BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 12.08.2020, AZ VII ZB 5/20, ECLI:DE:BGH:2020:120820BVIIZB5.20.0
Leitsatz
Die Erklärung, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge), muss nicht notwendig mittels als solcher bezeichneter Anträge abgegeben werden. Es reicht aus, wenn die Berufungsbegründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulässt. Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Berufungskläger durch sie beschwert ist (Anschluss an BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – VII ZB 61/18, NJW-RR 2019, 1022 und BGH, Beschluss vom 20. August 2019 – VIII ZB 29/19, NJW-RR 2019, 1293).
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 22. Januar 2020, Az: 29 U 5064/19 Kart
vorgehend LG München I, 31. Juli 2019, Az: 37 O 812/18
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Januar 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: bis 80.000 €
Gründe
I.
1
Die Kläger machen gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem inzwischen beendeten, franchisevertragliche Elemente aufweisenden Vertragsverhältnis geltend.
2
Das Landgericht hat am 10. September 2018 ein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen. Gegen dieses Urteil haben die Kläger Einspruch eingelegt. Außerdem haben sie die Klage erweitert.
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In erster Instanz haben die Kläger zuletzt beantragt:
1. Das Versäumnisurteil vom 10.09.2018 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 5.298,29 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1 47.282,79 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen, hilfsweise an sie 20.393,29 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen und sie von den Zahlungsforderungen aus näher bezeichnetem Darlehen freizustellen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2 25.987,08 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen, hilfsweise an ihn 6.898,93 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen und ihn von den Zahlungsforderungen in Höhe von 19.088,15 € aus näher bezeichnetem Darlehen freizustellen.
4
Das Landgericht hat mit Urteil vom 31. Juli 2019 das Versäumnisurteil vom 10. September 2018 teilweise aufgehoben und die Beklagte auf den in erster Instanz zuletzt gestellten klägerischen Antrag Nr. 3 verurteilt, an die Klägerin zu 1 5.000 € zuzüglich näher bezeichneter Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten.
5
Die Kläger haben gegen dieses Urteil mit Schriftsatz vom 3. September 2019 fristgerecht Berufung eingelegt. In der Berufungsschrift ist unter anderem ausgeführt:
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„Berufungsantrag und Berufungsbegründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.“
7
Mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 haben die Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Dieser Schriftsatz enthält außerdem Ausführungen zur Begründung der Berufung, nicht hingegen ausdrückliche Berufungsanträge. Innerhalb der verlängerten Frist für die Berufung haben die Kläger mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 zur Begründung der Berufung weiter vorgetragen, im Wesentlichen aber auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 verwiesen.
8
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger nach vorangegangenem Hinweisbeschluss mit Beschluss vom 22. Januar 2020 als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts erstreben und ihre beim Landgericht zuletzt gestellten Anträge, soweit diese erfolglos geblieben sind, weiterverfolgen.
II.
9
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
10
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Berufung sei gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Berufungsbegründung entspreche nicht den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO. Weder dem Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 noch dem Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 sei zu entnehmen, in welchem Umfang das erstinstanzliche Urteil angefochten und welche Abänderung erstrebt werde. Die Schriftsätze enthielten nicht nur keine ausdrücklichen Berufungsanträge, sondern auch konkludent, was ausreichend wäre, lasse sich ihnen das Sachbegehren der Kläger nicht entnehmen.
11
Das Landgericht habe in den Urteilsgründen ausgeführt, dass nur die Erstattung des Vertrauensschadens in Betracht komme und der Schadenersatzanspruch unter anderem in den Betriebsverlusten, die durch die Gründung und das Betreiben des Franchise-Outlets dem Franchisenehmer entstanden seien, bestehe. Die Teilklageabweisung habe es bezüglich verschiedener Positionen unterschiedlich begründet.
12
Die Kläger hätten im Schriftsatz vom 7. Oktober 2019 zur Teilabweisung der Klageforderung ausgeführt:
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„Das Landgericht hat die Klageforderung jedoch in ihrem weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen, weil angeblich der Schaden nicht konkret berechnet bzw. nicht substantiiert dargelegt worden war.
14
Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft, da zum einen entgegen der Ansicht des Landgerichts der Schaden in korrekter Weise dargelegt wurde, und überdies das Landgericht nicht in eindeutiger Weise hat im Vorfeld erkennen lassen, wie es den Schadensersatz berechnet wissen möchte.“
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Da das Landgericht die Abweisung der Klage nur teilweise auf eine nicht ausreichende Substantiierung gestützt habe und auch nicht erkennbar sei, welche Änderungen bei der Schadensberechnung die Kläger vorgenommen hätten, wenn das Landgericht weitere Hinweise zur Schadensberechnung erteilt hätte, erschließe sich das Sachbegehren der Kläger in keiner Weise. Entgegen der Auffassung der Kläger im Schriftsatz vom 27. Dezember 2019 könne den Ausführungen gerade nicht entnommen werden, dass sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt hätten, etwa auch im Hinblick auf die zurückgezahlte Kaution und die nicht kausalen Reisekosten. Da die Ausführungen der Kläger sich nicht mit den Ausführungen im landgerichtlichen Urteil zur Teilklageabweisung im Einzelnen auseinandersetzten und somit nicht nachvollziehbar sei, warum die Teilklageabweisung hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen unrichtig sein solle, erschließe sich weder, in welchem Umfang die Kläger ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgen wollten, noch, dass sie diese zumindest in einem bestimmten Umfang, also hinsichtlich einiger bestimmbarer Schadenspositionen weiterverfolgen wollten.
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2. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Kläger ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit seiner Annahme, die Berufungsbegründung genüge den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht, den Klägern den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. zu letzterem Gesichtspunkt BGH, Beschluss vom 29. März 2012 – V ZB 176/11 Rn. 4). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO an die Berufungsanträge stellt, zu Unrecht für nicht erfüllt erachtet.
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a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge). Für diese Erklärung bedarf es nicht der Stellung eines als solchen bezeichneten Antrags. Es reicht aus, wenn die Berufungsbegründung den Schluss auf die Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Begehrens zulässt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – VII ZB 61/18 Rn. 9 m.w.N., NJW-RR 2019, 1022; Beschluss vom 20. August 2019 – VIII ZB 29/19 Rn. 14, NJW-RR 2019, 1293). Bei der Beurteilung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass eine Berufung im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung gerichtet ist, diese also insoweit angreift, als der Berufungskläger durch sie beschwert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – VII ZB 61/18 Rn. 9 m.w.N., NJW-RR 2019, 1022).
18
b) Die Auslegung der Ausführungen der Kläger im Schriftsatz vom 7. Oktober 2019, die der Senat selbst vornehmen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Versäumnisurteil vom 6. Juni 2019 – III ZR 83/18 Rn. 8 m.w.N.; Urteil vom 1. August 2013 – VII ZR 268/11 Rn. 30, NJW 2014, 155), ergibt unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze, dass das Urteil des Landgerichts von den Klägern insgesamt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt werden soll, soweit das Landgericht zum Nachteil der Kläger entschieden hat. Die Ausführungen auf Seite 2 Absatz 5 des Schriftsatzes vom 7. Oktober 2019 „Diese Abweisung der Klage im Wesentlichen [sic] Umfang ist rechtsfehlerhaft“ in Verbindung mit den Ausführungen in dem davorstehenden Absatz 4 „Das Landgericht hat die Klageforderung jedoch in ihrem weit überwiegenden Teil den Klägern nicht zugesprochen, weil angeblich der Schaden nicht korrekt berechnet, bzw. nicht substantiiert dargelegt worden sei“ sind unter Berücksichtigung der genannten Maßstäbe so zu verstehen, dass die Kläger als Berufungskläger das Urteil des Landgerichts insoweit angreifen, als sie durch dieses Urteil beschwert sind. Dass die Schriftsätze vom 7. Oktober 2019 und vom 23. Oktober 2019 die Begründung des Landgerichts für die Klageabweisung nur unvollständig wiedergeben, steht dem nicht entgegen. Insoweit dürfen die Anforderungen bezüglich der Berufungsanträge (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO) nicht mit den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO verknüpft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – VII ZB 61/18 Rn. 11, NJW-RR 2019, 1022; Versäumnisurteil vom 22. März 2006 – VIII ZR 212/04 Rn. 10, NJW 2006, 2705). Ob die Berufungsbegründung der Kläger diesen inhaltlichen Anforderungen in jeder Hinsicht entspricht, steht hier nicht zur Entscheidung.
III.
19
Nach alledem kann der Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da es nach gebotener Anhörung der Parteien noch einer weiteren Prüfung der Zulässigkeit und gegebenenfalls der Begründetheit der Berufung bedarf. Daher ist der Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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