Vollstreckung eines Bußgeldbescheids; Rechtsweg bei Erinnerung gemäß § 766 Abs. 2 ZPO (Beschluss des BVerwG 3. Senat)

BVerwG 3. Senat, Beschluss vom 29.12.2021, AZ 3 AV 1/21, ECLI:DE:BVerwG:2021:291221B3AV1.21.0

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 40 Abs 1 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 S 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG

Leitsatz

Für die Entscheidung über eine Erinnerung gegen die Weigerung einer nordrhein-westfälischen Gerichtsvollzieherin, einen in Sachsen-Anhalt erlassenen Bußgeldbescheid in Nordrhein-Westfalen im Wege der Amtshilfe zu vollstrecken (§ 766 Abs. 2 ZPO), ist nicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, sondern das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht zuständig.

Verfahrensgang

vorgehend VG Köln, 7. Juli 2021, Az: 18 M 31/21, Beschluss

Tenor

Als sachlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Köln bestimmt.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob für die Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Weigerung einer nordrhein-westfälischen Gerichtsvollzieherin, einen in Sachsen-Anhalt erlassenen Bußgeldbescheid in Nordrhein-Westfalen zu vollstrecken, der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

2

Zur Vollstreckung eines Bußgeldbescheides, den eine Behörde des Landes Sachsen-Anhalt wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit gegen einen in Köln wohnhaften Schuldner erlassen hatte, wandte sich der Antragsteller als Vollstreckungsbehörde unter dem 8. Oktober 2020 mit einem als „Vollstreckungsauftrag/Amtshilfeersuchen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG LSA)“ bezeichneten Schreiben an eine Obergerichtsvollzieherin im Bezirk des Amtsgerichts Köln und bat um Durchführung eines Pfändungsversuchs. Das lehnte die Obergerichtsvollzieherin mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 ab und verwies zur Begründung darauf, dass sie in ihrem Bezirk Vollstreckungen auf der Grundlage der Zivilprozessordnung oder gemäß dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (VwVG NW) durchführe, hier aber gemäß dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt vollstreckt werden solle. Hiergegen machte der Antragsteller mit Schreiben vom 19. November 2020 geltend, er habe von der Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 VwVG NW Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift könnten Vollstreckungsbehörden, die ihren Sitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes hätten, jedoch nicht diesem Gesetz unterlägen, die Gerichtsvollzieher und die Vollziehungsbeamten der Justiz um Beitreibung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Forderungen ersuchen; genau dies habe er mit dem Vollstreckungsauftrag/Amtshilfeersuchen getan. Dieses Schreiben wertete die Obergerichtsvollzieherin als Erinnerung gemäß § 766 ZPO und gab die Sache an das Amtsgericht Köln ab. Der Antragsteller bestätigte auf Nachfrage gegenüber dem Amtsgericht, dass sein Schreiben als Erinnerung gewertet werden solle.

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Mit Beschluss vom 29. April 2021 hat sich das Amtsgericht Köln für unzuständig erklärt und das Verfahren gestützt auf § 17a GVG an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es sei eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, da es sich um ein Amtshilfeersuchen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz handele. Zu prüfen seien ausschließlich Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen, der dazu ergangenen Ausführungsverordnung sowie der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Justiz über die Inanspruchnahme von Vollstreckungsbeamtinnen und Vollstreckungsbeamten der Justiz nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller keinen Rechtsbehelf eingelegt.

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Das Verwaltungsgericht Köln hat den Verwaltungsrechtsweg mit Beschluss vom 7. Juli 2021 für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO in entsprechender Anwendung zur Bestimmung des Rechtswegs angerufen. Zur Begründung wird ausgeführt: Zuständig für die Entscheidung über die Erinnerung des Antragstellers sei das Amtsgericht Köln. Gemäß § 90 Abs. 1 OWiG seien Bußgeldbescheide je nach erlassender Behörde nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes oder der Länder zu vollstrecken. Die Verwaltungsvollstreckungsgesetze von Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt sähen übereinstimmend vor, dass die Vollstreckung nach den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten durchzuführen sei, wenn sich die Vollstreckungsbehörden hierbei Vollstreckungsbeamten der Justizverwaltung bedienten. Der Antragsteller habe in Anbetracht dessen ausdrücklich eine nach § 766 Abs. 2 ZPO statthafte Erinnerung gegen die Weigerung der Obergerichtsvollzieherin erhoben. Für die Entscheidung hierüber sei gemäß § 802 ZPO das Vollstreckungsgericht zuständig. Eine verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit folge auch nicht aus § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG; der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Das Amtsgericht Köln begründe seine Entscheidung allein damit, dass es sich bei der Streitigkeit um ein Amtshilfeersuchen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz handele. Diese Begründung sei unhaltbar. Das Amtsgericht verkenne damit den Inhalt und die Beteiligten des Verfahrens, in dem der Vollstreckungsgläubiger gegen den Vollstreckungsschuldner vorgehen wolle. Es gehe nicht um einen Streit um die Gewährung von Amtshilfe zwischen zwei zuständigen (Landes-)Vollstreckungsbehörden, sondern um eine Auseinandersetzung innerhalb eines laufenden Vollstreckungsverfahrens. Außerdem setze sich die Begründung nicht damit auseinander, dass der Antragsteller als Rechtsbehelf ausdrücklich eine Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO eingelegt habe. Über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Amtsgericht und dem Verwaltungsgericht habe das Bundesverwaltungsgericht in entsprechender Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO zu entscheiden.

II

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Als sachlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Köln bestimmt.

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1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung im negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Verwaltungsgericht Köln und dem Amtsgericht Köln sachlich zuständig. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 53 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 1 VwGO. Auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht ist § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, wonach ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist, nicht unmittelbar anwendbar; auch ansonsten gibt es für die Auflösung des Kompetenzkonflikts keine gesetzliche Regelung. Die bestehende Regelungslücke ist – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes – in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. April 2019 – 6 AV 11.19 – NJW 2019, 2112 Rn. 5, vom 16. Juni 2021 – 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 – NJW-RR 2021, 740 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 – X ARZ 69/01 – NJW 2001, 3631 <3632>; BSG, Beschluss vom 16. September 2009 – B 12 SF 7/09 S – juris Rn. 3).

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2. Die Verweisung an das Verwaltungsgericht Köln ist in der Sache unzutreffend. Die Entscheidung über die Erinnerung einer Vollstreckungsbehörde des Landes Sachsen-Anhalt gegen die Weigerung einer Gerichtsvollzieherin des Landes Nordrhein-Westfalen, den Bußgeldbescheid einer sachsen-anhaltinischen Bußgeldbehörde am Wohnort des Schuldners in Köln zu vollstrecken, obliegt dem Amtsgericht Köln als Vollstreckungsgericht.

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Gemäß § 90 Abs. 1 OWiG wird der Bußgeldbescheid, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, nach den Vorschriften des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes vom 27. April 1953 (BGBl. I S. 157) in der jeweils geltenden Fassung vollstreckt, wenn eine Verwaltungsbehörde des Bundes den Bußgeldbescheid erlassen hat, sonst nach den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften. Da es sich bei dem hier in Rede stehenden Bußgeldbescheid nicht um den einer Bundesbehörde handelt, ist das Landesvollstreckungsrecht anwendbar. Ob insoweit das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (VwVG LSA) oder das des Landes Nordrhein-Westfalen (VwVG NW) zur Anwendung kommt, bedarf keiner Entscheidung. Sowohl § 8 Abs. 5 Satz 1 VwVG LSA (i.V.m. der AV des MJ vom 26. Juni 2001 <JMBl. LSA 2001, 233 f.>) als auch § 3 Abs. 2 Satz 2 VwVG NW verweisen für die Durchführung von Vollstreckungshandlungen durch Gerichtsvollzieher im Wege der Amtshilfe auf die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

9

Diese Verweisung schließt die in § 766 ZPO getroffene Zuständigkeitsregelung ein. Nach § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet das Vollstreckungsgericht über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher zu beachtende Verfahren betreffen. § 766 Abs. 2 ZPO sieht vor, dass dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung auch zusteht, wenn ein Gerichtsvollzieher sich weigert, einen Vollstreckungsauftrag zu übernehmen oder eine Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen. Vollstreckungsgericht ist gemäß § 764 Abs. 2 ZPO, sofern – wie hier – das Gesetz kein anderes Amtsgericht bezeichnet, das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat. Damit wird eine ausschließliche Zuständigkeit begründet (§ 802 ZPO). Im vorliegenden Fall soll auf das Ersuchen des Antragstellers im Bezirk des Amtsgerichts Köln als Vollstreckungshandlung ein Pfändungsversuch erfolgen. Der Antragsteller hat gegen die Weigerung der Obergerichtsvollzieherin, die beantragte Vollstreckungshandlung in ihrem Bezirk vorzunehmen, gemäß § 766 Abs. 2 ZPO Erinnerung erhoben. Aus der in dieser Regelung enthaltenen Zuweisung der Entscheidungszuständigkeit an das Vollstreckungsgericht und damit in den ordentlichen Rechtsweg folgt die Zuständigkeit des Amtsgerichts Köln (vgl. zu der aus § 104 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zu entnehmenden Rechtswegzuweisung an die ordentlichen Gerichte: VGH Mannheim, Beschluss vom 10. Juni 1985 – 10 S 857/85 – NJW 1986, 1190 m.w.N.). Dies entspricht der im Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung des Ordnungswidrigkeitenrechts deutlich gewordenen gesetzgeberischen Absicht, die Entscheidung über Einwendungen gegen Vollstreckungsmaßnahmen bei den ordentlichen Gerichten zu konzentrieren und sie nicht den Verwaltungsgerichten zuzuweisen, um eine Zweispurigkeit des gerichtlichen Verfahrens zu vermeiden (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zu den Drucksachen V/2600 und V/2601, S. 13 [zu § 91 E-OWiG]). Hinzu kommt, dass – wie gezeigt – die Vollstreckung hier der Sache nach auf der Grundlage der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten durchzuführen ist.

10

3. Für die Entscheidung über die vom Antragsteller eingelegte Erinnerung ist das Verwaltungsgericht Köln nicht dadurch zuständig geworden, dass das Amtsgericht Köln die Sache mit Beschluss vom 29. April 2021 an das Verwaltungsgericht verwiesen hat und ein Verweisungsbeschluss gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG hinsichtlich des Rechtswegs für das Gericht bindend ist, an das der Rechtsstreit verwiesen wird.

11

Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch dann ein, wenn der Verweisungsbeschluss fehlerhaft ist, etwa weil der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 – 6 AV 1.16 – Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4 und vom 31. August 2021 – 6 AV 6.21 – juris Rn. 8). Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 – 2 BvR 48/70 – BVerfGE 29, 45 <48 f.>, vom 23. Juni 1981 – 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 – BVerfGE 58, 1 <45> und vom 26. August 1991 – 2 BvR 121/90 – NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 – 6 AV 1.16 – Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4, vom 10. April 2019 – 6 AV 11.19 – NJW 2019, 2112 Rn. 10 und vom 31. August 2021 – 6 AV 6.21 – juris Rn. 9; ebenso BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2003 – X ARZ 138/03 – NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. Dezember 2010 – Xa ARZ 283/10 – juris Rn. 16 und vom 18. Mai 2011 – X ARZ 95/11 – NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; BAG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 10 AS 2/15 – NJW-RR 2015, 2523 <2524>; BFH, Beschluss vom 20. Dezember 2004 – VI S 7/03 – BFHE 209, 1 <3 f.>; BSG, Beschluss vom 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S – juris Rn. 6).

12

Die vom Amtsgericht Köln ausgesprochene Verweisung erweist sich mit Blick auf die in § 766 Abs. 2 ZPO getroffene Zuständigkeitsregelung und den Umstand, dass der Antragsteller ausdrücklich den Rechtsbehelf der Erinnerung nach § 766 ZPO eingelegt hat, als offensichtlich unhaltbar. Daher ist eine Bindungswirkung gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG für das Verwaltungsgericht Köln nicht eingetreten.