Beschluss des BPatG München 29. Senat vom 22.11.2021, AZ 29 W (pat) 551/19

BPatG München 29. Senat, Beschluss vom 22.11.2021, AZ 29 W (pat) 551/19, ECLI:DE:BPatG:2021:221121B29Wpat551.19.0

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 22. November 2021 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Akintche und den Richter kraft Auftrags Posselt

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 40 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Mai 2017 aufgehoben. Die Eintragung der Marke 30 2015 216 416 wird wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2009 014 810 im beantragten Umfang, nämlich für die Waren der Klasse 25

„Jacken, Mäntel, Hosen und Westen für Damen und Herren; Oberbekleidungsstücke; Pullover; Shirts und Höschen“

gelöscht.

Gründe

I.

1

Die angegriffene Wortmarke

2

GA-Trendwear

3

ist am 14. August 2015 angemeldet und am 14. September 2015 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für nachfolgende Waren und Dienstleistungen eingetragen worden:

4

Klasse 25: Jacken, Mäntel, Hosen und Westen für Damen und Herren; Oberbekleidungsstücke; Pullover; Shirts und Höschen;

5

Klasse 40: Anbringen von Applikationen auf Kleidung; Bedrucken von T-Shirts;

6

Klasse 42: Design von Modeaccessoires; Entwurf von Logos für T-Shirts; Entwurf von Modellen; Modedesigndienstleistungen.

7

Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 16. Oktober 2015.

8

Gegen die Eintragung der Marke hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus ihrer am 19. Juni 2009 eingetragenen Wort-/Bildmarke 30 2009 014 810

9

Diese genießt Schutz unter anderem für die folgenden Waren der

10

Klasse 18: Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren; Aktentaschen, Babytragetücher; Badetaschen; Beautycases; Bekleidungsstücke für Tiere; Bergstöcke; Beschläge aus Eisen, für Geschirre; Beschläge für Geschirre, nicht aus Edelmetall; Brieftaschen; Campingtaschen; Chamoisleder, nicht für Reinigungszwecke; Chevreauleder [Ziegenleder]; Dokumentenkoffer; Dokumentenmappen; Dosen aus Leder oder Lederpappe; Dosen und Kästen aus Vulkanfiber; Einkaufsnetze; Einkaufstaschen; Federgamaschen aus Leder; Felldecken [Pelz]; Felle [Pelze]; Fischbeinrippen für Schirme; Futtersäcke; Gehstöcke; Geldbörsen (Lederwaren); Geschirre, Sattel- und Zaumzeug für Tiere; Goldschlägerhaut; Halsbänder für Tiere; Handkoffergriffe; Handtaschen; Handtaschenkarkassen; Hundehalsbänder; Hutschachteln aus Leder; Federführungshülsen aus Leder; Jagdtaschen: Kartentaschen [Brieftaschen]; Kästen aus Leder oder aus Lederpappe; Kästen und Dosen aus Vulkanfiber; Kettenmaschengeldbörsen; Kindertragtaschen; Kinnriemen aus Leder; Kleidersäcke für die Reise; Klopfpeitschen; Kniegamaschen für Pferde; Koppelriemen; Kosmetikkoffer, -taschen; Kunstleder; Leder, roh oder teilweise bearbeitet; Lederbezüge für Möbel; Lederfäden; Ledergurte; Lederimitationen; Lederpappe; Lederriemen [Gurte] [Sattlerei]; Lederriemen [Lederstreifen); Lederschnüre; Lederventile; Lederzeug; Maulkörbe; Möbelbezüge aus Leder; Möbelüberzüge aus Leder; Moleskin [Fellimitation]; Notenmappen; Peitschen; Pelze [Felle); Pferdedecken; Pferdegeschirrbeschläge, nicht aus Edelmetall; Pferdehalfter; Pferdekummete; Portmonees; Regenschirme; Regenschirmgriffe; Reisekoffer; Reisenecessaires [Lederwaren]; Reisetaschen; Rückenhäute; Rucksäcke, insbesondere für Bergsteiger; Sättel für Pferde; Satteldecken für Pferde; Sattelgurte; Sattlerwaren; Schachteln aus Leder oder Lederpappe; Scheuklappen; Schirmfutterale; Schirmgestänge; Schirmringe; Schirmstöcke; Schlittschuhriemen; Schminkkoffer, -taschen; Schlüsseletuis [Lederwaren]; Schulranzen; Schultaschen; Schulterriemen; Sitzstöcke; Sonnenschirme; Sportstöcke, nämlich Wanderstöcke; Sporttaschen; Steigbügelriemen; Stöcke [Spazierstöcke]; Stockgriffe; Taschen, soweit in Klasse 18 enthalten; Tierhäute; Tierhäute; Tornister [Ranzen]; Trensen; Umhängeriemen; Unterlagen für Reitsättel; Verpackungsbeutel [-hüllen, -taschen] aus Leder; Werkzeugtaschen aus Leder [leer]; Zaumzeugriemen; Ziegenleder; Zügel; Zugstränge [Pferdegeschirr]; Geldbörsen aus Edelmetall.

11

Der Widerspruch ist beschränkt aus diesen Widerspruchswaren der Klasse 18 erhoben worden und richtet sich nur gegen die Waren der Klasse 25 der angegriffenen Marke.

12

Mit Beschluss vom 29. Mai 2017 hat die Markenstelle für Klasse 40 des DPMA den Widerspruch zurückgewiesen, weil eine Verwechslungsgefahr nicht bejaht werden könne. Es fehle schon an der erforderlichen Warenähnlichkeit.

13

Aufgrund ihres Verwendungszweckes in Verbindung mit dem benötigten Entwicklungs- und Produktionsfachwissen und der erforderlichen Fertigungskapazitäten könne nicht davon ausgegangen werden, dass Oberbekleidungsstücke aus dem gleichen wirtschaftlichen Verantwortungsbereich wie ebenfalls am Körper oder sich in Körpernähe befindliche und zu Transport- und Aufbewahrungszwecken verwendbare Waren wie beispielsweise Handtaschen, Koffer, Portemonnaies oder Brieftaschen kämen. Die sich entscheidungsrelevant gegenüberstehenden Waren könnten zwar allgemein dem Modesektor zugerechnet werden und bestimmten insgesamt das Outfit und Erscheinungsbild von Personen. Es ließen sich geschmackliche Präferenzen erkennen und möglicherweise auch Rückschlüsse auf die Kaufkraft ziehen. Solche Waren könnten auch über die gleichen Vertriebs- oder Einzelhandelswege angeboten werden. Die Verkehrskreise wüssten aber bei solchen Waren, dass sämtliche im Sortiment eines Vertriebs- oder Einzelhandelsweges offerierten Waren nicht aus dem gleichen wirtschaftlichen Hoheitsbereich kämen und auch nicht die gleichen Fertigungsstätten hätten. Ausnahmen hiervon könnten lediglich der reine Fabrik- oder Werksverkauf sein, wofür sich im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ergäben. Vielmehr werde das Produkt- und Angebotssortiment von marketing- und absatzstrategischen Gründen bestimmt. Hierzu gehörten Faktoren wie das Zielpublikum oder die Umsatzrendite.

14

Zwar habe sich im Bereich bekannter Luxusmarken eine teilweise Übung herausgebildet, aufgrund der Bekanntheit des Namens und im Rahmen des Imagetransfers auch andere Lifestyle-Produkte unter diesem Label zu vermarkten. Die Verwendung bekannter Luxusmarken für andere Warensegmente, in denen die Luxusmarke ihren Ruf ursprünglich nicht begründet habe, führe aber nicht zu einer Ähnlichkeit von Waren, die ihrer Art und ihrem Zweck nach völlig unterschiedlich seien. Ein Imagetransfer auf andere Warenbereiche könne daher nur bei bekannten Marken unterstellt werden, die im Rahmen der Bekanntheit und des verkörperten Images ein Publikum ansprächen, dass sich über das Markenbewusstsein definiere und identifiziere; an diesen Voraussetzungen fehle es jedoch vorliegend. Schon aufgrund fehlender Warenähnlichkeit sei daher eine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zu verneinen und der Widerspruch zurückzuweisen.

15

Gegen diesen Beschluss hat die Widersprechende am 13. Juni 2017 Erinnerung eingelegt, die sie am 13. September 2017 begründet hat.

16

Mit Schreiben vom 12. November 2018 hat sie ausdrücklich um Beschlussfassung über die Erinnerung gebeten und mit Schreiben vom 30. Januar 2019 an ihren Antrag auf Beschlussfassung erinnert. Nachdem auch danach keine Erinnerungsentscheidung ergangen ist, hat die Widersprechende sodann mit Schreiben vom 3. April 2019 unter Zahlung einer Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt.

17

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

18

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 40 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. Mai 2017 aufzuheben und die Eintragung der Marke 30 2015 216 416 wegen des Widerspruchs aus der Marke 30 2009 014 810 im beantragten Umfang, nämlich für die Waren der Klasse 25, zu löschen.

19

Sie macht geltend, dass die Vergleichswaren hochgradig ähnlich seien oder zumindest eine mittlere Ähnlichkeit aufwiesen und verweist hierzu auf Entscheidungen des Europäischen Gerichts und des Bundespatentgerichts. Die Auffassung der Markenstelle, dass Oberbekleidungsstücke nicht aus dem gleichen wirtschaftlichen Verantwortungsbereich wie beispielsweise Taschen, Koffer oder Brieftaschen kämen, sei unzutreffend und entspreche nicht den tatsächlichen Branchenverhältnissen. Zudem seien die sich gegenüberstehenden Marken hochgradig ähnlich, da sie in den jeweils prägenden Wortbestandteilen „GA“ vollständig übereinstimmten. Eine Verwechslungsgefahr sei damit offenkundig.

20

Der Markeninhaber hat sich sowohl im Amtsverfahren als auch im Beschwerdeverfahren weder zur Sache geäußert noch einen Antrag gestellt.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

22

Die nach § 66 Abs. 3 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg.

23

Zwischen den Vergleichsmarken besteht die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, so dass die Markenstelle den Widerspruch zu Unrecht zurückgewiesen hat.

24

A) Die Durchgriffsbeschwerde ist gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 MarkenG zulässig. Die Markenstelle hat über die Erinnerung nicht innerhalb von zehn Monaten nach Einlegung entschieden und ein Erinnerungsbeschluss ist auch nicht in den zwei Monaten nach dem Antrag der Widersprechenden auf Erlass einer Erinnerungsentscheidung ergangen. Hierbei erfüllen im Übrigen sowohl das Schreiben vom 12. November 2018 als auch das Schreiben vom 30. Januar 2019 die notwendigen, insbesondere zeitlichen Voraussetzungen an einen solchen Antrag auf Entscheidung im Sinne von § 66 Abs. 3 MarkenG.

25

B) Da die Anmeldung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 eingereicht worden ist, ist für den gegen diese Eintragung erhobenen Widerspruch gemäß § 158 Abs. 3 MarkenG in der seit dem 14. Januar 2019 geltenden Fassung (MarkenG n. F.) weiterhin § 42 Abs. 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung (im Folgenden „;MarkenG“) anzuwenden.

26

Die in Kraft getretenen Änderungen des § 9 MarkenG sind für die Entscheidung im vorliegenden Streitfall ohne Bedeutung (vgl. hierzu BGH GRUR 2021, 482 Rn. 13 – RETROLYMPICS; GRUR 2019, 1058 Rn. 15 – KNEIPP). Die seit dem 14. Januar 2019 geltende Fassung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG stellt eine Anpassung der Vorschrift an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dar, mit der dieser den Bekanntheitsschutz nach Maßgabe der Richtlinie 89/104/EWG auf den Bereich ähnlicher Waren und Dienstleistungen ausgeweitet hatte (vgl. EuGH GRUR 2003, 240 Rn. 30 – Davidoff [Davidoff/Durfee]). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 2015, 1201 Rn. 76 – Sparkassen-Rot/ Santander-Rot). Die neu eingeführte Regelung in § 9 Abs. 3 MarkenG n. F. dient der Umsetzung von Art. 39 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2015/2436. Danach werden Waren und Dienstleistungen nicht deswegen als ähnlich angesehen, weil sie in derselben Klasse der Nizza-Klassifikation erscheinen. Andererseits werden Waren und Dienstleistungen nicht deswegen als verschieden angesehen, weil sie in verschiedenen Klassen der Nizza-Klassifikation erscheinen. Dass Klasseneinteilungen keine unmittelbare Bedeutung für die Beurteilung der Ähnlichkeit von Waren oder Dienstleistungen zukommt, entspricht bereits seit langem der deutschen Rechtspraxis (Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 14 MarkenG Rn. 221; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl., § 9 Rn. 94m. w. N.).

27

C) Die Frage, ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933 Rn. 32 – Barbara Becker; BGH a. a. O. Rn. 24 – RETROLYMPICS; GRUR 2020, 870 Rn. 25 – INJEKT/INJEX; GRUR 2020, 1202 Rn. 19 – YO/YOOFOOD; GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP).Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie unter anderem etwa die Art der Ware oder Dienstleistung, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.

28

Nach den vorgenannten Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine Verwechslungsgefahr zu besorgen.

29

1. Nach der hier maßgeblichen Registerlage können sich beide Marken im Bereich ähnlicher Waren begegnen.

30

Zwar hat die Markenstelle zutreffend ausgeführt, dass eine Verwechslungsgefahr dann ausgeschlossen ist, wenn die Waren (oder Dienstleistungen) einander nicht ähnlich sind (BGH GRUR 2021, 724 Rn. 31 – PEARL/PURE PEARL). Entgegen der Auffassung in dem angegriffenen Beschluss der Markenstelle kann aber
nicht von einer Waren
unähnlichkeit zwischen den angegriffenen Waren der Klasse 25 und den Widerspruchswaren der Klasse 18 ausgegangen werden.

31

a) Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren ist grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR Int. 2009, 397 Rn. 65 – Les Éditions Albert René Sàrl/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH MarkenR 2016, 157 Rn. 21 – BioGourmet; GRUR 2015, 176 Rn. 16 – ZOOM/ZOOM; GRUR 2014, 488 Rn. 12 – DESPERADOS/DESPERADO). Von einer Unähnlichkeit der Waren kann nur ausgegangen werden, wenn trotz (unterstellter) Identität der Zeichen und erhöhter Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke die Annahme einer Verwechslungsgefahr wegen des Abstandes der Waren oder Dienstleistungen von vornherein ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. nur EuGH GRUR 1998, 922 Rn. 22 – Canon; BGH GRUR a. a. O. Rn. 17 – ZOOM/ZOOM).

32

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Waren aus Klasse 25 der angegriffenen Marke als im mittleren Grade ähnlich zu den Widerspruchswaren „Leder und Lederimitationen sowie Waren aus Leder und Lederimitationen, soweit in Klasse 18 enthalten“ sowie zum Teil als jedenfalls noch ähnlich mit den Waren „Reise- und Handkoffer“ anzusehen (vgl. hierzu Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 19. Aufl., Stichwort: Lederwaren, Seite 195 m. w. N.). Bereits seit vielen Jahren bieten Modefirmen – nicht nur bekannte und/oder teure Labels – Handtaschen und Geldbörsen aus Leder oder Lederimitationen ergänzend zu ihren Bekleidungsprodukten an. Zu Recht hat die Beschwerdeführerin auf diese Marktgegebenheiten hingewiesen. Zudem können die beiderseitigen Waren nach Materialbeschaffenheit und Verarbeitung (Leder, Lederimitationen) sowie in ihren Verwendungszwecken – insbesondere auch in sich gegenseitig ergänzenden bestimmungsgemäßen Nutzungen und Verkaufsangeboten – so enge wirtschaftliche und praktische Berührungspunkte aufweisen, dass die angesprochenen Verkehrskreise bei Markenidentität auf die Herkunft aus demselben Unternehmen schließen müssen.

33

2. Die grafisch ausgestaltete Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit verfügt über durchschnittliche Kennzeichnungskraft und damit einen normalen Schutzumfang (vgl. BGH GRUR 2013, 833, 838, Rn. 55 – Culinaria/ Villa Culinaria, zu den Graden der Kennzeichnungskraft). Anhaltspunkte für eine Schwächung oder Stärkung der Kennzeichnungskraft sind weder vorgetragen worden noch erkennbar.

34

3.Die Vergleichswaren aus den Klassen 18 und 25 richten sich an die allgemeinen Verkehrskreise, also sowohl an den Handel als auch an den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher. Dieser legt – soweit es nicht um preislich gehobene oder besonders günstige Produkte handelt, bei denen von einem erhöhten oder aber niedrigeren Aufmerksamkeitsgrad ausgegangen werden kann – im Zusammenhang mit der Auswahl und dem Erwerb dieser Waren eine durchschnittliche Aufmerksamkeit an den Tag (vgl. auch BPatG, Beschluss vom 02.07.2014, 29 W (pat) 73/12).

35

4. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und gering bis mittelgradig ähnlichen Waren hält die angegriffene Marke den zur Verneinung einer Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG erforderlichen Zeichenabstand zu der Widerspruchsmarke nicht ein. Denn die Marken sind in ihren in klanglicher Hinsicht prägenden Bestandteilen identisch, so dass in der erforderlichen Gesamtabwägung eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu bejahen ist.

36

Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rn. 60 – Aceites del Sur-Coosur [Carbonell/La Española]; BGH GRUR 2016, 382 Rn. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rn. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH GRUR 2017, 1104 Rn. 27 – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke).

37

Bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH GRUR 2013, 922 Rn. 35 – Specsavers/Asda; GRUR 2010, 933 – Barbara Becker; BGH GRUR 2013, 833, 837 Rn. 45 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2012, 635Rn. 23 – METRO/ROLLER’s Metro).

38

a) Die Vergleichsmarken

39

GA-Trendwear  und
Abbildung

40

in ihrer Gesamtheit zeigen – trotz des übereinstimmenden Bestandteils „GA“ – wegen der grafischen Ausgestaltung der Widerspruchsmarke sowie der jeweils abweichenden Wörter „Trendwear“ einerseits und „Global Agency“ andererseits markante Unterschiede in schriftbildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht.

41

b)Allerdings wird der Gesamteindruck beider Marken in klanglicher Hinsicht durch ihren jeweiligen Bestandteil „GA“ geprägt.

42

Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Gesamteindrucks zwingt nicht dazu, die Kollisionsmarken stets in ihrer Gesamtheit miteinander zu vergleichen. Vielmehr ist nicht ausgeschlossen, dass ein oder mehrere Bestandteile eines zusammengesetzten Zeichens für den Gesamteindruck prägend sein und insoweit eine rechtlich relevante Verwechslungsgefahr begründen können (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rn. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 14 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2009, 484 Rn. 32 – METROBUS). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile für die angesprochenen Verkehrskreise weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck nicht mitbestimmen, so dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (BGH a. a. O. Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY).

43

Der in der jüngeren Marke enthaltene Bestandteil „Trendwear“ ist sprachüblich zusammengesetzt (vgl. gängige Sachangaben wie „Streetwear/Straßenkleidung bzw. jugendliche Freizeitbekleidung“, „Sportswear/Sportkleidung“, „Homewear/bequeme Kleidung, die man nur zuhause trägt“, „Loungewear/Wohlfühlkleidung“) und bedeutet „angesagte Kleidung/im Trend liegende Bekleidung“. Die Bezeichnung stellt damit eine ohne weiteres erkennbare beschreibende Angabe für die hier in Rede stehenden Bekleidungsstücke dar. Trotz des Bindestrichs wird keine die Prägung ausschließende gesamtbegriffliche Einheit zwischen den Bestandteilen „GA“ und „Trendwear“ vermittelt. Der hier angesprochene Endverbraucher wird nur in der Buchstabenkombination „GA“ den eigentlichen betrieblichen Herkunftshinweis sehen und die jüngere Marke entsprechend damit benennen.

44

Auch auf Seiten der Widerspruchsmarke ist von einer Prägung durch die grafisch ausgestaltete Buchstabenkombination „GA“ auszugehen, wobei bei der mündlichen Wiedergabe der Buchstaben eine Mitbenennung der Grafik nicht erfolgt. Die darunter angeordnete Wortfolge „Global Agency“ bedeutet „umfassende/weltweite Agentur“ und wird von den Verkehrskreisen unschwer als beschreibender Hinweis auf den Anbieter wahrgenommen, mag er auch sehr allgemein sein. Als bloßer Sachhinweis wird „Global Agency“ vom Verkehr vernachlässigt und tritt in seiner Bedeutung für den klanglichen Gesamteindruck zurück. Dies obwohl es sich bei der Widerspruchsmarke um die Kombination eines Akronyms „GA“ mit erläuternder Wortfolge “
Global
Agency“ handelt, ist doch die Buchstabenfolge „GA“ derart größenmäßig und grafisch herausgestellt, dass nicht von einer akzessorischen und damit die Prägung ausschließenden Stellung ausgegangen werden kann.

45

Stehen sich demnach für den klanglichen Markenvergleich die identischen Buchstabenkombinationen „GA“ und „GA“ gegenüber, so wird das Publikum die Zeichen füreinander halten.

46

Wegen der markenrechtlich relevanten Gefahr von klanglichen Verwechslungen zwischen den in Streit stehenden Marken ist die angegriffene Marke im beantragten Umfang zu löschen.

47

Die Beschwerde hat daher Erfolg.

48

D) Zu einer vom gesetzlichen Regelfall abweichenden Kostenentscheidung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG besteht kein Anlass.