BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 17.03.2021, AZ XII ZB 415/19, ECLI:DE:BGH:2021:170321BXIIZB415.19.0
Leitsatz
Der Erbe ist gegen die gerichtliche Bestellung eines Abwesenheitspflegers für einen Pflichtteilsberechtigten nicht beschwerdeberechtigt (Fortführung von Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 – XII ZB 25/17, FamRZ 2018, 764).
Verfahrensgang
vorgehend LG Siegen, 26. Juli 2019, Az: 4 T 87/19
vorgehend AG Siegen, 20. September 2018, Az: 33 X 51/18
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 26. Juli 2019 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Die Beteiligte zu 1 wendet sich gegen die Erweiterung einer Abwesenheitspflegschaft für die 1965 geborene Betroffene, deren Aufenthalt nicht bekannt ist.
2
Die Betroffene ist eine von zwei Töchtern des im April 2018 verstorbenen Herrn G. (im Folgenden Erblasser). Die frühere Beteiligte zu 1 war die Ehefrau des Erblassers und die Mutter der Betroffenen. Mit notariellem „Erbvertrag“ vom 29. Oktober 2013 setzte der Erblasser die frühere Beteiligte zu 1 als Alleinerbin ein. Die frühere Beteiligte zu 1 setzte den Erblasser und ihre weitere Tochter, die jetzige Beteiligte zu 1, zu gleichen Teilen als ihre alleinigen Erben ein.
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Auf Anregung des Nachlassgerichts wurde durch Beschluss vom 10. August 2018 eine Abwesenheitspflegschaft für die Betroffene mit dem Aufgabenkreis „Vertretung (…) im Testamentseröffnungsverfahren“ angeordnet und der Beteiligte zu 2, ein Rechtsanwalt, zum Abwesenheitspfleger bestellt. Auf dessen Anregung ist die Abwesenheitspflegschaft durch Beschluss vom 20. September 2018 um den Aufgabenkreis Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gegenüber „den Miterben“ sowie zur „Geltendmachung und späteren Hinterlegung eines Pflichtteils“ erweitert worden.
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Die dagegen von der früheren Beteiligten zu 1 eingelegte Beschwerde hat das Landgericht wegen fehlender Beschwerdebefugnis verworfen. Die frühere Beteiligte zu 1 ist nach Zustellung des Beschwerdebeschlusses verstorben. Die jetzige Beteiligte zu 1 führt das Verfahren als deren Erbin fort. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt sie die Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse.
II.
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Die nach § 70 Abs. 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig. Die Beschwerdebefugnis der früheren Beteiligten zu 1 folgt für das Verfahren der Rechtsbeschwerde bereits daraus, dass ihre Erstbeschwerde verworfen worden ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. August 2019 – XII ZB 156/19 – FamRZ 2019, 1890 Rn. 5 und vom 25. Januar 2017 – XII ZB 438/16 – FamRZ 2017, 552 Rn. 5 mwN).
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Die jetzige Beteiligte zu 1 ist hinsichtlich des vorliegenden Verfahrens als alleinige Erbin nach § 1922 BGB in die Rechtsstellung ihrer Mutter eingetreten, zumal der vorliegende Verfahrensgegenstand auf Seiten der früheren Beteiligten zu 1 kein höchstpersönliches Recht betrifft. Die jetzige Beteiligte zu 1 kann das Verfahren mithin als Rechtsnachfolgerin ihrer Mutter fortführen.
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1. Nach Auffassung des Landgerichts besteht keine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG, weil es an einer Rechtsbeeinträchtigung fehle. Eine solche sei bei Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft nur in Bezug auf den Abwesenden und/oder Pfleger möglich. Die Abwesenheitspflegschaft diene primär, ähnlich wie die Einrichtung einer Betreuung, nur dem Betroffenen bzw. dem Abwesenden, damit dessen „Handlungsvollmacht“ nach seinem Interesse erhalten bleibe. Eine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten der früheren Beteiligten zu 1 sei daher nicht möglich. Es gebe kein von der Rechtsordnung verliehenes Recht des Schuldners, nicht (gerichtlich) in Anspruch genommen zu werden. Erst recht könne keine Rechtsverletzung vorliegen, wenn man – was von der früheren Beteiligten zu 1 nicht in Abrede gestellt worden sei – zu Recht in Anspruch genommen werde.
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Soweit die frühere Beteiligte zu 1 sich darauf berufen habe, dass die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen höchstpersönlich sei und daher nur dem Berechtigten selbst vorbehalten bleibe, handele es sich hierbei jedenfalls um ein subjektives Recht der Betroffenen, das von der früheren Beteiligten zu 1 nicht geltend gemacht werden könne. Soweit der Bundesgerichtshof ein Recht dritter Personen auf effektiven Rechtsschutz als Grund für eine Beschwerdeberechtigung herangezogen habe, sei dies hier nicht berührt. Auch werde der Nachlass durch die Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft nicht mit einer unmittelbaren Zahlung belastet.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der früheren Beteiligten zu 1 die Beschwerdeberechtigung im Verfahren der Erstbeschwerde fehlte.
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a) Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Vorschrift erfordert eine Beeinträchtigung eigener Rechte, welche von bloßen rechtlichen Interessen zu unterscheiden sind. Über den Fall der Rechtsbeeinträchtigung hinaus räumt die Vorschrift nur Behörden bei entsprechender besonderer gesetzlicher Anordnung eine Beschwerdebefugnis ein (Senatsbeschluss vom 18. April 2012 – XII ZB 623/11 – NJW 2012, 2039 Rn. 8 mwN).
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Eine Rechtsbeeinträchtigung kann dementsprechend bei Bestellung eines Abwesenheitspflegers nur in der Person eintreten, für die der Pfleger bestellt worden ist. Bei nicht vom Verfahren betroffenen Dritten sind hingegen in diesem Zusammenhang allenfalls bloße rechtliche Interessen berührt, was für eine Beschwerdeberechtigung nicht ausreicht (Senatsbeschluss vom 18. April 2012 – XII ZB 623/11 – NJW 2012, 2039 Rn. 8 mwN). Das gilt insbesondere auch dann, wenn der abwesende Betroffene durch den vom Gericht bestellten Pfleger in die Lage versetzt wird, Ansprüche gegen Dritte geltend zu machen. Denn die dadurch begründete rechtliche Handlungsfähigkeit einer anderen Person für den Betroffenen berührt nur dessen eigene Rechtssphäre, sie greift aber nicht in Rechte Dritter ein. Ob der Anspruch gegen den Dritten besteht und auf welche Weise er geltend gemacht werden kann, ist folglich in einem gesonderten Verfahren zu klären.
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b) Gemessen an diesen Maßstäben war die Erstbeschwerde der früheren Beteiligten zu 1 mangels eigener Rechtsbeeinträchtigung unzulässig.
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Die Interessen der früheren Beteiligten zu 1 waren zwar aufgrund ihrer Erbenstellung nach dem Tod des Erblassers insoweit berührt, als sie die – sicherungsweise – Geltendmachung eines der Betroffenen zustehenden Pflichtteilsanspruchs durch den vom Amtsgericht bestellten Abwesenheitspfleger zu erwarten hatte. Daraus könnte sich aber allenfalls ein mittelbares rechtliches Interesse ergeben, welches für eine Rechtsbeeinträchtigung nicht ausreicht. Ob der Anspruch als solcher von der Beteiligten zu 1 bestritten oder aber entsprechend der vom Landgericht angestellten Hilfserwägung anerkannt worden ist, ist dafür nicht erheblich.
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Die Rechtsbeschwerde beruft sich ohne Erfolg darauf, dass die Entscheidung über die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit allein dem Pflichtteilsberechtigten überlassen bleibt (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2012 – XII ZR 19/10 – FamRZ 2013, 278 Rn. 22; BGH Beschluss vom 2. Dezember 2010 – IX ZB 184/09 – FamRZ 2011, 212 Rn. 10). Ob und unter welchen Voraussetzungen der Pflichtteilsanspruch von einem Vertreter geltend gemacht werden kann und inwiefern die Geltendmachung des Anspruchs der höchstpersönlichen Entscheidung des Anspruchsberechtigten vorbehalten bleibt, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht erheblich. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Frage der Beschwerdebefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels, sondern von dessen Begründetheit. Eine Ausstrahlung des durch die Pflegerbestellung berührten Bestimmungsrechts der Betroffenen auf die Rechtsstellung des Erben als Anspruchsverpflichteten vermag als bloßer Rechtsreflex keine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG zu begründen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 – XII ZB 25/17 – FamRZ 2018, 764 Rn. 12 mwN).
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