BVerwG 11. Senat, Urteil vom 28.05.2025, AZ 11 A 17.24, ECLI:DE:BVerwG:2025:280525U11A17.24.0
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen der Kläger zu 1 zu 2/3 und der Kläger zu 2 zu 1/3. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger jeweils selbst.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen die Planfeststellung einer 380-kV-Höchstspannungsleitung.
2
Der Beschluss der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr vom 17. Juli 2024, zuletzt geändert durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss zur 5. Planänderung vom 30. April 2025, stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Leitung Wehrendorf-Gütersloh, Planfeststellungsabschnitt GA 3, zwischen der Umspannanlage Lüstringen und Punkt Königsholz fest. Das Gesamtvorhaben ist als Nr. 16 in den Bedarfsplan gemäß § 1 Abs. 1 des Energieleitungsausbaugesetzes – EnLAG – aufgenommen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 EnLAG handelt es sich um ein Pilotvorhaben für den Einsatz von Erdkabeln auf der Höchstspannungsebene im Übertragungsnetz.
3
Der Kläger zu 1 ist Vollerwerbslandwirt und Eigentümer sowie Pächter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke, die durch die Masten Nr. 66 bis Nr. 70, durch Schutzstreifen, Zuwegungen und Baustelleneinrichtungsflächen des in diesem Bereich als Freileitung geplanten Vorhabens in Anspruch genommen werden sollen. Außerdem soll die Trasse in einer Entfernung von 114 Metern süd-östlich am Wohnhaus des Klägers vorbeiführen; der Abstand zum nächstgelegenen Mast Nr. 68 beträgt 117 Meter. Die nord-östlich des Wohngrundstücks in einem Abstand von circa 20 Metern vom Wohngebäude verlaufende Bestandsleitung soll zurückgebaut werden.
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Der Kläger zu 2 ist Nebenerwerbslandwirt und Eigentümer landwirtschaftlich und forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke, die für Schutzstreifen, die Zuwegung zu Mast Nr. 72 und temporäre Arbeitsflächen in Anspruch genommen werden sollen. Zudem nähert sich die Vorzugstrasse auf 105 Meter dem Wohngrundstück des Klägers und ist von dort in nordwestlicher und südwestlicher Richtung gut sichtbar. Der Abstand zum nächstgelegen Mast Nr. 72, an dem die Leitung ihre Richtung ändert, beträgt 126 Meter. Das Wohngrundstück ist bislang nicht durch eine Freileitung vorbelastet.
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Die Kläger halten die Planfeststellung für rechtswidrig. Die geplante Errichtung der Masten Nr. 70 und Nr. 71 in der Schutzzone II des Wasserschutzgebiets Wellingholzhausen II verstoße gegen die Schutzgebietsverordnung. Außerdem leide die Abwägungsentscheidung zu Lasten einer Erdkabelvariante an Rechtsfehlern.
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Die Kläger beantragen,
den Planfeststellungsbeschluss vom 17. Juli 2024 für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Leitung Wehrendorf-Gütersloh, Genehmigungsabschnitt 3, in der Fassung nach der 5. Planänderung vom 30. April 2025 aufzuheben, soweit er den Bereich zwischen den Masten Nr. 64 und Nr. 74 betrifft,
hilfsweise festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss in der Fassung nach der 5. Planänderung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist, soweit er den Bereich zwischen den Masten Nr. 64 und Nr. 74 betrifft.
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Beklagte und Beigeladene beantragen jeweils,
die Klagen abzuweisen.
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Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.
Entscheidungsgründe
9
Das Bundesverwaltungsgericht ist nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 1 Abs. 3 Satz 1 EnLAG und Nr. 16 der Anlage zu § 1 Abs. 1 EnLAG für die Entscheidung über die Klagen zuständig.
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Die Klagen sind zulässig, aber nicht begründet. Die Kläger können weder die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit verlangen. Der Planfeststellungsbeschluss verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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I. Weil ihre Grundstücke mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung in Anspruch genommen werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EnWG), haben die Kläger einen aus Art. 14 Abs. 3 GG abgeleiteten Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses (sog. Vollüberprüfungsanspruch), soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme der Grundstücke kausal ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 – 9 A 64.07 – BVerwGE 134, 308 Rn. 23 f. und vom 31. März 2023 – 4 A 10.21 – UPR 2023, 495 Rn. 12). Die Prüfung ist dabei auf den Prozessstoff beschränkt, den die Kläger durch die binnen der Frist nach § 6 Satz 1 UmwRG eingegangene Klagebegründung vom 7. Dezember 2023 bestimmt haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2024 – 11 A 6.23 – NVwZ 2024, 1508 Rn. 10 m. w. N.).
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II. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen die Verordnung über die Festsetzung eines Wasserschutzgebietes für die Wassergewinnungsanlagen Wellingholzhausen vom 18. August 1988, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 8. Januar 2004 (im Folgenden: „WSG-VO“).
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1. Gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 35 WSG-VO sind Erdaufschlüsse, die räumlich und zeitlich eng begrenzt sind, von mehr als 3 m Tiefe in der Schutzzone II des Brunnens Wellingholzhausen II verboten und in der Schutzzone III A genehmigungspflichtig. Der Planfeststellungsbeschluss setzt deshalb für zwei Masten, die in der Schutzzone II errichtet werden sollen, Plattenfundamente bzw. modifizierte Plattenfundamente mit maximal 3 m Tiefe fest. Für die drei Masten in der Schutzzone III A, die eine Fundamenttiefe von 4,50 m erreichen sollen, erteilt er Genehmigungen. Hiergegen wenden die Kläger sich nicht. Soweit sie in anderem Zusammenhang darauf verweisen, dass insbesondere für das Fundament von Mast 70 eine Fläche von 23 m x 23 m versiegelt werden soll, steht dies der Annahme einer räumlich eng begrenzten Maßnahme nicht entgegen. Bezogen auf die Versickerungsfläche handelt es sich um geringfügige Verluste, die keine Auswirkungen auf die Grundwasserneubildungsrate haben (vgl. PFB S. 101 f. und 297 f.).
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2. Die Errichtung der Masten verstößt nicht gegen § 5 Abs. 4 Nr. 22 c) ca) WSG-VO, wonach Anlagen für gewerbliche oder sonstige Zwecke ohne Anschluss an eine zentrale Abwasserbeseitigung in den Schutzzonen II und III A verboten sind.
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Der Planfeststellungsbeschluss (S. 122) geht davon aus, dass der Mastbau nicht gegen § 5 Abs. 4 Nr. 22 c) WSG-VO verstößt. Die dort enumerativ aufgezählten baulichen Anlagen, welche in der Schutzzone II unzulässig wären, zeichneten sich erkennbar dadurch aus, dass sie Abwässer verursachen und aus diesem Grund in der Schutzzone II ohne Anschluss an die zentrale Abwasserbeseitigung nicht zulässig seien. Ein Verbot der Errichtung von Anlagen jedweder Art lasse sich der Verordnung gerade nicht entnehmen. Hiergegen wenden sich die Kläger ohne Erfolg.
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Wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen in § 5 Abs. 4 WSG-VO ergibt, verbietet die Vorschrift nicht sämtliche mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen (vgl. zum Begriff der baulichen Anlage § 2 Abs. 1 NBauO i. d. F. vom 10. Februar 2003, Nds. GVBl. S. 89). Erfasst sind vielmehr nur solche Anlagen, die geeignet sind, durch das Einleiten von Abwasser in den Untergrund auf das Grundwasser einzuwirken und bei denen ein Anschluss an eine Abwasserbeseitigung deshalb überhaupt in Betracht kommt. Das ergibt sich aus den in der Norm konkret benannten baulichen Anlagen, bei denen sich jeweils die Frage der Einleitung von Abwässern stellt (bauliche Anlagen für Wohnzwecke, zum Zwecke der Errichtung oder Erweiterung landwirtschaftlicher Betriebe, Krankenhäuser) und daraus, dass § 5 Abs. 4 Nr. 22 c) WSG-VO gerade zwischen baulichen Anlagen ohne und mit Anschluss an eine zentrale Abwasserbeseitigung unterscheidet. Hierfür spricht auch der in der Norm enthaltene Verweis auf § 5 Abs. 4 Nr. 1 WSG-VO, der die Einleitung von Abwasser in den Untergrund über Schluckbrunnen, Sickerschächte und vergleichbare Einrichtungen sowie die Untergrundverrieselung regelt. Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch den Sternchenzusatz zu der Norm, wonach für Änderungen und Erweiterungen baulicher Anlagen die vorstehenden Bestimmungen gelten, wenn hierdurch mehr wassergefährdende Stoffe (größere Mengen, höhere Konzentration) anfallen oder verwendet werden. Wollte man stattdessen jegliche bauliche Anlage als Anlage für „sonstige Zwecke“ unter die Norm subsumieren, stünde deren Verbot in der Schutzzone III B im Widerspruch zu Vorschriften, die selbst für problematische Anlagen weniger strenge Anforderungen stellen. So sind Anlagen zur Behandlung von Abfällen nach § 5 Abs. 4 Nr. 20 a) WSG-VO in der Schutzzone III B lediglich genehmigungspflichtig, Anlagen für Wohnzwecke als Einzelbebauung und zum Zweck der Errichtung landwirtschaftlicher Betriebe nach § 5 Abs. 4 Nr. 20 a) WSG-VO sogar genehmigungsfrei.
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Nach alldem ist der Planfeststellungsbeschluss zu Recht davon ausgegangen, dass hier kein Fall im Sinne des § 5 Abs. 4 Nr. 22 c) WSG-VO vorliegt (vgl. PFB S. 122). Bei dem Betrieb der Höchstspannungsfreileitung kommen keine wassergefährdenden Bau- oder Betriebsstoffe zum Einsatz (PFB S. 170 f. und S. 298). Weder fallen industrielle oder gewerbliche Abwässer an, noch wird das anfallende Oberflächenwasser gesammelt und versenkt.
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3. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen § 5 Abs. 4 Nr. 36 WSG-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Vornahme von Bodenabbau und Erdaufschlüssen, durch die die Deckschichten auf Dauer vermindert werden (alle über die land- und forstwirtschaftliche Nutzung hinausgehenden Bodeneingriffe) in der Schutzzone II verboten und in der Schutzzone III A und B verboten, sofern Grundwasser freigelegt wird, andernfalls mit mehr als 1 m Tiefe genehmigungspflichtig. Die Kläger sind der Auffassung, der Tatbestand werde auch durch den Einbau eines Betonfundaments verwirklicht. Der Beton erhalte zwar die Schutzfunktion, nicht aber die Filter- und Speicherfunktion der Deckschicht. Das führt nicht auf einen Verstoß gegen die Wasserschutzgebietsverordnung.
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§ 5 Abs. 4 Nr. 36 WSG-VO verbietet in erster Linie das über eine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bearbeitung des Bodens hinausgehende dauerhafte Abtragen der Deckschichten bis zum Grundwasser beziehungsweise bis zu einer bestimmten Tiefe. Das zeigt der Wortlaut, der von „vermindern“, nicht von „verändern“ der Deckschichten spricht. Bestätigt wird dies durch das Tatbestandsmerkmal des „Bodenabbaus“, mit dem die Gewinnung von Bodenschätzen wie Kies, Sand, Mergel, Ton, Lehm oder Steinen durch deren Entnahme gemeint ist (vgl. die Begrifflichkeit in § 8 NNatG bzw. § 17 NNatG i. d. F. vom 11. April 1994, Nds. GVBl. S. 155).
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Ob der Schutzzweck der Norm sich auch auf Fälle erstreckt, in denen die Grundwasserüberdeckung zwar wiederhergestellt wird, aber Funktionen der ursprünglichen Deckschicht verloren gehen, kann offenbleiben. Jedenfalls dann, wenn eine solche Verschlechterung bzw. Verminderung durch räumlich und zeitlich eng begrenzte Erdaufschlüsse im Zusammenhang mit Baumaßnahmen geschieht, ist § 5 Abs. 4 Nr. 35 WSG-VO die speziellere Vorschrift. Danach sind entsprechende Erdaufschlüsse in der Schutzzone II ab einer Tiefe von mehr als 3 m verboten und in der Schutzzone III A genehmigungspflichtig, im Übrigen aber genehmigungsfrei. Diese Entscheidung darf nicht dadurch umgangen werden, dass räumlich und zeitlich eng begrenzte Baumaßnahmen zugleich als dauerhafte Verminderung der Deckschicht angesehen werden. Das gilt besonders, weil Baumaßnahmen typischerweise die Deckschicht nicht unverändert lassen.
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III. Die Abwägungsentscheidung zugunsten der Freileitungsvariante ist nicht zu beanstanden.
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1. Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass – erstens – eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass – zweitens – in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, und dass – drittens – weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 1975 – 4 C 21.74 – BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom 14. März 2018 – 4 A 5.17 – BVerwGE 161, 263 Rn. 73).
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Bestehen keine rechtlich zwingenden Vorgaben, ist auch die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit unterliegt rechtlichen Bindungen. Die Wahl einer Trassenvariante ist rechtsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Darüber hinaus ist die Abwägungsentscheidung auch dann fehlerhaft, wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung und Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 – 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1 <11> und vom 14. März 2018 – 4 A 5.17 – BVerwGE 161, 263 Rn. 82).
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Die Entscheidung über eine Erdkabelführung hat zusätzlich die Direktiven aus § 2 EnLAG zu beachten. Nach § 2 Abs. 1 EnLAG können die dort genannten Vorhaben nach Maßgabe des Absatzes 2 als Erdkabel errichtet und betrieben werden. Dies eröffnet die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnWG nicht gegebene Möglichkeit, einen Erdkabelabschnitt planfestzustellen. Das Ermessen der Planfeststellungsbehörde ist dabei nicht in der Weise intendiert, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 2 in der Regel die Entscheidung für ein Erdkabel nach sich ziehen müsste (BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 – 4 A 16.16 – NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 95 und vom 31. März 2023 – 4 A 11.21 – juris Rn. 167). Vielmehr gebietet das Zusammenspiel von § 2 Abs. 1 und Abs. 2 EnLAG in jedem Einzelfall eine offene Abwägung, in die alle erheblichen Belange Eingang finden müssen. Diese Abwägung muss dem Gesetzeszweck der Erprobung Rechnung tragen. Wenn danach in bestimmten Pilotprojekten Erdkabel im Drehstrombereich auf Höchstspannungsebene ungeachtet der mit ihnen verbundenen Erschwernisse und Nachteile getestet werden sollen, um sie als technische Alternative zu etablieren, dürfen Argumente, die allgemein gegen das Erdkabel vorgebracht werden können, nicht ein solches Gewicht erhalten, dass der Erprobungszweck letztlich infrage gestellt würde. Die höheren Kosten können – ebenso wie andere Nachteile einer Erdkabelführung – nur dann entscheidend ins Feld geführt werden, wenn für die Erprobung gleichwohl Raum bleibt (BVerwG, Urteil vom 10. November 2022 – 4 A 15.20 – NVwZ 2023, 678 Rn. 57). Liegen dagegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 EnLAG nicht vor, ist das Verlangen eines Erdkabels ausgeschlossen. Es kann auch nicht auf das Abwägungsgebot des § 43 Abs. 3 EnWG gestützt werden (BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – 4 VR 7.19 u. a. – ZNER 2020, 438 Rn. 104 und Urteil vom 16. März 2021 – 4 A 10.19 – NVwZ 2021, 1615 Rn. 37; siehe auch Urteil vom 8. Januar 2025 – 11 A 24.23 – ZNER 2025, Rn. 26 <zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>).
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Die Vorhabenträgerin hat fristgerecht einen Antrag nach § 118 Abs. 49 EnWG auf Nichtanwendung des § 43 Abs. 3 Satz 2 bis 6 EnWG gestellt, so dass diese Vorgaben bei der Abwägungsentscheidung nicht zu beachten waren (vgl. PFB S. 112).
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2. Orientiert an dem von der Vorhabenträgerin vorgelegten Variantenvergleich für den Raum Placke hat der Planfeststellungsbeschluss aus drei Freileitungsvarianten die Vorzugsvarianten PFW und aus vier Erdkabelvarianten die Vorzugsvariante PKM2 ermittelt (PFB S. 118 ff. und S. 138 ff. mit Anlage 1.2, Variantenvergleich). Gegen diese Entscheidungen wenden sich die Kläger nicht. Sie halten jedoch die Entscheidung des Planfeststellungsbeschlusses, die Freileitung PFW der Erdkabelvariante PKM2 vorzuziehen, für abwägungsfehlerhaft. Dem ist nicht zu folgen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Auslösekriterien des § 2 Abs. 2 EnLAG gegeben sind, obwohl ausweislich der Gesetzesmaterialien ein Teilabschnitt erst dann als technisch und wirtschaftlich effizient gilt, wenn er mindestens eine Länge von 3 km aufweist (vgl. BT-Drs. 16/10491, S. 17 und BT-Drs. 17/4559, S. 6), während der Erdkabelabschnitt PKM2 nur 2,4 km lang ist. Denn die Planfeststellungsbehörde hat sich jedenfalls abwägungsfehlerfrei für die Freileitungsvariante PFW entschieden.
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a) In Bezug auf das Schutzgut Wasser hält der Planfeststellungsbeschluss beide Varianten für gleichermaßen nachteilig. Die Kläger sehen demgegenüber die Freileitung im Nachteil, weil zwei Masten in der Schutzzone II und weitere drei Masten in der Schutzzone III A errichtet werden müssten, während das Erdkabel nur entlang des äußersten Randes der Schutzzone III A verlaufe. Mit Blick auf die in Anspruch genommenen Arbeitsflächen stelle sich die Freileitung (18 000 qm) nur bei einer rein quantitativen Betrachtung als nachteilig gegenüber dem Erdkabel (21 240 qm) dar. Bei der Freileitung entfielen nämlich 7 200 qm auf die sehr viel höher zu bewertende Schutzzone II, davon befänden sich 3 600 qm in unmittelbarer Nähe zur Schutzzone I.
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Mit diesem Vortrag zeigen die Kläger keinen Abwägungsfehler auf. Der Planfeststellungsbeschluss wägt eine hohe qualitative Beeinträchtigung des Wasserschutzgebiets durch die Freileitung gegen eine hohe quantitative Beeinträchtigung durch das Erdkabel ab. Die hohe qualitative Betroffenheit resultiere aus der Inanspruchnahme der Schutzzone II, die hohe quantitative Betroffenheit aus der randlichen Querung des Wasserschutzgebiets mit einem offenen Kabelgraben auf 600 m Länge (vgl. PFB S. 140 f. und S. 170). Diese Herangehensweise ist nicht zu beanstanden. Für das Erdkabel müsste im Vergleich zur Freileitung ein Vielfaches an Erde aufgeschlossen und bewegt werden. Ausweislich der Planunterlagen bedarf es zweier Kabelgräben, die üblicherweise auf gesamter Länge und Breite ca. 2 m tief ausgehoben werden. Auf den Arbeitsflächen außerhalb der Kabelgräben wird der Oberboden abgetragen (vgl. UVP-Bericht, 3. Deckblattänderung, S. 63). Auch wenn das Vorgehen im Wasserschutzgebiet optimiert werden könnte, lässt sich der Eingriff in den Boden nicht mit der Anlegung der Mastfundamente vergleichen. Sofern die Kläger in diesem Zusammenhang auf die jeweiligen Arbeitsflächen abstellen, führt dies zu einer Unterschätzung der Beeinträchtigung durch das Erdkabel. Zum einen müssen die Arbeitsflächen der Freileitung nicht vollständig aufgeschlossen werden. Zum anderen werden Arbeitsflächen gegen Verdichtung und vor wassergefährdenden Stoffen geschützt (PFB S. 297 mit Anlage 9.7, Hydrogeologischer Fachbeitrag, S. 24). Ihre Anlegung erreicht daher nicht die Eingriffsqualität einer Ausschachtung und Wiederverfüllung.
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Dass die Freileitung nicht nur die Schutzzone II betrifft, sondern auch zu erlaubnispflichtigen Eingriffen in die Schutzzone III A führt, hat der Planfeststellungsbeschluss erkannt (PFB S. 101, 139 und 249 sowie Abb. 2 auf S. 118). Er musste diesem Umstand und der genauen Positionierung der Fundamente aber angesichts des bei der Erdkabelvariante ebenfalls in der Schutzzone III A notwendig werdenden Eingriffs keine herausgehobene Bedeutung beimessen.
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Soweit die Kläger mit Schriftsatz vom 20. Mai 2025 geltend machen, das Erdkabel liege nur formal in der Schutzzone III A des Wasserschutzgebiets, nämlich innerhalb eines Bereichs, der nicht aufgrund hydrogeologischer Kriterien festgesetzt worden sei, sondern den Flurstücksgrenzen folge, ist dieser Vortrag außerhalb der Frist des § 6 Satz 1 UmwRG erfolgt. Abgesehen davon ist es sachdienlich, den Geltungsbereich der Verordnung in der Örtlichkeit nachvollziehbar zu machen und die Schutzgebietsgrenzen deshalb entlang von Wegen, Straßen oder markanten Geländestrukturen und möglichst deckungsgleich mit den Flurstücksgrenzen zu ziehen. Die solchermaßen getroffene formale Festlegung des Geltungsbereichs der Verordnung darf die Planfeststellungsbehörde in aller Regel – so auch hier – ihren Erwägungen zugrunde legen.
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Ebenfalls außerhalb der Frist des § 6 Satz 1 UmwRG ist die Sorge vorgetragen worden, durch Rodungen im Wasserschutzgebiet könne es zu einer Erhöhung des Nitratgehalts und in der Folge zu Nutzungsbeschränkungen der landwirtschaftlichen Flächen kommen. In der mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene überdies erläutert, dass die vorgesehenen Maßnahmen keine solche Veränderung im Boden erwarten lassen.
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b) Auch die Abwägung in Bezug auf das Schutzgut Fläche ist nicht zu beanstanden. Der Planfeststellungsbeschluss erkennt, dass der Flächenverbrauch für die Freileitungsvariante mit 187 985 qm deutlich höher ist als beim Erdkabel mit 72 597 qm. Weil er jedoch maßgeblich auf die Flächen abstellt, die jeder anderen Nutzungsmöglichkeit dauerhaft entzogen sind – bei der Erdkabelvariante 32 000 qm für die Kabelübergabestationen, bei der Freileitung 1 870 qm für elf Maststandorte – sieht er die Freileitungsvariante im Vorteil (PFB S. 141 f.). Das ist nicht zu beanstanden. Der Flächenverbrauch der Freileitungsvariante geht vor allem auf Schutzstreifen zurück, die aber – mit Einschränkungen – weiter genutzt werden können.
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Soweit die Kläger sich gegen die Erwägung des Planfeststellungsbeschlusses wenden, Schutzstreifen einer Freileitung unterlägen geringeren Restriktionen als diejenige eines Erdkabels, weil bei letzteren eine Überbauung regelmäßig ausgeschlossen und nur eine Bewirtschaftung mit nicht tiefwurzelnden Ackerpflanzen erlaubt sei, handelt es sich lediglich um ergänzende Überlegungen. Der Planfeststellungsbeschluss leitet sie mit „weniger ins Gewicht fallend, aber doch erwähnenswert“ ein und betont später nochmals, dass entscheidend die Flächen seien, die einer anderweiten Nutzung entzogen würden (PFB S. 141 f.). Unabhängig davon trifft der Einwand der Kläger zwar zu, dass die forstwirtschaftliche Nutzung sowohl über Erdkabeln als auch unter Freileitungen erheblichen Restriktionen unterliegt und die Errichtung baulicher Anlagen im Außenbereich nur in engen Grenzen in Betracht kommt. Das stand der Planfeststellungsbehörde aber vor Augen. Es ändert nichts daran, dass die im konkreten Fall vorherrschende landwirtschaftliche Nutzung im Schutzstreifen einer Freileitung weitgehend möglich bleibt (PFB a. a. O. mit Anlage 1.2, Variantenvergleich, S. 91). Ein Abwägungsfehler ist auch insofern nicht ersichtlich.
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c) Die Planung findet in archäologisch sensiblem Gebiet statt. Die Freileitung soll ein Baudenkmal überspannen und ist mit visuellen Auswirkungen auf weitere Baudenkmäler verbunden. Zudem sind Aufklärungsmaßnahmen notwendig, um die Beschädigung unbekannter Fundstellen auszuschließen. Die Erdkabelvariante würde zwei Grabhügel randlich berühren. Insgesamt sieht der Planfeststellungsbeschluss aufgrund des flächigen Bodeneingriffs in dieser Situation einen leichten Nachteil für das Erdkabel (PFB S. 142, Änderungs-Planfeststellungsbeschluss vom 17. Juli 2024, S. 12 und S. 14). Das wahrt den Abwägungsspielraum der Planfeststellungsbehörde.
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d) Hinsichtlich der technischen Schwierigkeiten, der technischen und betrieblichen Sicherheit sowie der Kosten sieht der Planfeststellungsbeschluss die Freileitung im Vorteil. Bei der Erdkabelvariante müssten vier Straßen und ein Graben zum Teil in geschlossener Bauweise gequert werden. Überdies bereite die wellige Topographie Nachteile, die bei einem Erdkabel nicht bestünden. Die Kosten betrügen überschlägig mehr als das Dreifache und im Schadensfalle sei eine Reparatur leichter möglich. Soweit die Kläger dem entgegenhalten, die Topographie stelle auch die Mastgründung vor technische Probleme, zumal im Wasserschutzgebiet technische Sonderlösungen notwendig seien, stellt dies die Annahmen des Planfeststellungsbeschlusses nicht in Frage. Eine Freileitung kann auf schwierige topographische Verhältnisse besser reagieren, weil die Maststandorte flexibler ausgewählt und Hindernisse überspannt werden können. Der Einwand der Kläger, Freileitungen seien anfälliger für externe Einwirkungen, mag zutreffen. Es bleibt aber dabei, dass auftretende Schäden bei einer Freileitung deutlich leichter lokalisiert und behoben werden können als bei einem Erdkabel.
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e) Der Planfeststellungsbeschluss hat die Landesplanerische Feststellung vom 19. Dezember 2020 ausreichend berücksichtigt.
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Die Landesplanerische Feststellung stellt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG ein sonstiges Erfordernis der Raumordnung dar, das nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 ROG bei Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung bedürfen, in Abwägungsentscheidungen zu berücksichtigen ist. Dem ist der Planfeststellungsbeschluss gerecht geworden. Er hat sich im Rahmen der Abwägung der Vorzugstrasse ausführlich mit den Vorgaben der Landesplanerischen Feststellung auseinandergesetzt und unter Verweis auf die Ausführungen zur Variantenabwägung dargelegt, aus welchen Gründen die Halbierung des 200 m-Abstandes zu Wohngebäuden im Außenbereich hinzunehmen ist. Soweit die Landesplanerische Feststellung aufgrund ihrer strikten Formulierung den Eindruck erwecken könnte, sie habe das Abwägungsergebnis bereits vorweggenommen („eine Freileitung ist nur dann die raumverträgliche Alternative, wenn im Zuge des Planfeststellungsverfahrens Gründe erkennbar würden, wonach eine Teilerdverkabelung nicht genehmigungsfähig ist“) geht der Planfeststellungsbeschluss zu Recht davon aus, dass sich der Abwägungsmaßstab allein aus den bundesrechtlichen Vorgaben des § 43 Abs. 3, 3a, 3b und 3c EnWG ergibt (PFB S. 242 f., S. 245 und S. 247 f.), über die sich die Landesplanerische Feststellung nicht hinweg setzen kann. Inhaltlich hat der Planfeststellungsbeschluss der Einhaltung des 200 m-Abstandes zu Wohngebäuden im Außenbereich erhebliches Gewicht eingeräumt und – wo dies nicht möglich war – jedenfalls die Einhaltung eines 100 m-Abstandes für unabdingbar gehalten. Das zeigt sich auch am Abwägungsergebnis: Die Vorzugstrasse nimmt gegenüber der geradlinig verlaufenden Bestandstrasse zahlreiche Verschwenkungen in Kauf, um möglichst große Abstände zu vorhandenen Wohngebäuden zu halten.
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f) Der Planfeststellungsbeschluss hat die Bedeutung des Wohnumfeldschutzes weder insgesamt noch in Bezug auf die Kläger verkannt. Der Wohnumfeldschutz soll die Qualität des Wohnumfeldes sicherstellen. Er tritt neben den in den Fachgesetzen normierten Gesundheitsschutz und dient vor allem der Verschonung des Wohnumfeldes vor visuellen Beeinträchtigungen durch Höchstspannungsfreileitungen (BVerwG, Urteile vom 27. Juli 2021 – 4 A 14.19 – BVerwGE 173, 132 Rn. 66 und vom 10. November 2022 – 4 A 15.20 – juris sowie Beschlüsse vom 18. Dezember 2023 – 11 VR 2.23 – NVwZ 2024, 684 Rn. 17 und vom 21. Januar 2025 – 11 VR 7.24 – juris Rn. 41). Das hat der Planfeststellungsbeschluss erkannt. Er prüft deshalb die Einhaltung des 200 m-Abstandes zu Wohngebäuden im Außenbereich und die Sichtbeziehungen zur Leitung unabhängig von möglichen Gesundheitsgefahren (vgl. PFB S. 74, S. 93, S. 117, S. 159, S. 248). Dass der Planfeststellungsbeschluss im Rahmen der Gesamtabwägung der Trassenalternativen die Unterschreitung des 200 m-Abstandes zu einzelnen Gebäuden aufgrund der geringen Immissionsbelastungen durch elektromagnetische Felder und Lärm relativiert (PFB S. 143), belegt keine Fehleinschätzung des Belangs des Wohnumfeldes. An dieser Stelle legt der Planfeststellungsbeschluss dar, weshalb er die Annäherung im konkreten Fall für zumutbar hält. Er musste dabei auch nicht auf die konkrete Anzahl der Bewohner der Außenbereichsgebäude abstellen, weil diese stets nur eine Momentaufnahme ist und sich schnell ändern kann (BVerwG, Urteile vom 6. April 2017 – 4 A 1.16 – NVwZ 2018, 336 Rn. 46 und vom 14. März 2018 – 4 A 5.17 – BVerwGE 161, 263 Rn. 85).
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Der Planfeststellungsbeschluss hat auch die Wohnsituationen der Kläger ausreichend beachtet. Sie wurden im Rahmen des UVP-Berichts erhoben, beschrieben und von der Planfeststellungsbehörde zur Kenntnis genommen (vgl. Anhang 01 zum UVP-Bericht S. 20 ff., S. 31 und S. 38, PFB S. 74, S. 115 ff., S. 121). Soweit die Vorzugstrasse sich an zwölf Außenbereichsgrundstücke auf einen Abstand von 100 m bis 200 m annähert, durfte der Planfeststellungsbeschluss dies hinnehmen. Der Anblick einer Leitung und damit einer Einrichtung technischen oder industriellen Charakters mag als störend oder unästhetisch wahrgenommen werden. Freileitungen gehören aber ebenso wie andere Infrastruktureinrichtungen, Fabriken oder Windenergieanlagen zur Raumausstattung eines Industrielandes (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 – 4 A 14.19 – BVerwGE 173, 132 Rn. 71). Ergebnis der Abwägung kann daher sein, dass bestimmte Beeinträchtigungen des Wohnumfeldes hingenommen werden müssen.
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g) Der Planfeststellungsbeschluss hat nicht fehlerhaft die Nachteile einer notwendigen Umplanung berücksichtigt. Gemäß § 43 Abs. 3c Nr. 1 und Nr. 3 EnWG sind bei der Abwägung eine möglichst frühzeitige Inbetriebnahme und wirtschaftliche Errichtung des Vorhabens zu berücksichtigen. Dieses Argument kann aber nur den Ausschlag für eine rechtmäßige Variante geben. Die Planfeststellungsbehörde darf eine fehlerhafte Abwägung des Vorhabenträgers nicht deshalb hinnehmen, weil eine Korrektur zu teuren oder zeitaufwändigen Umplanungen führen würde. Andernfalls wären gerade solche Planungen gegen die gerichtliche Abwägungskontrolle immunisiert, die besonders hohen Korrekturbedarf aufweisen.
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So hat die Planfeststellungsbehörde aber nicht argumentiert. Der Planfeststellungsbeschluss gibt der Freileitungsvariante fehlerfrei den Vorzug und legt erst in einem zweiten Schritt dar, dass das gefundene Ergebnis auch die Vorgaben aus § 43 Abs. 3c EnWG besonders gut umsetzt. Das ist nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
