Haftung für unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung (Urteil des BGH 3. Zivilsenat)

BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 23.09.2021, AZ III ZR 200/20, ECLI:DE:BGH:2021:230921UIIIZR200.20.0

§ 31 BGB, § 826 BGB

Leitsatz

Haftung für unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung

1. Zur Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer eines im Jahr 2017 erworbenen Gebrauchtfahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (Anschluss an BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 und vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798; BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814).

2. Zur Frage, ob das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen in der gebotenen Gesamtbetrachtung als sittenwidrig zu qualifizieren ist, wenn mit dem zur Beseitigung einer unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware entwickelten Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert wird (Anschluss an BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20 und vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, VersR 2021, 263; BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20).

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 28. Januar 2021, Az: III ZR 200/20, Beschluss
vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 20. Juli 2020, Az: 12 U 10/20

vorgehend LG Magdeburg, 21. November 2019, Az: 10 O 1782/18

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 20. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 9. Mai 2017 von einer Privatperson einen im Jahr 2012 erstzugelassenen VW Passat 2.0 TDI zum Preis von 10.050 € (Laufleistung: 168.486 km). Am 19. Juli 2019 veräußerte er das Fahrzeug zu einem Preis von 6.300 € (Laufleistung: 190.500 km) weiter.

3

In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war mit einer die Abgasrückführung steuernden Software ausgestattet. Diese schaltete automatisch den „Modus 1“ mit einer höheren Abgasrückführungsrate ein, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten wurden. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den „Modus 0“, bei dem die Abgasrückführungsrate niedriger und der Stickoxidausstoß höher ist.

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Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung und eine im Wesentlichen gleichlautende Pressemitteilung, aus denen sich ergab, dass etwaige Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit Dieselmotoren des Typs EA 189 aufgeklärt würden. Seitdem wurde über die Software in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und in den Medien ausführlich berichtet. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge und gab ihr auf, die „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das vom KBA freigegeben und am 16. Juni 2016 bei dem später vom Kläger erworbenen Fahrzeug aufgespielt wurde.

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Der Kläger macht insbesondere geltend, die Beklagte sei ersatzpflichtig, weil sie in das Fahrzeug eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut habe. Er habe sich über die Gesetzmäßigkeit des Wagens geirrt. Infolgedessen sei es zu dem für ihn wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag gekommen. Er habe keine Kenntnis von den Details der illegalen Abschalteinrichtung gehabt. Die Beklagte habe in der Ad-hoc-Mitteilung nicht eingestanden, in Fahrzeugen mit EA 189-Motoren unzulässige Abschalteinrichtungen implementiert zu haben. Auch noch nach dem Software-Update habe das Fahrzeug über eine außentemperaturabhängige unzulässige Abschalteinrichtung verfügt und weiterhin die gesetzlichen Grenzwerte massiv überschritten.

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Das Landgericht hat die auf Zahlung von 2.531,14 € und Zinsen sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine Ansprüche in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist unbegründet.

I.

8

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger könne unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Zahlung des geleisteten Kaufpreises verlangen. Vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche schieden von vornherein aus. Auch deliktische Schadensersatzansprüche stünden dem Kläger nicht zu.

9

Eine Haftung gemäß §§ 826, 31 analog BGB scheide aus, weil es jedenfalls zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses am Zurechnungszusammenhang zwischen der behaupteten sittenwidrigen, vorsätzlichen Handlung der Beklagten und einem Schaden des Klägers gefehlt habe. Auch wenn der Kläger als mittelbar Geschädigter grundsätzlich in den Schutzbereich des § 826 BGB falle, entstamme ein erst durch den eigenverantwortlichen Vertragsschluss im Mai 2017 eingetretener Vermögensschaden wegen der ab September 2015 seitens der Beklagten als Schädigerin zur Eindämmung und Aufklärung des Skandals vorgenommenen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen nicht (mehr) dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich. Abgesehen davon, dass der von dem Kläger insoweit als Schaden geltend gemachte Minderwert betroffener Fahrzeuge sich nach seiner Behauptung bereits im Zeitraum vor Abschluss des Kaufvertrags manifestiert haben und ihm damit selbst zu Gute gekommen sein dürfte, sei davon auszugehen, dass er bereits aufgrund der mitgeteilten Umstände – ohne weitere Detailkenntnis – eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung habe treffen können.

10

Der Beklagten könne hinsichtlich des Software-Updates kein erneutes sittenwidriges Verhalten angelastet werden, so dass offenbleiben könne, ob hiermit eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines „Thermofensters“ verbaut worden sei, aufgrund deren die Leistung des Fahrzeugs und der Verschleiß von Teilen beeinträchtigt würden, und damit die Gefahr einer drohenden Betriebsuntersagung fortbestehe. Das KBA habe das Software-Update genehmigt, auf das Nichtvorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen überprüft, die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft und die Einhaltung der zulässigen Schadstoffemissionen sowie die Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und die Einhaltung der ursprünglich angegebenen Verbrauchswerte und Leistung bestätigt. Dass dies hier nicht der Fall sein könnte, habe der Kläger nicht vorgetragen; er habe sich auf Mutmaßungen beschränkt und keine Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass das KBA auch in diesem Fall über die technischen Parameter des Software-Updates getäuscht worden sein könnte. Es reiche für die Feststellung der Sittenwidrigkeit nicht aus, dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder gegen das Gesetz verstoße. Hinzutreten müsse eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem mit der Handlung verfolgten Zweck, dem zur Durchsetzung verwendeten Mittel, der dabei gezeigten Gesinnung oder den entstandenen Folgen ergeben könne. Dies könne angesichts des tatsächlichen Verlaufs der Entwicklung des Software-Updates nicht angenommen werden.

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Auch für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehle es an dem Zurechnungszusammenhang zwischen dem täuschenden Inverkehrbringen des Motors EA 189 und dem Abschluss des Kaufvertrages beziehungsweise an einer Täuschung durch die Beklagte im Zusammenhang mit dem Aufspielen des Software-Updates.

12

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2, § 31 analog BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG-FGV) oder Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, da es sich hierbei nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.

II.

13

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

14

1. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff, 17 ff; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 20 und vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 19; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 10). Dies macht auch die Revision nicht geltend.

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2. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt.

16

Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 14; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 14; jew. mwN).

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a) Zwar hat die Beklagte die von ihr hergestellten Dieselmotoren der Baureihe EA 189 mit einer Motorsteuerungssoftware versehen, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb aber überschritten wurden (Umschaltlogik). Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass die Beklagte die mit dieser offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht und dabei die damit einhergehende Belastung der Umwelt und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, in Kauf genommen hatte. Nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ist ein solches auf einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung beruhendes Verhalten im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen (Aufklärungs-)Maßnahmen (insbesondere Ad-hoc-Mitteilung und Presseerklärung vom 22. September 2015) erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, besonders verwerflich und objektiv sittenwidrig. Es steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung dieser Personen gleich (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 aaO Rn. 16 ff, 23, 25 und vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 33; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 16). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.

18

b) aa) Durch die Verhaltensänderung der Beklagten ab dem 22. September 2015 wurden jedoch wesentliche Elemente, die dieses Unwerturteil begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber späteren Käufern von mit einem Motor der Baureihe EA 189 ausgestatteten Fahrzeugen und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Beklagte ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 34, 37 und vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 14 f; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere nicht mehr einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden (vgl. BGH Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38 und vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 17; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17 ff).

19

bb) Der Senat schließt sich der vorgenannten Bewertung der Verhaltensänderung der Beklagten durch den VI. Zivilsenat ebenfalls an. Dies gilt auch insoweit, als die Revision die Verlautbarungen der Beklagten, insbesondere der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015, als beschönigend, verharmlosend und bewusst falsch beanstandet.

20

Durch das Fehlen eines Hinweises darauf, dass auf Grund der „Unregelmäßigkeiten“ bei Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA 189 das Entfallen der Typgenehmigung und damit eine Betriebsuntersagung möglich seien, wurden die Grundaussagen der Verlautbarungen vom 22. September 2015 – auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb, sehr hohe Anzahl der betroffenen Fahrzeuge, ganz erheblicher Beseitigungsaufwand, enge Einbindung der zuständigen Behörden – nicht relativiert. Gleiches gilt für die Erklärung, dass „weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen“ beeinflusst würden. Dass die Beklagte die (ursprüngliche) Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegengetreten ist, dass sie eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, begründet den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger ebenfalls nicht (BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38 und vom 23. März 2021 aaO Rn. 14). Gleiches gilt, soweit die Revision geltend macht, die Beklagte habe nicht sichergestellt, dass ihre Informationen tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38; vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 18 und vom 23. März 2021 aaO Rn. 14 und 16; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 22). Unerheblich ist schließlich der Einwand der Revision, die Pressemitteilung vom 22. September 2015 habe relativierende und insbesondere in Bezug auf „Neuwagen mit Dieselantrieb EU 6“ unrichtige Angaben enthalten. Denn der Kläger hat einen Gebrauchtwagen mit einem Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 5 erworben. Für die Bewertung, ob das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger als objektiv sittenwidrig anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob auch die nachfolgende Motorengeneration eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 21).

21

c) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte mit dem Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert hat.

22

aa) Dabei kann unterstellt werden, dass mit dem Update eine neue unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert worden ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 25 ff). Erforderlich ist insoweit, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH aaO Rn. 28). Soweit die Revision geltend macht, die Beklagte habe mit dem Software-Update lediglich ein weiteres Mal eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und genehmigen lassen, bedarf es der Behauptung einer erneuten Täuschung des KBA (BGH aaO Rn. 24).

23

bb) Solche Umstände hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Vielmehr hat es ausgeführt, das KBA habe das Software-Update genehmigt; es habe dieses auf das Nichtvorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen überprüft, die vorhandenen Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft und die Einhaltung der zulässigen Schadstoffemissionen sowie die Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und die Einhaltung der ursprünglich angegebenen Verbrauchswerte und Leistung bestätigt. Der Kläger trage keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das KBA auch in diesem Fall über die technischen Parameter des Software-Updates getäuscht worden sei.

24

Hiergegen hat die Revision schon eine ordnungsgemäß begründete Verfahrensrüge (§ 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO) nicht erhoben. Dies erfordert, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, konkret bezeichnet und dessen Auswirkungen auf die Entscheidung aufgezeigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, WM 2021, 1612 Rn. 16 mwN). Die Revisionsbegründung weist zwar auf von den Feststellungen des Berufungsgerichts abweichenden oder diese ergänzenden Instanzvortrag hin, dass die Beklagte auch in das On-Board-Diagnose-System eingegriffen habe (S. 27), sich durch das Update Folgeschäden ergäben (S. 28 f), die auf der Hand gelegen hätten (S. 29), eine Prüfung der Dauerhaltbarkeit nicht erfolgt sei und die Beklagte die Risiken des Updates sehenden Auges eingegangen sei (S. 30). Abgesehen davon, dass der von der Revision in Bezug genommene Instanzvortrag in den angegebenen Aktenfundstellen nur teilweise gehalten wird, rügt die Revision jedoch nicht einen konkreten Verfahrensmangel, etwa dass dieser Vortrag oder Beweisangebote vom Berufungsgericht übergangen worden wären. Soweit sie meint, das Berufungsurteil sei aufzuheben, um den Parteien Gelegenheit zu geben, weiter vortragen zu können (S. 16), besteht hierfür keine prozessrechtliche Grundlage.

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