Beschluss des BVerwG 1. Senat vom 23.09.2021, AZ 1 B 56/21

BVerwG 1. Senat, Beschluss vom 23.09.2021, AZ 1 B 56/21, ECLI:DE:BVerwG:2021:230921B1B56.21.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 5. Juli 2021, Az: 4 LB 4/17, Beschluss
vorgehend VG Greifswald, 11. Oktober 2016, Az: 4 A 76/16 As HGW

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 5. Juli 2021 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

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Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

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1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 – 1 B 1.14 – juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 – 1 B 7.15 – juris Rn. 3).

3

Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 – 9 C 46.84 – BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts festgehalten und für das Bundesverwaltungsgericht keine Befugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher Bedeutung in „Länderleitentscheidungen“, wie sie etwa das britische Prozessrecht kennt, zu klären. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. September 2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 21 ff. – zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die Berufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen.

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2. Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt.

5

Die Beschwerde wirft als der Klärung bedürftige Fragen auf,

„ob Christen in Ägypten einer Gruppenverfolgungssituation ausgesetzt sind“,

„in wie weit das Verfassungsgefüge in Ägypten notwendig dazu führt, dass von massiver Diskriminierung von Personen auszugehen ist, die nicht dem Islam angehören“,

„ob in Bezug auf Ägypten und die dortigen Besonderheiten auf eine inländische Fluchtalternative in die Ballungsgebiete verwiesen werden kann“ und

„ob die ‚Flucht‘ in eine Metropolregion und die dortige Anonymität großer Menschenmassen als inländische Fluchtalternative anzusehen ist oder dem Abtauchen in ein Versteck gleich zu setzen ist“.

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Mit diesen Fragen, deren (vermeintliche) Klärungsbedürftigkeit unter anderem mit dem Hinweis begründet wird, dass die derzeitige ägyptische Verfassung den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung erhebe sowie Ausländer nicht auf theoretische Fluchtalternativen verwiesen werden dürften, wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Von einer grundsätzlichen Bedeutung ist regelmäßig auszugehen, wenn eine bundesrechtliche Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte uneinheitlich beantwortet wird und es an einer Klärung des für die materiell-rechtliche Subsumtion sowie die Tatsachenfeststellung und -würdigung heranzuziehenden rechtlichen Maßstabes durch das Bundesverwaltungsgericht fehlt. Die aufgeworfenen Fragen betreffen indes die tatsächlichen Feststellungen zu sowohl der Verfolgungssituation koptischer Christen in Ägypten als auch einer sich dieser bietenden Möglichkeit, internen Schutz zu erlangen, sowie deren Bewertung durch das Oberverwaltungsgericht; sie zielen mithin auf der tatrichterlichen Würdigung vorbehaltene Tatsachenfragen. Verfahrensfehler werden insoweit weder ausdrücklich noch sinngemäß geltend gemacht.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.