Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG in Verfahren der einstweiligen Verfügung. (Beschluss des BGH 6. Zivilsenat)

BGH 6. Zivilsenat, Beschluss vom 23.11.2021, AZ VI ZB 69/20, ECLI:DE:BGH:2021:231121BVIZB69.20.0

§ 17a Abs 4 S 4 GVG

Leitsatz

Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG in Verfahren der einstweiligen Verfügung.

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 9. September 2020, Az: 10 W 1051/20
vorgehend LG Berlin, 25. Mai 2020, Az: 41 O 164/20

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 9. September 2020 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen mit der Maßgabe, dass der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. Mai 2020 aufgehoben wird.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis 20.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Parteien sind konkurrierende Polizeigewerkschaften. Sie streiten über die Zulässigkeit von Äußerungen des Vorsitzenden eines Ortsverbandes der Antragsgegnerin in einer E-Mail vom 13. Mai 2020. Die Antragstellerin behauptet, die an Beschäftigte der Bundespolizei gerichtete E-Mail enthalte unwahre Tatsachen; die Antragsgegnerin habe damit unzulässige Mitgliederabwerbung betrieben.

2

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem die Antragstellerin beantragt hat, die Antragsgegnerin zur Unterlassung von in der E-Mail enthaltenen Äußerungen zu verpflichten, durch Beschluss zurückgewiesen. Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 9. September 2020 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Berlin verwiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nicht bereits deshalb unzulässig, weil der mit der Rechtsbeschwerde angegriffene Beschluss im Verfahren der einstweiligen Verfügung ergangen ist. Das Beschwerdegericht hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO gestützt, der in Verfahren der einstweiligen Verfügung nach § 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO gerade keine Zulassung der Rechtsbeschwerde vorsieht. Es hat die Zulassung aber mit der Abweichung von Senatsurteilen begründet (vgl. Senatsurteile vom 7. Januar 1964 – VI ZR 58/63, DB 1964, 268; vom 6. Oktober 1964 – VI ZR 176/63, BGHZ 42, 210, 216 ff. [juris Rn. 15, 17]) und damit der Sache nach den Zulassungsgrund des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG bejaht. Dieser berechtigt im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung über die Frage des Rechtswegs zur Zulassung der Rechtsbeschwerde auch in Verfahren der einstweiligen Verfügung (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2004 – III ZB 2/04, NJW-RR 2005, 142 mwN [juris Rn. 3]). Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zum Bundesgerichtshof führende Beschwerde ist als Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 574 ff. ZPO zu behandeln (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2002 – VIII ZB 27/02, BGHZ 152, 213, 214 f. [juris Rn. 44]).

5

2. Die Antragstellerin hat aber mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 gegenüber dem Beschwerdegericht einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt.

6

Ein Rechtsmittelverzicht kann als einseitige Erklärung einer Partei dem Gericht oder dem Gegner gegenüber jedenfalls nach Erlass der rechtsmittelfähigen Entscheidung abgegeben werden. Er führt zur Unzulässigkeit eines gleichwohl eingelegten Rechtsmittels (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 1951 – IV ZB 26/51, BGHZ 2, 112, 113 f.; vom 24. Oktober 2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 14; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 515 Rn. 2, 4, 16). Ob ein Rechtsmittelverzicht vorliegt, ist durch objektive Auslegung der Erklärung zu ermitteln. Dabei ist wegen seiner weitreichenden Wirkungen Zurückhaltung geboten. Ein Rechtsmittelverzicht ist nur dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 12; Senatsbeschluss vom 5. September 2006 – VI ZB 65/05, NJW 2006, 3498 Rn. 8).

7

Die Antragstellerin hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 gegenüber dem Beschwerdegericht erklärt, sie werde kein Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 9. September 2020 einlegen, und darum gebeten, die Sache unverzüglich an das Arbeitsgericht Berlin abzugeben. Dieser Schriftsatz enthält einen klar und eindeutig formulierten Rechtsmittelverzicht. Diesen hat die Antragstellerin gegenüber dem Beschwerdegericht nach Erlass des Beschlusses vom 9. September 2020, der den Parteien am 22. September 2020 zunächst formlos übersandt worden ist, abgegeben. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein vor Erlass eines solchen Beschlusses abgegebener Rechtsmittelverzicht wirksam wäre, stellt sich daher – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – nicht. Der wirksam erklärte Verzicht führt zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde.

8

3. Das Beschwerdegericht hätte neben der Verweisung noch ausdrücklich aussprechen müssen, dass der landgerichtliche Beschluss aufgehoben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 1998 – VIII ZB 25/97, ZIP 1998, 863, 864 [juris Rn. 7]; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 17a GVG Rn. 25). Diesen offenkundigen Tenorierungsfehler kann das mit der Sache befasste Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 319 ZPO berichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli 1996 – VIII ZR 221/95, BGHZ 133, 184, 191 [juris Rn. 27]; vom 8. Dezember 2011 – IX ZR 33/11, NZI 2012, 184 Rn. 52).

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