerwG 5. Senat vom 17.01.2022, AZ 5 B 19/21

BVerwG 5. Senat, Beschluss vom 17.01.2022, AZ 5 B 19/21, ECLI:DE:BVerwG:2022:170122B5B19.21.0

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 24. März 2021, Az: 5 A 373/18, Urteil
vorgehend VG Chemnitz, 20. Februar 2018, Az: 4 K 1477/17

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. März 2021 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen, weil die Beschwerdebegründung den Anforderungen an die Darlegung dieser Zulassungsgründe (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht gerecht wird.

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1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. April 2012 – 5 B 58.11 – juris Rn. 2 und vom 12. März 2018 – 5 B 26.17 D – juris Rn. 3 m.w.N.). Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die erstrebte Zulassung der Revision rechtlich Bedeutung haben könnten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 5 B 40.18 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

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Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:

„Setzt § 9 Abs. 1 Satz 1 UhVorschG konstitutiv für eine wirksame schriftliche Antragstellung voraus, dass das unterschriebene und vollständig ausgefüllte Antragsformular bei der jeweiligen Behörde oder zumindest die gemäß dem Antragsformular geforderten Angaben eingehen müssen oder ist es für die wirksame Antragstellung gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 UhVorschG ausreichend, wenn schriftlich ein Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen zugunsten der antragberechtigten Person ohne nähere weitere Angaben, mithin formlos, gestellt wird?“

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Soweit sich diese Frage (in ihrer ersten Variante) darauf bezieht, ob für eine wirksame Antragstellung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) konstitutiv vorausgesetzt wird, „dass das unterschriebene und vollständig ausgefüllte Antragsformular bei der jeweiligen Behörde“ eingeht, ist die Zulassung der Revision schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich diese Variante der aufgeworfenen Frage dem Oberverwaltungsgericht nicht gestellt hat und die Beschwerde nicht darlegt, dass und warum sie sich in einem Revisionsverfahren stellen sollte und vom Revisionsgericht zu klären wäre. Das Oberverwaltungsgericht ist – anders als die Beschwerde mit ihrer Fragestellung gegebenenfalls nahelegen möchte – nicht davon ausgegangen, § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG setze für eine wirksame schriftliche Antragstellung das Einreichen eines unterschriebenen und vollständig ausgefüllten Antragsformulars voraus. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht im angefochtenen Urteil entscheidungstragend angenommen, dass ein wirksamer Antrag im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG vorliege, wenn er alle Angaben enthalte, die zur Durchführung des Gesetzes notwendig seien (UA S. 8 Rn. 23).

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Soweit die Beschwerde mit der von ihr aufgeworfenen Frage (in ihrer zweiten Variante) geklärt wissen möchte, ob § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG für eine wirksame schriftliche Antragstellung konstitutiv voraussetze, dass bei der Behörde „zumindest die gemäß dem Antragsformular geforderten Angaben eingehen müssen“, oder ob es ausreicht, „wenn schriftlich ein Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen zugunsten der antragberechtigten Person ohne nähere weitere Angaben, mithin formlos, gestellt wird“, genügt die Beschwerde den Darlegungsanforderungen nicht, weil sie die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend aufzeigt. Das gilt bereits deshalb, weil sich die diesbezüglichen Ausführungen (Beschwerdebegründung S. 7 f. unter IX.) ausdrücklich nur auf die für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserhebliche Frage beziehen, ob für den Antrag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG das „Ausfüllen eines bestimmten Formulars vorgeschrieben sein soll“. Darüber hinaus kommt die Beschwerde jedenfalls deshalb den Begründungsanforderungen nicht nach, weil sie sich mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, nicht substantiiert auseinandersetzt und damit auch nicht in hinreichender Weise aufzeigt, warum der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung nicht zu folgen ist. So geht die Beschwerde weder in hinreichender Weise auf die vom Oberverwaltungsgericht angeführte Rechtsprechung und Literatur ein noch setzt sie sich inhaltlich in genügender Weise mit den rechtlichen Argumenten auseinander, welche das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung für seine Auffassung vorbringt.

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Soweit die Beschwerde später in anderem Zusammenhang beiläufig die Frage anspricht, ob die „sofortige Angabe aller entscheidungserheblichen Tatsachen zugunsten der jeweils entscheidenden Behörde“ erforderlich sei (Beschwerdebegründung S. 9 unter XI.), wird sie den oben erläuterten Anforderungen an die Darlegung bereits insoweit schon im Ansatz nicht gerecht, als sie meint, für das Vorliegen einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung sei entscheidend, ob trotz „durchaus diskussionswürdige Aspekte“ in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auch eine andere Rechtsauffassung zumindest vertretbar erscheine (Beschwerdebegründung S. 8 f.). Vielmehr wäre es insoweit erforderlich gewesen, in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils nachvollziehbar aufzuzeigen, aus welchen Gründen nicht der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, sondern derjenigen des Klägers zu folgen sei.

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Hierfür genügt die nicht weiter begründete Behauptung nicht, der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG und „eine systematische Zusammenschau mit § 60 SGB I“ sprächen „mehr dafür, denn dagegen, dass eine sofortige Angabe aller entscheidungserheblichen Tatsachen … gerade nicht erforderlich“ sei. Nicht ausreichend ist es auch, wenn die Beschwerde darauf abstellt, das Oberverwaltungsgericht verkenne, dass es „bei der Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen primär zunächst und vor allem um die Wahrung des Kindeswohls“ gehe, es gebe außerdem eine Vielzahl von Sozialleistungen, die keine „derart strenge(n) Anforderungen an die Antragstellung“ stellten, die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stehe in einem – nicht näher spezifizierten – „Widerspruch“ zu der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober 2009 – B 14 AS 56/08 -. Diese schlagwortartige Kritik setzt sich nicht hinreichend substantiiert mit den ausführlichen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zur Konzeption des § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG auseinander.

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2. Die Beschwerde ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Sie zeigt den geltend gemachten Verstoß des Oberverwaltungsgerichts gegen die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht auf.

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Die Aufklärungsrüge setzt die substantiierte Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Überdies muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2018 – 5 C 4.17 – juris Rn. 25 m.w.N.).

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Daran fehlt es hier, weil sich das von der Beschwerde mit der Verfahrensrüge geltend gemachte Aufklärungsversäumnis des Oberverwaltungsgerichts auf Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung bezieht, die sich zur Begrenzung der Amtsaufklärungspflicht durch § 4 Halbs. 2 UVG verhalten und sich lediglich als weitere selbständige Begründung („zudem“) erweisen. Denn auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts ist eine rückwirkende Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen für den Monat Oktober 2016, auf die sich die Verfahrensrüge der Beschwerde allein bezieht, unabhängig vom Vorliegen zumutbarer Bemühungen nach § 4 Halbs. 2 UVG bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger im November 2016 noch keinen wirksamen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gestellt habe (§ 4 Halbs. 1 UVG). Hiergegen wendet sich die Beschwerde – wie dargelegt – nicht in beachtlicher Weise. Sie kann daher auch nicht aufzeigen, dass die von ihr für erforderlich gehaltene weitere Sachverhaltsaufklärung zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte und die angefochtene Entscheidung damit im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann.

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3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.