BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 01.10.2020, AZ IX ZA 3/20, ECLI:DE:BGH:2020:011020BIXZA3.20.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Gera, 5. Dezember 2019, Az: 5 T 432/19
vorgehend AG Gera, 22. August 2019, Az: 8 IN 692/03
Tenor
Der Antrag der Schuldnerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 5. Dezember 2019 wird abgelehnt.
Gründe
I.
1
Am 20. August 2003 beantragte die Schuldnerin unter ihrer Einzelfirma die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Nachdem auch das Finanzamt einen Insolvenzantrag gestellt hatte, wurde das Verfahren am 5. Dezember 2003 eröffnet. In dem Eröffnungsbeschluss wies das Insolvenzgericht die Schuldnerin darauf hin, dass sie „nach Maßgabe der §§ 286 bis 303 InsO Restschuldbefreiung erlangen“ könne.
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Einen ersten Antrag auf Restschuldbefreiung stellte die Schuldnerin am 16. Februar 2004. Diesen Antrag verwarf die Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts mit Beschluss vom 23. Februar 2004 als unzulässig, weil er nicht fristgemäß gestellt worden sei. Der Beschluss wurde den Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin zugestellt. Ein Rechtsmittel legte die Schuldnerin nicht ein.
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Am 14. September 2006 beantragte die Schuldnerin im nämlichen Insolvenzverfahren erneut Restschuldbefreiung. Diesen Antrag wies die Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts im Schlusstermin am 22. August 2019 zurück. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts hat keinen Erfolg gehabt. Die Schuldnerin beabsichtigt, die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde einzulegen. Hierzu beantragt sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
II.
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Die für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 4 InsO iVm § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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1. Das Beschwerdegericht hat den zweiten Antrag auf Restschuldbefreiung für unzulässig gehalten, weil der erste Antrag rechtskräftig verworfen worden sei. Die Insolvenzordnung sehe für ein Insolvenzverfahren die Durchführung nur eines Restschuldbefreiungsverfahrens vor. Eine dem ersten Restschuldbefreiungsantrag vorausgehende mangelhafte Belehrung des Schuldners über die Möglichkeit zur Erlangung der Restschuldbefreiung ändere daran nichts. Ein Belehrungsmangel führe allenfalls dazu, dass ein Restschuldbefreiungsantrag fristunabhängig gestellt werden könne. Werde dieser Antrag abschlägig beschieden und erwachse die Entscheidung in Rechtskraft, seien weitere Anträge auch dann unzulässig, wenn der Schuldner ursprünglich mangelhaft belehrt worden sei. Auch eine Weiterentwicklung und Präzisierung der Rechtsprechung zur Belehrung über die Möglichkeit zur Erlangung der Restschuldbefreiung und zu den Folgen einer mangelhaften oder unterbliebenen Belehrung rechtfertige keinen weiteren Restschuldbefreiungsantrag. Die Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht zugelassen, weil die Frage, ob innerhalb eines Insolvenzverfahrens nach Ablehnung des ersten Restschuldbefreiungsantrags weitere Anträge zulässig seien, höchstrichterlich nicht geklärt sei.
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2. Der Antragstellerin kann Prozesskostenhilfe unbeschadet der für den Senat bindenden Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht nicht bewilligt werden. Es stellen sich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Weitere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich. Deshalb kommt es allein auf die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsbeschwerde in der Sache an (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2003 – IV ZR 366/02, BeckRS 2003, 5893; vom 24. April 2013 – XII ZR 159/12, NJW-RR 2013, 897 Rn. 9; vom 15. August 2018 – XII ZB 32/18, NJOZ 2019, 662 Rn. 5; vom 26. September 2018 – XII ZA 10/18, NJOZ 2019, 823 Rn. 5). Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen nicht. Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.
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a) Es stellen sich keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
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aa) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann, oder wenn andere Auswirkungen des Rechtsstreits auf die Allgemeinheit deren Interessen in besonderem Maße berühren und ein Tätigwerden des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich machen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2004 – XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 137 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist. Zweifelhaft ist die Beantwortung einer Rechtsfrage etwa, wenn sie vom Rechtsbeschwerdegericht bisher nicht entschieden ist und von verschiedenen Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder im Schrifttum abweichende Ansichten vertreten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 – II ZR 54/09, NZG 2010, 625 Rn. 3 mwN).
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bb) Danach fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung.
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(1) Die Beantwortung der Rechtsfrage, die das Berufungsgericht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde veranlasst hat, ist nicht zweifelhaft. Es besteht deshalb kein Klärungsbedarf. Zwar fehlt es an einer höchstrichterlichen Entscheidung, die sich ausdrücklich zur Zulässigkeit eines weiteren Restschuldbefreiungsantrags im nämlichen Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Verwerfung des ersten Antrags verhält. Entschieden hat der Bundesgerichtshof allerdings, dass ein weiterer Antrag im nämlichen Insolvenzverfahren unzulässig ist, nachdem der erste Restschuldbefreiungsantrag zurückgenommen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2010 – IX ZA 20/10, BeckRS 2010, 17276 Rn. 4). Auch im Rahmen der Sperrfrist-Rechtsprechung, die zu der gemäß Art. 103h Satz 1 EGInsO im Streitfall noch maßgeblichen, bis zum 1. Juli 2014 geltenden Rechtslage entwickelt wurde, ist der Bundesgerichtshof stets davon ausgegangen, dass ein weiterer Antrag auf Restschuldbefreiung in zulässiger Weise allenfalls in einem neu eröffneten Insolvenzverfahren gestellt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 – IX ZB 219/08, BGHZ 183, 13 Rn. 8 ff; vom 3. Dezember 2009 – IX ZB 89/09, NZI 2010, 153 Rn. 5 ff; vom 10. Februar 2011 – IX ZB 237/09, WM 2011, 839 Rn. 11; vom 18. Dezember 2014 – IX ZB 22/13, WM 2015, 483 Rn. 7). Dies wird ersichtlich weder im Schrifttum noch in der Instanzrechtsprechung in Zweifel gezogen. Es entspricht auch der insoweit eindeutigen Gesetzeslage.
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Dass im Rahmen eines Insolvenzverfahrens allenfalls ein Antrag auf Restschuldbefreiung in zulässiger Weise gestellt werden kann, zeigt schon die von § 287 Abs. 1 InsO vorgesehene Verknüpfung von (Eigen-)Insolvenz- und Restschuldbefreiungsantrag. Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO soll der Antrag auf Restschuldbefreiung mit dem Insolvenzantrag verbunden werden. Werden die Anträge nicht miteinander verbunden, ist der Restschuldbefreiungsantrag innerhalb von zwei Wochen nach dem Hinweis gemäß § 20 Abs. 2 InsO zu stellen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dies lässt keinen Raum für weitere Anträge auf Restschuldbefreiung im nämlichen Insolvenzverfahren. Daran ändert nichts, dass ein unzulänglicher Hinweis die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht in Lauf setzt und der Restschuldbefreiungsantrag deshalb noch bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens zulässig sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015 – IX ZB 3/15, NZI 2016, 38 Rn. 18). Damit werden Rechtsnachteile ausgeglichen, die durch die strenge gerichtliche Hinweispflicht vermieden werden sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015, aaO Rn. 12). Der erforderliche Nach-teilsausgleich wird allerdings schon durch den einen im Falle eines unzulänglichen Hinweises ohne Bindung an die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO zulässigen Antrag auf Restschuldbefreiung erreicht. Die Möglichkeit zur Stellung weiterer Anträge würde die Rechtsnachteile überkompensieren.
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Ein weiterer Restschuldbefreiungsantrag im nämlichen Insolvenzverfahren wird auch nicht dadurch zulässig, dass der erste Antrag zu Unrecht als unzulässig verworfen wird. Der Schuldner muss seine Rechte durch Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Verwerfung wahren. Unterlässt er dies, wird die Rechtskraft der Verwerfung des ersten Restschuldbefreiungsantrags nicht durch eine spätere Fortentwicklung oder Änderung der einschlägigen Rechtsprechung überwunden (vgl. RGZ 125, 159, 161 f; BGH, Beschluss vom 23. November 1983 – IVb ZB 6/82, BGHZ 89, 114, 120 f; BAG, Beschluss vom 20. März 1996 – 7 ABR 41/95, NZA 1996, 1058, 1060; MünchKomm-ZPO/Gottwald, 6. Aufl., § 322 Rn. 159; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 322 Rn. 255). Auch dies ist nicht zweifelhaft. Die Zulässigkeit des weiteren Restschuldbefreiungsantrags der Schuldnerin folgt deshalb nicht daraus, dass die Rechtsprechung zum Inhalt der gerichtlichen Hinweispflicht nach § 20 Abs. 2 InsO und zu den Folgen eines Verstoßes gegen die Pflicht fortentwickelt worden ist. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof schon im Juli 2004 entschieden, dass ein Hinweis nach § 20 Abs. 2 InsO nur vollständig ist, wenn er über das Antragserfordernis belehrt und den Zeitpunkt des Ablaufs der Frist benennt (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2004 – IX ZB 209/03, NZI 2004, 593, 594). Damit stand fest, dass der im Eröffnungsbeschluss erteilte Hinweis auf die Möglichkeit zur Erlangung der Restschuldbefreiung unzulänglich war und der erste Restschuldbefreiungsantrag der Schuldnerin nicht wegen Versäumung der Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO hätte verworfen werden dürfen.
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(2) Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache auch nicht deshalb, weil sowohl über den ersten als auch über den zweiten Restschuldbefreiungsantrag der Schuldnerin die Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts entschieden hat. Ihre funktionelle Zuständigkeit folgt aus § 3 Nr. 2 Buchst. e RPflG. Die (vorzeitige) Verwerfung eines Restschuldbefreiungsantrags als unzulässig in einem – wie hier – vor dem 1. Juli 2014 beantragten Insolvenzverfahren (Art. 103h Satz 1 EGInsO) ist nicht dem Richter des Insolvenzgerichts vorbehalten. Dies entspricht dem Wortlaut des Gesetzes und dem ausdrücklich geäußerten Willen des Gesetzgebers. In Anbetracht dessen begründet die vereinzelt gebliebene abweichende Ansicht eines Instanzgerichts (LG Münster, NZI 2000, 551, 552) keinen Klärungsbedarf.
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Bei der (vorzeitigen) Verwerfung eines Restschuldbefreiungsantrags als unzulässig in einem vor dem 1. Juli 2014 beantragten Insolvenzverfahren handelt es sich um eine Entscheidung nach § 289 Abs. 1 Satz 2 InsO aF. Eine solche Entscheidung ist dem Richter des Insolvenzgerichts nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RPflG aF nur dann vorbehalten, wenn ein Insolvenzgläubiger – wie hier nicht – die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat. Damit wird nicht nur der in den §§ 289 ff InsO aF enthaltene Gesetzestext wiedergegeben (so LG Münster, aaO). Es handelt sich vielmehr um eine vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene Beschränkung des Richtervorbehalts. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Richter nur tätig werden, wenn ein Gläubiger Versagungsgründe geltend macht oder den Widerruf der Restschuldbefreiung beantragt. Die in diesen Fällen zu treffenden Entscheidungen kommen nach Ansicht des Gesetzgebers der rechtsprechenden Tätigkeit im Sinne von Art. 92 GG zumindest sehr nahe, weil sie in einem kontradiktorischen Verfahren nach Anhörung der Beteiligten ergehen, regelmäßig schwierige Abwägungen und Bewertungen erfordern und tief in die rechtliche Stellung des Schuldnersoder der Gläubiger eingreifen. (Nur) diese Entscheidungen sollen daher aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Richter vorbehalten sein (vgl. BT-Drucks. 12/3803, S. 65).
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b) Die von der Schuldnerin beabsichtigte Rechtsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach dem Vorstehenden hat das Beschwerdegericht richtig entschieden.
- Grupp
- Lohmann
- Möhring
- Schultz
- Selbmann