Wirkungen der Insolvenzeröffnung: Unterbrechung eines Rechtsstreits bei Verfolgung eines Einzelschadens wegen einer durch Täuschung eines Dritten bewirkten Zahlung an die spätere Insolvenzschuldnerin (Urteil des BGH 9. Zivilsenat)

BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 17.12.2020, AZ IX ZR 21/19, ECLI:DE:BGH:2020:171220UIXZR21.19.0

§ 92 InsO, § 823 Abs 2 BGB, § 263 StGB, § 17 AnfG

Leitsatz

Verfolgt der Kläger mit dem Vortrag, von dem Beklagten durch Täuschung zu einer Zahlung an die spätere Schuldnerin veranlasst worden zu sein, einen Einzelschaden, wird der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin nicht unterbrochen, wenn der Einzelschaden und ein möglicherweise daneben bestehender Gesamtschaden unterschiedliche Streitgegenstände betreffen.

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 16. Oktober 2018, Az: 5 U 1835/18
vorgehend LG München I, 26. April 2018, Az: 6 O 19574/15

Tenor

Auf die Revision der Klägerinnen wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 16. Oktober 2018 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin zu 2 ist Alleingesellschafterin der Klägerin zu 1, die bundesweit Seniorenwohnstifte betreibt. Der Beklagte gehört als eingetragener Verein zu der von        S.    beherrschten N.    -K.     -Gruppe (nachfolgend   -Gruppe).

2

Die Klägerin zu 1 übertrug 14 in ihrem Eigentum stehende, mit Seniorenresidenzen bebaute Grundstücke an zu der   -Gruppe gehörende Objektgesellschaften, die in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG geführt wurden. Im Rahmen einer sale-and-lease-back-Transaktion stellten die Klägerinnen den Objektgesellschaften zur Finanzierung der Kaufpreise Darlehen über insgesamt 660.950.000 € zur Verfügung. Zwischen den Klägerinnen und den Objektgesellschaften wurden Mietverträge für die Dauer von 30 Jahren geschlossen, nach deren Inhalt die Klägerinnen neben der Miete sämtliche Nebenkosten der Grundstücke zu tragen hatten.

3

Durch eine anonyme Anzeige vom 10. Februar 2014 wurde den Klägerinnen mitgeteilt, im Rahmen der Immobilienverkäufe durch ihren Geschäftsführer und ihren Aufsichtsratsvorsitzenden in strafbarer Weise geschädigt worden zu sein. Mit Schreiben vom 22. August 2014 teilten die Klägerinnen den Erwerbern mit, die Verträge für nichtig zu erachten, und erklärten hilfsweise deren Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

4

Unmittelbar vorher schlossen die Objektgesellschaften am 21. August 2014 mit der I.                                   mbH (nachfolgend: Schuldnerin) einen Dienstleistungsvertrag, wonach die Schuldnerin, soweit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz vereinbar, die Interessen der Objektgesellschaften gegenüber den Klägerinnen gegen eine monatliche Vergütung von 50.000 € wahrnehmen sollte. Dieser Vertrag wurde am 6. Oktober 2015 aufgehoben. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Dezember 2015 ein Insolvenzverfahren eröffnet und der in erster Instanz nicht beteiligte Revisionsbeklagte zu 2 zum Insolvenzverwalter bestellt.

5

Die Objektgesellschaften, über deren Vermögen zwischenzeitlich ebenfalls Insolvenzverfahren eröffnet wurden, überwiesen am 21./22. August und 26. September 2014, handelnd durch        S.    , der Geschäftsführer der Objektgesellschaften, alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin und Vorstand des Beklagten ist, aus Mietzahlungen der Klägerinnen im Zeitraum von Juni bis August 2014 herrührende Beträge in Höhe von 9.945.241,48 € auf ein Konto der Schuldnerin. Im November 2014 überwies die Schuldnerin, handelnd durch        S.      , einen Betrag von 3.500.000 € an die N.                GbR. Diese Gesellschaft überwies, ebenfalls vertreten durch       S.      , am 27. November 2014 diesen Betrag an den Beklagten. Ferner transferierte die Schuldnerin, wiederum handelnd durch        S.     , am 26. März 2015 einen Betrag von 5.000.000 € direkt auf das Konto des Beklagten.

6

Nach Abtrennung des Verfahrens gegen die Schuldnerin und weitere Gesellschaften der   -Gruppe nehmen die Klägerinnen gestützt auf den Vorwurf strafbaren Verhaltens den Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.500.000 € in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Nebenforderungen stattgegeben. Dagegen haben der Beklagte und der Insolvenzverwalter der Schuldnerin Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat das Urteil wegen einer Unterbrechung des Verfahrens aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen wenden sich die Klägerinnen mit der vom Senat zugelassenen Revision, durch die sie die Wiederherstellung des Ersturteils erstreben.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat Erfolg.

I.

8

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

9

Die Berufungen seien begründet, weil das Landgericht ein Endurteil erlassen habe, obwohl das Verfahren analog § 17 AnfG unterbrochen sei. Zulässig sei auch die Berufung des Insolvenzverwalters, denn dieser könne einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG geltend machen, ohne die Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens beenden zu müssen.

10

Streitentscheidend sei die Frage, ob der von den Klägerinnen geltend gemachte Anspruch einen Masseschaden oder einen Individualschaden bilde. Ein Anspruch aus § 92 InsO könne sich nicht nur gegen Gesellschafter und Organe der Schuldnerin, sondern jeden Dritten richten. Hier hätten alle zum Zeitpunkt der Weiterüberweisungen existierenden Gläubiger der Schuldnerin durch den Entzug der Masse einen Schaden erlitten. Selbst wenn die Klägerinnen bereits deutlich vor den Überweisungen an den Beklagten durch Straftaten des Vorstands der Beklagten geschädigt worden seien, habe sich die Schädigung durch die Schuldnerin erst mit den Weiterüberweisungen und dem Verlust von Gutschriften verwirklicht. Die Bestimmung des § 92 InsO greife auch dann ein, wenn es nur einen Gläubiger gebe oder das Vermögen des Ersatzpflichtigen ausreiche, um die Schäden aller Gläubiger zu ersetzen.

11

Der Umstand, dass die Klägerinnen ihre Ansprüche nicht nur auf das Beiseiteschaffen des Vermögens der Schuldnerin stützten, sondern auf sonstige Straftaten, berechtige sie nicht zur Fortführung des Verfahrens. Das auf Verkürzung der Masse gestützte Begehren und der Schadensersatzanspruch wegen Geldwäsche bildeten den gleichen Streitgegenstand. Auch wenn der Lebenssachverhalt der Geldwäsche über das Beiseiteschaffen des Vermögens der Schuldnerin hinausgehe, gipfelten beide Sachverhalte in den von dem Vorstand des Beklagten vorgenommenen Überweisungen. Nur der Insolvenzverwalter könne den Anspruch unter sämtlichen rechtlichen Gesichtspunkten geltend machen.

12

Ein Gesamtschaden liege auch hinsichtlich der Überweisung von 3.500.000 € über die N.              GbR an den Beklagten vor. Zur Rückgewähr verpflichtet sei nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO derjenige, der als Empfänger die anfechtbare Leistung des Schuldners erlangt habe. Es habe sich für den Beklagten erkennbar um eine Leistung der Schuldnerin gehandelt, er müsse daher so behandelt werden, als habe er die Zahlung unmittelbar von dieser erhalten.

II.

13

Die Revision gegen das kassatorische Berufungsurteil ist auf die erforderliche Verfahrensrüge gestützt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 b ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 – IX ZR 334/01, WM 2003, 1178, 1179). Sie macht insbesondere geltend, dass das Verfahren nicht unterbrochen sei und eine Zurückverweisung daher ausscheide. Damit hat die Revision auch Erfolg.

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1. Mit Recht hat das Berufungsgericht beide Berufungen als zulässig erachtet. Rechtsmittelberechtigt war auch der im ersten Rechtszug nicht beteiligte Insolvenzverwalter der Schuldnerin.

15

a) Der Insolvenzverwalter, der ein gegen § 240 ZPO oder § 17 AnfG verstoßendes Urteil aus der Welt schaffen will, kann dieses anfechten, ohne die Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens zu beenden (BGH, Urteil vom 16. Januar 1997 – IX ZR 220/96 ZIP 1997, 473). Darum ist anerkannt, dass ein während der Unterbrechung des Rechtsstreits ergangenes, die Insolvenzmasse betreffendes Urteil jedenfalls von dem Insolvenzverwalter und dem Prozessgegner angefochten werden kann (BGH, aaO S. 473 f). Der Revisionsbeklagte zu 2 konnte folglich geltend machen, dass der Rechtsstreit einen Anspruch auf einen Gesamtschaden betreffe und deshalb unterbrochen sei.

16

b) Ein Rechtsschutzinteresse des Insolvenzverwalters entfällt nicht deswegen, weil er den von den Klägerinnen vor dem Landgericht erwirkten Titel analog § 727 ZPO auf sich umschreiben lassen könnte (vgl. Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 92 Rn. 8 mwN). Das Erstgericht hat den Klägerinnen ausdrücklich einen Individualschaden zuerkannt. Im Blick auf diesen Anspruch scheidet eine Rechtsnachfolge des Insolvenzverwalters aus.

17

2. Der Rechtsstreit wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin nicht entsprechend § 17 Abs. 1 AnfG unterbrochen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 – IX ZR 143/13, BGHZ 208, 227 Rn. 14). Zur Einziehung des von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruchs ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, denn der Anspruch stellt keinen Gesamtschaden nach § 92 InsO dar. Der Rechtsstreit betrifft einen individualrechtlichen Schadensersatzanspruch der Klägerinnen.

18

a) Das Verfahren wird nur unterbrochen, wenn es unmittelbar oder mittelbar die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO) betrifft. Der Streitgegenstand muss entweder Bestandteil der Insolvenzmasse oder aus ihr zu leisten sein. Eine Unterbrechung findet deshalb nur statt, wenn und soweit der Gegenstand des anhängigen Verfahrens ein Vermögensgegenstand ist, der rechtlich zur Insolvenzmasse gehören kann. Grundsätzlich wird einheitlich der gesamte Rechtsstreit unterbrochen, wenn nur einer von mehreren im Rahmen eines einheitlichen Streitgegenstands geltend gemachten Ansprüchen die Insolvenzmasse betrifft (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 – IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246, 250; Beschluss vom 10. Dezember 2014 – XII ZR 136/12, ZInsO 2015, 523 Rn. 15; vom 20. Juni 2018 – XII ZB 285/17, FamRZ 2018, 1347 Rn. 38). Im Streitfall verfolgen die Klägerinnen einen Individualschaden. Ein etwaiger Gesamtschaden bildet indessen einen anderen Streitgegenstand und hindert mangels einer Unterbrechung des Verfahrens die Klägerinnen nicht, ihren Individualschaden zu verfolgen.

19

b) Gegenstand der Klage ist ein Einzelschaden und nicht ein von dem Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO zu verfolgender Gesamtschaden.

20

aa) Die Bestimmung des § 92 InsO enthält keine Anspruchsgrundlage, sondern regelt die Einziehung einer aus einer anderen Rechtsgrundlage herrührenden Forderung, die einen Gesamtschaden betrifft (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 – IX ZR 210/10, WM 2011, 1483 Rn. 6). Nach dem Inhalt der Vorschrift können Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben (Gesamtschaden), während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 127/14, WM 2015, 1644 Rn. 11). Ein Gesamtschaden bezieht sich auf einen solchen Schaden, den der einzelne Gläubiger ausschließlich aufgrund seiner Gläubigerstellung und damit als Teil der Gesamtheit der Gläubiger erlitten hat. Das schädigende Verhalten, aus dem der Schädiger in Anspruch genommen wird, muss die Insolvenzmasse verkürzt und damit zu einer geringeren Quote für die Gläubiger geführt haben (Quotenverringerungsschaden). Der Anspruch kann sich nicht nur gegen Gesellschafter oder Organe der insolventen Schuldnerin, sondern grundsätzlich gegen jeden Dritten richten. Ein Gesamtschaden tritt auch durch eine deliktische Verschiebung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens ein (BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 – IX ZR 334/01, WM 2003, 1178, 1180; vom 13. Dezember 2018 – IX ZR 66/18, WM 2019, 318 Rn. 11). Zweck des § 92 InsO ist es damit, die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger aus dem Vermögen des wegen Masseverkürzung haftpflichtigen Schädigers zu sichern (BGH, Urteil vom 8. Mai 2003 – IX ZR 334/01, WM 2003, 1178, 1180 f; vom 20. September 2004 – II ZR 302/02, WM 2004, 2254, 2256; Beschluss vom 14. Juli 2011 – IX ZR 210/10, WM 2011, 1483 Rn. 6).

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bb) Um einen nicht von § 92 InsO erfassten Einzelschaden handelt es sich, wenn ein Gläubiger nicht als Teil der Gläubigergesamtheit, sondern individuell geschädigt wird (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2011 – IX ZR 210/10, aaO Rn. 9; Urteil vom 13. Dezember 2018, aaO). In dem Kontrahierungsschaden des Neugläubigers, mit welchem der Geschäftsführer einer juristischen Person nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung in ihrem Namen einen Vertrag schließt, manifestiert sich ein Einzelschaden, welcher nicht von dem Insolvenzverwalter, sondern gemäß § 823 Abs. 2, § 15a InsO von dem Neugläubiger geltend zu machen ist (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018, aaO Rn. 12). Ebenso verwirklicht sich ein Einzelschaden, wenn der Gläubiger aufgrund einer Täuschungshandlung eines Dritten Zahlungen an die Schuldnerin erbringt. Für einen solchen Gläubiger stellen sich die Zahlungen als individueller Vermögensverlust dar. Dabei geht es nicht darum, dass sich die Insolvenzquote für alle Gläubiger verringert hat. Vielmehr erblickt der Gläubiger seinen individuellen Schaden – unabhängig von jeder Insolvenzquote – allein in der konkreten Zahlung an die Schuldnerin, durch die er in strafbarer Weise veranlasst wurde. Sowohl der deliktische Angriff auf die Dispositionsfreiheit des Gläubigers als auch auf dessen Privatvermögen als das eigentliche Tatobjekt der Betrugstat sind ausschließlich seiner Individualsphäre zugeordnet (BGH, aaO Rn. 13). Ansprüche aus Anlass einer arglistigen Täuschung bei Abschluss von Verträgen stehen den Geschädigten wie auch das Gestaltungsrecht aus § 123 BGB als Individualansprüche zu (BGH, Urteil vom 28. April 2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rn. 29; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Juli 2017 – IX ZR 310/14, ZIP 2017, 1571 Rn. 14).

22

cc) Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein nicht von § 92 InsO erfasster Individualschaden vor, weil sich die Klägerinnen darauf berufen, bereits durch von der Klägerin zu 2 bewirkte Zahlungen an die Objektgesellschaften geschädigt worden zu sein, die im kollusiven Zusammenwirken ihrer Organe mit      S.    erfolgt seien, der in Personalunion Geschäftsführer der jeweiligen Komplementär-GmbH der Objektgesellschaften, Geschäftsführer der Schuldnerin und Vorstand des Beklagten war. Diese Möglichkeit eines Individualschadens hat das Berufungsgericht bislang nicht hinreichend erwogen.

23

(1) Die Klägerinnen verfolgen einen Einzelschaden, weil sie sich dadurch geschädigt sehen, dass sie aufgrund eines arglistigen Zusammenwirkens ihrer Organe mit den von       S.       vertretenen Gesellschaften für sie nachteilige Grundstücksverträge vereinbart und auf dieser Grundlage vermögensmindernde Zahlungen an die Objektgesellschaften geleistet haben. Die Klägerinnen erkennen ihren Schaden nicht erst und allein in der Verschiebung von Vermögen der insolventen Objektgesellschaften an die Schuldnerin und von ihr an den Beklagten, was für sich genommen jeweils eine Masseverkürzung darstellen und dem § 92 InsO unterfallende Haftungsansprüche der Gläubigergesamtheit auslösen kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2003, aaO; BT-Drucks. 12/2443, S. 139). Sie machen vielmehr geltend, bereits im Zuge nachteiliger Grundstücksgeschäfte und in diesem Zusammenhang an die Objektgesellschaften geleisteter Mietzahlungen einen Schaden erlitten zu haben. Soweit      S.     als Organ der Objektgesellschaften, der Schuldnerin und des Beklagten in strafbarer Weise Zahlungen auf die Konten der Objektgesellschaften veranlasst hat, sind die Gesellschaften gemäß § 31 BGB für den schon im Entzug der Mittel zu erblickenden Quasi-Kontrahierungsschaden verantwortlich (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2018 – IX ZR 66/18, WM 2019, 318 Rn. 10).

24

(2) Der Beklagte hat geltend gemacht, auf der Grundlage einer Satzung vom 29. September 2014 erst am 17. November 2014 in das Vereinsregister eingetragen worden zu sein. Nähere Feststellungen zu diesem Vorbringen, das einer Zurechnung des Verhaltens von       S.     zu Lasten des Beklagten entgegenstehen könnte, hat das Berufungsgericht bisher nicht getroffen, so dass die Sache zur weiteren Klärung zurückzuverweisen ist. Zudem besteht die Möglichkeit, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlungen der Klägerinnen als Vorverein einen nicht rechtsfähigen Verein (§ 54 BGB) bildete. Verbindlichkeiten des Vorvereins auch aus Delikt können infolge seiner Identität mit der späteren juristischen Person nach verbreiteter Auffassung auf den eingetragenen Verein übergehen (vgl. Schöpflin in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 21 Rn. 131; Otto in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 21 BGB Rn. 48; Staudinger/Schwennicke, BGB, 2019, § 21 Rn. 100; MünchKomm-BGB/Leuschner, 8. Aufl., §§ 21, 22 Rn. 140, 141). Hätte es sich zum Zeitpunkt des Vermögensentzugs um einen bloßen Vorgründungsverein als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 BGB) gehandelt, gingen Verbindlichkeiten nicht auf den eingetragenen Verein über (vgl. Otto in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, aaO § 21 BGB Rn. 47).

25

c) Ob der Gesamtheit der Gläubiger der jeweiligen Masse wegen der Verschiebung der Kontoguthaben von den Objektgesellschaften an die Schuldnerin und von der Schuldnerin an den Beklagten ein anderweitiger – vom Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nach Grundlage und Voraussetzungen nicht näher konkretisierter – der Regelung des § 92 InsO unterfallender Haftungsanspruch gegen den Beklagten zusteht, bedarf keiner Prüfung. Ein solcher Anspruch ist jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

26

aa) Nach der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten prozessrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozess wird mit der Klage nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch geltend gemacht; vielmehr ist Gegenstand des Rechtsstreits der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefasste eigenständige prozessuale Anspruch, der bestimmt wird durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt (Anspruchs- oder Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteil vom 5. Juli 2016 – XI ZR 254/15, BGHZ 211, 189 Rn. 24; vom 12. Dezember 2019 – IX ZR 328/18, WM 2020, 279 Rn. 34). Auch wenn Ansprüche wirtschaftlich auf das Gleiche gerichtet sind und der Kläger die Leistung nur einmal verlangen kann, können die verschiedenen materiell-rechtlichen Ansprüche unterschiedliche Streitgegenstände aufweisen; dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Ansprüche sowohl in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch in ihren Folgen verschieden sind (BGH, Beschluss vom 3. März 2016 – IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 28). Bei gleichem Antrag liegen unterschiedliche Streitgegenstände dann vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2019, aaO).

27

bb) Der Tatsachenvortrag hinsichtlich des auf Betrug beruhenden Einzelschadens betrifft einen anderen Lebenssachverhalt als ein etwaiger in einer Verschiebung der Masse zu erkennender Gesamtschaden.

28

(1) Ein bestimmtes Handeln kann einen Gesamtschaden und einen Einzelschaden hervorrufen. Dann wird nur der Gesamtschaden durch den Verwalter liquidiert, während der betroffene Gläubiger den Einzelschaden verfolgt (Jaeger/Müller, InsO, 2007, § 92 Rn. 13; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2019, § 92 Rn. 23a; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 92 Rn. 15; Kiethe, ZIP 2005, 1535, 1539). Die Ansprüche der Gläubiger auf Ersatz ihrer Einzelschäden und der Anspruch auf Ersatz des Gemeinschaftsschadens bilden regelmäßig unterschiedliche Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 5. Oktober 1989 – IX ZR 233/87, WM 1989, 1781, 1784; vom 22. April 2004 – IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 26). Andernfalls könnte der Einzelschaden nie gesondert neben dem Gesamtschaden durchgesetzt werden. Ansprüche wegen der Schädigung einzelner Gläubiger kann nicht der Insolvenzverwalter verfolgen (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 – IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246, 251).

29

(2) Im Blick auf den Einzelschaden und etwaige Gesamtschäden handelt es sich um sowohl zeitlich wie tatsächlich gänzlich unterschiedliche Lebenssachverhalte.

30

(a) Der Einzelschaden wird aus den von den Klägerinnen im Zeitraum von Juni bis August 2014 täuschungsbedingt bewirkten Mietzahlungen abgeleitet, der seine Fortsetzung in den nachfolgend am 21./22. August und 26. September 2014 sowie im November 2014 und am 26. März 2015 vollzogenen Zuwendungen an den Beklagten finden soll. Für den Anspruch ist ausschlaggebend, dass Mittel aus einer strafbaren Vortat in das Vermögen des Beklagten gelangten. Entscheidend ist nur die Herkunft der Mittel aus Vortaten, während es auf eine Verkürzung der Masse nicht ankommt. Darum handelt es sich um Ansprüche wegen der Schädigung einzelner Gläubiger, die nicht der Insolvenzverwalter verfolgen kann (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 – IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246, 251).

31

(b) Dagegen kann ein Gesamtschaden der Insolvenzgläubiger der Objektgesellschaften in den aus deren Vermögen am 21./22. August und 26. September 2014 an die Schuldnerin vorgenommenen Zahlungen liegen. Ein Gesamtschaden der Gläubiger der Schuldnerin kann sich in der Zahlung vom November 2014 über die N.             GbR und der unmittelbaren Zahlung vom 26. März 2015 an den Beklagten verwirklicht haben. Der einen Gesamtschaden betreffende Anspruch setzt nur voraus, dass Mittel aus dem Vermögen der jeweiligen Schuldnerin abgeflossen sind. Derartige Ansprüche sind nicht Gegenstand der Klage.

32

(c) Nicht nur zeitlich und tatsächlich, auch in den Rechtsfolgen unterscheiden sich die Ansprüche. Der auf Straftaten zum Nachteil der Klägerinnen gestützte Anspruch erstreckt sich auf die gesamten aus den Straftaten herrührenden Mittel, die sich der Beklagte verschafft hat. Ein dem § 92 InsO unterfallender Gesamtschaden beschränkt sich auf die infolge des Vermögensverlusts bei der Gläubigergesamtheit eintretende Schmälerung der Befriedigungsquoten (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2004 – IX ZR 128/03, BGHZ 159, 25, 26; Beschluss vom 14. Mai 2009 – IX ZR 93/08, WM 2009, 1982 Rn. 7).

33

3. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

34

Das Berufungsgericht wird insbesondere zu untersuchen haben, ob der Beklagte für von ihrem Vorstand S.      zum Nachteil der Klägerseite verübte betrügerische Handlungen einzustehen hat. Falls dem Beklagten ein betrügerisches Handeln nicht vorgeworfen werden kann, wird zu untersuchen sein, ob eine Haftung wegen Geldwäsche (§ 823 Abs. 2, § 31 BGB, § 261 StGB) in Betracht kommt und es sich insoweit um einen Individualschaden handelt. Dies könnte zu erwägen sein, falls der Beklagte die Tatbeute und damit den eingetretenen Einzelschaden zugunsten der Objektgesellschaften zu erhalten suchte.

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