Zur Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB in einem sogenannten Dieselfall, wenn die ursprünglich… (Urteil des BGH 3. Zivilsenat)

BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 28.10.2021, AZ III ZR 261/20, ECLI:DE:BGH:2021:281021UIIIZR261.20.0

§ 31 BGB, § 826 BGB

Leitsatz

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB in einem sogenannten Dieselfall, wenn die ursprünglich vorhandene unzulässige Prüfstanderkennungssoftware im Zuge eines Software-Updates durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ersetzt wurde (hier: Kauf eines im Jahr 2013 erstzugelassenen Gebrauchtwagens im Juni 2017).

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 25. Februar 2021, Az: III ZR 261/20, Beschluss
vorgehend OLG Koblenz, 27. August 2020, Az: 1 U 1988/19

vorgehend LG Mainz, 8. November 2019, Az: 2 O 271/18

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 27. August 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 12. Juni 2017 von einem Autohaus einen im Jahr 2013 erstzugelassenen VW EOS 2.0 TDI zum Preis von 17.922 € (Laufleistung: 79.355 km). Bis zum 4. Oktober 2019 legte er mit dem Fahrzeug circa 20.000 Kilometer zurück.

3

In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Motorsteuerung des Fahrzeugs war werkseitig mit einer die Abgasrückführung steuernden Software ausgestattet. Diese schaltete automatisch den „Modus 1“ mit einer höheren Abgasrückführungsrate ein, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den „Modus 0“, bei dem die Abgasrückführungsrate niedriger und der Stickoxidausstoß höher waren. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

4

Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung sowie eine im Wesentlichen gleichlautende Pressemitteilung, aus denen sich ergab, dass bei Motoren des Typs EA 189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei und mit Hochdruck an der Aufklärung und Beseitigung dieser Unregelmäßigkeiten gearbeitet werde (siehe auch BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 zum genauen Wortlaut der Ad-hoc-Mitteilung). Seitdem wurde über die Software in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und in den Medien ausführlich berichtet. Im Oktober 2015 richtete die Beklagte zudem eine Website ein, auf der durch Angabe der Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN) die Betroffenheit eines Fahrzeugs von den Manipulationsvorwürfen abgefragt werden konnte. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge und gab ihr auf, die nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das vom KBA freigegeben und zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt auch bei dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug aufgespielt wurde.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, in der Ausstattung der von der Beklagten entwickelten Motoren mit einer Abschaltsoftware liege eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Die Beklagte habe die manipulative Motorsteuerungssoftware nur aus Gewinnstreben zur Erzielung hoher Marktanteile eingesetzt. Ihr Vorgehen, Kunden zum Kauf zu motivieren und zugleich Umweltvorgaben gezielt zu umgehen, sei verwerflich. Ihm, dem Kläger, sei der Abgasskandal bei Erwerb des Fahrzeugs nicht bekannt gewesen. Der Autoverkäufer habe ihn auch nicht über die Betroffenheit des Fahrzeugs informiert. Wenn er gewusst hätte, dass das Auto über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge, hätte er von dem Erwerb Abstand genommen. Durch das Software-Update habe die Beklagte das Fahrzeug außerdem mit einer neuen unzulässigen Abschalteinrichtung versehen.

6

Das Landgericht hat die auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Klage dahingehend erweitert, die Beklagte zusätzlich zur Zahlung von 17.922 € sowie weiterer 1.003,59 €, jeweils nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Zahlung eines von der Beklagten darzulegenden Wertersatzes statt der Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers insgesamt zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine Ansprüche in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9

Der Kläger habe im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“ keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus deliktischen Anspruchsgrundlagen, die allein in Betracht kämen. Aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG-FGV) oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 könnten Schadensersatzansprüche schon deshalb nicht hergeleitet werden, weil diese Normen nicht drittschützend seien. Dem Kläger stehe auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB zu, da es bei dem hier vorliegenden Gebrauchtwagenkauf jedenfalls an der Bereicherungsabsicht der Beklagten und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des von ihr erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden aufseiten des Erwerbers fehle (Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 18, 23 bis 26).

10

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB. Das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger, der das Fahrzeug erst im Juni 2017 und damit deutlich nach der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015, in der „Unregelmäßigkeiten“ hinsichtlich der bei den Dieselmotoren des Typs EA 189 verwendeten Software eingeräumt worden seien, erworben habe, sei nicht als sittenwidrig zu bewerten. Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 30. Juli 2020 (aaO Rn. 13, 37 f), die Beklagte habe im September 2015 ihre strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das KBA und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, durch die Strategie ersetzt, an die Öffentlichkeit zu treten, Unregelmäßigkeiten einzuräumen und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu erarbeiten, gälten in gleicher Weise für den hier vorliegenden Fall, in dem der Kläger das Fahrzeug erst lange Zeit nach Bekanntwerden des „Diesel-skandals“ erworben habe.

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Soweit der Kläger einwende, dass das streitgegenständliche Fahrzeug durch das Aufspielen des Software-Updates erneut mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung („temperaturgesteuerte Abschaltung“, „Thermofenster“) versehen worden sei, habe er nicht dargelegt, dass den Verantwortlichen der Beklagten auch insoweit sittenwidriges Handeln zur Last falle. Die Funktionsweise eines Thermofensters sei völlig anders als die ursprünglich installierte Umschaltlogik, weil es vom Grundsatz her im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand arbeite. Da Gesichtspunkte des Motor- und Bauteilschutzes (Hinweis auf Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der VO [EG] Nr. 715/2007) ernsthaft zur Rechtfertigung einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung angeführt werden könnten, lasse sich ohne weitergehende Anhaltspunkte nicht feststellen, dass die Verantwortlichen der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und auf dieser Grundlage die Typgenehmigungsbehörde und letztlich auch die Käufer zu täuschen. Sittenwidrigkeit könnte nur dann angenommen werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Verantwortlichen der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und diesen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten (Hinweis auf OLG Frankfurt am Main, BeckRS 2020, 9094). Entsprechende Anhaltspunkte seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

II.

12

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

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1. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (vgl. BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff, 17 ff; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 20; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 19 und vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 35 ff; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 10). Dies stellt die Revision nicht in Frage.

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2. Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe dem Kläger nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt.

15

Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 23. September 2021 – III ZR 200/20, juris Rn. 16; BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 14 und vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 14; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 14; jew. mwN).

16

a) Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat die Beklagte von ihr hergestellte Dieselmotoren der Baureihe EA 189 mit einer Motorsteuerungssoftware versehen, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb aber überschritten wurden (Umschaltlogik). Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass die Beklagte die mit dieser offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge sodann auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht und dabei die damit einhergehende Belastung der Umwelt und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, in Kauf genommen hatte. Nach inzwischen gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein solches Verhalten im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen (Aufklärungs-)Maßnahmen (insbesondere Ad-hoc-Mitteilung und Presseerklärung vom 22. September 2015) erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, besonders verwerflich und objektiv sittenwidrig. Es steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung dieser Personen gleich (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO Rn. 17; BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 aaO Rn. 16 ff, 23, 25 und vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 33; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 16).

17

b) aa) Im September 2015 trat jedoch eine Zäsur ein, da die Beklagte ihr Verhalten nach außen erkennbar im Sinne eines grundlegenden Strategiewechsels maßgeblich geändert hat. Durch diese Verhaltensänderung wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber den zuvor betroffenen Fahrzeugkäufern als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber späteren Käufern von mit einem Motor des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugen und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihnen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Beklagte ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO Rn. 18; vgl. auch BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 34, 37 und vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 14 f; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17). Auf dieser Grundlage kann das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere nicht mehr einer arglistigen Täuschung gleichgesetzt werden (Senat aaO; vgl. auch BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38 und vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 17; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 17 ff).

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bb) Dies gilt auch insoweit, als die Revision die Verlautbarungen der Beklagten, insbesondere in der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015, als unzureichend, beschönigend, verharmlosend und bewusst falsch beanstandet. Dadurch vermag sie den objektive Sittenwidrigkeit ausschließenden Strategiewechsel der Beklagten nicht in Frage zu stellen.

19

Durch das Fehlen eines Hinweises darauf, dass auf Grund der „Unregelmäßigkeiten“ bei Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA 189 das Entfallen der Typgenehmigung und damit eine Betriebsuntersagung möglich seien, wurden die Grundaussagen der Verlautbarungen vom 22. September 2015 – auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb, sehr hohe Anzahl der betroffenen Fahrzeuge, ganz erheblicher Beseitigungsaufwand, enge Einbindung der zuständigen Behörden – nicht relativiert. Gleiches gilt für die Erklärung, dass „weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen“ beeinflusst würden. Dass die Beklagte die (ursprüngliche) Abschalteinrichtung nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (zutreffenden) Bewertung in der Folgezeit entgegengetreten ist, dass sie eine bewusste Manipulation geleugnet hat und dass sie möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, begründet den gravierenden Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger ebenfalls nicht (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO Rn. 20; BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38 und vom 23. März 2021 – III ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 14). Soweit die Revision geltend macht, die Beklagte habe nicht sichergestellt, dass ihre Informationen tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten, gilt nichts anderes (Senat aaO; vgl. auch BGH, Urteile vom 30. Juli 2020 aaO Rn. 38; vom 8. Dezember 2020 aaO Rn. 18 und vom 23. März 2021 aaO Rn. 14 und 16; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 22). Dabei kommt es auf die Kenntnisse der Käufer vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen und ihre Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen nicht an. Käufern, die sich – wie der Kläger – erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihren Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde unabhängig von ihrem Wissensstand und ihrem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 aaO).

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Unerheblich ist schließlich der Einwand der Revision, die Pressemitteilung vom 22. September 2015 habe auch insoweit relativierende und unzutreffende Angaben enthalten, als ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden sei, die aktuell angebotenen Neuwagen mit Dieselantrieb Euro 6 aus dem Volkswagenkonzern erfüllten die rechtlichen Anforderungen und Umweltnormen. Denn der Kläger hat einen Gebrauchtwagen mit einem Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 5 erworben. Für die Bewertung, ob das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger als objektiv sittenwidrig anzusehen ist, kommt es nicht darauf an, ob auch die nachfolgende Motorengeneration eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO; BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 21).

21

c) Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte mit dem Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert hat. Der revisionsrechtlichen Prüfung ist dabei mangels abweichender Feststellungen der Vortrag des Klägers zugrunde zu legen, wonach die Abgasrückführung nach dem Software-Update nur in einem Temperaturbereich von 15 bis 33 Grad Celsius und bis zu einer Seehöhe von 1.000 Metern uneingeschränkt funktionieren soll.

22

Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung aber nicht. Dabei kann unterstellt werden, dass mit dem Update eine neue unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert worden ist. Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Hierfür bedürfte es weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO Rn. 22; BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 25 ff; siehe auch BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, WM 2021, 1609 Rn. 13 und vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16 ff, 30; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff). Erforderlich ist insoweit, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Senat aaO; BGH, Urteil vom 16. September 2021 aaO Rn. 16; Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 28). Soweit die Revision geltend macht, die Beklagte habe mit dem Software-Update lediglich ein weiteres Mal eine von vornherein rechtswidrige Beseitigungsmaßnahme entwickelt und genehmigen lassen, bedarf es der Behauptung einer erneuten Täuschung des KBA (Senat aaO; BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 24).

23

Die Revision zeigt weder vom Berufungsgericht festgestellten noch von diesem übergangenen entscheidungserheblichen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers auf, dem für ein solches Vorstellungsbild und Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen sind.

24

aa) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das KBA habe als zuständige Behörde das Software-Update für das Fahrzeug des Klägers geprüft und freigegeben. Die Funktionsweise eines Thermofensters sei völlig anders als die zuvor verwendete – eindeutig unzulässige – Umschaltlogik. Denn vom Grundsatz her arbeite das Thermofenster im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand. Gesichtspunkte des Motor- und Bauteilschutzes könnten ernsthaft als Rechtfertigung für den Einsatz einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung in Betracht gezogen werden, so dass sich deren Verwendung nicht eindeutig als unzulässig darstelle (zur unsicheren Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Thermofensters siehe auch BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 29, 31). Anhaltspunkte dafür, dass das KBA über die technischen Parameter des Software-Updates getäuscht worden sei, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich bestätigt, dass das KBA das Software-Update in Kenntnis seiner Funktionsweise gebilligt hat (Revisionsbegründung, S. 22).

25

bb) Soweit die Revision geltend macht, die Rechtsabteilung der Beklagten habe den Vorstand auf die rechtliche Fragwürdigkeit des Thermofensters hingewiesen (Revisionsbegründung, S. 23), Folgen des Software-Updates seien eine Erhöhung der Emissionswerte und des Kraftstoffverbrauchs, eine Minderung der Motorleistung sowie Verschleißerscheinungen und ein merkantiler Minderwert (Revisionsbegründung, S. 27 ff), hat sie eine ordnungsgemäß begründete Verfahrensrüge (§ 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO) nicht erhoben. Dies erfordert, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, konkret bezeichnet und dessen Auswirkungen auf die Entscheidung aufgezeigt werden (Senatsurteil vom 23. September 2021 aaO Rn. 24; BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, WM 2021, 1612 Rn. 16 mwN). Es genügt nicht, auf von den Feststellungen des Berufungsgerichts abweichenden oder diese ergänzenden Instanzvortrag hinzuweisen und letzteren rechtlich zu würdigen. Es muss auch ein konkreter Verfahrensmangel gerügt werden, etwa dass dieser Vortrag oder Beweisangebote vom Berufungsgericht gehörswidrig übergangen worden wären. Daran fehlt es hier. Die in der Revisionsbegründung ausdrücklich erhobenen Gehörsrügen beziehen sich zum einen auf den vom Kläger in Abrede gestellten Strategiewechsel der Beklagten im September 2015 (S. 5-17 unter 2.2) und zum anderen auf den behaupteten Eingriff in das On-Board-Diagnosesystem (S. 25 f unter 2.4). Demgegenüber ist im Zusammenhang mit der Installation des Software-Updates (S. 17-24 unter 2.3 und S. 26-31 unter 2.5) hinsichtlich der behaupteten Hinweise der Rechtsabteilung und der Updatefolgen kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gerügt worden. Die Ausführungen der Revision erschöpfen sich darin, auf den in den Vorinstanzen gehaltenen Sachvortrag des Klägers zu verweisen und diesen abweichend rechtlich zu würdigen, ohne einen konkreten Verfahrensfehler geltend zu machen.

26

cc) Die Rüge, das Berufungsgericht habe unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör übergangen, dass ein weiterer Rechtsmangel des Software-Updates in dem Eingriff in das On-Board-Diagnosesystem (OBD) liege, greift ebenfalls nicht durch. Dem in Bezug genommenen Sachvortrag des Klägers in der Klageschrift (S. 19 ff) lässt sich in erster Linie die Behauptung entnehmen, das OBD-System habe im Zusammenwirken mit der ursprünglichen, durch das Software-Update entfernten Manipulationssoftware keine Fehlermeldung angezeigt. Demgegenüber wird im Zusammenhang mit der Entwicklung des Software-Updates kein erneuter Manipulationseingriff durch die für die Beklagte handelnden Personen behauptet. Der Kläger hat lediglich vorgetragen, eine Nachbesserung des OBD-Systems sei der Beklagten nicht möglich.

27

Unabhängig davon spricht der Umstand, dass das OBD-System nach Implementierung des vom KBA freigegebenen Software-Updates (Thermofenster) keine Fehlermeldungen erzeugt, wenn die Abgasrückführung temperaturabhängig reduziert wird, im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zwingend für ein objektiv sittenwidriges Verhalten. Entscheidend ist, dass mit der Installation des Updates – der Anordnung des KBA Folge leistend – die ursprüngliche Manipulationssoftware entfernt und durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems ersetzt wurde, die in beiden Fahrsituationen (Prüfstand und normaler Fahrbetrieb) im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet und daher nicht von vornherein durch Arglist geprägt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 aaO Rn. 27).

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