Berufungsbegründung: Inhaltliche Anforderungen bei Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung (Beschluss des BGH 3. Zivilsenat)

BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 05.08.2021, AZ III ZB 46/20, ECLI:DE:BGH:2021:050821BIIIZB46.20.0

§ 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO, § 520 Abs 3 S 2 Nr 3 ZPO, § 31 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB

Leitsatz

Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: nach Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Diesel-Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 15. April 2021, Az: III ZB 46/20, Beschluss
vorgehend OLG Köln, 4. August 2020, Az: 14 U 81/19, Beschluss

vorgehend LG Köln, 2. Oktober 2019, Az: 10 O 238/19, Urteil

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 4. August 2020 – 14 U 81/19 – aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 22.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt das beklagte Automobilunternehmen unter dem Vorwurf, in den Dieselmotor eines von ihm erworbenen Kraftfahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut zu haben, auf Schadensersatz in Anspruch.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass hier allein in Betracht kommende deliktische Ansprüche unabhängig von der Frage, ob in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden sei, unbegründet seien. Der Kläger habe schon nichts dazu vorgetragen, welcher Motor in dem PKW verbaut sei. In Bezug auf Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB und aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB i.V.m. § 263 StGB fehle es an konkreten Anhaltspunkten für einen Schädigungsvorsatz der Organe der Beklagten. Zu den subjektiven Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen habe der Kläger nicht ansatzweise mit Substanz, sondern nur pauschal vorgetragen. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder i.V.m. §§ 6, 27 Abs. 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) scheide aus, weil die betreffenden europarechtlichen Vorschriften nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dienten und somit keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellten.

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Das Oberlandesgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung den Anforderungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht genüge. Es fehle jeder Einzelfallbezug, und eine Befassung mit dem angegriffenen Urteil unterbleibe vollständig. Der einzige „Bezug“ zum Urteil des Landgerichts erfolgte durch die Nennung des „unstreitig“ verbauten Motors, die erstinstanzlich unterblieben sei. Ansonsten erfolgten allgemeine Ausführungen teils zu vertraglichen Mängelgewährleistungsansprüchen, um die es hier freilich nicht gehe und deren Voraussetzungen auch nicht dargetan seien, teils zu deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüchen, ohne dass eine innere Logik erkennbar sei. Dies zeige sich schon am Aufbau der Berufungsbegründung. Diese enthalte durchweg Textbausteine, abstrakte Darstellungen und formelhafte Wendungen, die nichts mit dem konkreten Fall zu tun hätten.

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Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

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1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht hat die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung überspannt und bei seiner Würdigung erhebliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. Hierdurch ist dem Kläger der Zugang zur Berufungsinstanz in unzulässiger Weise versagt worden.

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a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Die Berufungsbegründung muss auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Besondere formale Anforderungen werden allerdings nicht gestellt; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (st. Rspr.; s. zB Senat, Beschlüsse vom 13. September 2012 – III ZB 24/12, NJW 2012, 3581 Rn. 8 mwN; vom 30. Januar 2013 – III ZB 49/12, NJW-RR 2013, 509 Rn. 7; vom 28. Juli 2016 – III ZB 127/15, NJW 2016, 2890 Rn. 10 und vom 29. November 2018 – III ZB 19/18, NJW-RR 2019, 180 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2020 – IX ZB 62/18, NJW 2020, 2119 Rn. 11; vom 21. Juli 2020 – VI ZB 68/19, VersR 2021, 396 Rn. 10; vom 25. August 2020 – VI ZB 67/19, VersR 2021, 598 Rn. 7 und vom 29. September 2020 – VI ZB 92/19, VersR 2021, 860 Rn. 7).

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b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers – noch – gerecht. Sie lässt ausreichend erkennen, welche Gründe der Kläger den Erwägungen des Landgerichts entgegensetzt.

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aa) Zutreffend hat das Oberlandesgericht eine Reihe von Mängeln in der Berufungsbegründung aufgezeigt. Dies gilt insbesondere für diejenigen Passagen, in denen hier nicht relevante kaufvertragliche Mängelgewährleistungsansprüche („Nacherfüllung“) angesprochen und mit deliktsrechtlichen Ansprüchen vermengt werden. Über weite Strecken hin sind die Ausführungen abstrakt geraten und fehlt es an konkreten Bezugnahmen auf das angefochtene Urteil. Auch die häufige Bezeichnung der Klagepartei als „Klägerin“ (statt: „Kläger“) lässt den Eindruck entstehen, dass dieser Schriftsatz den Anforderungen guter anwaltlicher Sorgfalt nicht vollständig genügt, wobei einzuräumen ist, dass derartige Mängel bei Schriftsätzen in sogenannten „Massenverfahren“ häufiger unterlaufen können als sonst.

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bb) Auf der anderen Seite weist die Berufungsbegründung insbesondere mit der Nennung der Bezeichnung des verbauten Motors einen konkreten Fallbezug auf und lässt sich ihren Ausführungen noch eben hinreichend deutlich entnehmen, in welchen Punkten der Kläger das landgerichtliche Urteil angreift und zu korrigieren wünscht.

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(1) Der Kläger hat in seiner 16 Seiten umfassenden Berufungsbegründung vorgetragen, dass die Beklagte betrügerisch gehandelt habe, indem sie eine Software verbaut habe, die dazu führe, dass außerhalb des für den Rollenprüfstand vorgesehenen Temperaturbereichs deutlich mehr Stickstoffdioxid als vom Gesetzgeber vorgesehen emittiert werde. Er hat des Weiteren aus seiner Sicht Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass dies den verantwortlichen Personen und Repräsentanten der Beklagten bekannt gewesen und insgesamt vom Vorliegen eines sittenwidrigen Schädigungsvorsatzes auszugehen sei. Unter der – allerdings unpassenden – Überschrift „Möglichkeit der Nacherfüllung“ hat die Berufungsbegründung sodann dargestellt, warum die Durchführung eines (von der Beklagten angebotenen) Softwareupdates nicht zum Schadenswegfall führe. Schließlich wird darauf verwiesen, dass der streitgegenständliche PKW wegen der behaupteten Manipulation über keine wirksame EU-Typengenehmigung verfüge und es sich bei § 6 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 EG-FGV um individualschützende Normen zugunsten der Fahrzeugerwerber – und somit auch um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB – handele.

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(2) Damit wird in einer für die Zulässigkeit der Berufung noch hinreichend verständlichen Weise deutlich, dass der Kläger vom Berufungsgericht anhand des in der Berufungsbegründung unterbreiteten Vorbringens die Überprüfung der Auffassung des Landgerichts begehrt, wonach sein Sachvortrag für die Darlegung deliktsrechtlicher Ansprüche nach §§ 826, 823 Abs. 2 BGB nicht genüge. Eine weitere Konkretisierung oder tiefergehende Auseinandersetzung mit den vom Landgericht für seine Sichtweise angeführten Argumenten war zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nicht erforderlich. Ob das Vorbringen des Klägers in der Berufungsbegründung geeignet ist, sein Rechtsmittel inhaltlich zu rechtfertigen und die Argumentation des Landgerichts zu entkräften, ist eine Frage der Begründetheit der Berufung. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob – worauf die Beschwerdeerwiderung abhebt – die Regelungen in § 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FZV nach der Rechtsprechung nicht als individualschützend anerkannt sind. Auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung zur Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FZV ist das Berufungsgericht im Übrigen nicht eingegangen.

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3. Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig verwerfen, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, damit es über die Begründetheit der Berufung befindet (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

  • Herrmann
  • Tombrink
  • Arend
  • Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Böttcher
    ist wegen Ortsabwesenheit verhindert zu
    unterschreiben.
  • Herrmann
  • Herr