BGH 11. Zivilsenat, Urteil vom 11.01.2022, AZ XI ZR 215/19, ECLI:DE:BGH:2022:110122UXIZR215.19.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 30. April 2019, Az: 6 U 174/18
vorgehend LG Stuttgart, 22. Juni 2018, Az: 8 O 320/16
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. April 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Rückabwicklung der kreditfinanzierten Investition in zwei in einem Solarpark installierte Photovoltaikanlagen.
2
Die nicht am Prozess beteiligte e. R. E. GmbH & Co. KG (künftig: E. R. E. ) ist Eigentümerin eines Grundstücks in R. , an dem sie mit notarieller Urkunde vom 19. Dezember 2011 ein Erbbaurecht mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2061 bestellte, das zur Errichtung und Instandhaltung von 298 Photovoltaikanlagen der e. e. GmbH & Co. KG, der früheren Beklagten zu 2 (künftig: E. E. ), berechtigt. Der Solarpark wurde am 31. Dezember 2011 in Betrieb genommen.
3
Am 17. März 2012 veranstaltete die E. E. in der C. Arena in S. den sogenannten „2. Power Day“, eine Werbeveranstaltung, die sich an (mögliche künftige) Vermittler richtete, aber auch Anlegern offenstand. Bei dieser Veranstaltung traten ein Filialdirektor der Beklagten als Teilnehmer einer Gesprächsrunde und der Finanzvorstand der Beklagten als Referent auf.
4
Vermittelt durch ihren Ehemann, den Zeugen A. , schloss die Klägerin unter dem 2. Juli 2012 einen notariell beurkundeten Vertrag mit der E. R. E. und der E. E. , mit dem sie von der E. R. E. einen Bruchteilsanteil von 2/298 an dem Erbbaurecht und von der E. E. zwei Photovoltaikanlagen zum Preis von 108.980 € kaufte. Der Kaufvertrag enthält eine Benutzungsregelung, nach der die Klägerin berechtigt ist, genau bestimmte Teilflächen des Grundstücks zur Errichtung der Photovoltaikanlagen ausschließlich zu benutzen. Bestandteil des Kaufvertrags sind zudem eine notarielle Bezugsurkunde vom 19. Dezember 2011, die eine „Gemeinschaftsordnung“ für die Mitberechtigten am Erbbaurecht enthält, und als Anlagen zu der Bezugsurkunde ein Lageplan der 298 Photovoltaikanlagen, der Prospekt der E. E. für den Solarpark, der fünf durch die F. GmbH (künftig: F. GmbH) erstellte, von unterschiedlichen Annahmen ausgehende Ertragsprognosen enthält, sowie ein Verwaltungs- und Überwachungsvertrag des Käufers mit der E. E. .
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Zur Finanzierung des Geschäfts schlossen die Klägerin und ihr Ehemann mit der Beklagten unter dem 15. Juni/1. Juli 2012 einen Darlehensvertrag über 108.980 € mit einem Zinssatz von nominal 4,7% p.a. und einer voraussichtlichen Laufzeit von 240 Monaten. Das Darlehen sollte durch eine Briefgrundschuld an dem Erbbaurecht gesichert werden. Darüber hinaus machte die Klägerin von der im Darlehensvertrag eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, einen Rentenversicherungsvertrag mit der Beklagten abzuschließen und diesen als Tilgungsersatz an die Beklagte abzutreten.
6
Zudem errichtete die Klägerin – wie regelmäßig die Anleger, die den Kauf von Anlagen in dem Solarpark R. mit einem Darlehen der Beklagten finanzierten – ein Konto bei der W. Bank AG (künftig: W. Bank), auf das nach den Vorgaben im Darlehensvertrag die Einspeisevergütung für den von den Photovoltaikanlagen produzierten Strom, – nach Verzicht auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG – die Erstattung der auf den Kaufpreis gezahlten Umsatzsteuer sowie ein monatlich zu zahlender Eigenanteil in Höhe von 192 € (= 2 x 96 €) fließen sollten. Von diesem Konto sollten im Wesentlichen die Darlehenszinsen, die monatlichen Beiträge für den Rentenversicherungsvertrag in Höhe von 490 € und die Verwaltervergütung für den Solarpark bedient werden. Das Darlehen wurde im Juli 2012 ausgezahlt.
7
Als das Konto bei der W. Bank im Jahr 2015 kaum noch Guthaben aufwies, widerrief die Klägerin im Mai 2015 die der Beklagten erteilte Einzugsermächtigung, woraufhin diese den dadurch nicht mehr bedienten Rentenversicherungsvertrag kündigte. Ein von dem Klägervertreter eingeholtes Sachverständigengutachten vom 4. Juni 2015 kam zu dem Ergebnis, die im Prospekt prognostizierten Erträge hätten technisch nicht erreicht werden können. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26. August 2015 erklärte der Klägervertreter gegenüber der Beklagten die Anfechtung sämtlicher im Zusammenhang mit dem Erwerb der Photovoltaikanlagen geschlossener Verträge, insbesondere des Darlehensvertrags und des Rentenversicherungsvertrags, wegen arglistiger Täuschung sowie höchstvorsorglich den Widerruf des Darlehensvertrags. Mit Schreiben vom 1. September 2015 erklärte der Klägervertreter gegenüber der E. E. die Anfechtung des über den Erwerb des Anteils am Erbbaurecht und der Photovoltaikanlagen geschlossenen Vertrags.
8
Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt (1.) festzustellen, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag keinerlei Ansprüche mehr zustehen, und (2.) die Beklagte sowie die E. E. gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 32.364,17 € nebst Zinsen seit dem 23. Januar 2016, Zug um Zug gegen Abgabe eines an die Beklagte gerichteten Angebots auf Übereignung der erworbenen Photovoltaikanlagen, sowie (3.) zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.348,94 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu verurteilen.
9
Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag, dem Zahlungsantrag zu 2 in Höhe von 3.369,44 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Abgabe eines an die Beklagte gerichteten Angebots auf Übereignung der erworbenen Photovoltaikanlagen, und dem Zahlungsantrag zu 3 in Höhe von 2.085,95 € nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die nur von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht den Zug-um-Zug-Vorbehalt um die Übertragung sämtlicher Rechte der Klägerin an den „den Photovoltaikanlagen zugehörigen Erbbaurechten“ und aus der Rentenversicherung auf die Beklagte ergänzt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
11
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
12
Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer eigenen Aufklärungspflicht der Beklagten zu. Zwar sei ein Darlehensgeber – insbesondere eine kreditgebende Bank – grundsätzlich nicht verpflichtet, den Darlehensnehmer über die Risiken der von ihm beabsichtigten Darlehensverwendung aufzuklären. Etwas anderes könne aber gelten, wenn die Bank im Einzelfall über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgehe. Dies sei der Fall, wenn die Bank im Zusammenhang mit der Planung, der Werbung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Objekts gleichsam als Partei des zu finanzierenden Geschäfts in nach außen erkennbarer Weise Funktionen oder Aufgaben des Veräußerers oder Vertreibers übernommen und damit einen zusätzlichen, auf die übernommenen Funktionen bezogenen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Insbesondere bestehe eine Aufklärungspflicht, wenn die Bank Interessenten gegenüber den Eindruck erwecke, das Anlageprogramm mit positivem Ergebnis geprüft zu haben. Sie habe dann die Interessenten über alle bei ordnungsgemäßer banküblicher Überprüfung erkennbaren Programmrisiken und Bedenken gegen die Bonität oder Seriosität des Initiators aufzuklären.
13
Die dargestellten Grundsätze fänden auf die Beklagte Anwendung, auch wenn es sich bei ihr nicht um eine Bank, sondern um eine Versicherung handele. Anknüpfungspunkt für die Annahme eigener Aufklärungspflichten des Darlehensgebers sei nicht die Eigenschaft als Bank, sondern die Überschreitung der Rolle des reinen Darlehensgebers bzw. das Erwecken des Eindrucks eigener Prüfung. Dies wecke jeweils die berechtigte Erwartung des Verkehrs, der Darlehensgeber werde die Anlage mit der ihm jeweils eigenen Sachkunde – d.h. bei einer Bank mit banküblichem kritischem Sachverstand – geprüft haben. Im Fall einer großen deutschen Versicherung, die strenger staatlicher Aufsicht unterliege und sich als Finanziererin von Anlagen wie der streitgegenständlichen betätige, unterschieden sich die Erwartungen des Verkehrs nicht wesentlich von dem, was von einer Bank erwartet werde.
14
Hier habe die Beklagte durch die unstreitige Mitwirkung ihrer Mitarbeiter und deren Äußerungen auf dem „2. Power Day“ den Eindruck erweckt, das Anlageprogramm mit positivem Ergebnis geprüft zu haben. So sei die Äußerung des Filialdirektors S. , „in unterschiedlichen Abteilungen“ der Beklagten sei „immer wieder daran geschraubt“ und versucht worden, „das rund zu machen“, dahingehend zu verstehen, dass sich die Beklagte nicht auf ihre Rolle als Kreditgeberin beschränkt, sondern das Anlagekonzept im Ganzen begutachtet und an seiner Modifikation mitgearbeitet habe. Auch die weitere Aussage, es handele sich um eine „Kapitalanlage, die uns sehr sicher erscheint“, erwecke den Eindruck einer sorgfältigen Prüfung der Anlage. Der daraus entstehende Gesamteindruck werde abgerundet durch den Vortrag des Finanzvorstands der Beklagten mit dem Titel „Kooperation [E. E. ]/[Beklagte] – ein Engagement ohne Ausfälle“, der aus Sicht der Adressaten dahingehend verstanden werden würde, dass es für keinen der am Geschäft Beteiligten – auch nicht für die Anleger – zu Ausfällen kommen werde, zumal das Geschäft überdies als „Triple-Win-Situation“ beschrieben worden sei. Dies gelte ungeachtet des Umstandes, dass sich der „2. Power Day“ vornehmlich an (mögliche künftige) Vermittler gerichtet habe. Die Veranstaltung habe nämlich auch potentiellen Anlegern offengestanden. Zudem hätten gerade Vermittler im Hinblick auf ihre Pflicht zur zutreffenden Information von Anlegern besonderen Bedarf, selbst über Risiken und Hintergründe der Anlage bestmöglich informiert zu sein. Gerade bei diesem Adressatenkreis erwecke die Beklagte durch das vorgenannte Auftreten ihrer Mitarbeiter den Eindruck, die Anlage könne bedenkenlos als seriös und ohne das Risiko von Ausfällen für die Anleger vertrieben werden.
15
Mit dem Auftreten ihres Filialdirektors und ihres Finanzvorstandes auf dem „2. Power Day“ habe die Beklagte auch Werbung für die Anlage gemacht und Aufgaben des Veräußerers übernommen, indem sie dessen Interessen an der Gewinnung von Vermittlern wahrgenommen und durch Ausnutzung des speziell in sie als Versicherung gesetzten Vertrauens gezielt gefördert habe. Gerade im umkämpften grauen Kapitalmarkt sei ein solcher Auftritt in besonderer Weise geeignet, das streitgegenständliche Engagement aus der Masse der stets mit dem Verdacht fehlender Seriosität konfrontierten Konkurrenzprodukte besonders hervorzuheben. Schließlich habe sich die Beklagte mit dem beschriebenen Verhalten gleichsam als Partei des zu finanzierenden Geschäfts präsentiert. Sie und die E. E. erschienen in der Gesamtschau als mit gleichlaufenden Interessen an Konzept und Konzeptentwicklung beteiligt und geradezu als gemeinsame Urheber. Wer sich für die Anlage entschieden habe, müsse den Eindruck haben, „dahinter“ stehe nicht nur die E. E. , sondern auch die Beklagte, die mit der E. E. für die Durchführung des Konzepts eine Kooperation eingegangen sei.
16
Das fragliche Verhalten auf dem „2. Power Day“ sei in nach außen erkennbarer Weise hervorgetreten, da sich diese Veranstaltung sowohl an potentielle Anleger als auch an mögliche Vermittler gerichtet habe. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Klägerin vom Auftritt der Mitarbeiter der Beklagten auf dem „2. Power Day“ Kenntnis erlangt habe. Es handele sich nämlich – wie bei der Prospekthaftung im engeren Sinne – um eine Form des typisierten Vertrauens, das individuelle Kenntnis des einzelnen Anlegers vom pflichtbegründenden Verhalten des Verpflichteten nicht voraussetze.
17
Zudem sei der Klägerin der Nachweis gelungen, dass sie vom Verhalten und den Verlautbarungen der Mitarbeiter der Beklagten auf dem „2. Power Day“ tatsächlich Kenntnis erlangt habe. Aufgrund der Art und der Intention ihres Auftretens vor (künftigen) Vermittlern der Anlage liege es auf der Hand, dass Auftritt und Darstellung der Anlage durch die Beklagte sowie ihre Beteiligung am Konzept von den Vermittlern gegenüber den Anlegern – hier der Klägerin – tatsächlich als Verkaufsargumente eingesetzt worden seien. Es liege fern, dass Vermittler das in Konkurrenz zu anderen Anlageprodukten wesentliche Argument der Beteiligung einer als seriös geltenden deutschen Versicherung nicht genutzt haben könnten.
18
Die Beklagte habe die sie treffenden Aufklärungspflichten verletzt, indem sie die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass die Plausibilität des gesamten Geschäfts unmittelbar von eigenen Angaben der E. E. bezüglich des erwartbaren Stromertrages der Photovoltaikanlage abhängig gewesen sei, die unüberprüft geblieben seien. Ein wesentliches Risiko des Konzepts habe darin bestanden, ob die den Rentabilitätsberechnungen zugrundeliegenden Prognosen zum erzielbaren Stromertrag über das stets bestehende Prognoserisiko hinaus überhaupt korrekt erstellt gewesen seien oder nicht. Hier sei die Rentabilität des gesamten Konstrukts letztlich von einer schlichten und ungeprüften Behauptung des Initiators abhängig gewesen. Dass die E. E. ihrerseits die Prognosen von der F. GmbH habe erstellen lassen, ändere nichts, da diese den Ertrag nicht unabhängig, sondern im Auftrag der E. E. berechnet habe. Das Risiko sei bei einer Prüfung mit dem Sachverstand einer Versicherung erkennbar gewesen. Es könne daher offenbleiben, ob die Beklagte, die bei früheren Projekten im Bereich der Solarenergie entsprechende Gutachten eingeholt habe, im Rahmen der hier geschuldeten Prüfung verpflichtet gewesen sei, durch Einholung von Gutachten über den möglichen Ertrag das Anlagekonzept zu prüfen.
19
Die Aufklärungspflichtverletzung sei schuldhaft erfolgt und kausal für das Anlagegeschäft. Die Klägerin könne daher verlangen, so gestellt zu werden, wie sie ohne den Abschluss des streitgegenständlichen Geschäfts gestanden hätte. Sie könne neben der beantragten Feststellung die Erstattung der aus Eigenmitteln getätigten Zahlungen verlangen, allerdings nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Vorteile, die sie infolge des Anlagegeschäfts erlangt habe. Dies betreffe die von der Klägerin in ihrem Antrag und vom Landgericht bereits berücksichtigten Photovoltaikanlagen, aber auch die darüber hinaus erlangten Rechte am Erbbaurecht an der Installationsfläche der Photovoltaikanlage sowie an der Rentenversicherung.
20
Über die – einen eigenen Streitgegenstand bildenden – Ansprüche nach Widerruf des Darlehensvertrags sei nicht zu entscheiden, da diese nur hilfsweise geltend gemacht worden seien und die Wirksamkeit des Widerrufs vorliegend keine Folgen für den Inhalt des Schadensersatzanspruchs habe. Lediglich ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die klägerischen Ansprüche auch infolge wirksamen Widerrufs bestünden. Der Klägerin habe ein Widerrufsrecht für den Darlehensvertrag zugestanden, den sie als Verbraucherin geschlossen habe, und der Lauf der Widerrufsfrist sei nicht in Gang gesetzt worden, da in der erteilten Widerrufsinformation der im Fall verbundener Geschäfte, die hier vorlägen, erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen des Widerrufs des Darlehensvertrags für das verbundene Geschäft fehle.
II.
21
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eigener vorvertraglicher Aufklärungspflichten der Beklagten in Betracht käme, wenn diese ihre Rolle als Kreditgeberin überschritten hätte.
23
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine kreditgebende Bank, die mit dem Darlehensnehmer keinen Beratungsvertrag geschlossen hat, nicht verpflichtet, letzteren über die Risiken des finanzierten Geschäfts aufzuklären. Sie darf regelmäßig davon ausgehen, dass ihre Kunden entweder über die notwendigen Kenntnisse oder Erfahrungen verfügen oder sich jedenfalls der Hilfe von Fachleuten bedient haben. Nur ausnahmsweise können sich Aufklärungs- und Hinweispflichten aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, wenn etwa die Bank im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Projekts über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht (vgl. nur Senatsurteile vom 16. Mai 2006 – XI ZR 6/04, BGHZ 168, 1 Rn. 41, vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, WM 2008, 1346 Rn. 12, vom 21. September 2010 – XI ZR 232/09, WM 2010, 2069 Rn. 17 und vom 10. Dezember 2013 – XI ZR 508/12, WM 2014, 124 Rn. 14).
24
Diese Rechtsprechung ist auch auf die Beklagte als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit anwendbar.
25
2. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Begründung, mit der das Berufungsgericht vorliegend das Bestehen einer Aufklärungspflicht der Beklagten wegen Überschreitung der Kreditgeberrolle bejaht hat.
26
a) Eine Aufklärungspflicht des Darlehensgebers wegen Überschreitung der Kreditgeberrolle setzt voraus, dass er im Zusammenhang mit der Planung, der Durchführung oder dem Vertrieb des Objekts gleichsam als Partei des zu finanzierenden Geschäfts in nach außen erkennbarer Weise Funktionen oder Aufgaben des Veräußerers oder Vertreibers übernommen und damit einen zusätzlichen, auf die übernommenen Funktionen bezogenen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (Senatsurteile vom 6. November 2007 – XI ZR 322/03, WM 2008, 115 Rn. 38 mwN und vom 5. Juli 2016 – XI ZR 254/15, WM 2016, 1831 Rn. 31, insoweit in BGHZ 211, 189 nicht abgedruckt).
27
Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Darlehensgeber – nach außen erkennbar – Einfluss auf die unternehmerische Planung oder auf die Werbung genommen oder jedenfalls den zurechenbaren Anschein einer weitergehenden Zusammenarbeit mit den Initiatoren des Anlageobjekts erweckt hat (vgl. Senatsurteil vom 31. März 1992 – XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 905) oder wenn er die zu finanzierende Kapitalanlage befürwortet und dadurch beim Anleger den Eindruck erweckt hat, die Anlage mit der üblichen Sorgfalt einer Bank oder – hier – eines Versicherers und mit positivem Ergebnis geprüft zu haben (vgl. Senatsurteil vom 5. Mai 1992 – XI ZR 242/91, WM 1992, 1355, 1358).
28
b) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls davon ausgegangen ist, dass die Beklagte mit ihrer Mitwirkung an dem „2. Power Day“ und den von ihrem Filialdirektor und ihrem Finanzvorstand dort getätigten Äußerungen ihre Kreditgeberrolle überschritten hat, indem sie dadurch gegenüber den anwesenden Teilnehmern der Veranstaltung und damit nach außen erkennbar durch Ausnutzung des speziell in sie als Versicherer gesetzten Vertrauens Einfluss auf die Werbung für die Investition in den Solarpark genommen und den Eindruck einer Beteiligung an Konzept und Konzeptentwicklung erweckt hat.
29
c) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber angenommen, es komme nicht darauf an, ob die Klägerin vom Auftritt der Mitarbeiter der Beklagten auf dem „2. Power Day“ konkret Kenntnis erlangt habe oder nicht.
30
Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht wegen Überschreitens der Kreditgeberrolle setzt voraus, dass das die Kreditgeberrolle überschreitende Verhalten des Darlehensgebers nach außen in Erscheinung getreten ist (Senatsurteile vom 31. März 1992 – XI ZR 70/91, WM 1992, 901, 905 f., vom 6. November 2007 – XI ZR 322/03, WM 2008, 115 Rn. 38 und vom 5. Juli 2016 – XI ZR 254/15, WM 2016, 1831 Rn. 31, insoweit in BGHZ 211, 189 nicht abgedruckt). Das bedingt, dass der sich auf die Aufklärungspflichtverletzung berufende Darlehensnehmer Kenntnis von dem betreffenden Verhalten hatte (vgl. Senatsurteile vom 31. März 1992, aaO S. 905 und vom 5. Mai 1992 – XI ZR 242/91, WM 1992, 1355, 1358; OLG Stuttgart, WM 2000, 133, 134 f. und Urteil vom 18. Juni 2002 – 6 U 77/02, juris Rn. 25; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 9. Mai 2006 – 9 U 56/04, juris Rn. 64; OLG Celle, Urteil vom 24. Januar 2007 – 3 U 100/06, juris Rn. 41). Das Bestehen von Aufklärungspflichten bei Überschreitung der Rolle als Kreditgeber findet seine Rechtfertigung darin, dass der Kreditgeber einen zusätzlichen, auf die übernommenen Funktionen bezogenen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (Senatsurteil vom 31. März 1992, aaO; vgl. auch Senatsurteile vom 6. November 2007, aaO und vom 5. Juli 2016, aaO). Ein solches Vertrauen kann aber nur derjenige bilden, der von diesem Vertrauenstatbestand Kenntnis hat.
31
d) Ebenfalls rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin habe von dem Auftreten und den Verlautbarungen der Mitarbeiter der Beklagten auf dem „2. Power Day“ tatsächlich Kenntnis erlangt.
32
Da – wie vorstehend ausgeführt – die Beklagte als Darlehensgeberin nur unter besonderen Umständen zur Aufklärung über das finanzierte Geschäft verpflichtet ist, trägt die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen einer Haftung aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2018 – II ZR 13/17, WM 2018, 1594 Rn. 15), hier also dafür, dass ihr die Umstände, aus denen sich das Überschreiten der Kreditgeberrolle ergibt, zur Kenntnis gelangt sind. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft zu einer etwaigen Kenntnis der Klägerin keinen Beweis erhoben und auch nicht die Angaben der in erster Instanz angehörten Klägerin und der vernommenen Zeugen oder die vom Landgericht durch Verwertung von Vernehmungsprotokollen aus Parallelverfahren in den Prozess eingeführten Aussagen berücksichtigt. Es hat vielmehr unabhängig von den Umständen des konkreten Falles allein aufgrund der Lebenserfahrung angenommen, das Auftreten der Beklagten bei dem „2. Power Day“ sei von „den Vermittlern gegenüber den Anlegern“ und damit auch gegenüber der Klägerin von ihrem Ehemann tatsächlich als Verkaufsargument eingesetzt worden. Eine solche Annahme entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage.
III.
33
Das Berufungsurteil unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
34
1. Sofern es im Rahmen der neuen Verhandlung und Entscheidung darauf ankommen sollte, ob die Klägerin die verfahrensgegenständlichen Verträge als Verbraucherin im Sinne von § 13 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung geschlossen hat, dürfte zu berücksichtigen sein, dass der Begriff des Unternehmers im Sinne von § 14 BGB nicht identisch ist mit dem Unternehmerbegriff aus § 2 UStG (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2020 – XI ZR 461/18, WM 2020, 781 Rn. 11 ff.; anders früher OLG Hamm, Urteil vom 24. Februar 2012 – 19 U 151/11, juris Rn. 27 f.; LG Kleve, NJW-RR 2017, 1137 Rn. 14) und dass hier zwischen den einzelnen Erwerbern und der E. E. mit dem Kaufvertrag ein Verwaltungs- und Überwachungsvertrag geschlossen wurde, nach dem – wie die Klägerin vorgetragen hat – die E. E. insbesondere die Einspeisevergütung entgegengenommen und weiterverteilt sowie sämtliche Korrespondenz geführt habe, so dass der einzelne Erwerber selbst keinerlei Tätigkeiten habe entfalten müssen.
35
2. Sollte es im weiteren Verfahren überdies auf die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 BGB in der vom 4. August 2011 bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung – das Vorliegen eines Finanzierungszusammenhangs und das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit – ankommen, dürfte zu bedenken sein, dass der Nettodarlehensbetrag dem Kaufpreis entsprach, der in dem notariell beurkundeten Kaufvertrag für den Erwerb der beiden Photovoltaikanlagen von der E. E. vereinbart war, während in diesem Vertrag für den Erwerb eines Bruchteils am Erbbaurecht von der E. R. E. keine einmalige Gegenleistung vorgesehen, sondern nur bestimmt war, dass der Erwerber die Verpflichtung zur anteiligen Zahlung des Erbbauzinses übernimmt.
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