BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 03.02.2021, AZ XII ZB 437/20, ECLI:DE:BGH:2021:030221BXIIZB437.20.0
Leitsatz
Zur Frage, wann eine die Beschwerdeberechtigung begründende erstinstanzliche Beteiligung eines nahen Angehörigen des Betroffenen im Betreuungsverfahren vorliegt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 17. Juni 2020 – XII ZB 574/19, FamRZ 2020, 1590 und vom 12. Juni 2019 – XII ZB 51/19, FamRZ 2019, 1647).
Verfahrensgang
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 15. September 2020, Az: 13 T 3052/20
vorgehend AG Erlangen, 27. März 2020, Az: 4 XVII 820/17
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. September 2020 wird zurückgewiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert: 5.000 €
Gründe
1
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Dass das Landgericht die Beschwerde des Bruders der Betroffenen (Beteiligter zu 3) gegen die Verlängerung der Betreuung mangels Beschwerdeberechtigung verworfen hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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1. Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sind im Interesse des Betroffenen unter anderem dessen Geschwister zur Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung befugt, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Einem Angehörigen, der erstinstanzlich nicht beteiligt worden ist, steht kein Beschwerderecht zu, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Beteiligung unterblieben ist. Die für die Beschwerdebefugnis mithin erforderliche Hinzuziehung kann auch konkludent erfolgen, beispielsweise durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen. Eine nachträgliche Erlangung der Beschwerdebefugnis durch Hinzuziehung von Angehörigen nach Erlass der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts – sei es in einem Zwischenverfahren, sei es im Rahmen des Abhilfeverfahrens – scheidet aus (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 17. Juni 2020 – XII ZB 574/19 – FamRZ 2020, 1590 Rn. 11 f. mwN).
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Die Nichterwähnung im Entscheidungsrubrum steht einer tatsächlichen Hinzuziehung zwar nicht entgegen. Eine Beteiligung setzt aber die Möglichkeit voraus, dass die beteiligte Person – in welcher Art und Weise auch immer – auf das Verfahren in derselben Instanz Einfluss nehmen kann. Erforderlich ist mithin, dass das Gericht dem Beteiligten eine solche Einflussnahme ermöglichen will und dies zumindest konkludent zum Ausdruck bringt. Es bedarf daher immer eines vom Gericht gewollten Hinzuziehungsakts, unabhängig davon, ob es sich um einen Muss-Beteiligten im Sinne von § 274 Abs. 1 FamFG oder – wie hier – um einen Kann-Beteiligten nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG handelt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 12. Juni 2019 – XII ZB 51/19 – FamRZ 2019, 1647 Rn. 10 mwN).
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2. Bei Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg gegen die Würdigung des Landgerichts, das Amtsgericht habe den Beteiligten zu 3 nicht in einer die Beschwerdeberechtigung des § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG begründenden Weise zum Verfahren hinzugezogen.
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a) Bis zur erstinstanzlichen Endentscheidung hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 3 nicht in das Verfahren einbezogen. Er wurde weder vom Amtsgericht zu einer Stellungnahme zur Verlängerung der Betreuung aufgefordert noch wurden ihm die Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten (der beiden Betreuer sowie der Betreuungsbehörde), der Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens oder das Sachverständigengutachten mitgeteilt.
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Das Amtsgericht hat dem Beteiligten zu 3 lediglich auf dessen eigeninitiativ erfolgte Eingaben mitgeteilt, dass die Verlängerung der Betreuung einschließlich der Betreuerperson aktuell geprüft werde, und ihn darum gebeten, davon abzusehen, seine E-Mail-Korrespondenz mit den Betreuern in Kopie dem Gericht zu übersenden. Soweit es zu letztgenannter Bitte die Hinausgabe des Schreibens an „sonstiger Beteiligter“ verfügt hat, war damit ersichtlich keine Hinzuziehung verbunden. Vielmehr ist diese Bezeichnung gerichtsintern geblieben und war die Verfügung allein darauf gerichtet, dem Eingang weiterer allein das familiäre Verhältnis zwischen den Betreuern und dem Beteiligten zu 3 betreffender E-Mails vorzubeugen, nicht aber dem Beteiligten zu 3 eine Einflussnahme auf das laufende Verfahren zu ermöglichen.
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b) Entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde führt es ebenso wenig zu einer Beteiligung, dass sich die Betreuungsbehörde in ihrer Stellungnahme an das Amtsgericht vom 23. Januar 2020 mit auch dem Amtsgericht vorliegenden E-Mails des Beteiligten zu 3 und dem daraus deutlich werdenden innerfamiliären Streit auseinandergesetzt hat. Ein Hinzuziehungsakt des Gerichts ist damit nicht verbunden. Er liegt auch weder in der Verwertung der Stellungnahme der Betreuungsbehörde in der Endentscheidung (vgl. auch Senatsbeschluss vom 16. Januar 2019 – XII ZB 489/18 – FamRZ 2019, 618 Rn. 10) noch darin, dass das Amtsgericht bei der Frage des Einwilligungsvorbehalts den Streit unter den Angehörigen und die sich auch aus den E-Mails ergebenden Wünsche des Beteiligten zu 3 zum künftigen Aufenthaltsort der Betroffenen thematisiert hat.
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c) Schließlich dringt die Rechtsbeschwerde nicht mit ihrer Erwägung durch, jedenfalls aus der Zustellung des amtsgerichtlichen Beschlusses an den Beteiligten zu 3 folge dessen Beteiligtenstellung. Obgleich eine Bekanntgabe an den Beteiligten zu 3 – egal in welcher Form – nur bei dessen Beteiligung am Verfahren rechtlich geboten war, kann sie die zuvor unterbliebene Hinzuziehung zum erstinstanzlichen Verfahren nicht ersetzen. Denn sie eröffnet gerade keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Endentscheidung in dieser Instanz mehr (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 17. Juni 2020 – XII ZB 574/19 – FamRZ 2020, 1590 Rn. 14 mwN).
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