Soziales

Beschluss des BSG 9. Senat vom 04.02.2021, AZ B 9 V 41/20 B

BSG 9. Senat, Beschluss vom 04.02.2021, AZ B 9 V 41/20 B, ECLI:DE:BSG:2021:040221BB9V4120B0

Verfahrensgang

vorgehend SG Braunschweig, 14. Juni 2017, Az: S 42 VE 46/16
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 16. Juli 2020, Az: L 10 VE 42/17, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

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Die Klägerin begehrt in der Hauptsache als Folge eines Ereignisses vom 16.9.2014 die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch verneint
(Urteil vom 16.7.2020). Die Klägerin sei nicht Opfer eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG geworden. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reiche für einen tätlichen Angriff nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche Folgen haben sollte. Die Klägerin und ihre Freundin hätten übereinstimmend erklärt, der Täter habe „vor der Tür gestanden und mit einer Pistole gegen die Tür gehämmert“ und „da klopfte er so richtig an der Tür, mach die Tür auf, mach die Tür auf“, „der Mann klopfte die ganze Zeit an die Tür“. Dafür, dass der Täter gegen die Tür solche Kraftentfaltung habe wirken lassen, um diese als letztes Hindernis zu den Opfern zu beseitigen, gäbe es – so das LSG – keinen Anhaltspunkt. Im Übrigen habe dieser auch gegenüber der Klägerin und ihrer Freundin keine Drohungen ausgesprochen und diese erst recht nicht mit der Schusswaffe direkt bedroht.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz geltend.

II

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Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz
(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind
(vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

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1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen
(zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 – B 9 V 63/17 B – juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 – B 9 V 35/17 B – juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

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Die Klägerin trägt vor: Vor dem Hintergrund der Bestrebungen des BSG zu einer eigenständigen, dh vom Strafrecht unabhängigen Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sei unter Berücksichtigung der Zwecke des Opferentschädigungsrechts zu klären, „ob auch bereits bei rein physisch“ (gemeint wohl: psychisch) vermitteltem Zwang das Vorliegen eines tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzunehmen sei.

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Die Klägerin hat jedoch schon die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend dargetan. Allein die Behauptung, die aufgeworfene Fragestellung sei bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt und das Urteil des BSG vom 16.12.2014
(B 9 V 1/13 R – BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21) sei inhaltlich nicht überzeugend, reicht nicht. Die Klägerin unterzieht sich nicht der notwendigen Mühe, sich mit der Rechtsprechung des BSG zum Begriff des „tätlichen Angriffs“ iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG und hier insbesondere mit dem vom LSG in seinem angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Entscheidungen des BSG vom 7.4.2011
(B 9 VG 2/10 R – BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18) und vom 16.12.2014
(B 9 V 1/13 R – BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21) inhaltlich auseinanderzusetzen und versäumt es demzufolge auch auf dieser Grundlage zu prüfen, ob sich aus dieser bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung schon ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung ergeben. Ist dies aber der Fall, so gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt
(vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 22.3.2018 – B 9 SB 78/17 B – juris RdNr 12 mwN). Substanzielle Argumente, die eine weiterhin bestehende oder erneut eingetretene Klärungsbedürftigkeit begründen könnten, legt die Klägerin ebenfalls nicht dar.

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2. Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

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Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 13.12.2017 – B 5 R 256/17 B – juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 31.7.2017 – B 13 R 140/17 B – juris RdNr 12 f). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

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Die Klägerin trägt vor, das LSG habe den Begriff des rechtswidrigen tätlichen Angriffs „fehlerhaft ausgelegt“ und sich nicht hinreichend am Einzelfall orientiert. Es weiche insofern von der Rechtsprechung des BSG ab.

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Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin keine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bezeichnet. Sie benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des BSG noch stellt sie einem solchen höchstrichterlichen Rechtssatz einen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem angefochtenen Urteil gegenüber. Der von ihr in der Beschwerdebegründung zitierte Satz des LSG auf S 8 des angefochtenen Urteils stellt lediglich die Rechtsprechung des BSG zum tätlichen Angriff dar, ohne von dieser abzuweichen. Im Übrigen stellt die Klägerin diesem Satz auch keinen abstrakten Rechtssatz des BSG gegenüber. Sie trägt vielmehr nur vor, dass nach ihrer Auffassung das Berufungsgericht den Begriff des rechtswidrigen tätlichen Angriffs „fehlerhaft ausgelegt“ habe und zu Unrecht davon ausgehe, „dass diese Frage nicht abschließend beantwortet werden müsse“. Ihr Vorbringen geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus. Zudem setzt die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in dem angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist aber selbst dann nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte
(stRspr; zB Senatsbeschluss vom 7.10.2016 – B 9 V 28/16 B – juris RdNr 26; BSG Beschluss vom 9.5.2017 – B 13 R 240/16 B – juris RdNr 20).

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3. Schließlich war der Senat nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, falls „weitere Ausführungen als nötig erachtet“ würden, vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG. § 106 Abs 1 SGG gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen
(stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.7.2010 – B 7 AL 60/10 B – juris RdNr 7).

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab
(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

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4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.