Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 19.11.2025, AZ VIa ZR 1235/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 19.11.2025, AZ VIa ZR 1235/22, ECLI:DE:BGH:2025:191125UVIAZR1235.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Braunschweig, 15. Juli 2022, Az: 10 U 12/22
vorgehend LG Braunschweig, 21. Januar 2021, Az: 11 O 3006/19

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 15. Juli 2022 – mit Ausnahme der Berufungszurückweisung hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 – aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 50.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Juni 2010 von einem Dritten einen neuen VW Multivan T5, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2

Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs sowie gegen Zahlung einer Entschädigung für Nutzungen des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der teilweisen Erledigung (Berufungsantrag zu 2) und des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Ein Anspruch nach § 826 BGB bestehe nicht. Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt werden könne, dass ein „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, fehle ein arglistiges Verhalten der Beklagten. Die Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nicht zwischen Prüfstand und Realbetrieb. Für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, fehlten hinreichende Anhaltspunkte.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in der Fassung vom 21. April 2009 (aF) Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32; Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 374/22, NJW-RR 2024, 577 Rn. 9 ff.).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11

Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                            Möhring                            Messing

                     F. Schmidt                            Pastohr

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