Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen strafgerichtliche Urteile wegen „Cum-Ex-Aktiengeschäften“ von in diesem Verfahren nicht angeklagten Beschwerdeführern – fehlende Beschwerdebefugnis mangels eigener Betroffenheit, soweit einer der Beschwerdeführer in den angegriffenen Urteilen nicht genannt wird – iÜ Unzulässigkeit teils wegen fehlender Substantiierung, teils wegen mangelnder Rechtswegerschöpfung (Nichtannahmebeschluss des BVerfG 2. Senat 2. Kammer)

BVerfG 2. Senat 2. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 22.11.2021, AZ 2 BvR 1872/21, ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20211122.2bvr187221

Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 28. Juli 2021, Az: 1 StR 519/20, Urteil
vorgehend LG Bonn, 18. März 2020, Az: 62 KLs – 213 Js 41/19 -1/19, Urteil

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind Anteilseigner einer deutschen Privatbank. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sie sich gegen Urteile des Landgerichts Bonn vom 18. März 2020 sowie des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2021.

2

Das Landgericht Bonn hatte deutschlandweit die ersten Angeklagten wegen sogenannter „Cum-Ex-Aktiengeschäfte“ verurteilt. Das Landgericht führte in den Feststellungen unter anderem aus, dass der Beschwerdeführer zu 1 gemeinschaftlich mit weiteren Dritten in mehreren Fällen vorsätzlich und rechtswidrig den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hätte, wozu die Angeklagten im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB Hilfe geleistet hätten. Zum Beschwerdeführer zu 2 enthält das Urteil keine Ausführungen. Gegen die Privatbank der Beschwerdeführer, die als Einziehungsbeteiligte an dem Verfahren beteiligt war, ordnete das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von über 166 Millionen Euro an. Der Bundesgerichtshof verwarf ganz überwiegend die gegen das Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten, der Einziehungsbeteiligten und der Staatsanwaltschaft.

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Beide angegriffenen Urteile wurden – anonymisiert – veröffentlicht. Der Bundesgerichtshof gab zudem am 28. Juli 2021 eine Pressemitteilung hierzu heraus.

II.

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Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, die Feststellungen des Landgerichts Bonn sowie das Urteil des Bundesgerichtshofs stellten eine Verletzung der Unschuldsvermutung dar. Die angegriffenen Entscheidungen enthielten abschließende Feststellungen, insbesondere zur strafrechtlichen Schuld des Beschwerdeführers zu 1, obwohl die Beschwerdeführer in den Verfahren nicht angeklagte Dritte gewesen und nicht angehört worden seien. Diese vermeintlich abschließenden Feststellungen in den angegriffenen Urteilen hätten dazu geführt, dass die Beschwerdeführer medial, in gegen sie bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht geführten Verwaltungsverfahren sowie in einem Untersuchungsausschuss wie verurteilte Straftäter behandelt würden, obwohl die gegen sie selbst geführten Strafverfahren noch nicht abgeschlossen seien. Die Veröffentlichung der Urteile sowie die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2021 verletzten sie zudem in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

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Die Verfassungsbeschwerde verbinden die Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung, es der Pressestelle des Bundesgerichtshofs vorläufig zu untersagen, zu verbreiten, der Beschwerdeführer zu 1 habe sich wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht.

III.

6

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt, da sie unzulässig sind.

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1. Der Beschwerdeführer zu 2 ist nicht beschwerdebefugt.

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a) Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG die Behauptung des Beschwerdeführers voraus, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 140, 42 <54 Rn. 47>). Die Beschwerdebefugnis ist gegeben, wenn es möglich erscheint, dass der Beschwerdeführer durch den angegriffenen Hoheitsakt in einem für ihn verfassungsbeschwerdefähigen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt ist (vgl. BVerfGE 125, 39 <73>; stRspr). Selbstbetroffenheit liegt vor, wenn der Beschwerdeführer Adressat der Norm oder des betreffenden Urteils ist (vgl. BVerfGE 140, 42 <57 Rn. 57>). Unmittelbarkeit setzt voraus, dass die Einwirkung auf die Rechtsstellung des Betroffenen nicht erst vermittels eines weiteren Akts bewirkt werden darf oder vom Ergehen eines solchen Akts abhängig ist (vgl. BVerfGE 140, 42 <58 Rn. 60>; stRspr).

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b) Der Beschwerdeführer zu 2 ist nicht selbst durch die angegriffenen Urteile betroffen, weil er dort nicht genannt wird. Eine eigene Betroffenheit lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass sein Name mit der Privatbank „untrennbar verbunden“ sei, denn dies ändert nichts daran, dass die angegriffenen Urteile keine Feststellungen zu seiner Person enthalten oder wiedergeben. Soweit der Beschwerdeführer zu 2 eine eigene Betroffenheit aus einem gegen ihn gerichteten, die angegriffenen Urteile in Bezug nehmenden Verwaltungsverfahren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht abzuleiten sucht, fehlt es an der Unmittelbarkeit der Betroffenheit.

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Etwas Anderes folgt auch nicht aus der vom Beschwerdeführer zu 2 angeführten Richtlinie (EU) 2016/343. Deren Art. 4 Abs. 1 Satz 1 fordert die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu treffen, dass, solange die Schuld eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person nicht rechtsförmlich nachgewiesen wurde, unter anderem in gerichtlichen Entscheidungen „nicht so auf die betreffende Person Bezug genommen wird, als sei sie schuldig“. Dies ist in Bezug auf den Beschwerdeführer zu 2 nicht der Fall, da die angegriffenen Urteile auf seine Person nicht Bezug nehmen und auch keine Feststellungen über seine strafrechtliche Schuld enthalten.

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2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1 genügt hinsichtlich der angegriffenen Urteile den Begründungs- und Substantiierungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht.

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Nach diesen Vorschriften hat ein Beschwerdeführer den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen (vgl. BVerfGE 81, 208 <214>; 113, 29 <44>; 130, 1 <21>). Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert aufzeigen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 28, 17 <19>; 89, 155 <171>; 140, 229 <232 Rn. 9>). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, erfordert die substantiierte Darlegung einer Grundrechtsverletzung die argumentative Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 140, 229 <232 Rn. 9>; BVerfGK 14, 402 <417>). Dabei muss ein Beschwerdeführer detailliert darlegen, dass die Entscheidungen auf dem gerügten Grundrechtsverstoß beruhen (vgl. BVerfGE 89, 48 <60>) und insofern alle die Entscheidungen tragenden Gründe substantiiert in Zweifel ziehen (vgl. BVerfGE 105, 252 <264>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den verfassungsgerichtlich entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 130, 1 <21>; 140, 229 <232 Rn. 9>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 26. November 2020 – 2 BvR 1510/20 -, Rn. 14; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Mai 2021 – 2 BvR 1336/20 -, Rn. 10); die allgemein gehaltene Behauptung eines Verfassungsverstoßes reicht dafür nicht aus.

13

Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Der Beschwerdeführer zu 1 hat sich hinsichtlich der behaupteten Verletzung der Unschuldsvermutung nicht mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt, das in vergleichbarer Konstellation eine Verletzung der Unschuldsvermutung verneint hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 2009 – 2 BvR 2540/08 -, juris). Diese Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, Urteil vom 27. Februar 2014 – 17103/10 -, juris).

14

3. Im Übrigen haben beide Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft.

15

Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Der Rechtsweg ist so lange nicht erschöpft, wie ein Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, im Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweiges die Beseitigung des Hoheitsaktes zu erreichen, dessen Grundrechtswidrigkeit er geltend macht (BVerfGE 8, 222; 16, 1 <2>; stRspr). Es ist vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für die Beschwerdeführer bezüglich der Veröffentlichung der angegriffenen Entscheidungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 1128/13 -, Rn. 20) und der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 28. Juli 2021 kein fachgerichtlicher Rechtsschutz zu erlangen gewesen wäre. Dass die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann, gegeben sind, haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt.

IV.

16

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

V.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.