BSG 12. Senat, Beschluss vom 25.09.2020, AZ B 12 KR 5/20 BH, ECLI:DE:BSG:2020:250920BB12KR520BH0
Verfahrensgang
vorgehend SG Frankfurt, 3. Dezember 2018, Az: S 34 KR 495/16
vorgehend Hessisches Landessozialgericht, 30. April 2020, Az: L 8 KR 740/18, Urteil
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. April 2020 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
1
In dem der angestrebten Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Zulässigkeit der Vollstreckung aus einer Beitragsfestsetzung der Beklagten für Mai 2004 bis Oktober 2005.
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Die Beitragsfestsetzung für die freiwillige Versicherung der Klägerin in der Krankenversicherung in diesem Zeitraum
(Bescheid vom 8.9.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2015) ist Gegenstand eines gesonderten Klageverfahrens beim SG Frankfurt am Main
(S 18 KR 73/16). Auf einen Antrag im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Hessische LSG mit Beschluss vom 23.6.2016
(L 8 KR 88/16 B ER) die aufschiebende Wirkung der Klage teilweise (beschränkt auf eine bestimmte Höhe der Beiträge für Mai bis Dezember 2004) angeordnet. Anlässlich einer Vollstreckungsmaßnahme der Stadt Köln wegen der ausstehenden Beiträge im Wege der Amtshilfe bzw einer Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamts Gießen hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, die Beklagten zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung aus den rückständigen Beiträgen einzustellen bzw für unzulässig zu erklären. Das SG hat die Klage abgewiesen
(Gerichtsbescheid vom 3.12.2018), das LSG die Berufung zurückgewiesen. Eine Vollstreckungsgegenklage sei unzulässig, weil die Klage keinen in § 199 Abs 1 SGG aufgeführten Titel erfasse, sondern sich gegen die Vollstreckung aus den streitigen Beitragsbescheiden wende; der Rechtsweg gegen eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz sei – je nach Vollstreckungsbehörde – zu den Verwaltungs- bzw Finanzgerichten gegeben. Einen erneuten Antrag im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, über den das LSG bereits mit Beschluss vom 23.6.2016 entschieden habe, habe die Klägerin nicht gestellt. Eine allgemeine Leistungsklage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht gegeben. Soweit die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung geltend mache, sei dies Gegenstand der anderweitig anhängigen Klage. Die Aufrechnung gegen die Beitragsforderung sei als Einwand gegen die konkrete Vollstreckungsmaßnahme zu erheben; Rechtsschutz werde insoweit nicht durch die Sozialgerichtsbarkeit gewährt
(Urteil vom 30.4.2020).
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Zur Durchführung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
II
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Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
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Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH liegen nicht vor. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Hieran fehlt es. Es ist nicht zu erkennen, dass ein nach § 73 Abs 4 SGG zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
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Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
(Nr 1) oder das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und auf dieser Abweichung beruht
(Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird
, auf dem die Entscheidung beruhen kann
(Nr 3). Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen
(stRspr; vgl bereits BSG Beschluss vom 26.6.1975 – 12 BJ 12/75 – SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10; BSG Beschluss vom 13.11.2019 – B 13 R 125/18 B – juris RdNr 13). Das Vorbringen der Klägerin und die Durchsicht der Akten haben bei der gebotenen summarischen Prüfung keinen Hinweis auf das Vorliegen eines der vorgenannten Gründe ergeben.
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1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist
(stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 – B 13 R 347/11 B – SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage ist vorliegend nicht ersichtlich.
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Aus dem klägerischen Vortrag, es liege entgegen der Ansicht des LSG ein vollstreckungsfähiger Titel im Sinne von § 199 Abs 1 SGG vor, weil „die Beklagte aus dem Bescheid unter Berücksichtigung der Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. Juni 2016, Az. L 8 KR 88/16 B ER, vollstreckt“, ergibt sich keine klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung. Im Übrigen erscheint der Einwand nicht nachvollziehbar. Bei der (nur) teilweisen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Beitragsfestsetzung
(§ 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG) durch das LSG handelt es sich um eine rechtsgestaltende, nicht um eine vollstreckungsfähige gerichtliche Entscheidung
(vgl BSG Urteil vom 23.6.1967 – 12 RJ 408/66 – BSGE 27, 31, 33 = SozR Nr 3 zu § 199 SGG D a 2 f).
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Soweit die Klägerin ausführt, dass sie ihre Willenserklärung zum Abschluss der freiwilligen Versicherung angefochten habe, weil die Beklagte die damit bezweckte Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) mutwillig verweigert habe, sind derartige rechtliche Fragen zur Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids angesichts des beschränkten Streitgegenstands hier nicht klärungsfähig. Der Vortrag der Klägerin, es sei ihr nicht zuzumuten, ihre Rechte in jahrzehntelangen gerichtlichen Verfahren durchzusetzen, ändert daran nichts.
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2. Eine Divergenz kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von einem abstrakten Rechtssatz in einer (anderen) Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht
(vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 – B 3 P 13/04 B – SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 – B 2 U 41/04 B – SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Auch hierfür ist nichts ersichtlich.
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Soweit die Klägerin auf Entscheidungen des BSG zu § 199 Abs 2 Satz 1 SGG verweist
(BSG Beschlüsse vom 26.11.1991 – 1 RR 10/91 und vom 5.9.2001 – B 3 KR 47/01 R sowie BSG Beschluss vom 8.12.2009 – B 8 SO 17/09 R), ist eine vergleichbare Fallkonstellation hier nicht erkennbar
(vgl oben zu 2.).
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3. Schließlich fehlen Anhaltspunkte dafür, dass gegen die Entscheidung des LSG durchgreifende Verfahrensrügen erhoben werden könnten. Mit dem Einwand der regelmäßig langen Verfahrensdauer kann die Zulassung der Revision nicht begründet werden. Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, dass die Verfahrensdauer den Inhalt der Entscheidung beeinflusst haben könnte.
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Soweit die Klägerin „verfahrensfehlerhafte Tatsachenfeststellung“ rügt, sind die Voraussetzungen für einen Verfahrensmangel ebenfalls nicht erfüllt. Die Klägerin führt hierzu insbesondere aus, dass sie über die Möglichkeit, Mitglied in der KVdR zu werden, getäuscht worden sei. Das LSG lege einen falschen Tatbestand zugrunde, wenn es ausführe, sie sei ab Oktober 2005 in der KVdR pflichtversichert gewesen. Nach der Rechtsauffassung des LSG über die Unzulässigkeit der erhobenen Klage und die anderweitige Rechtshängigkeit bezüglich der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung kommt es jedoch auf die genannten Feststellungen und die Anfechtung der Antragstellung zur freiwilligen Versicherung wegen der behaupteten Täuschung nicht an. Unabhängig von den speziellen Voraussetzungen der Sachaufklärungsrüge
(§ 103 SGG) kann ein Verfahrensmangel aber nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann
(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG).
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Die von der Klägerin gerügte Verletzung des „Überzeugungsgrundsatzes“
(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlich. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden.
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4. Da der Klägerin keine PKH zusteht, kann sie auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen
(vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
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5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat entsprechend § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab.