BPatG München 26. Senat, Beschluss vom 28.09.2020, AZ 26 W (pat) 62/14, ECLI:DE:BPatG:2020:280920B26Wpat62.14.0
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2012 011 533
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 28. September 2020 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge sowie der Richter Kätker und Dr. von Hartz
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. August 2014 wird aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Unionsmarke 006 218 945 für die Waren der
Klasse 28: Spielzeug; Christbaumschmuck
zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird das Deutsche Patent- und Markenamt angewiesen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 006 218 945 zu löschen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Die Wortmarke
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KANANA
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ist am 28. Januar 2012 angemeldet und am 20. März 2012 unter der Nummer 30 2012 011 533 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren und Dienstleistungen der Klassen 11, 38 und der
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Klasse 28: Spiele, Spielzeug; Turn- und Sportartikel, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Christbaumschmuck;
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Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten, Dienstleistungen des Einzelhandels auch über das Internet sowie Online- oder Katalogversandhandelsdienst-leistungen in den Bereichen Geräte der Unterhaltungs-elektronik, insbesondere Headsets, Kopfhörer, Lautsprecher, Haushaltsgeräte, Sportartikel, insbesondere Angeltaschen, Angelruten, Angelrollen, Duschen, insbesondere Dusch-brausen; Präsentation von Waren in Kommunikations-Medien für den Einzelhandel.
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Gegen die Eintragung dieser Marke, die am 20. April 2012 veröffentlicht worden ist, hat die Beschwerdeführerin Widerspruch erhoben aus ihrer Unionswortmarke
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NANA
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die am 22. August 2007 angemeldet und am 19. April 2011 unter der Nummer 006 218 945 in das beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) geführte Register eingetragen worden ist für Waren und Dienstleistungen der Klassen 4, 6, 8, 11, 14, 16, 18, 20, 21, 24, 26, 30, 34 und der
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Klasse 28: Turn- und Sportgeräte sowie -artikel; Spiele; Spielkarten, Spielzeug, Christbaumschmuck; Scherzartikel, Puppen, Plüschartikel, Marionetten;
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Klasse 35: Dienstleistungen eines Einzelhandelsunternehmens, nämlich auf dem Gebiet der Geschenkartikel für den Wohnbereich und den täglichen Gebrauch, der Haushaltsartikel, Papierwaren, Dekorationsartikel, Bekleidungsstücke, Schmuck und Modeschmuck, Parfümeriewaren, Taschen, Schuhe, Scherz-artikel, Spiele, Spielzeuge und des Kunstgewerbes sowie von Tee; Dienstleistungen eines Versandhandelsunternehmens, nämlich auf dem Gebiet der Geschenkartikel für den Wohnbereich und den täglichen Gebrauch, der Haushaltsartikel, Papierwaren, Dekorationsartikel, Beklei-dungsstücke, Schmuck und Modeschmuck, Parfümeriewaren, Taschen, Schuhe, Scherzartikel, Spiele, Spielzeuge und des Kunstgewerbes sowie von Tee; Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Import und dem Export von Waren; Präsentation von Waren für Werbezwecke.
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Der Widerspruch richtet sich nur gegen die Waren der Klasse 28 und die Dienstleistungen der Klasse 35 und stützt sich nur auf Waren und Dienstleistungen der gleichen Klassen.
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Mit Beschluss vom 27. August 2014 hat die Markenstelle für Klasse 38 des DPMA trotz durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der älteren Marke und Warenidentität in Klasse 28 wegen mangelnder Markenähnlichkeit eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angegriffene Marke sei mit drei Silben klanglich deutlich länger als die aus zwei Silben bestehende Widerspruchsmarke. Hinzu komme der signifikant abweichende Wortanfang der jüngeren Marke. Zwar sei die Widerspruchsmarke vollständig in der angegriffenen Einwortmarke enthalten, jedoch trete sie darin weder phonetisch noch optisch als selbständiger Bestandteil hervor, so dass der Verkehr keinen Anlass habe, besonders auf die beiden letzten Silben zu achten. Die von der Widersprechenden angeführten Entscheidungen des EuG und des BPatG seien nicht vergleichbar. So habe das EuG in der Entscheidung „SYSTECO/TECO“ (T-229/10) darauf abgestellt, dass die Vergleichsmarken zumindest in Großbritannien und den Beneluxstaaten, in denen Englisch und Französisch gesprochen werde und der Wortanfang „SY“ gebräuchlich sei, ähnlich seien. In der Entscheidung des BPatG zu „Recidon/CIDON“ (30 W (pat) 53/03) sei die Verwechslungsgefahr mit den Besonderheiten auf dem Arzneimittelsektor, der Betonung auf der letzten Silbe und der Bekanntheit der Vorsilbe „Re“ begründet worden. Im Beschluss „Ticaloo/Kaloo“ (27 W (pat) 147/03) sei das BPatG von einer bestimmten Betonung ausgegangen und habe die Verwechslungsgefahr damit begründet, dass „Kaloo“ eine besonders einprägsame und klangcharakteristische Lautfolge sei, die die Anfangssilbe „Ti“ überlagere. Auch bei der Entscheidung des BPatG zu „HABIBA/BiBA“ (27 W (pat) 218/00) sei die Betonung zur Begründung der Verwechslungsgefahr herangezogen worden. Diese Besonderheiten lägen hier nicht vor. Weder sei die Silbe „KA“ in Deutschland gebräuchlich, noch sei bei den Kollisionsmarken von einer bestimmten Betonung auszugehen. Die jüngere Marke lasse Betonungen sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Silbe zu. Schriftbildlich wirke die angegriffene Marke durch die zusätzliche Anfangssilbe deutlich länger. Zudem seien die Anfangsbuchstaben „K“ und „N“ gut unterscheidbar. Als Fantasiewörter seien die Marken auch begrifflich unähnlich. Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr sei daher auszuschließen. Anhaltspunkte dafür, dass der Verkehr die jüngere Marke als besondere Variante oder Produktlinie aus dem Haus der Widersprechenden ansehen könnte, bestünden ebenfalls nicht, so dass auch ein gedankliches In-Verbindung-Bringen ausscheide.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden.
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Am 28. August 2017, also im Laufe des Beschwerdeverfahrens, hat der Inhaber der angegriffenen Marke die Einrede der mangelnden Benutzung der Unionswiderspruchsmarke erhoben. Die Widersprechende hat eine eidesstattliche Versicherung der Leiterin der Rechtsabteilung der N… gesellschaft mbH vom 23. August 2018 nebst Anlagen 1 bis 11 mit Produktfotografien, Ausdrucken der digitalen Erfassung von Kassenbons, Etikettfotos, Absatz- und Umsatzangaben der einzelnen Jahre und Screenshots aus dem Warenwirtschaftssystem der N…-Unternehmensgruppe vorgelegt.
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Die Widersprechende ist der Ansicht, die Nichtbenutzungseinrede sei erst nach ausführlichen richterlichen Hinweisen im Stadium der Entscheidungsreife und damit verspätet erhoben worden. Die Widerspruchsmarke sei für Waren der Klasse 28 rechtserhaltend benutzt worden. Die Widersprechende sei Teil der N1…- Unternehmensgruppe, die auf die Gründung der Widersprechenden im Jahre 1972 zurückgehe und die einen Online-Shop und mehr als 300 gleichnamige Shops in Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechischen Republik betreibe. Die Produkte würden zentral durch die N… gesellschaft mbH eingekauft und über die verschiedenen N1…-Unternehmen an Endverbraucher vertrieben, wobei die jeweiligen Markenrechte an diese Vertriebsunternehmen lizensiert würden. Die Widerspruchswaren der Klasse 28 selbst und/oder deren Verpackungen seien funktionsgemäß mit der Widerspruchsmarke auf Aufklebern bzw. Etiketten oder Hängeschildern gekennzeichnet und in Lizenz, also mit Zustimmung der Widersprechenden von den N1…-Unternehmen in den Verkehr gebracht worden. Anhand der übereinstimmenden Europäischen Artikelnummern („European Article Number“, „EAN“) sei erkennbar, dass sich die jeweiligen Angaben auf ein konkretes Produkt bezögen. Hierbei sei es unschädlich, dass diese Artikelnummern nur zur unternehmensinternen Verwendung eingesetzt würden, weil die Labels mit den aufgedruckten EAN mit den Widerspruchswaren verbunden und diese ausschließlich in eigenen Verkaufsstätten an Verbraucher verkauft würden. Die Vergleichswaren der Klasse 28 seien weitgehend identisch. Die Wider-spruchsmarke verfüge über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Den erforderlichen großen Abstand halte die jüngere Marke wegen hoher Markenähnlichkeit nicht ein. Schriftbildlich stimmten die Kollisionsmarken infolge identischer Übernahme der Widerspruchsmarke in vier von sechs Buchstaben überein. Das Schriftbild der jüngeren Marke werde durch die ungewöhnliche Silbenfolge „NA-NA“ geprägt, so dass zumindest eine durchschnittliche schriftbildliche Ähnlichkeit vorliege. Die zusätzliche Anfangssilbe „KA“ steche phonetisch nicht hervor (so auch EuG T-229/10 Juris-Tz. 35 – SYRECO/TECO; BPatG 29 W (pat) 184/10 – SCANTAX/ANTAX). Die Buchstabenfolge „NA“ werde im Gegensatz zur Eingangssilbe „KA“ eher lang ausgesprochen, so dass die angegriffene Marke entsprechend den üblichen Sprachgewohnheiten bei dreisilbigen Begriffen wie bei den Wörtern „Banane“, „Granada“, „Nevada“, „Kabine“, „Kalender“, „Kanone“, „Kapelle“, „Kapitel“, „Kapuze“, „Kadaver“ oder „Kampagne“ auf der zweiten Silbe betont werde (vgl. BGH GRUR 1993, 972 – Sana/Schosana; BPatG 27 W (pat) 147/03 – Ticaloo/Kaloo; 27 W (pat) 218/00 – HABIBA/BiBA; BPatGE 37, 30 – INTECTA/tecta; BPatG; 28 W (pat) 125/95 – ADESSO/ESSO; 25 W (pat) 271/93 – Movitana/Vitana). Bei derart betonten Wörtern sei der Erfahrungssatz, dass der Wortanfang stärker beachtet werde, zu relativieren. Zudem sei der Zeichenanfang „KA“ nicht besonders klangstark. Daher könne er verschluckt und überhört, zumindest aber nicht deutlich wahrgenommen werden. Außerdem greife die erste Silbe „KA“ die Vokalverdoppelung „A-A“ der angegriffenen Marke auf und setze sie in gewisser Weise fort. Die in beiden Zeichen enthaltene Alliteration, das in Kombination mit dem Konsonanten „N“ identische Aufbauschema und der gemeinsame Schlusslaut „A“ verstärkten die klangliche Ähnlichkeit.
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Die Widersprechende beantragt nunmehr sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des DPMA vom 27. August 2014 aufzuheben, soweit der Widerspruch aus der Unionsmarke 006 218 945 zurückgewiesen worden ist, und das DPMA anzuweisen, die angegriffene Marke wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 006 218 945 für die Waren der Klasse 28 und die Dienstleistungen der Klasse 35 zu löschen.
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Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und bestreitet sämtliche von der Widersprechenden behaupteten Einzeltatsachen zur rechtserhaltenden Benutzung überwiegend mit Nichtwissen. Er vertritt die Auffassung, da die Anlagen zur eidesstattlichen Versicherung nicht mit einer Unterschrift versehen seien, könnten ihre Inhalte nicht an Eides statt versichert sein. Die Widersprechende benutze ihre Marke selbst nicht und habe nicht mitgeteilt, wer die Betreiber der „N1…- Filialen“ seien, in denen angeblich eine Vielzahl dieser Produkte verkauft werde. Sie habe weder über Art und Umfang der Lizenzierung informiert noch Lizenzverträge vorgelegt, weshalb eine Lizenzierung von Rechten aus der Widerspruchsmarke an irgendwelche Lizenznehmer bestritten werde. Die Benutzungsunterlagen bildeten lediglich Christbaumschmuck ab, so dass für die anderen Waren der Klasse 28 keine Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung vorliege. Die funktionsgemäße Benutzung, also die physische Anbringung der älteren Marke an den Produkten oder deren Verpackung sei nicht glaubhaft gemacht. Die Beispiele 1 und 2 seien nur Fotografien der Produkte neben denen ein digitales Bild eines Etiketts oder eines Aufklebers platziert sei, ohne dass es auf oder an dem Produkt angebracht sei. Auf den Produktfotos der Beispiele 3 und 4 seien zwar Etiketten zu erahnen, aber weder Marke noch EAN seien erkennbar. Beim Beispiel 5 zeige nur das zweite Foto ein Etikett, aber weder Marke noch EAN könnten entziffert werden. Das Beispiel 6 zeige zwölf Produktstücke mit überwiegend Anhängern. Die Marke sei jedoch nur auf einem Anhänger erkennbar und eine EAN fehle. Beim zweiten Produktfoto des Beispiels 7 lasse sich zwar ein Etikett aber nicht dessen Inhalt erahnen. Nur bei einem von sechs Anhängern des Beispiels 8 könne man die Marke, aber keine EAN erkennen. Beim Beispiel 9 sei auf zwei Etiketten die Marke nicht ablesbar und im Übrigen fehle die EAN. Dies gelte auch für die meisten Etiketten im Beispiel 10. Das Produktbeispiel 11 weise keine Marke auf, während die EAN nur mit dem mittleren Etikett übereinstimme. Es sei zweifelhaft, ob überhaupt und von wem Produkte verkauft und die bei den Produktbeispielen angegebenen Umsatzzahlen erzielt worden seien. Denn alle Produktbeispiele wiesen EAN-Nummern mit den Anfangsziffern „200“ auf, die nur für den internen Gebrauch bestimmt seien und daher keinem Unternehmen zugeordnet werden könnten. Eine Einheit zwischen Produkt, Marke und EAN sei in allen 11 Beispielen nicht erkennbar. Das Etikett werde entweder neben und nicht am Produkt gezeigt oder aber das Etikett bzw. die EAN sei nicht erkennbar. Es werde ferner bestritten, dass die dargestellten Kassenbons tatsächlich getätigte Verkäufe zeigten. Sie wiesen als einziges Verbindungselement die EAN auf, über die keine Verbindung zum Produkt hergestellt werden könne. Mangels Zusammenhangs zwischen Etikett, EAN und Produkt seien auch die Umsatzzahlen nicht nachvollziehbar. Eine Markennutzung für Dienstleistungen der Klasse 35 trage die Widersprechende nicht einmal vor. Die beiden Fotos in der eidesstattlichen Versicherung sowie die Screenshots eines Facebook-Auftritts beim Produktbeispiel 6 zeigten, dass die Widerspruchsdienstleistungen der Klasse 35 allenfalls unter dem Kennzeichen „N1…“ erbracht würden. Zwischen den Waren „Christbaumschmuck“ und „Spielzeug“ bestehe keine Überschneidung. Vielmehr handele es sich nach dem maßgeblichen Kriterium des Verwendungszwecks um zwei voneinander völlig unabhängige Kategorien. Während Spielzeug für Kinder bestimmt sei, pädagogischen Charakter habe und eine aktive Beschäftigung bezwecke, diene Christbaumschmuck nur der Dekoration und rufe durch passives Betrachten eine positive Stimmung hervor. Abgesehen davon, dass nur wenig Christbaumschmuck in Form von Spielzeugfiguren verkauft werde, diese Nachbildungen häufig aus zerbrechlichem Glas bestünden und mit Aufhängern versehen seien, verliere er nicht seinen rein dekorativen Zweck. Auch wenn vereinzelt aufgrund des Produktsicherheitsgesetzes darauf hingewiesen werde, dass Kleinteile von Kleinkindern verschluckt werden könnten, mache dieser Umstand Christbaumschmuck noch nicht zu einem Spielzeug. Selbst bei miniaturisierten Plüschtieren zum Aufhängen an einen Christbaum liege eine erhebliche Warenferne vor (vgl. BPatG 29 W (pat) 192/04, Juris-Tz. 19; 32 W (pat) 98/03, Juris-Tz. 17). Auch die Vergleichsmarken seien unähnlich. Die zusätzliche Silbe „KA“ der jüngeren Marke, die in der deutschen Sprache ungebräuchlich sei, ein Drittel des Zeichens ausmache und andersartig geschrieben werde, lenke den Fokus sowohl klanglich als auch schriftbildlich auf den unterschiedlichen, stärker beachteten Wortanfang und sei für den Gesamteindruck in jeder Hinsicht prägend. Hieraus folge eine abweichende Wortlänge und Silbenzahl. Der klangstarke Konsonant und Hintergaumenlaut „K“ komme in der Widerspruchsmarke nicht vor und werde – im Gegensatz zum klangschwachen Zahnlaut „N“ – weder verschluckt noch überhört. Als einziger und explosiver Laut durchbreche er die eintönige „NA“-Wiederholung in beiden Marken. Die jüngere Marke, die aus einem in Deutschland nicht geläufigen arabischen Familiennamen bestehe, werde als Fantasiewort wie „Kanada“ oder „Kanaan“ auf der ersten Silbe betont. Der Bestandteil „NANA“ trete in der jüngeren Einwortmarke nicht selbständig hervor. Da auch die ältere Marke ein Kunstwort sei, scheide eine begriffliche Ähnlichkeit aus. Wegen der unterschiedlichen Anfangsbuchstaben und der abweichenden Wortlänge sei eine Verwechslungsgefahr zu verneinen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.3.1999 – I ZB 32/96 – MONOFLAM/POLYFLAM; Beschl. v. 8.5.2002 – I ZB 4/00 – DKV/OKV).
21
Mit gerichtlichen Schreiben vom 20. Juni 2017 und 24. Oktober 2019 sind die Beteiligten unter Beifügung von Recherchebelegen (jeweils Anlagenkonvolute 1 bis 3, Bl. 90 – 117 GA und Bl. 354 – 365R GA) auf die vorläufige Rechtsauffassung des Senats zum jeweiligen Verfahrensstand hingewiesen worden.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
23
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
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Zwischen der angegriffenen Marke „
KANANA“ und der älteren Unionsmarke „
NANA“ besteht im tenorierten Umfang die Gefahr von Verwechslungen gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
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1. Da es sich vorliegend um ein Verfahren über einen Widerspruch handelt, der nach dem 1. Oktober 2009, aber vor dem 14. Januar 2019 erhoben worden ist, ist die Bestimmung des § 42 Absatz 1 und 2 MarkenG in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 MarkenG). In Bezug auf die erhobene Nichtbenutzungseinrede sind gemäß § 158 Abs. 5 MarkenG die Vorschriften der §§ 26, 43 Abs. 1 MarkenG ebenfalls in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden.
26
2. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.: EuGH GRUR 2020, 52 Rdnr. 41 – 43 – Hansson [Roslags Punsch/ROSLAGSÖL]; GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 45 f. – Les Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2019, 1058 Rdnr. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rdnr. 9 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.).
27
3. Auf die zulässige Nichtbenutzungseinrede hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung ihrer Marke nur für die Ware „
Christbaumschmuck“ glaubhaft gemacht.
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a) Die am 28. August 2017 erhobene Einrede der Nichtbenutzung ist als zulässige Einrede nach §§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG auszulegen.
29
aa) Da die Einrede der Nichtbenutzung undifferenziert erhoben wurde, ist davon auszugehen, dass sie beide Zeiträume des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG umfassen soll, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind (BGH GRUR 2008, 714 Rdnr. 23 – idw; GRUR 1998, 938 – DRAGON; lngerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 43 Rdnr. 12; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 26; Fezer/Grabrucker, Handbuch der Markenpraxis, 3. Aufl., Rdnr. 560).
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bb) Da die fünfjährige Benutzungsschonfrist der am 19. April 2011 eingetragenen Unionswiderspruchsmarke erst mehrere Jahre nach der am 20. April 2012 erfolgten Veröffentlichung der Eintragung der jüngeren Marke endete, nämlich erst am 19. April 2016, liegen die Voraussetzungen für die Einrede nach §§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1
Satz 1 MarkenG nicht vor.
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cc) Die Einrede ist aber nach §§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1
Satz 2 MarkenG zulässig, weil die am 19. April 2011 eingetragene Unionswiderspruchsmarke zum Zeitpunkt der Erhebung der Einrede am 28. August 2017 bereits länger als fünf Jahre eingetragen war.
32
dd) Bei einer solchen Fallgestaltung, bei der nur eine der beiden Nichtbenutzungseinreden Rechtswirkung entfalten kann, ist die Einredeerklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB im Zweifel dahingehend auszulegen, dass lediglich die im konkreten Fall ausschließlich rechtserhebliche Einrede nach § 43 Abs. 1
Satz 2 MarkenG erhoben werden soll (vgl. BPatG 25 W (pat) 76/11 – Yosoja/YOSOI).
33
b) Die Einrede ist entgegen der Ansicht der Widersprechenden nicht als verspätet im Sinne von § 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG i. V. m. §§ 282 Abs. 2, 296 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie in einem schriftlichen Verfahren erhoben worden ist, in dem mangels eines vorab bestimmten Entscheidungstermins nicht konkret feststellbar ist, ob und inwieweit sich durch die Erhebung der Nichtbenutzungsrede die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hat (vgl. Ströbele in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 43 Rdnr. 47).
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c) Damit sind für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG nur die Waren und Dienstleistungen zu berücksichtigen, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist. Die Widersprechende hat somit die Benutzung ihrer Unionsmarke für den Zeitraum von fünf Jahren vor der Entscheidung über die Beschwerde, also für den Zeitraum vom 28. Sep-tember 2015 bis zum 28. September 2020 gemäß §§ 125b Nr. 4, 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG im maßgeblichen Unionsgebiet (Art. 18 UMV) nach Art, Dauer und Umfang glaubhaft zu machen.
35
d) Eine Marke wird ernsthaft benutzt, wenn sie entsprechend ihrer Hauptfunktion, die Ursprungsidentität der Waren, für die sie eingetragen ist, zu garantieren, benutzt wird, um für diese Waren einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern, wobei die Fälle ausgeschlossen sind, in denen die Marke nur symbolisch benutzt wird, um die durch sie begründeten Rechte zu wahren (EuGH WRP 2017, 1066 Rdnr. 37 – Gözze/VBB; GRUR 2003, 425 Rdnr. 38 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2013, 725 Rdnr. 38 – Duff Beer). Eine ernsthafte Benutzung erfordert, dass die Marke tatsächlich, stetig und mit stabilem Erscheinungsbild auf dem Markt präsent ist (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 72 – 74 – Il Ponte Finanziaria/HABM [BAINBRIDGE]). Zur Glaubhaftmachung muss von der Widersprechenden daher konkret angegeben werden, wer die Marke auf welche Weise für welche Waren in welchen Jahren an welchem Ort benutzt hat und wie viel Umsatz damit erwirtschaftet worden ist. Dabei müssen die detaillierten Angaben zu den Umsatzzahlen entweder in Geldbeträgen oder in Stück- bzw. Auftragszahlen konkret auf die jeweiligen Waren bezogen und in die jeweiligen für die Benutzung rechtserheblichen Zeiträume aufgeteilt sein.
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e) Die Frage der Benutzung der Widerspruchsmarke nach § 43 Abs. 1 MarkenG unterliegt abweichend von dem das patentamtliche und das patentgerichtliche Verfahren ansonsten beherrschenden Untersuchungsgrundsatz dem Beibringungs- und Verhandlungsgrundsatz (BGH GRUR 2006, 152 Rdnr. 19 – GALLUP; BPatG GRUR-RR 2015, 468, 469 – Senkrechte Balken).
37
f) Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung der älteren Unionsmarke für
„Christbaumschmuck“ hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht.
38
aa) Für die übrigen Widerspruchswaren der Klasse 28 gilt das nicht. Die Widersprechende hat für die Waren
„Spiele; Turn- und Sportartikel, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind“ keine Fotos mit Verwendungsbeispielen vorgelegt, und aus den Abbildungen von „
Spielzeug“ geht keine funktionsgemäße Anbringung der Marke an der Ware oder Warenverpackung hervor. Dies gilt sowohl für das Produktbeispiel 1, das unter der Bezeichnung „Maske Grusel 2 FS“ eine Karnevals- oder Halloweengesichtsmaske zeigt, als auch für das Beispiel 2, das unter der Bezeichnung „Ente Rudi 6 cm 2 FS“ zwei weihnachtlich dekorierte Bade-/Quietschenten aus Kunststoff abbildet.
39
bb) Eine rechtserhaltende Benutzung für die Einzelhandels- und Werbedienstleistungen der Klasse 35 macht die Widersprechende nicht einmal geltend. Die beiden Fotos auf der ersten Seite der eidesstattlichen Versicherung sowie die Screenshots eines Facebook-Auftritts beim Produktbeispiel 6 unter Ziffer 7 als die einzigen Darstellungen einer Händlermarke belegen die Verwendung der zweiteiligen Marke „N1…“, in der die Widerspruchsmarke als nachgestelltes Wort die einen Überraschungsausruf darstellende Gesamtbezeichnung nicht alleine prägt. Ferner fehlen auch jegliche Angaben zum Umfang der Benutzung.
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cc) Die Widersprechende hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung der Leiterin der Rechtsabteilung der N… gesellschaft mbH vom 23. August 2018 nebst Anlagen hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Widerspruchsmarke im maßgeblichen Benutzungszeitraum zur Kennzeichnung von „
Christbaumschmuck“ in der Union benutzt worden ist.
41
aaa) Die Widersprechende hat glaubhaft gemacht, dass die für sie eingetragene ältere Unionsmarke mit ihrer Zustimmung (§ 26 Abs. 2 MarkenG) benutzt worden ist.
42
(1) Aus dem Gesamtzusammenhang der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Leiterin der Rechtsabteilung der N… Einkaufs- und gesellschaft mbH vom 23. August 2018 ergibt sich, dass sowohl die N… gesellschaft mbH als auch die Widersprechende Teil der N1…-Unternehmensgruppe sind, die unter www.n1….de einen Online-Shop sowie mehr als 300 N1…-Shops in Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechischen Republik betreibt, in denen u. a. Scherz- und Dekorationsartikel sowie Spielzeuge angeboten werden. Dabei werden diese Produkte „
zentral durch die N… gesellschaft mbH eingekauft und über die verschiedenen N1…- Unternehmen an Endverbraucher vertrieben; die Markenrechte werden an die N1…-Unternehmen lizenziert.“
43
(2) Soweit der Inhaber der angegriffenen Marke diese Rechtsverhältnisse pauschal mit Nichtwissen bestreitet, spricht eine Vermutung für die inhaltliche Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung einer mit den Konzernverhältnissen vertrauten Leiterin der Rechtsabteilung der N… gesellschaft mbH. Die rechtserhaltende Benutzung ist nicht gemäß § 286 ZPO voll zu beweisen, sondern lediglich im Sinne des § 294 ZPO glaubhaft zu machen. Der insoweit zu führende Nachweis ist bereits dann als erbracht anzusehen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des behaupteten Sachverhalts spricht (BGH GRUR 2006, 152, Juris-Tz. 20 – GALLUP). Einwendungen ist demnach nur bei Vorliegen besonderer – substantiiert vorgetragener – Umstände nachzugehen (vgl. auch Ströbele a. a. O. § 43 Rdnr. 87). Derart konkret formulierte Gegentatsachen sind vom Beschwerdegegner nicht vorgebracht worden. Es ist entgegen dessen Ansicht auch nicht notwendig, die Betreiber der N1…- Filialen namentlich zu nennen oder Lizenzverträge vorzulegen. Denn bei wirtschaftlich eng verbundenen Unternehmen kann davon ausgegangen werden, dass die Benutzung der Marke mit Einwilligung des Markeninhabers erfolgt. Die Annahme des Gegenteils wäre wirklichkeitsfremd (BGH a. a. O. Juris-Tz. 23 – GALLUP; vgl. auch Ströbele a. a. O. § 26 Rdnr. 148, 2. Abs.). Hinzu kommt, dass die Zustimmung nach § 26 Abs. 2 MarkenG keinem Formerfordernis unterliegt und auch mündlich oder konkludent erklärt werden kann (BPatG GRUR 1997, 836, 837 – Apfelbauer). Die Identifizierung von Shop-Betreibern innerhalb einer mehrere Hundert Verkaufsgeschäfte umfassenden Vertriebsschiene oder die Existenz und/oder Vorlage gesonderter Lizenzverträge sind daher nicht erforderlich, um dem Senat die überwiegende Wahrscheinlichkeit zu vermitteln, dass die Benutzung der Widerspruchsmarke mit Zustimmung der Widersprechenden erfolgt ist.
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bbb) Auch die erforderliche funktionsgemäße Benutzung der Widerspruchsmarke für „
Christbaumschmuck“ ist hinreichend glaubhaft gemacht.
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(1) Auszugehen ist von dem allgemeinen Grundsatz, dass sich die erforderliche Art einer rechtserhaltenden Benutzung nach den jeweiligen branchenüblichen Verwendungsformen von Marken bemisst. Sofern bei den einschlägigen Waren die jeweiligen Marken üblicherweise auf der Ware selbst, ihrer Verpackung oder Umhüllung angebracht werden, sind diese Verwendungsformen auch zur Anerkennung einer rechtserhaltenden Benutzung unabdingbar, weil nur auf diese Weise die erforderliche Herkunftsfunktion erfüllt wird (EuGH GRUR 2003, 425 Rdnr. 36 – Ansul/Ajax; BGH GRUR 2011, 623 Rdnr. 23 – Peek & Cloppenburg II; GRUR 1996, 267, 268 – AQUA; GRUR 1995, 347, 348 – TETRASIL; BPatG GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL). Zur Glaubhaftmachung der funktionsgerechten Verwendung ist es daher erforderlich, die Originalware oder -verpackung vorzulegen oder in anderer Form, z. B. durch Fotos oder Kataloge, die tatsächlich vorgenommene Verbindung zwischen Marke und Produkt aufzuzeigen (BPatG Mitt 2006, 567, 569 – VisionArena/@rena vision).
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(2) Die eidesstattliche Versicherung der Rechtsabteilungsleiterin vom 23. August 2018 nimmt unter Ziffer 4. „zur Verdeutlichung der Benutzung“ Bezug auf die als Anlagen 1 bis 11 beigefügten Beispiele, die u. a. Produktfotos enthalten. Diese Bezugnahme auf die Anlagen genügt. Einer gesonderten Paraphierung, die hier sogar vorliegt, oder gar einer Unterschrift auf den Anlagen bedarf es nicht, zumal die funktionsgemäße Art der Benutzung regelmäßig gerade nicht durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht werden kann (BPatG a. a. O. – VisionArena/@rena vision; zur Möglichkeit der Bezugnahme auf Anlagen: BGH GRUR 2008, 719, Juris-Tz. 27 – idw Informationsdienst Wissenschaft).
47
(3) Die in den Anlagen 4 bis 6 sowie 8 bis 10 abgedruckten Fotos zeigen an sechs verschiedenen Christbaumdekorationsartikeln die Verbindung der Ware oder deren Verpackung mit der älteren Unionswortmarke „NANA“. Beim Produktbeispiel 4 „Kugelset Tannenbaum, Plastik 34er“ befindet sich die Marke auf einem Etikett, das unten rechts auf der durchsichtigen Plastikverpackung in Weihnachtsbaumform klebt. Beim Beispiel 5 „Kugel Uni, 2 cm, 20er Box“ ist die Marke aufgedruckt auf ein Klebeetikett, das im unteren Bild rechts unten auf einer durchsichtigen Plastikverpackung aufgebracht ist. Beim Weihnachtsschmuckbeispiel 6 „Anhänger Gurke 8cm“ ist an jeder der 12 „Weihnachtsgurken“ durch die Aufhängevorrichtung eine Schlaufe aus Plastikdraht gezogen, an der ein Anhängerschild angebracht ist. Bei zwei dieser „Weihnachtsgurken“ ist der Aufdruck der Marke „NANA“ auf den gleichartigen Etikettanhängern deutlich lesbar. Auch der auf dem Produktfoto 8 abgebildete Christbaumschmuck „Anhänger Wahrzeichen 2 FS“ in Form des berühmten Londoner Uhrturms „Big Ben“ und des Eiffelturms trägt erkennbar an jedem Teil einen solchen Etikettanhänger, auf dem zumindest ganz links der Aufdruck „NANA“ erkennbar ist. Beim Beispiel 9 „Kugelset Plastik 8cm, 24er“ zeigen die drei Fotos auf der rechten Seite, dass auf der Unterseite der durchsichtigen Plastikverpackung ein Etikett mit der Widerspruchsmarke aufgeklebt ist. Beim Beispiel 10 „Kugelbündel 12er Mini Glitzer“ ist an jedem der 12 Weihnachtskugelbündel ein Anhänger wie in den Beispielen 6 und 8 angebracht. Die Marke „NANA“ ist in der Mitte oben und in der Mitte unten, ggf. unter Verdrehung des Fotos deutlich lesbar. Der Umstand, dass auf den Produktfotos der Beispiele 6, 8 und 10 nicht jeder einzelne Etikettanhänger abgelesen werden kann, ist angesichts der Gleichförmigkeit der Etiketten und der Gleichartigkeit der Einzelwaren nicht geeignet, den Aufdruck der Widerspruchsmarke in Zweifel zu ziehen. Der Beschwerdegegner hat jedenfalls nicht substantiiert vorgetragen, aus welchem Grund die nicht lesbaren Etiketten einen anderen Inhalt haben sollen.
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(4) Für die funktionsgerechte Benutzung ist es unerheblich, ob auch die EAN-Artikelnummer bzw. der maschinenlesbare Strichcode auf dem Warenaufkleber oder -anhänger identifizierbar ist. Auch der Umstand, dass alle Produktbeispiele EAN-Nummern mit den Anfangsziffern „200“ aufweisen, die nur für den internen Gebrauch bestimmt sind und daher keinem Unternehmen zugeordnet werden können, ist nicht von Belang. Maßgebend für die funktionsgemäße Benutzung als Warenmarke ist allein die körperliche Verbindung der Marke mit den Waren oder ihrer Verpackung, nicht aber eine zusätzliche körperliche Verbindung mit Identifizierungsnummern, Strichcodes oder sonstigen Zuordnungszeichen. Dass die Waren, so wie sie auf den Fotos der Beispiele 4 bis 6 und 8 bis 10 gekennzeichnet sind, in den Handel gelangen bzw. gelangt sind, ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung (Ziffer 2 am Ende i. V. m. Ziffer 4, 2. Absatz). Einer Nachverfolgbarkeit anhand von EAN-Nummern bedarf es dann nicht mehr. Auch einer Vorlage von originalen Verpackungsaufklebern oder Warenanhängern bedarf es nicht, wenn sich die funktionsgemäße Art der Markenverwendung – wie hier – aus Fotografien ergibt.
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ccc) Der Art nach liegt ebenfalls eine rechtserhaltende Benutzung vor, weil die verwendete Form der Widerspruchsmarke den kennzeichnenden Charakter nicht verändert.
50
(1) Wird die Marke in einer von der Eintragung abweichenden Form benutzt, liegt eine rechtserhaltende Benutzung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG nur vor, wenn die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Das ist dann der Fall, wenn der Verkehr das abweichend benutzte Zeichen gerade bei Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck nach noch mit der eingetragenen Marke gleichsetzt, das heißt in der benutzten Form noch dieselbe Marke sieht.
51
(2) Soweit die ältere Unionsmarke auf den vorgenannten Etiketten invers dargestellt ist, d. h. in weißer Schrift vor einem breiten schwarzen Balken, mit einem winzigen „R“ im Kreis oberhalb des Endbuchstabens „A“, verändern diese Bildbestandteile den Charakter der normal kennzeichnungskräftigen Wortmarke nicht. Der schwarze Balken, in dem die Marke in weißen Buchstaben mittig platziert ist, wird nur als gewöhnliche Hintergrundgestaltung wahrgenommen, zumal die Farben schwarz und weiß sehr gebräuchlich sind. Auch das „R“ im Kreis, wenn es überhaupt wegen der geringen Größe erkannt wird, weist lediglich auf eine markenrechtliche Registrierung hin.
52
ddd) Die vorgelegten Glaubhaftmachungsmittel für „
Christbaumschmuck“ decken den maßgeblichen Benutzungszeitraum von September 2015 bis September 2020 ausreichend ab.
53
(1) Denn für eine ernsthafte Benutzung ist keine kontinuierliche Verwendung der Marke während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums erforderlich (EuGH GRUR 2008, 343 Rdnr. 72 – 74 – Il Ponte Finanzaria/HABM [BAINBRIDGE], BGH GRUR 2013, 925 Rdnr. 40 – VOODOO). Es reicht aus, wenn die Benutzungshandlungen deutlich über eine der formalen Aufrechterhaltung der Marke dienende Scheinbenutzung hinausgehen. Dies ist vorliegend der Fall.
54
(2) Zwar ist die eidesstattliche Versicherung unter Ziffer 4. 1. Satz, wonach die „Marke NANA … in Deutschland seit mehr als 20 Jahren für viele verschiedene Produkte durchgängig verwendet“ werde, „einschließlich solcher der Klasse 28“ für sich genommen zu pauschal, schon weil sie die Benutzungsdauer für die einzelnen Waren nicht erkennen lässt. Jedoch werden in den in Bezug genommenen Anlagen zur eidesstattlichen Versicherung für die maßgeblichen Beispiele 4 bis 6 und 8 bis 10 jeweils Jahresumsatzzahlen für die Jahre 2015 bis 2017 angegeben. Angesichts der kontinuierlich hohen fünf- bis sechsstelligen Umsatzzahlen in diesen drei Jahren und damit innerhalb eines erheblichen Teils des relevanten Fünfjahreszeitraums vor dem Erlass dieser Entscheidung kann nicht von einer Scheinbenutzung ausgegangen werden.
55
eee) Der Umstand, dass sich die Umsatzzahlen und Belege nur auf Deutschland beziehen, steht der Anerkennung einer rechtserhaltenden Benutzung der Unionswiderspruchsmarke im Gebiet der Europäischen Union nicht entgegen.
56
(1) Die Benutzung einer Unionsmarke muss, um als ernsthaft zu gelten, nicht notwendig im gesamten Gebiet der Europäischen Union erfolgen. Vielmehr ist die Größe des Gebiets der Benutzung nur eines von mehreren maßgeblichen Kriterien für die Beurteilung einer ernsthaften Benutzung, die untereinander sämtlich in einer Art Wechselwirkung zueinander stehen (EuGH GRUR 2013, 182 Rdnr. 55 – Leno Merken/Hagelkruis Beheer [Onel/Omel]). Bei der Beurteilung der rechtserhaltenden Benutzung einer Unionsmarke sind die Grenzen des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten außer Betracht zu lassen. Zu prüfen sind vielmehr die Merkmale des betreffenden Marktes, die Art der geschützten Waren oder Dienstleistungen, die Gebietsgröße, der quantitative Umfang der Benutzung sowie deren Häufigkeit und Regelmäßigkeit. Dabei ist nicht auszuschließen, dass dieser Markt faktisch auf das Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats begrenzt sein kann (EuGH a. a. O. Rdnr. 36, 50, 57 – Leno Merken/Hagelkruis Beheer [Onel/Omel]; BGH GRUR 2013, 925 Rdnr. 38 – VOODOO).
57
(2) Da es sich bei der Bundesrepublik Deutschland gemessen am Bruttoinlandsprodukt um die größte Volkswirtschaft in Europa handelt, ist von einer ernsthaften Benutzung für die Ware „
Christbaumschmuck“ in der Union auszugehen (vgl. BPatG 28 W (pat) 10/17 – H-TEC/HYDAC; 30 W (pat) 23/16 – nivo/NIVONA; 24 W (pat) 35/07 – Stradivari; 30 W (pat) 1/10 – TOLTEC/TOMTEC; OLG Hamburg GRUR-RR 2005, 312, 314 – NEWS; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 172, 173 – ZAPPA), zumal die in Deutschland erzielten Umsatzzahlen für Christ-baumschmuck gemäß den Beispielen 4 bis 6 und 8 bis 10 im einstelligen Millionenbereich pro Jahr für preiswerte saisonabhängige Waren durchaus beachtlich sind.
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fff) Grundsätzlich können nur die Waren berücksichtigt werden, für die eine rechtserhaltende Benutzung glaubhaft gemacht worden ist (§ 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG). Das ist hier lediglich die im Verzeichnis aufgeführte Ware
„Christbaumschmuck“, weil es sich bei den Produktbeispielen 4 bis 6 und 8 bis 10 ausschließlich um Dekorationsgegenstände handelt, mit denen Weihnachtsbäume geschmückt werden.
59
(1) Allerdings ist die Markeneintragung nach der sogenannten „erweiterten Minimallösung“ nicht auf die speziellen Waren zu beschränken, für die die Marke tatsächlich benutzt worden ist (vgl. BGH GRUR 2012, 64, 65 Rdnr. 10 f. – Maalox/Melox-GRY). Die gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise und das berechtigte Interesse des Markeninhabers, in seiner geschäftlichen Bewegungsfreiheit nicht ungebührlich eingeengt zu werden, rechtfertigen es, auch die Waren zu berücksichtigen, die nach der Verkehrsauffassung gemeinhin zum gleichen Warenbereich gehören. Dadurch wird ein sachgerechter Ausgleich erzielt zwischen dem Interesse des Markeninhabers, in seiner geschäftlichen Bewegungsfreiheit nicht ungebührlich eingeengt zu werden, und dem Interesse an der Freihaltung des Registers von Marken, die für einen Teil der Waren und Dienstleistungen nicht benutzt werden. Zum gleichen Warenbereich gehören gemeinhin Waren, die in ihren Eigenschaften und ihrer Zweckbestimmung weitgehend übereinstimmen. Die Zugehörigkeit zum gleichen Warenbereich ist aus Rechtsgründen enger zu verstehen als der Begriff der Warenähnlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG (vgl. BGH GRUR 2020, 870 Rdnr. 33 – INJEKT/INJEX; GRUR 2013, 833 Rdnr. 61 – Culinaria/Villa Culinaria).
60
(2) Da das Verzeichnis den Oberbegriff „Dekorationsartikel“ nicht enthält, kommt eine erweiternde Anerkennung der Benutzung für einen solchen Oberbegriff nicht in Betracht. Mangels der geforderten weitgehenden Übereinstimmung in Eigenschaften und Zweckbestimmung zur Bejahung des engen Begriffs der Zugehörigkeit zum gleichen Warenbereich scheidet auch eine Subsumtion unter den Oberbegriff „Spielzeug“ aus.
61
4. Zwischen der rechtserhaltend benutzten Widerspruchsware
„Christbaumschmuck“ und den für die angegriffene Marke geschützten Produkten der Klasse 28 und den angegriffenen Dienstleistungen der Klasse 35 besteht teilweise Identität, teilweise durchschnittliche Ähnlichkeit und teilweise Unähnlichkeit.
62
a) Eine Ähnlichkeit ist grundsätzlich anzunehmen, wenn die sich gegenüberstehenden Waren und/oder Dienstleistungen unter Berücksichtigung aller für die Frage der Verwechslungsgefahr erheblicher Faktoren wie insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsart, ihres Verwendungszwecks und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie ihrer Eigenart als miteinander konkurrierender oder einander ergänzender Produkte oder Leistungen so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben Unternehmen oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR-RR 2009, 356 Rdnr. 65 – Éditions Albert René/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2014, 488 Rdnr. 12 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2015, 176, 177 Rdnr. 16 – ZOOM). Von einer absoluten Warenunähnlichkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Annahme einer Verwechslungsgefahr trotz (unterstellter) Identität der Marken wegen des Abstands der Waren von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a. a. O. – DESPERADOS/DESPERADO; a. a. O. Rdnr. 17 – ZOOM). Das stärkste Gewicht kommt im Hinblick auf die Herkunftsfunktion der Marke der regelmäßigen betrieblichen Herkunft, also dem gemeinsamen betrieblichen Verantwortungsbereich für die Qualität der Waren und/oder Dienstleistungen zu, während der regelmäßigen Vertriebs- und Erbringungsstätte ein geringeres Gewicht zugemessen wird.
63
b) Die zu berücksichtigende Ware
„Christbaumschmuck“ ist im Verzeichnis der angegriffenen Marke identisch enthalten.
64
c) Zwischen der für die jüngere Marke eingetragenen Ware „
Spielzeug“ und dem rechtserhaltend benutzten Widerspruchsprodukt „
Christbaumschmuck“ bestehen Überschneidungen nach Zweckrichtung, stofflicher Beschaffenheit und Vertriebswegen, die die Annahme einer zumindest durchschnittlichen Warenähnlichkeit rechtfertigen.
65
aa) Die Vergleichswaren können den gleichen Verwendungszweck erfüllen, auch wenn Christbaumschmuck in erster Linie der passiven Dekoration und Spielzeug der aktiven Beschäftigung dient. Christbaumschmuck bestand ursprünglich zunächst nur aus Naschwerk, wie z. B. Äpfel, Nüsse und Zuckergebäck. Später wurden bemalte oder mit Folie überzogene Tierfiguren aus Pappe, einer flüssigen Masse, die in Formen gepresst wurde, an den Weihnachtsbaum gehängt, die die Kinder auch als Spielzeug und als Lernmaterial benutzten. Sie hießen Dresdner Pappe, weil sie hauptsächlich in Dresden hergestellt wurden (Geschichte des Christbaumschmucks – Kugeln, Sterne, Lametta für den Christbaum, 20.12.2017, https://www.br.de/kinder/christbaumschmuck-weihnachten-geschichte-kinder-lexikon-100.html). Mit Beginn des 19. Jahrhunderts kamen Glaskugeln dazu. Später folgten aus Holz geschnitzte Figuren aus dem Erzgebirge, Blechspielzeug sowie kunstgewerblicher und selbst gebastelter Schmuck, wie z. B. Holz- oder Strohsterne (Reader´s Digest Deutschland – Wie aus dem Zuckerbaum der Weihnachtsbaum wurde, 17.11.2011 https://www-presseportal.de/pm/32522/2149343). Auch das Basteln von Christbaumschmuck in der Vorweihnachtszeit gemeinsam mit den Kindern hat in vielen Familien Tradition. Es gibt auch Bastelsets für Kinder zur eigenen Herstellung von Christbaumschmuck (EUIPO, Entscheidung vom 17. November 2016 – R 2397/2015-5 Rdnr. 29 – Carrera/CARRERA). Weihnachtsschmuck hat daher seit sehr langer Zeit nicht nur der Dekoration, sondern auch als Spielzeug bzw. der spielerischen Beschäftigung gedient. Christbaumschmuck wird auch gegenwärtig noch als Zugabe für die Puppenstube (https://www.holzzauber-shop.de/Holzminiaturen-Weihnachtsfenster-Anhaenger-Chris…, s. Anlagenkonvolut 1 zum zweiten gerichtlichen Hinweis) angeboten und als „Spielzeug“, „Christbaumspielzeug“ „Weihnachtsbaum Spielzeug“ oder „Christmas Tree Toys“ bezeichnet (s. Anlagenkonvolut 2 zum zweiten gerichtlichen Hinweis). Denn es gibt Christbaumschmuck im sogenannten Spielzeug-Design, also Christbaumanhänger in Form miniaturisierter Spielzeuge, wie z. B. „Puppe auf Schaukelpferd“, „Puppe auf Schlitten“, Lokomotiven, Autos, Motorräder, Marktwagen mit Spielzeug, Schneemänner und Ähnliches (s. Anlagenkonvolute 2 und 3 zum zweiten gerichtlichen Hinweis). Als bunte Miniaturfiguren entsprechen die vorgenannten Christbaumanhänger ihrer äußeren Form nach kleinen Spielzeugen, die eine entsprechende Anziehungskraft auf Kinder ausüben.
66
bb) Christbaumschmuck und Spielzeug kann in der stofflichen Beschaffenheit übereinstimmen. Zwar werden aus Glas oder in hochwertiger Handarbeit gefertigter Christbaumschmuck selten Kindern zum Spielen gegeben, dies ist aber bei preiswerteren Dekorationsartikeln aus ungefährlichem Material wie Holz, Pappe oder Kunststoff anders (vgl. auch 27 W (pat) 241/74 – Palitoy/ROLLY TOYS).
67
cc) Hinzu kommt, dass diese Vergleichswaren besonders im Weihnachtssaisongeschäft parallel im Dekorations- und Geschenkehandel vermarktet werden.
68
dd) Gemeinsame Hersteller hat es zumindest in der Vergangenheit gegeben. Anfang des 20. Jahrhunderts bis Mitte der 1970er Jahre gab es Spielzeugfirmen, die nicht nur mechanisches Blechspielzeug, sondern auch Christbaumschmuck herstellten, wie z. B. das Unternehmen Schuco, das 1912 unter dem Namen Schreyer und Co – später auf „Schuco“ verkürzt – vom Kaufmann Heinrich Schreyer gegründet wurde (https://www.ihk-nuernberg.de/de/IHK-Magazin-WiM/WiM-Archiv/WIM-Daten/2012-12/Unternehmen-und-Personen/die-marke-fasziniert-bis-heute). Deshalb gehörte 1974 auch die Vereinigung der Bayerischen Spielwaren- und Christbaumschmuck-Hersteller e. V. in Nürnberg zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie e. V. (DVSI, https://www.dvsi.de/verband/historie), auf der 25. Internationalen Spielwarenmesse Nürnberg und noch viele Jahre danach war die Sparte „Christbaumschmuck“ traditionell vertreten und die seit 1957 herausgegebene Zeitschrift „das SPIELZEUG“ war ursprünglich nicht nur das Fachblatt für Spielzeug, sondern auch für Christbaumschmuck u. a.. (BPatG 27 W (pat) 241/74 – Palitoy/ROLLY TOYS). Im Rahmen der Produktwerbung zum erzgebirgischen Christbaumschmuck wird gegenwärtig noch (historisch) von Spielzeugmachern berichtet, die auch Christbaumschmuck fertigten (vgl. https://www.erzgebirge-palast.de/Baumschmuck:::832.html, Anlagenkonvolut 1 zum zweiten gerichtlichen Hinweis).
69
ee) Zwischen Christbaumschmuck, der je nach Art, Design und Material, zugleich die Kriterien und Funktionen von Spielzeug erfüllen und als Spielzeug gestaltet sein kann, bestehen damit Berührungspunkte beim Verwendungszweck, beim Material und im Vertrieb, weshalb zumindest von einer normalen Ähnlichkeit ausgegangen werden kann (vgl. auch BPatG 30 W (pat) 100/04 – STADA Shop/Schadah; 29 W (pat) 22/92 – SALA Spiele aus Berlin/Sulla).
70
ff) Angesichts der vorgenannten tatsächlichen Feststellungen vermag der Senat der bisherigen patentgerichtlichen Rechtsprechung, die erhebliche Warenferne (32 W (pat) 18/07 – LUCKY/Lupi; 32 W (pat) 98/03 – JAKO-O/Jocko; 25 W (pat) 145/01 – LEO/Leo; 26 W (pat) 262/87 – JOSKA/Jocko) oder gar Warenunähnlichkeit (29 W (pat) 192/04 – Bobo by Rolf Kern ®/Bonbo; 29 W (pat) 16/04 – KINI/Ginny) annahm, nicht zu folgen.
71
aaa) In fast allen vorgenannten Entscheidungen war die Ähnlichkeit zwischen Christbaumschmuck und der speziellen Spielzeugware „Plüschfiguren“ (25 W (pat) 145/01 – LEO/Leo; 26 W (pat) 262/87 – JOSKA/Jocko), „Plüschtiere“ (32 W (pat) 98/03 – JAKO-O/Jocko) oder „Stoff- bzw. Spieltiere“ (29 W (pat) 192/04 – Bobo by Rolf Kern ®/Bonbo; 29 W (pat) 16/04 – KINI/Ginny) zu beurteilen, während sich vorliegend die
Oberbegriffe „Spielzeug“ und „Christbaumschmuck“ gegenüberstehen.
72
bbb) In dem Fall (32 W (pat) 18/07 – LUCKY/Lupi), in dem die Ähnlichkeit dieser beiden Oberbegriffe Thema war, wurde völlig übersehen, dass Christbaumschmuck und Spielzeug den gleichen Zweck erfüllen und aus dem gleichen Material bestehen können. Ferner wurde die erhebliche Warenferne vor allem damit begründet, dass Christbaumschmuck in Form von Spielwaren hinsichtlich Material und Gestaltung nicht den für Spielwaren geltenden Sicherheitsanforderungen entspreche. Abgesehen davon, dass die Frage der Sicherheitsanforderungen kein zulässiges Kriterium zur Beurteilung der Warenähnlichkeit ist und eine Gefährdung nur für Kleinkinder, nicht aber für ältere Kinder besteht, kann diesem Einwand mit entsprechenden Warnhinweisen begegnet werden, wie sie nach den Feststellungen des Senats auch gegenwärtig erteilt werden: „Christbaumschmuck „Flower Power Roller“, pink, Glas … Spielzeug nicht geeignet für Kinder unter 3 Jahren. Benutzung unter unmittelbarer Aufsicht von Erwachsenen“ (s. Anlagenkonvolut 2 zum zweiten gerichtlichen Hinweis).
73
ccc) Vor allem aber beruht keine einzige dieser abweichenden Entscheidungen des BPatG im Gegensatz zur vorliegenden Senatsrecherche auf einer Tatsachenfeststellung. Von durchgeführten Ermittlungen ist in keinem Beschluss die Rede. Es wird vielmehr auf frühere Entscheidungen verwiesen, die aber ebenfalls keine Tatsachenbasis haben.
74
d) Die übrigen von der jüngeren Marke beanspruchten Waren der Klasse 28 und die angegriffenen Dienstleistungen der Klasse 35 weisen keine Ähnlichkeit mit der rechtserhaltend benutzten Ware „
Christbaumschmuck“ auf.
75
aa) Bei der Ware „
Spiele“ haben sich die bei „Spielzeug“ festgestellten Berührungspunkte mit „
Christbaumschmuck“ nicht auffinden lassen. Es ist weder dargelegt noch bekannt, dass namhafte Hersteller von Spielen einschließlich Computerspielen, z. B. Activision, Blizzard Entertainment, EA Games, MB, Lego, LucasArts, Mattel, Nintendo, Parker Brothers, Playmobil, Ravensburger AG, Schmidt Spiele, Ubisoft, zugleich Christbaumschmuck herstellen. Ferner fehlt Christbaumschmuck die für die Ware „
Spiele“ wesens- und wertbestimmende Spielregelung bzw. -methodik oder die Programmierung und Technik eines Computerspiels oder einer Spielekonsole. Da Christbaumschmuck keine geistigen Inhalte und/oder gedankliche Regeln und Anweisungen vermittelt oder empfängt, fehlt es an einer gemeinsamen Zweckrichtung. Unterschiede gibt es auch in der stofflichen Beschaffenheit.
76
bb) Eine absolute Warenunähnlichkeit besteht auch zu den für die jüngere Marke eingetragenen Waren „
Turn- und Sportartikel, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind“. Überschneidungen bei den Produzenten sind nicht bekannt. Naturgemäß müssen Turn- und Sportartikel mehr aushalten als Christbaumschmuck, was Unterschiede in der Beschaffenheit bedingt. Turn- und Sportartikel bezwecken sportliche Ertüchtigung, während Christbaumschmuck in erster Linie der besinnlichen Dekoration dient, so dass auch die im Vordergrund stehenden Verwendungszwecke verschieden sind. Es fehlen auch gemeinsame Vertriebswege: Turn- und Sportartikel werden in Sportgeschäften und -abteilungen angeboten, während Christbaumschmuck im Fachhandel für Dekorationsartikel und Wohnaccessoires sowie in entsprechenden Kaufhausabteilungen vertrieben wird.
77
cc) Die für die jüngere Marke eingetragenen Dienstleistungen der Klasse 35 weisen keine Berührungspunkte mit der Ware „Christbaumschmuck“ auf. Sie unterscheiden sich bereits ihrer Natur nach als körperliche Ware und unkörperliche Dienstleistung voneinander. Die Annahme einer Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit bedarf daher besonderer Umstände, die hier jedoch nicht vorliegen.
78
aaa) Die Dienste „
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten“ und die Dienstleistung „
Präsentation von Waren in Kommunikations-Medien für den Einzelhandel“, die nur eine spezialisierte Art der Werbung darstellt, unterstützen als unternehmensbezogene Dienstleistungen die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen und wenden sich dementsprechend ausschließlich an ein unternehmerisch tätiges Publikum. Demgegenüber dient „
Christbaumschmuck“ der Dekoration zu einem besinnlichen Fest mit christlich-religiösem Hintergrund und richtet sich an breite Verkehrskreise. Daher gibt es auch keine Überschneidungen bei den Herstellern bzw. Anbietern oder bei ihrer Nutzung.
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(1) Nach der bei der Anmeldung der jüngeren Marke maßgeblichen und bis zur Gegenwart unveränderten Erläuternden Anmerkung zu Klasse 35 in Teil I der Nizza Klassifikation (10. Ausgabe, gültig ab 1.1.2012), auf die § 65 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG i. V. m. § 19 MarkenV verweist, gehören zur „
Werbung“ „Dienstleistungen von Werbeunternehmen, die sich in Bezug auf alle Arten von Waren oder Dienstleistungen hauptsächlich mit Mitteilungen an die Öffentlichkeit und mit Erklärungen und Anzeigen durch alle Mittel der Verbreitung befassen“. Damit umfasst der markenrechtliche Dienstleistungsbegriff „Werbung“ alle Beratungs-, Mitteilungs-, Konzeptions-, Gestaltungs- und Realisationsleistungen, die von Werbeunternehmen – in erster Linie Werbeagenturen – gegen Entgelt im Kundenauftrag für Dritte auf dem Gebiet der Werbung erbracht werden (vgl. BPatG 33 W (pat) 45/98, Juris-Tz. 30 – INDIGO IMAGES; OLG Frankfurt GRUR-RR 2007, 277, Juris-Tz. 52). Ziel der Werbung ist es, Menschen unter Einsatz spezifischer Werbemittel im Sinne des Werbenden zu beeinflussen (vgl. BPatG 26 W (pat) 4/17 – Domnic.de/DomiNIC).
80
(2) Beim Angebot der Dienstleistung „
Geschäftsführung“ oder „
Unternehmensverwaltung“ für Dritte geht es um das Angebot einer Management-Dienstleistung eines Einzelnen oder eines Unternehmens zur Führung eines anderen Unternehmens. Gegenstand ist dabei eine (Re-)Organisation der Unternehmensstruktur, eine Überprüfung fachlicher Entscheidungen, Mitarbeiterführung, eine Ausrichtung des Unternehmens in personeller und fiskalischer Hinsicht und Ähnliches. Gegenstand sind somit vielfältige Dienstleistungen von der Übernahme der Führung eines gesamten Unternehmens bis hin zur Übernahme von Teilbereichen eines Unternehmens, wie die Errichtung und Erhaltung von Verfahrensweisen, Aufzeichnungen und Regeln im Geschäftsleben (http://www.onpulson.de/lexikon/unternehmensverwaltung/).
81
(3) Bei Büroarbeiten handelt es sich um unternehmensbezogene Dienste (vgl. BPatG 29 W (pat) 533/13 – VITA CUR/Verticur), die größtenteils durch Erzeugung, Bearbeitung und Übermittlung von Informationen gekennzeichnet sind. Büroarbeit besteht vorwiegend, etwa zu zwei Dritteln, aus Kommunikationsvorgängen (http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/75904/bueroarbeit-v8.html). Dazu gehö-ren neben der Telefonbetreuung die Vorbereitung und Bearbeitung der Geschäftspost mit allen erforderlichen Schreibarbeiten, d. h. Angebote und Rechnungen erstellen, Korrespondenz mit Kunden und Behörden führen, sowie das Ordnen, Sortieren, Ablegen und Archivieren der Geschäftsunterlagen, das Überwachen der Zahlungseingänge und das außergerichtliche Mahnwesen.
82
bbb) Unähnlichkeit besteht auch zwischen der rechtserhaltend benutzten Ware „
Christbaumschmuck“ und den für die jüngere Marke registrierten
„Dienstleistungen des Einzelhandels auch über das Internet sowie Online- oder Katalogversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen Geräte der Unterhaltungselektronik, insbesondere Headsets, Kopfhörer Lautsprecher, Haushaltsgeräte, Sportartikel, insbesondere Angeltaschen, Angelruten Angelrollen, Duschen, insbesondere Duschbrausen“.
83
(1) Dienstleistungen des Einzelhandels umfassen neben dem Rechtsgeschäft des Kaufvertrags die gesamte Tätigkeit, die ein Wirtschaftsteilnehmer entfaltet, um zum Abschluss eines Kaufvertrags anzuregen. Zu diesen Tätigkeiten gehören die Auswahl eines Sortiments an Waren, die zum Verkauf angeboten werden, und die im Angebot liegenden verschiedenen Dienstleistungen, die Verbraucher dazu veranlassen sollen, den Kaufvertrag mit einem Händler und nicht mit einem Wettbewerber abzuschließen (vgl. EuGH GRUR 2005, 764 Rdnr. 34 – Praktiker; BGH MarkenR 2016, 157 Rdnr. 22 – BioGourmet).
84
(2) Zwar kommt eine Ähnlichkeit der Dienstleistungen eines Einzelhändlers zu den gehandelten Waren in Betracht, wenn große Handelshäuser in dem betreffenden Warensektor neben dem Verkauf fremder Waren auch Waren mit eigenen Handelsmarken anbieten (GRUR 2014, 378 Rn. 39 – OTTO CAP). Jedoch beziehen sich die Einzelhandelsdienstleistungen der jüngeren Marke weder auf Christbaumschmuck noch weisen die gehandelten Geräte der Unterhaltungselektronik, die Haushaltsgeräte, die Sportartikel oder die Duschen wirtschaftliche Berührungspunkte mit Christbaumschmuck auf. Bei den Waren, die Gegenstand der angegriffenen Handelsdienstleistungen sind, handelt es sich um spezielle, alltägliche Gebrauchsartikel, die elektrisch und/oder mechanisch betrieben werden und daher anderen Anforderungen gerecht werden müssen als an Weihnachtsbäumen befestigte Dekorationswaren, selbst wenn letztere mit elektrischen Leuchten ausgestattet sein können. Zudem handelt es sich bei Christbaumschmuck um Saisonware, was sich auch auf die Art der darauf bezogenen Handelsdienstleistungen, nämlich Bestellung, Bevorratung und Präsentation, auswirkt.
85
5. Die im Identitäts- und Ähnlichkeitsbereich liegenden Vergleichswaren der Klasse 28 richten sich an den Fachhandel für Spielzeug, Dekorationsartikel und Wohnaccessoires sowie an breite Endverbraucherkreise, wobei insoweit auf den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist (EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee). Diese inländischen Verkehrskreise begegnen den Waren mit einem leicht erhöhten Aufmerksamkeitsgrad, weil es sich bei ihnen nicht um Verbrauchsgüter des täglichen Lebens handelt und sie für Kinder bestimmt sein können.
86
6. Der Widerspruchsmarke
„NANA“ kommt von Haus aus eine normale Kennzeichnungskraft zu.
87
a) Die originäre Kennzeichnungskraft wird bestimmt durch die Eignung der Marke, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. EuGH GRUR 2010, 1096 Rdnr. 31 – BORCO/HABM [Buchstabe a]; BGH a. a. O. Rdnr. 41 – INJEKT/INJEX). Dabei ist auf die Eigenart der Marke in Klang, Bild und Bedeutung abzustellen. Marken, die über einen für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen erkennbar beschreibenden Anklang verfügen, haben regelmäßig nur geringe originäre Kennzeichnungskraft (BGH WRP 2015, 1358 Rdnr. 10 – ISET/ISETsolar; GRUR 2012, 1040 Rdnr. 29 – pjur/pure). Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die für eine hohe oder geringe Kennzeichnungskraft sprechen, ist von normaler Kennzeichnungskraft auszugehen (BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX). Bei einer Unionsmarke kommt es auf das Verkehrsverständnis im Kollisionsgebiet an, hier also auf das Verkehrsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH GRUR 2018, 79 Rdnr. 24 – OXFORD/Oxford Club; GRUR 2013, 1239 Rdnr. 67 – VOLKSWAGEN/Volks.Inspektion).
88
b) „NANA“ hat keine Bedeutung in der deutschen Sprache. Neben dem Vorkommen als weiblicher oder männlicher Eigenname, als Werk- oder Filmtitel, als Bestandteil einer Stadtteilbezeichnung in Bangkok sowie als Name von Gemeinden in Rumänien und in der Slowakei steht der Begriff „nana“ im Arabischen für Minze, ist eine Abkürzung für die chemische Substanz „N-Acetylneuraminsäure“ und bezeichnet eine Figur der griechischen Mythologie, nämlich die Nymphe Nana, Tochter des Flussgottes Sangarios. Im Englischen wie im Spanischen ist „nana“ die umgangssprachliche Bezeichnung für „Großmutter“, während der Ausdruck im Französischen eine saloppe Bezeichnung für eine Frau oder ein Mädchen darstellt. Im Italienischen bedeutet „nana“ „Zwergin“ (vgl. Wikipedia-Nachweise, Online-Wörterbuch dict.leo.org, s. Anlagenkonvolut 1 zum ersten gerichtlichen Hinweis). Keine dieser Bedeutungen ist den inländischen Verkehrskreisen geläufig oder weist einen beschreibenden Bezug zur Ware „Christbaumschmuck“ auf. Die Widerspruchsmarke wird vielmehr als Fantasiebezeichnung wahrgenommen.
89
c) Anhaltspunkte für eine gesteigerte Kennzeichnungskraft sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
90
7. Der trotz leicht erhöhter Aufmerksamkeit bei identischen und durchschnittlich ähnlichen Vergleichswaren und normaler Kennzeichnungskraft der älteren Marke gebotene deutliche Abstand wird wegen hoher klanglicher Markenähnlichkeit nicht mehr eingehalten.
91
a) Maßgeblich für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (EuGH GRUR 2013, 922 Rdnr. 35 – Specsavers/Asda; BGH a. a. O. Rdnr. 58 – INJEKT/INJEX), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 428 Rdnr. 53 – Henkel; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Das schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2005, 1042 Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGH a. a. O. Rdnr. 37 – OXFORD/Oxford Club m. w. N.; GRUR 2012, 64 Rdnr. 14 – Maalox/Melox-GRY). Voraussetzung hierfür ist, dass die anderen Bestandteile weitgehend in den Hintergrund treten und den Gesamteindruck der Marke nicht mitbestimmen. Die Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (EuGH GRUR Int. 2010, 129 Rdnr. 60 – Aceites del Sur-Coosur [La Espagnola/Carbonelle]; BGH GRUR 2016, 382 Rdnr. 37 – BioGourmet). Dabei genügt für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche (EuGH GRUR 2007, 700 Rdnr. 35 – HABM/Shaker [Limoncello/LIMONCHELO]; BGH a. a. O. – INJEKT/INJEX).
92
b) Die Vergleichsmarken „
KANANA“ und „
NANA“ weisen eine überdurchschnittliche Zeichenähnlichkeit in klanglicher Hinsicht auf.
93
aa) Allerdings wird der Gesamteindruck der jüngeren Marke nicht durch den mit der älteren Marke übereinstimmenden Bestandteil „NANA“ geprägt.
94
aaa) Die Grundsätze der Prägung werden auch auf einteilige Zeichen angewendet, wenn der Verkehr aufgrund besonderer Umstände Veranlassung hat, das zu einem Wort zusammengesetzte Zeichen zergliedernd und nicht als einheitliche Bezeichnung aufzufassen (BGH GRUR 2013, 631 Rdnr. 33 – AMARULA/Marulablu; GRUR 2010, 729 Rdnr. 34 – MIXI; GRUR 2008, 905, Juris-Tz. 38 – Pantohexal). Dabei ist zu prüfen, ob die Anwendung des für kombinierte Zeichen geltenden Prägungsgrundsatzes trotz der formalen Einteiligkeit eines Zeichens ausnahmsweise in Betracht kommt.
95
bbb) Vorliegend besteht ein solcher Anlass zur zergliedernden Wahrnehmung der angegriffenen Einwortmarke „KANANA“ nicht.
96
(1) Die angegriffene Marke „KANANA“ hat im Deutschen keinen Sinngehalt. „Kanana“ bezeichnet verschiedene Orte bzw. Regionen in Afrika. Ferner fungiert das Markenwort als Vorname oder Familienname in verschiedenen Teilen der Erde, wird aber auch als Name für verschiedene fiktionale Charaktere verwendet (s. Anlagenkonvolut 2 zum ersten gerichtlichen Hinweis). Eine Sachaussage über die identischen und ähnlichen Waren der jüngeren Marke, nämlich Spielzeug oder Christbaumschmuck, kann dem Markenwort nicht entnommen werden.
97
(2) Da den inländischen Verkehrskreisen die angegriffene Marke als einheitliches Fantasiewort begegnet, haben sie auch keinen Anlass, dieses Wort zu zergliedern, zumal auch die darin enthaltene Widerspruchsmarke „NANA“ keinen geläufigen Bedeutungsgehalt vermittelt, so dass sie nicht als selbständiges Element hervortritt.
98
bb) Da der angesprochene Verkehr beide Marken als Fantasiebegriffe auffasst, wird er sie nach deutschem Sprachverständnis artikulieren (Büscher in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 3. Aufl., § 14 MarkenG Rdnr. 330).
99
aaa) Im Hinblick darauf, dass bei deutschen Grundwörtern der Wortakzent meistens auf der ersten Silbe liegt (Janusz Taborek, Phonetik der deutschen Sprache, 2001, Internetlexikon, s. Anlagenkonvolut 3 zum ersten gerichtlichen Hinweis), wird „NANA“ wie die Margarinemarke „Rama“ oder die Tierbezeichnung „Lama“ auf der ersten Silbe betont. Hinweise auf eine französische Aussprache mit Betonung auf dem letzten Vokal bestehen mangels eines entsprechenden Akzentes nicht.
100
bbb) Die jüngere Marke „KANANA“ wird vom Verkehr überwiegend auf der zweiten Silbe betont.
101
(1) Bei dreisilbigen Wörtern ist zwar auch eine Betonung auf der ersten Silbe möglich, was etwa für die ähnlich beginnenden Wörter „Kanada“ und „Kanaan“ gilt. In der deutschen Sprache werden die meisten dreisilbigen Wörter jedoch auf der Mittelsilbe betont, insbesondere wenn sie – wie hier – mit einem Vokal enden (vgl. BGH GRUR 1993, 972, Juris Tz. 29 – Sana/Schosana; BPatG 25 W (pat) 46/09 – Panero/Panerie; 27 W (pat) 218/00 – HABIBA/BiBA; BPatGE 37, 30, 35 – INTECTA/tecta; BPatG Mitt. 1977, 212 – DIMESO/dynexan).
102
(2) Eine Betonung dreisilbiger Wörter auf der letzten Silbe ist im Deutschen unüblich. Sie beruht regelmäßig auf einer Entlehnung des betreffenden Worts aus der französischen Sprache, wie z. B. „Kanapee/canapé“ oder „Kabinett/cabinet“, oder aus dem Altgriechischen, wie z. B. „Malachit“ oder „Meteorit“, wofür aber bei „KANANA“ keine Anhaltspunkte vorhanden sind.
103
cc) Da auch bei Kunstwörtern nur die nach den allgemeinen Sprachgepflogenheiten wahrscheinlichen Möglichkeiten der Aussprache zugrunde zu legen sind (vgl. BGH GRUR 1976, 356, Juris-Tz. 19 – Boxin; GRUR 1962, 241, 242 – Lutin; BPatG 30 W (pat) 502/17 – Jooby/OBI; 28 W (pat) 536/16 – cangoo bikes/KANGAROO BIKE; a. a. O. – DIMESO/dynexan; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 49, 51 – combit/ComIT), überwiegen, ausgehend von der maßgeblichen Betonung der beiden Vergleichsmarken auf der zweiten Silbe, die Übereinstimmungen.
104
aaa) Die ältere Marke „NANA“ ist in der angegriffenen Marke „KANANA“ vollständig enthalten, so dass die jüngere Marke in zwei von drei Silben mit der Widerspruchsmarke übereinstimmt. Beide Markenwörter verfügen über zwei identische Vokale „A“ und zwei identische Konsonanten „N“ sowie über einen gemeinsamen Schlusslaut. Da der Vokal „A“ in der ersten Silbe der angegriffenen Marke ein drittes Mal wiederholt wird, die erste Silbe „KA“ also die Vokalverdoppelung „A-A“ der jüngeren Marke aufgreift, liegt ein identisches Aufbauschema vor. Auch Betonung und Sprechrhythmus stimmen überein, weil beide Marken auf der zweiten Silbe betont werden.
105
bbb) Der einzige Unterschied besteht in der Anfangssilbe „KA“. Zwar gilt der Erfahrungssatz, dass der Wortanfang im Allgemeinen stärker beachtet wird. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, insbesondere wenn die Betonung – wie hier – nicht auf dem Wortanfang liegt (BGH GRUR 2015, 1004 Rdnr. 39 – IPS/ISP). Bei weitgehenden Übereinstimmungen im Übrigen kann eine alleinige Abweichung am Wortanfang die Verwechslungsgefahr nicht ausschließen (vgl. BGH GRUR 1993, 972, 974 – Sana/Schosana; BPatG 28 W (pat) 19/15 – BARTH www.automobile-barth.de/ABARTH/ABARTH; 30 W (pat) 15/14 – ECO-FILL/COFILL; 29 W (pat) 184/10 – SCANTAX/ANTAX).
106
ccc) Die Silbe „KA“ kann vorliegend eine klangliche Verwechslung nicht verhindern. Ausschlaggebend ist der weitere Markenteil „NANA“, der vollständig mit der älteren Marke übereinstimmt und eine äußerst ungewöhnliche Lautabfolge darstellt, weil in der deutschen Sprache nur ein einziges Fremdwort mit dieser Endung existiert (Duk Ho Lee, Rückläufiges Wörterbuch der deutschen Sprache, 2005, S. 8; Gustav Muthmann, Rückläufiges deutsches Wörterbuch, 3. Aufl. 2001, S. 72), nämlich „Zenana“ oder „Senana“, das bei Muslimen und Hindus den Wohnbereich der Frauen bezeichnet, den Fremde nicht betreten dürfen (https://www.duden.de/recht-schreibung/Zenana). Dadurch wird die Eingangssilbe, die den Vokal „A“ sogar noch ein drittes Mal wiederholt, in ihrer Bedeutung für den phonetischen Gesamteindruck überlagert. Hierauf basierend fällt auch die unterschiedliche Silbenzahl der Kollisionsmarken nicht ins Gewicht.
107
ddd) Hinzu kommt, dass der Anfangskonsonant „K“ zwar ein klangstarker Konsonant, aber gleichzeitig auch ein kurzer und stimmloser Augenblickslaut ist, so dass er bei der Aussprache nicht deutlich genug in Erscheinung tritt, sondern bei der mündlichen Wiedergabe leicht verschluckt wird. Diese Abweichung kann daher im Gesamtklangbild nicht für eine hinreichende Differenzierung sorgen. Dies gilt umso mehr, als die Vergleichsmarken im Verkehr nicht gleichzeitig nebeneinander aufzutreten pflegen, sondern ein Vergleich aufgrund eines undeutlichen Erinnerungsbildes erfolgt, in dem regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die Unterschiede (vgl. EuGH GRUR Int. 1999, 734 Rdnr. 26 – Lloyd; BGH GRUR 2000, 506 Juris-Tz. 66 – ATTACHÉ/TISSERAND; GRUR 2003, 1047 Juris-Tz. 34 – Kellogg`s/Kelly`s). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Wiedergabe der Marken unter ungünstigen akustischen Bedingungen, wie z. B. am Telefon oder bei Umgebungslärm, erfolgen kann, was ein korrektes Verstehen erschwert.
108
eee) Da das weitgehend übereinstimmende, gleichförmige Gesamtklangbild das Erinnerungsvermögen des angesprochenen Verkehrs weitaus stärker prägt als Abweichungen, liegt eine überdurchschnittliche phonetische Ähnlichkeit vor.
109
fff) Die vom Beschwerdegegner angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs rechtfertigen mangels Vergleichbarkeit keine andere Beurteilung.
110
(1) Im Beschluss zu „MONOFLAM/POLYFLAM“ (GRUR 1999, 735), in dem der BGH eine Verwechslungsgefahr verneint hat, wurde der maßgebliche klangliche Unterschied in den beiden erheblich voneinander abweichenden Anfangssilben gesehen, von denen die erste auch noch betont wurde, während sich vorliegend nur eine einzige und dazu noch unbetonte Silbe am Beginn der angegriffenen Marke befindet.
111
(2) Auch in der Entscheidung des BGH zu „DKV/OKV“ (GRUR 2002, 1067) wurde die phonetische Unähnlichkeit damit begründet, dass die Unterschiede in den Lauten „D“ und „O“ wegen der beiden relativ kurzen Buchstabenfolgen und des betonten Anfangs deutlich hervorträten. Vorliegend handelt es sich zumindest bei der angegriffenen Marke nicht um ein Kurzwort und die erste Silbe wird nicht betont.
112
dd) Eine Verwechslungsminderung durch einen abweichenden Sinngehalt kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil beide Markenwörter Fantasiebegriffe darstellen.
113
c) Aus den vorgenannten Gründen ist im tenorierten Umfang eine unmittelbare klangliche Verwechslungsgefahr gegeben.
III.
114
Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG sind nicht gegeben.