Auch im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem von diesem vertretenen… (Beschluss des BVerwG 2. Senat)

BVerwG 2. Senat, Beschluss vom 23.02.2021, AZ 2 C 11/19, ECLI:DE:BVerwG:2021:230221B2C11.19.0

Leitsatz

Auch im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem von diesem vertretenen Beteiligten gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. Juli 2018, Az: 3d A 1161/11.O, Urteil
vorgehend VG Münster, 30. März 2011, Az: 13 K 283/10.O, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 2018 wird verworfen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

1

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist unzulässig und nach § 144 Abs. 1 VwGO zu verwerfen, weil der Beklagte die Revisionsbegründungsfrist (§ 139 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) nicht gewahrt hat (1.) und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) ausgeschlossen ist (2.).

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1. Nach § 3 Abs. 1, § 67 LDG NRW und § 139 Abs. 3 VwGO ist die Revision im Falle der Zulassung der Revision durch das Bundesverwaltungsgericht einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Revisionsbegründung ist gemäß § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 139 Abs. 3 Satz 2 VwGO bei dem Bundesverwaltungsgericht einzureichen.

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Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2019 über die Zulassung der Revision ist dem Bevollmächtigten des Beklagten am 12. Juli 2019 zugestellt worden. Die diesem Beschluss beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung entspricht den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO. Die erst unter dem Datum des 27. September 2019 erstellte Revisionsbegründung des Beklagten ist beim Bundesverwaltungsgericht per Telefax am 27. September 2019 – und damit lange nach Ablauf der Frist zur Revisionsbegründung am 12. August 2019 – eingegangen.

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2. Die vom Beklagten beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO ist ausgeschlossen.

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Nach § 60 Abs. 1 VwGO kann einem Verfahrensbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Wie sich unmittelbar aus § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ergibt, besteht diese Möglichkeit auch bei der Versäumung der gesetzlichen Frist zur Begründung der Revision nach § 139 Abs. 3 VwGO.

6

Verschulden ist gegeben, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 1995 – 6 C 13.93 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 198 S. 14). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt Verschulden stets den Verstoß gegen eine individuelle Sorgfaltspflicht voraus, auf die der Beteiligte (oder sein Bevollmächtigter) sich einstellen konnte (BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1991 – 2 BvR 1388/91 u.a. – NVwZ 1992, 262 <263>, vom 2. Juni 1992 – 2 BvR 1401/91 – BVerfGE 86, 280 <284> und vom 26. April 2004 – 1 BvR 1819/00 – NJW 2004, 2583 f.).

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Der die Wiedereinsetzung beantragende Beteiligte muss die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substanziierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 2000 – 2 B 57.00 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 236 S. 24; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 32 f.). Weitere Wiedereinsetzungsgründe in tatsächlicher Hinsicht können nach Ablauf der Zweiwochenfrist – abgesehen von bloßen Ergänzungen und Erläuterungen – nicht mehr vorgetragen werden. Nachgeholt werden kann im Verfahren gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur die Glaubhaftmachung (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1975 – 6 C 170.73 – BVerwGE 49, 252 <254>; Beschlüsse vom 3. Februar 1993 – 6 B 4.93 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 183 S. 56 und vom 16. Februar 1999 – 8 B 10.99 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 222 S. 4; BGH, Beschluss vom 1. Juli 1992 – IV ZB 13/90 – RuS 1993, 238 f.).

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Die beantragte Wiedereinsetzung ist hier ausgeschlossen, weil der Beklagte nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist für die Einreichung der Revisionsbegründung einzuhalten (a) und ihm das Verschulden seines Bevollmächtigten zuzurechnen ist (b).

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a) Auf der Grundlage des Sachvortrags des Bevollmächtigten des Beklagten ist das Fristversäumnis nicht lediglich auf ein dem Bevollmächtigten nicht zuzurechnendes Verschulden einer Hilfsperson zurückzuführen. Es beruhte vielmehr auf einem Alleinverschulden seines mit der Prozessvertretung selbst betrauten Rechtsanwalts. Denn der Bevollmächtigte des Beklagten hat keinen konkreten Grund für die Fristversäumnis benannt, sondern bei Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ausdrücklich eingeräumt, dass „aus im Einzelnen nicht mehr sicher nachvollziehbaren Gründen“ die hier einzutragende „Schriftsatzfrist“ nicht notiert worden ist. Aus dem Sachvortrag des Bevollmächtigten des Beklagten zum Wiedereinsetzungsantrag ergeben sich betreffend die Handhabung der Revisionsbegründungsfrist als besonderer prozessualer Frist mehrere erhebliche Verletzungen der anwaltlichen Sorgfaltspflicht.

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Ein erster Sorgfaltspflichtverstoß liegt darin, dass die beim Bevollmächtigten des Beklagten zur Notfristennotierung und -überwachung eingerichtete und von ihm zu verantwortende Praxis der anwaltlich angestellten Notfristenführer am 12. Juli 2019 als dem Tag des Eingangs des Zulassungsbeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts aus nicht näher dargelegten Gründen versagt hat, denn die Eingangspost wurde an diesem Tag keinem der anwaltlich angestellten Notfristenführer vorgelegt. Woran das ausnahmsweise – entschuldbar – gelegen haben könnte, wird weder in der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwalt Dr. H. vom 11. September 2019 – einem der bestellten Notfristenführer – noch vom Bevollmächtigten selbst nachvollziehbar erläutert.

11

Ein zweiter Sorgfaltspflichtverstoß ist darin zu sehen, dass der Bevollmächtigte nicht hinreichend zwischen der gesetzlichen Revisionsbegründungsfrist nach § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO und einer bloßen Schriftsatzfrist unterschieden hat. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, denen er seine besondere Sorgfalt widmen muss, gehört die Wahrung prozessualer Fristen. Zur Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, kann er sich zwar grundsätzlich – wie hier geschehen – gut ausgebildeten und sorgfältig beaufsichtigten Büropersonals bedienen (vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 1986 – 3 C 46.84 – BVerwGE 74, 289 <293 f.> und vom 7. März 1995 – 9 C 390.94 – NJW 1995, 2122 f. m.w.N.). Die Revisionsbegründungsfrist ist aber keine solche übliche Frist. Denn Vorkehrungen zur Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren keine Routineangelegenheit. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass gerade bei dem Bevollmächtigten des Beklagten Revisionsbegründungen in einer Fallzahl zu fertigen waren, die für die Ausbildung von Übung und Routine bei den Vorkehrungen für die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist ausreichend gewesen wären (vgl. hierzu ebenfalls BVerwG, Beschlüsse vom 7. März 1995 – 9 C 390.94 – NJW 1995, 2122 f. m.w.N. und vom 3. Dezember 2002 – 1 B 429.02 – NVwZ 2003, 868 <869>). Der Bevollmächtigte hat die von ihm nach seinem Vortrag diktierte Revisionsbegründungsfrist weder in der Akte noch im Computersystem vermerkt. Darin liegt eine weitere Verletzung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht.

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Drittens liegt ein zusätzlicher Sorgfaltspflichtverstoß des Bevollmächtigten des Beklagten darin, dass er für die Frist zur Begründung der Revision keine Vorfrist mit dem Ziel gesetzt hat, die zeitaufwendige fristgebundene Prozesshandlung auch rechtzeitig sachgerecht bearbeiten zu können (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994 – VIII ZB 26/94 – NJW 1994, 2551 f. und vom 9. Juni 1994 – I ZB 5/94 – NJW 1994, 2831).

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b) Dem Verschulden eines Beteiligten steht das Verschulden seines Bevollmächtigten gleich (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Der entsprechenden Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO stehen keine wesensmäßigen Unterschiede zwischen Zivilprozessordnung und Verwaltungsgerichtsordnung entgegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 16. November 1961 – 4 ER 403/61 – BVerwGE 13, 181 <182>, vom 5. Mai 1999 – 4 B 35.99 – NVwZ 2000, 65 f., vom 3. Dezember 2002 – 1 B 429.02 – NVwZ 2003, 868 <869> und vom 20. Juli 2016 – 6 B 35.16 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 425 Rn. 6). Dies gilt auch in Disziplinarverfahren (aa). Darüber hinaus ist die Zurechnung von Anwaltsverschulden im Disziplinarverfahren auch mit Verfassungsrecht vereinbar (bb).

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aa) Soweit die Versäumung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist auf dem Verschulden des Bevollmächtigten beruht, muss sich der vertretene Beamte dieses Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 3 BDG i.V.m. § 173 VwGO und § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Für den Beklagten als Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen ergibt sich diese Rechtslage aus § 3 LDG NRW i.V.m. § 173 VwGO.

15

Die frühere, noch auf Grundlage der alten Bundesdisziplinarordnung ergangene Rechtsprechung des Senats, wonach ein Verschulden des Anwaltes, das zur Fristversäumnis geführt hat, entsprechend den strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Mai 1960 – 4 StR 193/60 – BGHSt 14, 306 <308>, vom 6. Mai 1975 – 5 StR 139/75 – BGHSt 26, 126 <127>, vom 9. Dezember 1992 – 5 StR 394/92 – NJW 1993, 742, vom 28. April 2016 – 4 StR 474/15 – NStZ-RR 2016, 214 f. und vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17 – NStZ-RR 2018, 84), dem Beamten nicht zuzurechnen ist (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 18. März 1991 – 1 DB 1.91 – BVerwGE 93, 45 <48 f.>), ist wegen der veränderten Rechtslage überholt. Aus demselben Grund ist auch die Rechtsprechung der Wehrdienstsenate des Bundesverwaltungsgerichts zum Verschulden des Bevollmächtigten hier ohne rechtliche Bedeutung (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 7. September 2018 – 2 WDB 3.18 – BVerwGE 163, 89 Rn. 14), denn § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO verweist – abweichend von § 3 BDG und den entsprechenden landesdisziplinarrechtlichen Bestimmungen – u.a. in Bezug auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf die Vorschriften der Strafprozessordnung, die die Zurechnung des Alleinverschuldens eines Verteidigers ausschließen.

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Seit dem In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 (vgl. Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 9. Juli 2001, BGBl. I S. 1510) sind das Verwaltungsverfahrensgesetz, die Verwaltungsgerichtsordnung und weitere Gesetze, die auch für das sonstige Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren gelten, über § 3 BDG in Disziplinarverfahren des Bundes ergänzend anzuwenden. Für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 3 LDG NRW. Das Disziplinarverfahrensrecht hat sich insgesamt von der Bindung an das Strafprozessrecht gelöst und stattdessen eng an das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung angelehnt. Ob Wiedereinsetzung zu gewähren ist, beurteilt sich damit – über § 3 LDG NRW und § 3 BDG – ausschließlich nach dem Regelwerk der Verwaltungsgerichtsordnung und der sonst für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltenden Gesetze (vgl. zustimmend Gansen, BDG, § 3 Rn. 1, 4; Köhler/Baunack, BDG, 7. Aufl. 2020, § 3 Rn. 3a; Weiß, in: GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II, Stand November 2020, M § 3 BDG Rn. 23 und Koch, ebenda, Anh. 1 M § 3 Rn. 82).

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Diese verfahrensrechtliche Neuausrichtung – weg vom Strafprozessrecht, hin zum Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht – hat ihren Grund nicht zuletzt in den unterschiedlichen Zwecken von Straf- und Disziplinarrecht: Strafgerichtliche Bestrafung einerseits und disziplinarrechtliche Ahndung andererseits unterscheiden sich nach Rechtsgrund und Zweckbestimmung grundlegend voneinander. Das Disziplinarrecht sichert als Dienstordnungsrecht die Pflichtenbindung des einzelnen Beamten und damit mittelbar die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung und eines geordneten Dienstbetriebs. Die Disziplinarmaßnahme ist ausschließlich darauf ausgerichtet, den Beamten an seine Dienstpflichten zu ermahnen und damit einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. z.B. Herrmann, in: Herrmann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, Rn. 256 m.w.N.). Die Kriminalstrafe soll dagegen vom Gesetzgeber herausgehobene Rechtsgüter schützen und der Begehung weiterer Straftaten entgegenwirken, dem Täter die Fähigkeit und den Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermitteln und helfen, etwaige soziale Anpassungsschwierigkeiten, die mit der Tat zusammenhängen, zu überwinden.

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Selbst die Entfernung aus dem Dienstverhältnis bezweckt nicht den für den Bediensteten darin liegenden Nachteil. Sie dient vielmehr der Wiederherstellung der Integrität des öffentlichen Dienstes, in dessen uneingeschränkte Ausrichtung auf gesetzmäßiges Handeln der Bürger vertrauen können soll. Während die konkrete Strafzumessung strafrechtlichen Kriterien folgt, wird die disziplinarrechtliche Maßnahmebemessung nach § 13 BDG oder den entsprechenden Landesgesetzen – hier § 13 LDG NRW – wesentlich durch den Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit bestimmt (BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2019 – 2 C 3.18 – BVerwGE 166, 389 Rn. 34).

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Darüber hinaus unterscheiden sich die strafrechtlichen Rechtsfolgen – Geld- oder Freiheitsstrafe – deutlich von denjenigen des Disziplinarrechts – maximal: Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder Aberkennung des Ruhegehalts -. Während die nicht bezahlte Geldstrafe ebenso wie die Freiheitsstrafe den Freiheitsentzug des Betroffenen zur Folge hat, führt der disziplinare Verlust des Beamtenstatus unmittelbar zur sozialversicherungsrechtlichen Nachversicherung des ehemaligen Beamten in der gesetzlichen Rentenversicherung nach Maßgabe des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch. Jenseits des in der Regel endgültigen Verlusts des Beamtenstatus ist der ehemalige Beamte in der Wahrnehmung seiner Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit grundsätzlich nicht beschränkt. Dem entspricht es, dass in arbeitsgerichtlichen Verfahren etwa der Kündigungsschutzklage, die für die Arbeitnehmer nicht weniger existenziell sind, Anwaltsverschulden nach § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Arbeitnehmer zugerechnet wird (vgl. BAG, Beschluss vom 2. November 2010 – 5 AZR 456/10 <F> – juris Rn. 2; Urteile vom 24. November 2011 – 2 AZR 614/10 – NJW 2012, 1467 Rn. 15 f. und vom 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – EzA § 5 KSchG Nr. 41 = juris Rn. 41).

20

Im Übrigen ist der ehemalige Beamte sozialrechtlich – auch im Falle einer Privatinsolvenz – über die ihm im Fall von Bedürftigkeit zustehenden Rechtsansprüche jedenfalls gemäß den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch und des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch abgesichert. Die Folgen des disziplinaren Verlustes des Beamtenstatus sind für den ehemaligen Beamten in persönlicher, finanzieller und reputativer Hinsicht zwar hart, aber in ihrer Härte nicht vergleichbar mit einer Freiheitsentziehung aufgrund strafgerichtlicher Entscheidung oder einer asyl- oder ausländerrechtlich veranlassten zwangsweisen Rückführung in einen für den Betroffenen u.U. fremden Zielstaat.

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bb) Der Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten gegenüber dem von ihm vertretenen Beamten nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO steht Verfassungsrecht nicht entgegen. Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG, der die Zurechnung von Anwaltsverschulden im Disziplinarverfahren ausschließen könnte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist die Zurechnung von Anwaltsverschulden nach der Rechtsprechung – insbesondere des Bundesverfassungsgerichts – auch dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn es in zivil- oder verwaltungsgerichtlichen Prozessen um höchstpersönliche und grundrechtlich geschützte Rechtsgüter des Beteiligten geht. So hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten gem. § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO bei der Frage der Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist im Asylverfahren mit dem Grundgesetz und insbesondere mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81 – BVerfGE 60, 253 <LS 2 und 266 ff.>).

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Die Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes durch die Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten auf den Beteiligten rechtfertigt sich aus Gründen der Rechtssicherheit, die ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit ein Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes darstellt (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81 – BVerfGE 60, 253 <267 m.w.N.>). Von Verfassungs wegen wären diese Rechtsfolgen erst dann zu beanstanden, wenn sie zu schlechterdings unerträglichen Ergebnissen – wie grundsätzlich im Strafverfahren – führten. Indes ist auch angesichts der möglichen existentiellen Bedeutung die Versagung des Asylrechts mit einer strafgerichtlichen Verurteilung nicht vergleichbar (BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81 – BVerfGE 60, 253 <299>).

23

Ebenso hatte das Bundesverfassungsgericht bereits zuvor für Kindschaftssachen zu § 232 Abs. 2 ZPO a.F. judiziert und die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei schuldhafter Versäumung der Berufungsfrist durch einen Prozessbevollmächtigten für verfassungsgemäß erachtet (BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 1973 – 2 BvL 5/72 u.a. – BVerfGE 35, 41 <47>).

24

Dem hat sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowohl für das Asylverfahren (BVerwG, Beschluss vom 8. März 1984 – 9 B 15204.82 – DVBl. 1984, 781 <782>), für das Kriegsdienstverweigerungsverfahren (BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1975 – 6 C 170.73 – BVerwGE 49, 252 <257 ff.> und Beschluss vom 22. Mai 1981 – 6 B 41.81 – DÖV 1981, 838 f.) und für Verfahren im Ausländerrecht (BVerwG, Beschlüsse vom 8. Januar 1998 – 1 B 251.97 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 216 S. 42 <Ausweisungsverfügung> und vom 23. Juni 2011 – 1 B 9.11 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 268 Rn. 5) angeschlossen; in dem ein Disziplinarverfahren betreffenden Beschluss vom 13. März 2019 – 2 B 64.18 – (Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 287 Rn. 6, 8) wird die Zurechnung des Anwaltsverschuldens lediglich als Begründung der Vorinstanz wiedergegeben, gegen die kein Zulassungsgrund vorgebracht wurde.

25

Auch die Verschärfung des Asylverfahrensgesetzes im Jahre 1992 hat keine Änderung der fachgerichtlichen Rechtsprechung zur Folge gehabt (vgl. VGH Mannheim, Beschlüsse vom 4. Januar 2000 – A 14 S 786/99 – NVwZ-RR 2000, 261 f. und vom 12. Juni 2007 – 9 S 315/07 – NVwZ-RR 2007, 819 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung bestätigt. Es hält auch unter Geltung des (verschärften) AsylVfG 1992 die Zurechnung des Anwaltsverschuldens im Asylverfahren weiter für verfassungsgemäß (BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juni 2000 – 2 BvR 1989/97 – NVwZ 2000, 907 <908 f.> und vom 7. Januar 2003 – 2 BvR 447/02 – NJW 2003, 1516).

26

Diese Rechtsprechung wird in der Literatur, soweit es um die uneingeschränkte Zurechnung anwaltlichen Verschuldens in Verwaltungsprozessen geht, in denen hochrangige höchstpersönliche Rechtsgüter (Asyl, Aufenthaltsbeendigung und Schutz vor Rückführung) auf dem Spiel stehen, vereinzelt als verfassungsrechtlich problematisch und rechtspolitisch bedenklich angesehen (vgl. etwa Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 48 m.w.N. und Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 11), aber überwiegend geteilt (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 60 VwGO Rn. 25; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 60 Rn. 20; Peters, in: BeckOK VwGO (Posser/Wolff), Stand Januar 2021, § 60 Rn. 17; Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 60 Rn. 9).

27

Nach diesen Grundsätzen ist die Zurechnung von Verschulden des Prozessbevollmächtigten im Disziplinarverfahren gegenüber dem vertretenen Beamten nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies gilt aus den oben (Rn. 14) bereits aufgezeigten Gründen auch bei der disziplinargerichtlichen Überprüfung von disziplinaren Höchstmaßnahmen und damit beim Entzug von nach Art. 33 Abs. 5 GG besonders geschützten statusbezogenen Rechten. Im Übrigen würde eine an der konkreten Disziplinarmaßnahme orientierte Differenzierung der Zurechnung von Vertreterverschulden im Disziplinarverfahren zu einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsunsicherheit bei der Handhabung des Wiedereinsetzungsrechts nach § 60 VwGO führen.

28

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig eine Gerichtsgebühr nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben wird.