BVerwG 1. Senat, Beschluss vom 11.03.2021, AZ 1 B 16/21, ECLI:DE:BVerwG:2021:110321B1B16.21.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 15. Dezember 2020, Az: 7 A 11038/18.OVG
vorgehend VG Trier, 27. Juni 2017, Az: 5 K 4536/16.TR
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
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Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
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Die Revision ist nicht wegen der mit der Beschwerde allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
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1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 – 6 B 22.06 – NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 – 5 B 48.15 – juris Rn. 3 m.w.N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken.
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2. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürftig erachtete Frage,
„ob die Annahme des Berufungsgerichts, eine im Behördenverfahren unterbliebene Entscheidung zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG müsse im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden, auch dann zutreffen kann, wenn weder im behördlichen Verfahren noch in dem Verfahren vor den Tatsachengerichten eine Anhörung der betroffenen Person zu den Gründen, warum sie trotz der Schutzgewährung das Land, das Schutz gewährt hat, wieder verlassen hat und zu dem persönlichen Schutzbedarf stattgefunden hat“,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie bezieht sich auf einen Sachverhalt, den das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Es ist ausweislich des Tatbestands des Berufungsurteils von einer Anhörung des Klägers durch das Bundesamt ausgegangen und hat, da es auf nähere Ausführungen zur formellen Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung verzichtet hat, der Sache nach auch angenommen, dass diese den nach § 29 Abs. 2 Satz 1 AsylG zu stellenden Anforderungen genügt. Gründe dafür, dass es zu einer zusätzlichen Entscheidung zu nationalen Abschiebungsverboten einer weitergehenden Anhörung bedürfen könnte, sind weder dargelegt noch ersichtlich.
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Sind Tatsachen, die vorliegen müssten, damit eine mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Frage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, von der Vorinstanz nicht festgestellt worden, kann die Revision im Hinblick auf diese Fragen nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 1996 – 9 B 387.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 S. 19 f.). Dieser Einwand kann einer Beschwerde zwar dann nicht entgegengehalten werden, wenn die in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht die als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat. Denn in einem solchen Fall könnte der Beschwerdeführer auch nicht erfolgreich einen Verfahrensmangel wegen unterbliebener Sachverhaltsaufklärung geltend machen, weil es auch in diesem Zusammenhang allein auf die materielle Rechtsansicht des Tatsachengerichts ankommt, selbst wenn diese unzutreffend sein sollte. Ist dagegen die Aufklärung des Sachverhalts aus anderen Gründen als der materiellen Rechtsansicht des Tatsachengerichts unterblieben, ohne dass dies erfolgreich mit einer Verfahrensrüge angegriffen wird, verbleibt es wegen der Vorschrift des § 137 Abs. 2 VwGO bei dem dargelegten Grundsatz (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 – 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 <62> und vom 19. August 2013 – 9 BN 1.13 – Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat im Berufungsverfahren das Fehlen einer (hinreichenden) Anhörung zu keinem Zeitpunkt gerügt und auf eine mündliche Verhandlung freiwillig verzichtet. Damit hat er die Möglichkeit ungenutzt gelassen, insoweit genauere tatrichterliche Feststellungen herbeizuführen. Dass ein derartiger Verfahrensfehler zumindest möglicherweise geeignet sein könnte, die Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung zu begründen, war für ihn angesichts der bereits im Juli 2020 ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu der Thematik (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – C-517/17 [ECLI:EU:C:2020:579], Addis -) und der zuvor dort anhängigen Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschlüsse vom 27. Juni 2017, vom 17. April 2019 und vom 24. Oktober 2019 – 1 C 26.16 – jeweils juris) auch ohne Weiteres erkennbar. Die vorliegend erst im Beschwerdeverfahren erstmals vorgebrachten Angaben zum Gegenstand und Inhalt der vom Bundesamt durchgeführten Anhörung, die zudem anhand der Beschwerdeschrift nicht überprüfbar sind, können als neuer Tatsachenvortrag nicht zur Zulassung der Revision führen und sind auch nicht sinngemäß als Verfahrensrüge zu werten.
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Aus den vorgenannten Gründen kann die Revision auch nicht zur Klärung der Fragen zugelassen werden,
„wie sich das Urteil des EuGH vom 16.07.2020, C-517/17, Addis ./. Bundesrepublik Deutschland, welches auf einen Vorlagebeschluss des Senats ergangen ist, auf die Rechtmäßigkeit der gesamten Entscheidung auswirkt, wenn, wie hier, der Kläger im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht vertieft zu den Gründen, die einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegen stehen können – in eine solche wird die Feststellung im streitgegenständlichen Bescheid umgedeutet – oder aus denen sich ein Abschiebeverbot nach nationale[m] Recht ergeben kann, angehört wurde“,
„ob noch an der Rechtsprechung des 1. Senats in dem Beschluss vom 03.04.2017, 1 C 9.16 und im Urteil vom 25.07.2017, 1 C 10.17 im Licht der Entscheidung des EuGH festzuhalten ist“ und
„ob im Lichte des o.g. Urteils des EuGH und des o.g. Urteils des Senats vom 11.07.18 noch an der Auffassung, wonach in Verbindung mit einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG eine unterbliebene Feststellung zu § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 S. [1 AufenthG] durch die Beklagte nicht zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt, sondern von den Tatsachengerichten im gerichtlichen Verfahren nachzuholen ist, […] festgehalten werden kann.“
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Denn alle diese Fragestellungen knüpfen der Sache nach an das Unterbleiben einer (hinreichenden) behördlichen Anhörung zu einer Unzulässigkeitsentscheidung an, das sich aus den Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils indessen nicht hinreichend deutlich ergibt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.