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Sozialkassentarifvertrag – Betrieblicher Geltungsbereich – Abgrenzung von Tätigkeiten des Baugewerbes und des Raumausstattergewerbes (Urteil des BAG 10. Senat)

BAG 10. Senat, Urteil vom 15.07.2020, AZ 10 AZR 337/18, ECLI:DE:BAG:2020:150720.U.10AZR337.18.0

Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, § 94 Abs 2 BGB, § 7 Anl 28 SokaSiG, § 7 Anl 29 SokaSiG

Leitsatz

Eine Tätigkeit, die zu dem Berufsbild eines Raumausstatters gehört, kann baugewerblicher Natur sein. Sie unterfällt dann dem Geltungsbereich der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe.

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Wiesbaden, 21. April 2016, Az: 9 Ca 886/15, Urteil
vorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 3. April 2018, Az: 12 Sa 660/16, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. April 2018 – 12 Sa 660/16 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.

2

Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Er verlangt von der Beklagten auf der Grundlage des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) in der jeweiligen Fassung für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 31. Dezember 2014 Beiträge. Der Senat hat die Allgemeinverbindlicherklärungen der Verfahrenstarifverträge der Jahre 2012 bis 2014 für unwirksam erklärt
(BAG 21. September 2016 – 10 ABR 48/15 – BAGE 156, 289; 25. Januar 2017 – 10 ABR 34/15 -; 25. Januar 2017 – 10 ABR 43/15 -).

3

Die nicht originär tarifgebundene Beklagte unterhält im baden-württembergischen H einen Gewerbebetrieb. Dessen Tätigkeit besteht darin, Spanndecken in Räumen anzubringen. Dabei handelt es sich um dünne Kunststofffolien, die an ihren Rändern umlaufende Gummilippen aufweisen. Die Folien werden vom Hersteller mit Gummilippen nach den vorher mitgeteilten Maßen versehen. Die Gummilippen werden in ein Aluminiumprofil eingedrückt. Dieses Aluminiumprofil befindet sich an einer Unterkonstruktion, die an den Wänden oder der Decke befestigt ist. Die Spanndecken werden unter Einsatz eines Spachtels oder eines vergleichbaren Werkzeugs und teilweise von Heißluftgeräten angebracht.

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Im streitgegenständlichen Zeitraum beschäftigte die Beklagte mindestens einen und bis zu drei gewerbliche Arbeitnehmer.

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Der Kläger hat behauptet, die im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer hätten in den Kalenderjahren 2012, 2013 und 2014 jeweils zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit, die zusammengerechnet mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit in den Kalenderjahren ausgemacht habe, Trocken- und Montagebauarbeiten verrichtet. Dabei hätten sie Unterkonstruktionen und Putzträger angebracht. Es habe sich zB um den Wand- und Deckeneinbau oder Deckenverkleidungen und die Montage von Fertigbauteilen gehandelt. Insbesondere seien Spanndecken eingezogen worden. Die Unterkonstruktionen für die Spanndecken seien von der Beklagten montiert worden, weil sie auf ihrer Homepage Leistungen aus einer Hand anbiete. Soweit die Unterkonstruktionen von Subunternehmern montiert worden seien, habe die Beklagte die Subunternehmer beaufsichtigt, kontrolliert, angewiesen und koordiniert.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Montage von Spanndecken um eine bauliche Leistung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge handele, jedenfalls aber um eine solche nach § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge, weil sie dazu dienten, ein Bauwerk zu erstellen, instand zu setzen, instand zu halten oder zu ändern. Eine untrennbar feste Verbindung der Spanndecken mit dem Bauwerk sei nicht erforderlich. Es sei unerheblich, dass die Tätigkeit auch von Raumausstattern ausgeführt werde. Betriebe des Raumausstattergewerbes seien in § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge nicht genannt und daher nicht vom Anwendungsbereich der Verfahrenstarifverträge ausgenommen. An die Verfahrenstarifverträge sei die Beklagte aufgrund des SokaSiG gebunden.

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Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.518,84 Euro zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, ihre Tätigkeit beschränke sich darauf, Kunststoffspanndecken an bauseits gestellte und montierte Unterkonstruktionen aufzuhängen. Die von ihr vermittelten Partnerunternehmen seien nicht als Subunternehmer tätig geworden.

9

Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Betrieb unterfalle nicht den Verfahrenstarifverträgen. Die Tätigkeit entspreche der Sache nach der eines Raumausstatters. Bei Spanndecken fehle eine dauerhafte Verbindung der Folie mit den Wänden oder der Decke. Das Bauwerk sei ohne die Spanndecken bereits vollendet. Selbst wenn der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge eröffnet wäre, stünden dem Kläger die Beiträge nicht in der geltend gemachten Höhe zu.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge sei nicht eröffnet. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Der Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Betrieb der Beklagten unterfalle nicht dem Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge, weil es sich bei der Herstellung von Spanndecken nicht um baugewerbliche Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 oder § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge handele, stimmt der Senat nicht zu. Das Berufungsurteil ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht konsequent – keine Feststellungen zu den Bruttolohnsummen getroffen. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 ZPO).

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A. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Insbesondere fehlt dem Kläger nicht die für eine zulässige Berufung erforderliche Beschwer.

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I. Das Rechtsmittel der Berufung setzt voraus, dass der Berufungskläger die Beseitigung einer in der angefochtenen Entscheidung liegenden Beschwer erstrebt. Dies erfordert, dass er den im ersten Rechtszug erhobenen Anspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt. Ein im Weg der Klageänderung neuer, bisher nicht gestellter Anspruch kann nicht das alleinige Ziel eines Rechtsmittels sein
(BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 141/18 – Rn. 14; 18. September 2019 – 4 AZR 275/18 – Rn. 12 mwN).

14

II. Der Kläger hat seinen erstinstanzlich erhobenen Anspruch in der Berufungsinstanz weiterverfolgt. Er hat keinen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingebracht, indem er sein Begehren vorrangig auf das SokaSiG gestützt hat. Beitragsansprüche nach den Tarifverträgen über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, für deren Geltungserstreckung sowohl eine Allgemeinverbindlicherklärung als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst. Die Ansprüche stützen sich auf dasselbe Tatgeschehen. Sie sind weder in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen noch in ihren Folgen oder strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet
(st. Rspr., zB BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 141/18 – Rn. 15; 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 10; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 26; 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Rn. 18 ff., BAGE 164, 201).

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B. Die Klage ist zulässig. Sie genügt insbesondere den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

16

I. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben einem bestimmten Antrag auch eine bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Ob der Streitgegenstand hinreichend bestimmt ist, ist auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen
(BAG 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 15; 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 29). Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis
(§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann
(§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Bei mehreren im Weg einer objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamtklage“ zusammensetzt. Der prozessuale Anspruch einer Beitragsklage der Sozialkasse ist jeweils der auf der Grundlage des VTV in einem Kalendermonat für die gewerblichen Arbeitnehmer anfallende Sozialkassenbeitrag. Verlangt der Kläger Beiträge für einen längeren Zeitraum als einen Kalendermonat, handelt es sich um eine „Gesamtklage“. Der Kläger hat dann darzulegen, wie sich die Ansprüche auf die einzelnen Monate verteilen
(BAG 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 15, 17 mwN).

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II. Diesen Anforderungen wird die Klage gerecht.

18

1. Der Kläger hat die Klage in der Berufungsinstanz zwar sowohl auf das SokaSiG als auch auf den aus seiner Sicht nachwirkenden VTV vom 20. Dezember 1999 idF vom 15. Dezember 2005 (VTV 2005) iVm. der Allgemeinverbindlicherklärung vom 24. Februar 2006
(BAnz. Nr. 71 vom 11. April 2006; AVE VTV 2006) gestützt. Der Senat muss jedoch nicht darüber entscheiden, ob die vom Kläger herangezogenen unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen verschiedene Streitgegenstände darstellen. Es handelt sich jedenfalls nicht um eine mit § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unvereinbare alternative Klagehäufung
(vgl. dazu BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 325/17 – Rn. 13; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 523/17 – Rn. 11 mwN). Selbst wenn mehrere Streitgegenstände anzunehmen sein sollten, hätte der Kläger hinreichend klargestellt, dass er seine Beitragsansprüche in erster Linie auf das SokaSiG und nur hilfsweise auf eine mögliche Nachwirkung stützt.

19

2. Ferner hat der Kläger angegeben, wie sich die geltend gemachten Beiträge auf die einzelnen Monate verteilen. Dazu hat er die monatlichen Bruttolohnbeträge der einzelnen Arbeitnehmer genannt und daraus die Sozialkassenbeiträge errechnet. Unschädlich ist, dass der Kläger die Beiträge nicht aus den Bruttolohnsummen der einzelnen Monate berechnet hat, sondern aus den monatlichen Bruttolöhnen der einzelnen Arbeitnehmer. Die Bruttolohnsummen und die daraus resultierenden monatlichen Sozialkassenbeiträge lassen sich unschwer ermitteln, indem die Einzelbeträge addiert werden.

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C. In welcher Höhe die Klage begründet ist, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts unterfällt der Betrieb der Beklagten dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge. Eine Beitragspflicht besteht deshalb dem Grund nach. Um klären zu können, in welcher Höhe die Beklagte Beiträge schuldet, sind weitere Feststellungen erforderlich.

21

I. Die Beklagte ist dem Grund nach verpflichtet, Beiträge an den Kläger zu leisten. Die Beitragspflicht ergibt sich aus § 7 Abs. 3 bis Abs. 6 iVm. den Anlagen 28 bis 31 SokaSiG. Die Anlagen 28 bis 31 enthalten den vollständigen Text der Verfahrenstarifverträge
(vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom 24. Mai 2017 S. 283 bis 336).

22

1. Die Pflicht der Beklagten, Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu leisten, folgt für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2012 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 des VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 21. Dezember 2011 (VTV 2011), für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 des VTV vom 18. Dezember 2009 idF vom 17. Dezember 2012 (VTV 2012), für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 des VTV vom 3. Mai 2013 (VTV 2013 I) und für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2014 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. II, Abschn. V Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1 des VTV vom 3. Mai 2013 idF vom 3. Dezember 2013 (VTV 2013 II). Die Voraussetzungen für eine dem Grund nach bestehende Beitragspflicht der Beklagten nach den Bestimmungen dieser Verfahrenstarifverträge sind erfüllt.

23

2. An den VTV in der jeweils maßgeblichen Fassung ist die Beklagte nach § 7 Abs. 3 bis Abs. 6 iVm. den Anlagen 28 bis 31 SokaSiG gebunden. Das SokaSiG ist aus Sicht des Senats verfassungsgemäß
(BAG 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18 – Rn. 45 ff.; 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 71 ff.; 27. November 2019 – 10 AZR 399/18 – Rn. 28 ff.; 27. November 2019 – 10 AZR 400/18 – Rn. 28 ff.; 27. November 2019 – 10 AZR 476/18 – Rn. 46 ff.; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 567/17 – Rn. 49 ff.; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 38/18 – Rn. 15 ff.; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 55; 24. September 2019 – 10 AZR 562/18 – Rn. 20 ff.; 28. August 2019 – 10 AZR 549/18 – Rn. 84 ff., BAGE 167, 361; 28. August 2019 – 10 AZR 550/18 – Rn. 23 ff.; 3. Juli 2019 – 10 AZR 498/17 – Rn. 39 ff.; 3. Juli 2019 – 10 AZR 499/17 – Rn. 81 ff., BAGE 167, 196; 8. Mai 2019 – 10 AZR 559/17 – Rn. 29 ff.; 27. März 2019 – 10 AZR 318/17 – Rn. 47 ff.; 27. März 2019 – 10 AZR 512/17 – Rn. 32 ff.; 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Rn. 42 ff., BAGE 164, 201). Die Beklagte hat keine Argumente genannt, die dagegen sprechen.

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3. Die Beklagte wird vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst.

25

a) Der im baden-württembergischen H gelegene Betrieb der Beklagten unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 der Verfahrenstarifverträge.

26

b) Der persönliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Verfahrenstarifverträge eröffnet.

27

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts unterfällt die Beklagte dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV in seiner jeweils maßgeblichen Fassung.

28

aa) Der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge ist nach der ständigen Senatsrechtsprechung eröffnet, wenn in dem fraglichen Betrieb in den Kalenderjahren des Anspruchszeitraums arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis Abschn. V der Verfahrenstarifverträge fallen. Für den Anwendungsbereich der Verfahrenstarifverträge reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihres § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder Abschn. V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen
(st. Rspr., zB BAG 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18 – Rn. 29 mwN; 18. Dezember 2019 – 10 AZR 141/18 – Rn. 19; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 567/17 – Rn. 31).

29

bb) Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt dem Kläger. Sein Sachvortrag ist schlüssig, wenn er Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge zuordnen lassen, auch die Darlegung, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen
(st. Rspr., zB BAG 22. Januar 2020 – 10 AZR 387/18 – Rn. 32; 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 45; 27. März 2019 – 10 AZR 318/17 – Rn. 19 mwN).

30

cc) Nach diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, der betriebliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge sei nicht eröffnet. Der Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Spanndecken eingezogen werden. Dabei handelt es sich um eine bauliche Leistung iSd. Verfahrenstarifverträge. Auf die streitige Frage, ob die Beklagte auch die Unterkonstruktionen erstellt hat, kommt es nicht an. Aus dem unstreitigen Vortrag ergibt sich, dass der betriebliche Geltungsbereich allein deshalb eröffnet ist, weil die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Spanndecken montieren, indem sie Kunststofffolien in vorhandene Unterkonstruktionen einziehen.

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(1) Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge eröffnet. Bei den von der Beklagten ausgeführten Tätigkeiten handelt es sich um Montagebau iSd. Tarifnorm. Das ergibt die Auslegung der Verfahrenstarifverträge.

32

(a) Montagebau ist die auf der Montage vorgefertigter Teile beruhende Bauweise
(Duden Deutsches Universalwörterbuch 8. Aufl. Stichwort „Montagebau“). Montage ist das Zusammensetzen oder der Zusammenbau einzelner vorgefertigter Teile
(BAG 15. Juni 2011 – 10 AZR 861/09 – Rn. 15). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist es für die Erfüllung dieses Regelbeispiels erforderlich, dass industriell hergestellte, nicht mehr wesentlich zu verändernde Fertigteile verbaut werden
(BAG 5. Juni 2019 – 10 AZR 214/18 – Rn. 20; 18. Mai 2011 – 10 AZR 190/10 – Rn. 20).

33

(b) Ein Fertigteil ist industriell hergestellt, wenn es nicht handwerklich gefertigt ist. Für eine handwerkliche Herstellung spricht, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Arbeitnehmer prägend für die Produktherstellung ist. Die dabei eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel dienen dann nur dazu, die händische Tätigkeit zu erleichtern, dh. die Handfertigung zu unterstützen. Durch ihren Einsatz werden keine wesentlichen Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich. Die handwerkliche Fertigung zeichnet sich gegenüber der industriellen dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten einer nicht unerheblichen Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt. Die Arbeitsteilung darf zudem nicht so weit fortgeschritten sein, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte – in der Regel immer wiederkehrende – und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie das bei der industriellen Fertigung der Fall ist.

34

(aa) Für eine handwerkliche Herstellung spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte tätig werden. Andererseits spricht es nicht zwingend für eine industrielle und gegen eine handwerkliche Fertigung, wenn technische Hilfsmittel genutzt werden. Erst wenn die Technisierung zur Folge hat, dass wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich werden und kein Raum mehr für das handwerkliche Können bleibt, spricht dies gegen eine handwerkliche und für eine industrielle Herstellung
(vgl. BAG 27. März 2019 – 10 AZR 318/17 – Rn. 35; 20. September 2017 – 10 AZR 40/16 – Rn. 17 ff.; 13. April 2011 – 10 AZR 838/09 – Rn. 22). Auch eine auftragsbezogene Produktion von Waren für bestimmte Kunden kann für eine handwerkliche Fertigung sprechen
(vgl. BAG 26. März 2013 – 3 AZR 89/11 – Rn. 16 mwN).

35

(bb) Die Grenzziehung zwischen industrieller und handwerklicher Herstellung kann schwierig sein, weil es große Handwerksbetriebe mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern und einem hohen Kapitaleinsatz gibt. Dennoch stehen eine auftragsbezogene Fertigung oder fehlende Produktionsstufen nicht allgemein einer industriellen Herstellung entgegen. So kann zB die Fenster- und Türenproduktion auftragsbezogen, aber im Rahmen einer industriellen Fertigung erfolgen. Ob es sich im Einzelfall um eine handwerkliche oder eine industrielle Herstellung handelt, lässt sich nur im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände ermitteln. Den Tatsacheninstanzen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt
(vgl. BAG 27. März 2019 – 10 AZR 318/17 – Rn. 36; 20. September 2017 – 10 AZR 40/16 – Rn. 15; 13. April 2011 – 10 AZR 838/09 – Rn. 23).

36

(c) In § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge sind in einem Klammerzusatz als Beispiele für Trocken- und Montagebauarbeiten ausdrücklich der Einbau und die Verkleidung von Decken angeführt.

37

(aa) Dieser Klammerzusatz orientiert sich am Berufsbild des Trockenbaumonteurs. Dessen Tätigkeit steht im Zusammenhang mit der Montage von Fassaden, Unterdecken, Wand- und Deckenverkleidungen und Leichtbauwänden
(BAG 15. Juni 2011 – 10 AZR 861/09 – Rn. 15; 15. Februar 2006 – 10 AZR 270/05 – Rn. 15; 23. Oktober 2002 – 10 AZR 225/02 – zu II 2 a der Gründe). Nach Nr. 8 Buchst. c der Anlage 12 zu § 64 der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999
(BGBl. I S. 1102) idF der Verordnung vom 20. Februar 2009
(BGBl. I S. 399, BauWiAusbV) montieren Trockenbauer vorgefertigte Bauteile, insbesondere Fenster, Türen, Brandschutzglas, Sanitärsystembauteile, Tragkonstruktionen und Installationsteile. Zu den zu erlernenden Fertigkeiten und Kenntnissen zählen nach § 67 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 Buchst. b BauWiAusbV und nach Nr. 8 Buchst. e der Anlage 12 zu § 64 BauWiAusbV die Herstellung und die Montage von Unterdecken und Deckenbekleidungen.

38

(bb) Eine Unterdecke wird mit ihrer Unterkonstruktion nicht unmittelbar an der darüber liegenden (Roh-)Decke befestigt, sondern an einzelnen Punkten abgehängt oder zum Teil auch freispannend von Wand zu Wand ausgeführt
(Bauwissen Online Stichwort „Unterdecke“, https://www.bauwion.de/begriffe/unterdecke, abgerufen am 14. Juli 2020). Unterdecken sind mehr oder weniger waagerecht an der oberen Raumbegrenzung angebracht. Entscheidend für die Herstellung von Unterdecken bei der Tätigkeit eines Trockenbaumonteurs ist das sachgerechte Verankern und Verbinden der Unterdecke mit dem tragenden Bauteil
(BAG 26. April 1989 – 4 AZR 49/89 -).

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(cc) Eine Deckenbekleidung wird mit ihrer Unterkonstruktion unmittelbar an der darüber liegenden (Roh-)Decke befestigt und nicht wie eine Unterdecke an einzelnen Punkten abgehängt bzw. freispannend von Wand zu Wand ausgeführt. Deckenbekleidungen werden in der Regel mit dickwandigen Decklagenbauteilen ausgeführt, zB aus Holzwerkstoffen oder Mineralstoffen
(Bauwissen Online Stichwort „Deckenbekleidung“, https://www.bauwion.de/begriffe/deckenbekleidung, abgerufen am 14. Juli 2020).

40

(d) Nach Sinn und Zweck der Verfahrenstarifverträge muss sich der Montagebau auf ein Bauwerk beziehen. Bauliche Leistungen umfassen alle Arbeiten, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können. Zur Erstellung des Bauwerks gehört daher nicht nur die Fertigstellung des Rohbaus, sondern auch der vollständige Ausbau, wie er vom Bauherrn in Auftrag gegeben worden ist. Der Zweck eines Bauwerks wird durch die Wünsche des Auftraggebers bestimmt und ist erst erreicht, wenn die von ihm gewünschten Teile am Bauwerk angebracht sind. Sie gehören damit zum Bauwerk
(BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 45; 8. März 2006 – 10 AZR 392/05 – Rn. 25).

41

(aa) Auch die Herstellung einer neuen Decke dient dazu, ein Bauwerk zu vollenden oder es zu verändern. Dabei kommt es nicht darauf an, dass bereits eine Decke vorhanden ist. Entscheidend ist, dass der Bauherr das Gebäude verändern will, um eine neue Decke zu erstellen
(vgl. BAG 24. Oktober 2001 – 10 AZR 45/01 – zu II 2 d der Gründe). Um keine baulichen Leistungen handelt es sich hingegen, wenn die Arbeiten an anderen, nicht zum Bauwerk gehörenden Teilen ausgeführt werden und nicht für ein Bauwerk prägend sind
(BAG 14. Dezember 2011 – 10 AZR 720/10 – Rn. 20; vgl. zur Abgrenzung auch BAG 17. November 2010 – 10 AZR 845/09 – Rn. 30).

42

(bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, dass die zu beurteilende Tätigkeit dazu führt, das Bauteil fest mit dem Bauwerk zu verbinden. Es ist ohne Bedeutung, ob die eingebauten Fertigteile so mit den Bauwerken verbunden wurden, dass sie bei sachgemäßer Demontage spurlos wieder entfernt werden können. Trocken- und Montagebauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge erfordern keine untrennbar feste Verbindung der eingebauten Teile mit dem Bauwerk. Unerheblich ist auch, ob die montierten Teile zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes iSv. § 94 Abs. 2 BGB gehören
(BAG 15. Februar 2006 – 10 AZR 270/05 – Rn. 19; 20. April 2005 – 10 AZR 282/04 – zu II 3 a der Gründe). Ebenso wenig muss es sich bei dem erstellten Werk um eine tragende Konstruktion handeln. So zählt zB der Einbau von Leichtbauwänden zu den Trockenbauarbeiten. Sie sind besondere Konstruktionen, die dem Schutz gegen Wärme, Schall, Sicht und Feuer dienen
(BAG 23. Oktober 2002 – 10 AZR 225/02 – zu II 2 a der Gründe). Die Funktion einer tragenden Wand, die für die Statik des Bauwerks erforderlich ist, ist damit nicht verbunden.

43

(e) Ob eine Tätigkeit als Montagebau einzuordnen ist, hängt nicht von dem verwendeten Werkstoff ab. Die Tätigkeit eines Trockenbaumonteurs ist nicht auf die Verwendung bestimmter Werkstoffe beschränkt, sondern gerade durch die Vielfalt der zu verarbeitenden Werkstoffe im Rahmen eines weit gespannten Aufgabenkreises gekennzeichnet. Zu ihm gehören gerade auch Decken- und Wandverkleidungen. Als Werkstoff erfasst ist damit auch Kunststoff
(BAG 27. August 1986 – 4 AZR 280/85 -).

44

(f) Der Einordnung einer Tätigkeit als Montagebauarbeit steht nicht entgegen, dass diese Tätigkeit zugleich für einen anderen Beruf kennzeichnend ist. Eine Tätigkeit kann auch dann baugewerblicher Natur sein, wenn sie beispielsweise im Raumausstattergewerbe versehen wird. So müssen Auszubildende im Raumausstattergewerbe Kenntnisse und Fertigkeiten erlernen, um Wand- und Deckenflächen zu gestalten, zu bekleiden und zu beschichten
(§ 4 Nr. 19 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Raumausstatter/zur Raumausstatterin vom 18. Mai 2004, BGBl. I S. 980, idF der Verordnung vom 9. Mai 2005, BGBl. I S. 1285, RaumAAusbV).

45

(aa) Den Verfahrenstarifverträgen ist es nicht fremd, dass Tätigkeiten gleichzeitig mehreren Berufsbildern zugeordnet werden können. Bei den sog. „Sowohl-als-auch-Tätigkeiten“ führen Arbeitnehmer Tätigkeiten aus, die sowohl baulicher Natur als auch einem der ausgenommenen Gewerke des § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge zuzuordnen sind. Raumausstatterbetriebe sind jedoch nicht nach § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, dass Betriebe, die durch die Tätigkeit eines Raumausstatters geprägt sind, aus dem Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge herausfallen, hätte es nahegelegen, sie in die Aufzählung in § 1 Abs. 2 Abschn. VII der Verfahrenstarifverträge aufzunehmen.

46

(bb) Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass damit eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG und eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung verbunden sind.

47

(aaa) Unabhängig von der Frage, inwieweit die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte gebunden sind, sind die Verfahrenstarifverträge mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar
(vgl. zu der Frage der Grundrechtsbindung BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 19 ff.; 3. Juli 2019 – 10 AZR 300/18 – Rn. 17 ff.). Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung im Baugewerbe greift nicht in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Sie betrifft lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene
(vgl. BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74 ua. – zu B II 4 b der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 27. November 2019 – 10 AZR 476/18 – Rn. 63; 20. November 2018 – 10 AZR 121/18 – Rn. 53 ff., BAGE 164, 201).

48

(bbb) Ebenso wenig verletzen die Verfahrenstarifverträge Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beitragspflicht knüpft nur an objektive Umstände an. Für die Eröffnung des betrieblichen Geltungsbereichs kommt es auf die arbeitszeitlich überwiegend ausgeübte betriebliche Tätigkeit an. Die Firma eines Unternehmens allein kann weder begründen, dass ein Betrieb von den Verfahrenstarifverträgen erfasst wird, noch das Gegenteil belegen. Damit werden alle Betriebe bei der Beurteilung, ob sie von den Verfahrenstarifverträgen erfasst werden, gleichbehandelt.

49

(g) Aus der Bestimmung des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 38 der Verfahrenstarifverträge kann nicht gefolgert werden, dass Tätigkeiten, die auch zum Berufsbild des Raumausstatters zählen, nur im Fall von Bodenbelagsarbeiten, die in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen erbracht werden, den Verfahrenstarifverträgen unterfallen. Die Bestimmung ist keine allgemeine Abgrenzungsregelung zwischen Bau- und Raumausstattergewerbe. Mit dem Tätigkeitsbeispiel „Verlegen von Bodenbelägen“ wollten die Tarifvertragsparteien einen Tätigkeitsbereich des Raumausstattergewerbes vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge grundsätzlich ausnehmen und ihn nur dann den Verfahrenstarifverträgen unterwerfen, wenn die Tätigkeit in Verbindung mit anderen baulichen Leistungen versehen wird
(BAG 27. Oktober 2004 – 10 AZR 119/04 – zu II 3 c bb der Gründe; 22. Juni 1994 – 10 AZR 656/93 – zu II 2 b der Gründe). Diese Regelung rechtfertigt nicht die Annahme, dass alle anderen Tätigkeiten, die auch dem Raumausstattergewerbe mit seinem spezifischen Berufsbild und seinen speziellen Tarifverträgen zugerechnet werden können, vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge ausgenommen sein sollen. Dem steht mit Blick auf § 1 Abs. 2 Abschn. VII die Systematik der Verfahrenstarifverträge entgegen.

50

(h) Die Tarifnorm ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unwirksam. Sie genügt den Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit.

51

(aa) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gebote der Bestimmtheit und Normenklarheit verlangen vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge erfüllt sind
(vgl. zu den Geboten der Bestimmtheit und Klarheit – allerdings bei Gesetzen – BVerfG 24. Januar 2012 – 1 BvR 1299/05 – Rn. 168 f., BVerfGE 130, 151; 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05 ua. – Rn. 93 bis 97 mwN, BVerfGE 120, 378; 26. Juli 2005 – 1 BvR 782/94 ua. – zu C I 3 a der Gründe, BVerfGE 114, 1). Dies gilt grundsätzlich auch für tarifvertragliche Regelungen. Allerdings haben die Tarifvertragsparteien bei der technischen Umsetzung der von ihnen verfolgten Zwecke regelmäßig einen weiten Gestaltungsspielraum. Sie dürfen unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden. Gerichte dürfen diese nicht etwa wegen mangelnder Justiziabilität unangewendet lassen. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, erforderlichenfalls unbestimmte Rechtsbegriffe im Weg der Auslegung zu konkretisieren. Unbestimmte Rechtsbegriffe genügen den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit und Justiziabilität, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen dürfen Gerichte tarifliche Regelungen wegen mangelnder Bestimmtheit und des darauf beruhenden Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze für unwirksam erachten. Das ist dann der Fall, wenn der Regelungsgehalt einer Tarifnorm nicht mehr im Weg der Auslegung ermittelbar ist
(BAG 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 – Rn. 38 mwN; 23. Juli 2019 – 3 AZR 377/18 – Rn. 39; 25. September 2018 – 3 AZR 402/17 – Rn. 30 mwN).

52

(bb) Daran gemessen ist § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge hinreichend bestimmt. Die Norm regelt nach der gebotenen Auslegung einen Fall der Beitragspflicht von Unternehmen der Bauwirtschaft. Dass die Begriffe der Trocken- und Montagebauarbeiten ausfüllungsbedürftig sind, macht sie nicht unbestimmt. Sie sind mit Blick auf Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik einzugrenzen und damit justiziabel. Auf den Willen des Gesetzgebers, den die Gerichte nach Auffassung der Beklagten ausufernd auslegen, kommt es bei der Auslegung der Verfahrenstarifverträge nicht an. Unerheblich ist, dass Geltungsgrund der Verfahrenstarifverträge hier das SokaSiG ist. Der Gesetzgeber hat nur den Geltungsbefehl erteilt, die von den Tarifvertragsparteien geschaffenen Normen inhaltlich aber unverändert gelassen
(vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 573/18 – Rn. 42).

53

(i) Die Montage von Spanndecken erfüllt den Tatbestand der Montagebauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge.

54

(aa) Eine Spanndecke ist eine Deckenverkleidung, die direkt unter der vorhandenen Decke abgehängt wird. Es handelt sich um eine gespannte Deckenverkleidung in Form eines „Decke-unter-Decke-Systems“, bei dem die ursprüngliche Decke zwar komplett kaschiert wird, jedoch – anders als bei einer abgehängten Decke – völlig unberührt bleibt. Die Arbeitnehmer der Beklagten ziehen die Folien auf eine bestehende Unterkonstruktion und befestigen sie darauf mithilfe der angebrachten Gummilippen. Damit wird eine Unterdecke erstellt, worin die Montage einer Decke oder Deckenverkleidung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge liegt.

55

(bb) Bei den einzuziehenden Kunststofffolien handelt es sich um industriell hergestellte Fertigteile. Der Kläger hat schlüssig behauptet, bei den Tätigkeiten des Einbaus von Spanndecken handele es sich um den Einbau von Decken und Deckenverkleidungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 der Verfahrenstarifverträge. Darin enthalten ist die Behauptung, die verbauten Teile seien industriell gefertigt. Diesem Vortrag ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Sie hat sich vielmehr nur eingelassen, dass dem Hersteller millimetergenau die Maße mitgeteilt würden und er die Gummilippen anbringe. Die vom Landesarbeitsgericht gehegten Zweifel, ob deshalb die Eigenschaft der Kunststofffolien als industriell hergestellte Fertigteile entfalle, sind ebenso unbegründet wie der Einwand der Beklagten, die Folien seien individuell hergestellt und keine Massenware. Die Beklagte hat diesen Tatsachenvortrag erstmals in der Revisionsinstanz gehalten. Er kann deshalb nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 Abs. 1 ZPO nicht berücksichtigt werden
(vgl. BAG 8. Mai 2019 – 10 AZR 559/17 – Rn. 53). Unabhängig davon nimmt die auftragsbezogene und damit individuelle Fertigung einem Bauteil nicht den Charakter der industriellen Herstellung. Das wäre nur dann der Fall, wenn das Bauteil nach Methoden des Handwerks gefertigt würde und dafür entsprechende Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich wären.

56

(cc) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts bezieht sich die Tätigkeit auf ein Bauwerk. Die Folie wird nach dem Vortrag der Beklagten in die angebrachten Leisten eingedrückt. Damit wird sie mit einem Bauwerk verbunden. Eine feste Verbindung ist nicht erforderlich. Es kommt – anders als die Beklagte meint – auch nicht darauf an, dass die Spanndecke ggf. nicht zum wesentlichen Bestandteil des Gebäudes wird. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob mit der Spanndecke ein besonderer Zweck zB der Statik oder Akustik verfolgt wird. Entscheidend ist vielmehr, dass es durch den Einbau einer zusätzlichen Decke zu einer Veränderung des Gebäudes kommt. Indem die Folie auf eine an der Wand befestigte Unterkonstruktion eingezogen wird, versehen die Arbeitnehmer eine Tätigkeit an einem prägenden Bauteil des Bauwerks. Ohne Bedeutung ist schließlich, dass das Bauwerk auch ohne die Spanndecke genutzt werden könnte. Maßgeblich ist die vom Bauherrn getroffene Entscheidung, das Bauwerk zu verändern.

57

(2) Die im Betrieb der Beklagten versehene Tätigkeit wird jedenfalls als bauliche Leistung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II von den Verfahrenstarifverträgen erfasst.

58

(a) Nach § 1 Abs. 2 Abschn. II unterfallen Betriebe dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – dazu dienen, Bauwerke zu erstellen, instand zu setzen, zu ändern oder zu beseitigen. Die Gewerblichkeit der Tätigkeit erfasst alle erlaubten selbständigen Tätigkeiten, die auf nachhaltige Gewinnerzielung gerichtet sind und fortgesetzt ausgeübt werden, unter Ausschluss der Urproduktion, der freien Berufe und des öffentlichen Dienstes. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge umfasst alle Arbeiten, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – dazu dienen sollen, Bauwerke zu errichten und zu vollenden, sie instand zu setzen oder instand zu halten, sodass die Bauwerke in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können. Dazu gehören auch die Arbeiten des Ausbaugewerbes. Die Tarifvertragsparteien wollten nicht nur das Bauhauptgewerbe erfassen, sondern auch das sog. Baunebengewerbe
(BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 32, 34, 37; 5. Juni 2019 – 10 AZR 214/18 – Rn. 24; 8. Mai 2019 – 10 AZR 559/17 – Rn. 21; 27. März 2019 – 10 AZR 512/17 – Rn. 23; 19. Februar 2014 – 10 AZR 428/13 – Rn. 21). Zu der Erstellung des Bauwerks gehört nicht nur die Fertigstellung des Rohbaus, sondern auch der vollständige Ausbau, wie er vom Bauherrn in Auftrag gegeben worden ist
(BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 45; 8. März 2006 – 10 AZR 392/05 – Rn. 25). Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Arbeiten baulich geprägt sind. Das ist der Fall, wenn sie nach Herkommen und Üblichkeit bzw. nach den verwendeten Werkstoffen, Arbeitsmitteln und Arbeitsmethoden des Baugewerbes ausgeführt werden
(BAG 27. März 2019 – 10 AZR 512/17 – aaO; 15. Januar 2014 – 10 AZR 669/13 – Rn. 24).

59

(b) Der Betrieb der Beklagten erfüllte im streitigen Zeitraum diese tariflichen Voraussetzungen. Die Erstellung einer Spanndecke stellt eine baugewerbliche Leistung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge dar.

60

(aa) Die Montage von Spanndecken wird von der Beklagten gewerblich betrieben. Sie wird an einem Bauwerk verrichtet. Wie bereits ausgeführt, ist es nicht erforderlich, das einzubauende Teil fest mit dem Bauwerk zu verbinden. Es genügt, dass es an einem tragenden Bauteil des Bauwerks montiert wird. Das ist der Fall, weil die Kunststofffolien in die fest verankerte Unterkonstruktion mit Aluminiumleisten eingezogen werden. Der Einbau einer Spanndecke verändert ein Bauwerk nach den Wünschen des Bauherrn, indem eine neue Decke aus Kunststoff eingezogen wird. Der durch die Wünsche des Auftraggebers bestimmte Zweck eines Bauwerks wird erst erreicht, wenn die von ihm gewünschten Teile – im Streitfall die Spanndecken – am Bauwerk angebracht sind
(vgl. BAG 18. Dezember 2019 – 10 AZR 424/18 – Rn. 45).

61

(bb) Die geleisteten Arbeiten sind baulich geprägt. Mit Kunststofffolien werden Werkstoffe des Baugewerbes verarbeitet. Bei dem eingesetzten Spachtel oder einem vergleichbaren Werkzeug handelt es sich um Werkzeuge, die im Baugewerbe üblicherweise verwendet werden. Gleiches gilt für das teilweise zum Einsatz gekommene Heißluftgerät. Heißluftgeräte – auch als Heißluftgebläse, Heiz- oder Heißluftkanonen bezeichnet – sind meistens elektrisch betriebene oder mit fossilen Brennstoffen befeuerte Geräte, die ua. im Rahmen von Bautrocknungsarbeiten verwendet werden. Bautrocknungsarbeiten sind mit Blick auf § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge baugewerbliche Tätigkeiten. Indem die Folien mithilfe des Spachtels oder ähnlicher Werkzeuge in angebrachte Aluminiumleisten eingesetzt und darin befestigt werden, werden Arbeitsmethoden des Baugewerbes angewendet.

62

II. Der Senat kann nicht darüber entscheiden, in welcher Höhe die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge an den Kläger zu leisten. Aus seiner Sicht konsequent hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zu den zwischen den Parteien streitigen Bruttolohnsummen und den daraus folgenden Beitragsansprüchen des Klägers getroffen. Die für eine abschließende Beurteilung erforderlichen Feststellungen wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen haben.

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