EngelsflügelZum neuen Nichtigkeitsverfahren aufgrund eines nicht registrierten älteren Rechts (Urheberrecht).Hinweis… (Beschluss des BPatG München 29. Senat)

BPatG München 29. Senat, Beschluss vom 21.10.2024, AZ 29 W (pat) 39/21, ECLI:DE:BPatG:2024:211024B29Wpat39.21.0

Leitsatz

Engelsflügel

Zum neuen Nichtigkeitsverfahren aufgrund eines nicht registrierten älteren Rechts (Urheberrecht).

Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundespatentgerichts:
Rechtsbeschwerde zugelassen – jedoch nicht eingelegt

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2019 015 590

(Nichtigkeitsverfahren 0920/20 Lösch)

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 21. Oktober 2024 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Akintche und die Richterin Lachenmayr-Nikolaou

beschlossen:

I. Auf die Beschwerde des Nichtigkeitsantragstellers wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. August 2021 aufgehoben.

Die Eintragung der Marke 30 2019 015 590 wird für nichtig erklärt und ihre Löschung angeordnet.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der Bildmarke 30 2019 015 590.

2

Das am 29. Juni 2019 angemeldete Bildzeichen (farbig: rot, weiß, schwarz)

3

wurde am 19. Dezember 2019 unter der Nummer 30 2019 015 590 zugunsten des Beschwerdegegners in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Markenregister eingetragen für die Waren der

4

Klasse 18: Gepäck, Taschen, Brieftaschen und andere Tragebehältnisse; Leder und Lederimitationen; Teile und Zubehör für alle vorgenannten Waren, soweit in dieser Klasse enthalten;

5

Klasse 25: Kopfbedeckungen; Bekleidungsstücke; Schuhwaren; Teile und Zubehör für alle vorgenannten Waren, soweit in dieser Klasse enthalten;

6

Klasse 26: Accessoires für Bekleidung, Nähartikel und schmückende textile Artikel; Anhänger, ausgenommen für Schmuck, Schlüsselringe oder Schlüsselanhänger; Anstecker [Buttons]; Pins [Anstecker].

7

Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde die Marke vom ursprünglichen Markeninhaber und Beschwerdegegner auf die X … GmbH umgeschrieben. Die neue Markeninhaberin hat im vorliegenden Verfahren keine Erklärungen abgegeben.

8

Der Beschwerdeführer einerseits und der Beschwerdegegner sowie die aktuelle Markeninhaberin andererseits sind Konkurrenten im Einzelhandel mit Bekleidungsstücken. Die Ehefrau des Antragstellers führt seit dem Jahr 2005 auf der Reeperbahn ein Ladengeschäft unter der Bezeichnung „merlin Store“, in dem sie mit Strass-Steinen bestückte Kleidung verkauft, die sie gemeinsam mit dem Antragsteller und Beschwerdeführer entwirft. Im Jahr 2010 übernahm der ursprüngliche Markeninhaber und Beschwerdegegner das in unmittelbarer Nachbarschaft zum „merlin Store“ liegende Geschäft „Crazy Jeans“ und bot in diesem nach der Geschäftsübernahme ebenfalls mit Strass verzierte Kleidungsstücke an. Ihm waren das Geschäft „merlin Store“ und die dort angebotenen Waren bereits zuvor bekannt. Der Beschwerdegegner ist Geschäftsführer der am 10. Januar 2020 ins Handelsregister eingetragenen X … GmbH, der aktuellen Markeninhaberin, die gegen die Ehefrau des Antragstellers und Beschwerdeführers vor dem Landgericht Hamburg Klage erhoben hat wegen Verletzung von Rechten an der verfahrensgegenständlichen Bildmarke. Das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg wurde im Hinblick auf das vorliegende Nichtigkeitsverfahren ausgesetzt.

9

Mit am 17. September 2020 beim DPMA eingegangenem Nichtigkeitsantrag hat der Beschwerdeführer beantragt, die Marke 30 2019 015 590 wegen des Bestehens älterer Rechte für nichtig zu erklären und zu löschen. Der Antragsteller stützt seinen Nichtigkeitsantrag auf ein geltend gemachtes Urheberrecht mit Zeitrang 3. August 2015. Zur Begründung seines Nichtigkeitsantrags hat er vorgetragen, dass er Inhaber älterer Rechte sei. Er habe „das streitgegenständliche Motiv“ bereits 2015 und damit ca. ein Jahr vor dem behaupteten Entwurf des ursprünglichen Markeninhabers entworfen und seitdem regelmäßig verkauft. Zum Zweck der Anbringung von Strass-Steinen auf Textilien habe er ebenfalls bereits im Jahr 2015 eine hierfür geeignete Presse bei einer Firma mit Sitz in der Türkei bestellt und am 5. August 2015 einer weiteren Firma mit Sitz in der Türkei, der Firma Y … , den Auftrag erteilt, das von ihm entworfene Motiv in einem Umfang von 100 Stück aus Strass-Steinen zu fertigen. Auf der Auftragsbestätigung sei das angegriffene Muster wie folgt zu erkennen:

10

Dieses Motiv bestehe aus zwei Flügeln, jeweils besetzt mit Strass-Steinen, welche ähnlich einer Korsage miteinander verbunden seien. Der Antragsgegner habe in seiner Bildmarke dem Motiv des Antragstellers lediglich mittig ein Herz sowie vier Sternchen hinzugefügt. Mit dem streitgegenständlichen Muster bedruckte Textilien seien seit 2015 umfangreich in den Geschäftsräumen des Merlin Store sowie auf Facebook beworben worden, wie dies auch aus den mit der Antragsschrift eingereichten Lichtbildern ersichtlich sei. Die erforderliche Schöpfungshöhe ergebe sich aus der Zeichnung des Motivs sowie der Umsetzung des Motivs mit Strass-Steinen auf Textil. Die Werke des Antragstellers würden sich durch ihre Ästhetik auszeichnen.

11

Dem ihm am 28. September 2020 zugegangenen Nichtigkeitsantrag hat der damalige Markeninhaber mit am 29. Oktober 2020 beim DPMA eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz widersprochen. Er hat geltend gemacht, dass der Nichtigkeitsantrag bereits nicht ausreichend bestimmt sei, weil er das geltend gemachte ältere Schutzrecht nicht eindeutig bezeichne. Da der Antragsteller mal von älteren Rechten im Plural, mal von „Muster“ schreibe und die Antragsschrift mehrere Lichtbilder bzw. Graphiken mit verschiedenen Objekten enthalte, sei unklar, auf welches ältere Urheberrecht, d.h. auf welches Recht an welchem Werk, der Antrag gestützt werde. Ebenso sei die Formulierung in der Antragsschrift, dass der Antragsteller „das streitgegenständliche Motiv“ „für die Antragstellerin“ entworfen habe, unklar und die Rechtsinhaberschaft des Antragstellers nicht belegt. Das in der Antragsschrift abgebildete Muster sei nicht urheberrechtsschutzfähig, da es nicht die notwendige Schöpfungshöhe erreiche. Dem mit der Antragsschrift vorgelegten Motiv, einer schwarz-weißen Zeichnung zweier durch eine Korsettbindung verbundener Flügel, sei nichts zu entnehmen, was das Konzept „Flügel mit Korsett“ kreativ bzw. künstlerisch umgesetzt hätte. Selbst wenn der konkreten Darstellung ein ganz geringes Maß an urheberrechtlicher Schutzfähigkeit zugesprochen werden sollte, sei der Schutzbereich verschwindend gering und eine Verletzung des Urheberrechts aufgrund Übernahme selbständig urheberrechtlich schutzfähiger Elemente nicht ersichtlich.

12

Mit Beschluss vom 17. August 2021 hat die Markenabteilung 3.4 den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der Bildmarke 30 2019 015 590 zurückgewiesen.

13

Zur Begründung führt die Markenabteilung aus, der Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit und Löschung der angegriffenen Bildmarke sei zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Der Antragsteller stütze sich nicht auf mehrere Rechte, vielmehr würden Antrag und Antragsbegründung in der Gesamtschau das geltend gemachte Schutzhindernis “
Urheberrecht an der Darstellung zweier Flügel, jeweils besetzt mit Strass-Steinen, welche ähnlich einer Korsage miteinander verbunden sind“ sowie dessen Inhaber und den behaupteten Entstehungszeitpunkt erkennen lassen und damit die Voraussetzungen gem. § 42 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenV erfüllen. Der Antrag sei jedoch unbegründet, da die in der Antragsbegründung abgebildete Darstellung einer schwarz/weißen Zeichnung zweier Flügel schon nicht die nach § 2 Abs. 1 und 2 UrhG erforderliche Werkqualität aufweise. In Frage käme ein Werk gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG, nämlich ein Werk der bildenden Künste (Zeichendarstellung) oder der angewandten Kunst (Bekleidungsstück) und deren Entwürfe. Es fehle jedoch an der geforderten Individualität und Gestaltungshöhe, da die Darstellung zweier Flügel grundsätzlich ein sehr gängiges Motiv und auch auf dem hier maßgeblichen Textilsektor sehr beliebt sei. Allenfalls die Korsagenbindung, die aber in der Abbildung in der Antragsschrift kaum erkennbar sei, hebe sich nach der Recherche der Markenabteilung noch von bekannten Vorbildern ab und könnte deshalb – auch in Kombination mit der behaupteten Darstellung in Strass-Steinen, die aber aus der Abbildung ebenfalls nicht hervorgehe – noch eine gewisse individuelle Prägung besitzen. Individualität und Gestaltungshöhe seien jedoch anhand der vorgelegten Abbildung, also der schwarz/weißen Abbildung des gängigen Motivs zweier Engelsflügel ohne weitere Details, zu beurteilen und die erforderliche Individualität und Gestaltungshöhe damit mangels individueller Prägung zu verneinen. Selbst wenn man von einem geringen Maß an Schutzfähigkeit ausgehen sollte, so fehle es aufgrund der deutlichen Unterschiede an einer Verletzungshandlung, da sich die angegriffene Marke in Farb- und Formgebung (markante Korsagenbindung, mittiges Herz) deutlich von der vorgelegten Schwarz/Weiß-Zeichnung unterscheide. Eine Kostenauferlegung auf einen der Beteiligten gem. § 63 Abs. 1 S. 1 MarkenG erfolge nicht, da Billigkeitsgründe für eine solche weder vorgetragen noch sonst ersichtlich seien.

14

Hiergegen wendet sich der Nichtigkeitsantragsteller mit seiner Beschwerde.

15

Zur Begründung trägt der Beschwerdeführer vor, er könne sich auf ein prioritätsälteres Urheberrecht berufen. Bei der Gestaltung des Beschwerdeführers handele es sich sehr wohl um eine persönliche geistige Schöpfung. Die bereits im Jahr 2015 entworfene bildliche Gestaltung sei aus der mit der Beschwerde vorgelegten Abbildung (Anlage BF 1) deutlich erkennbar:

16

Auf der Grundlage dieser Darstellung könne auch besser nachvollzogen werden, wie die Gestaltung mit Strass-Steinen ausgeführt werde. Die Ausführung der Applikation der Gestaltung auf Textilien, die seit 2015 fortlaufend erfolge, ergebe sich auch aus den nachfolgenden Beispielfotos:

           

17

Der Beschwerdeführer mache keinen abstrakten Motivschutz geltend, vielmehr verleihe die kreative Auswahl und Kombination der Bildelemente seiner Gestaltung eine hochgradig individuelle Prägung. Es handele sich um Engelsflügel, die mit einer Korsettschnürung in Kontrast stünden. Die Recherche des DPMA zeige lediglich die Verwendung von Flügeln, neu und schöpferisch sei jedoch die Kombination mit der Korsettschnürung, die dem Erotikbereich zugeordnet werde. Zudem verleihe die individuelle Ausführung der Gestaltung und insbesondere der Engelsflügel dieser die erforderliche Schöpfungshöhe:

18

– Die Flügel seien dadurch gekennzeichnet, dass sie jeweils vier Reihen Federn untereinander enthielten, wodurch die Ausführung der Federn lebendig und natürlich erscheine und der Kontrast zu dem durch gerade Linien gekennzeichneten Schnürmuster zwischen den Flügeln noch verstärkt werde.

19

– Die Schnürelemente seien durch quer verlaufende und sich x-förmig kreuzende gerade Linien als Darstellung der Bänder gekennzeichnet.

20

– Das Schnürmuster werde am unteren Ende durch die asymmetrische Ausführung einer Schleife aufgelockert, da die Schleife nur rechts über eine erkennbare Schlaufe sowie über ein längeres auslaufendes Band verfüge, was der Gestaltung eine lebendige und etwas verspielte Anmutung verleihe.

21

– Die Größenverhältnisse und die Positionierung von Flügeln und Korsettschnürung sei anatomisch jeweils stimmig, so dass die Gestaltung über eine natürliche Anmutung verfüge.

22

Die angefochtene Marke falle in den Schutzbereich des Urheberrechts des Antragstellers. Sie habe sämtliche prägenden Elemente der Ausgangsgestaltung sklavisch übernommen, nämlich

23

– die Auswahl der Bildelemente (Engelsflügel und Korsettschnürung),

24

– die Bildkomposition (Größenverhältnisse und Positionierung von Flügeln und Korsettschnürung),

25

– die wesentlichen Konturen der Flügel sowie der Federelemente,

26

– die Anzahl der Federreihen,

27

– die Darstellung der Schnürelemente in Form von quer und sich x-förmig kreuzenden Linien

28

– und die Platzierung und asymmetrische Ausführung der Schleife.

29

Die Unterschiede in der Ausführung seien demgegenüber marginal. Die Farben der angegriffenen Marke würden den Gesamteindruck ebenso wenig prägen wie das darüber platzierte und von vier Sternen eingerahmte Herz, das „als bloßer Dekor“ wahrgenommen werde. Die marginalen Unterschiede in der zeichnerischen Ausführung (sieben statt neun Korsettbänder, leichter Höhenversatz der Flügel, etwas rundlichere Ausführung der Federn) würden eher als „Übernahmefehler“ wahrgenommen denn als kreativer Überschuss. Der Beschwerdegegner bzw. die von ihm vertretene X … GmbH führe selbst im Verfahren vor dem Landgericht Hamburg aus, dass die sich gegenüberstehenden Zeichen einander in ihrem bildlichen Gesamteindruck hochgradig ähnlich seien und dass das Herz aufgrund seiner geringen Größe und seiner ubiquitären Verwendung auf dem Bekleidungssektor nicht geeignet sei, den Gesamteindruck maßgeblich zu beeinflussen. Der Beschwerdegegner trage daher im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren und im Verfahren vor dem Landgericht Hamburg widersprüchlich vor.

30

Der Beschwerdeführer und Nichtigkeitsantragsteller beantragt sinngemäß,

31

den Beschluss der Markenabteilung 3.4 vom 17. August 2021 aufzuheben, die Eintragung der Marke 30 2019 015 590 für nichtig zu erklären und deren Löschung anzuordnen.

32

Der Beschwerdegegner und Nichtigkeitsantragsgegner beantragt sinngemäß,

33

 die Beschwerde zurückzuweisen.

34

Der Beschwerdegegner trägt vor, dass die Kombination „Flügel mit Korsett“ ein gängiges, bereits vor dem 3. August 2015 benutztes und öffentlich zugänglich gemachtes Motiv sei. So seien bereits Anfang 2012 Textilien mit diesem „Flügel-mit-Korsett“-Motiv bedruckt worden.

35

Er ist der Ansicht, dass sich der Beschwerdeführer – auch unter Berücksichtigung der nachgereichten Darstellung in besserer Auflösung – nicht auf ein Urheberrecht mit älterem Zeitrang stützen könne, da keine persönliche geistige Schöpfung vorliege. Hierfür müssten die eigenschöpferischen Züge durch Vergleich mit dem vorbekannten Formengut ermittelt sowie anschließend geprüft werden, ob deren Gestaltungshöhe für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ausreiche. Da die Bildauswahl und die Kombination von Flügeln mit einer Korsettschnürung bereits als Bedruck von Textilien bekannt seien, beruhe die Verbindung von Engelsflügeln als Symbol für Reinheit und Unschuld mit einem primär der Erotikbranche zuzuordnenden Korsett gerade nicht auf einer Idee des Beschwerdeführers und es fehle insoweit an dessen persönlicher geistiger Schöpfung. Vielmehr sei die Darstellung von Engelsflügeln in der Erotikbranche ein wiederholt vorkommendes Element, da in dieser mit den aufgezeigten Gegensätzen seit Jahrzehnten gespielt werde (Verweis auf die Modenschauen von Victoria´s Secret mit Modeln in knappen Dessous und mit Flügeln). Die Idee „Flügel mit Korsett“ sei auch deshalb nicht dem Urheberrechtsschutz zugänglich, da dieses keinen abstrakten Ideenschutz kenne. Schließlich sei die konkrete Gestaltung weder individuell noch persönlich. Die nach der Ansicht des Beschwerdeführers durch die Anordnung in vier Reihen untereinander besonders „lebendig“ wirkenden Flügel würden – wenn überhaupt – allenfalls marginal von bekannten Gestaltungen abweichen. Ebenso habe der Beschwerdeführer bei der Darstellung der Korsettschnürung lediglich eine von wenigen Möglichkeiten gewählt, worin keine schöpferische Leistung zu sehen sei, da eine Schnürung – praxisnah – entweder gerade oder x-förmig oder eben in alternierender Form vorgenommen werde. Auch die abschließende Schleife weise lediglich minimale Unterschiede zu Vorbekanntem auf und die Darstellung aus Strass-Steinen sei eine übliche und vielfach genutzte Gestaltungsform als Besatz auf Kleidungsstücken. Insgesamt fehle es daher an einem urheberrechtlich geschützten Werk.

36

Selbst wenn von einem Urheberrecht des Beschwerdeführers ausgegangen würde, so wäre dessen Schutzbereich so eng, dass durch die zusätzlichen Elemente der angegriffenen Bildmarke ein ausreichender Abstand geschaffen worden sei und kein Eingriff vorliege. Insbesondere verleihe das Herz der Gestaltung des Beschwerdegegners einen besonderen Ausdruck, zudem sei die jeweilige Farbgestaltung unterschiedlich. Die Flügelgestaltung des Beschwerdeführers sei geschwungener als die des Beschwerdegegners. Die Federn seien bei der angegriffenen Marke länger, die Federspitzen schärfer konturiert, die Federreihen seien deutlicher abgesetzt, der Abstand der Flügel enger. Bei der angegriffenen Marke seien – anders als bei der Gestaltung des Beschwerdeführers – die Ösen der Schnürung klar am Rand erkennbar. Nach dem eigenen Maßstab des Beschwerdeführers müsse daher auch in der angegriffenen Marke eine eigene schöpferische Leistung gesehen werden.

37

Auf den Hinweis des Senats vom 19. März 2024, in dem der Senat seine vorläufige Einschätzung mitgeteilt und dem Beschwerdegegner u. a. Gelegenheit gegeben hat, weiter zum vorbekannten Formenschatz vorzutragen, hat dieser als Anlage AG 1 zwei Screenshots von Pinterest mit den Zeitangaben „Jan 26, 2012“ und „Mar 19, 2015“ vorgelegt, die die nachfolgenden Gestaltungen zeigen und seinem Vortrag nach zu den vorgenannten Daten (26. Januar 2012 und 19. März 2015) bereits abrufbar gewesen seien.

38

Die Gestaltung des Beschwerdeführers stelle lediglich eine marginale, banale Abweichung von diesem vorbekannten Formenschatz dar. Jedenfalls sei der Abstand, den die angegriffene Marke zur vermeintlichen Schöpfung des Beschwerdeführers wahre, deutlich größer als der Abstand der vermeintlichen Schöpfung des Beschwerdeführers zum vorbekannten Formenschatz. Für die Entstehungsvoraussetzungen eines vermeintlichen – vorliegend nicht gegebenen – Urheberrechtsschutzes sei im Übrigen nach allgemeinen Beweislastregeln der Beschwerdeführer darlegungs- und beweispflichtig. Dies betreffe nicht nur den subjektiven Schöpfungswillen, sondern insbesondere auch den objektiven Formenschatz im Zeitpunkt der angeblichen Schöpfung.

39

Der Beschwerdeführer hat hierauf repliziert, dass sich aus der vorgelegten Anlage AG 1 nicht ausreichend deutlich ergebe, dass die Pinterest-Postings tatsächlich von den angegebenen Daten stammen würden. Vor allem aber würden bei den angeblich älteren Mustern gerade die für das Werk des Beschwerdeführers charakteristischen eigenschöpferischen Komponenten fehlen. Insbesondere die Darstellung der Schnürung weiche „krass“ vom früheren Formenschatz ab, da die – in der angegriffenen Marke übernommene – Darstellung der Schnürung im Werk des Beschwerdeführers aufgrund der Größe der Schnürung und der quer verlaufenden Schnüre im Verhältnis zu den Flügeln viel dominanter wirke sowie dichter und massiver erscheine als bei den Darstellungen der Anlage AG 1. Sowohl die Bildkomposition als auch die Darstellung der Schnürelemente sowie die wesentlichen Konturen der Flügel und der Federelemente hätten keine Entsprechung im angeblich zu berücksichtigenden Formenschatz.

40

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den am 19. März 2024 versandten Hinweis des Senats und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

41

Die zulässige, insbesondere gem. § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 MarkenG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss der Markenabteilung 3.4 vom 17. August 2021 ist auch in der Sache erfolgreich. Der angegriffenen Marke steht gem. §§ 51, 13 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG das Urheberrecht des Beschwerdeführers an der zeichnerischen Darstellung zweier Engelsflügel mit Korsettschnürung zur Umsetzung mit Strass-Steinen auf Kleidung, wie sie aus der Anlage BF 1 ersichtlich ist (Bl. 31 f. d. A., Abbildungen s. o. im Tatbestand), entgegen. Die Eintragung der angegriffenen Marke war daher gemäß §§ 51, 53 MarkenG für nichtig zu erklären, die Löschung der Marke war anzuordnen und der Beschluss der Markenabteilung 3.4 vom 17. August 2021 aufzuheben.

42

A. Die angegriffene Marke wurde im Laufe des Beschwerdeverfahrens vom Beschwerdegegner auf die X … GmbH umgeschrieben. Das vorliegende Beschwerdeverfahren war jedoch zwischen den bisherigen Beteiligten fortzuführen. Die Rechtsnachfolgerin ist dem Verfahren weder gem. § 53 Abs. 7 MarkenG i. V. m. §§ 66 ff. ZPO entsprechend den zivilprozessualen Vorschriften über die Nebenintervention beigetreten, noch hat sie erklärt, das Verfahren zu übernehmen. Daher bedarf es vorliegend auch nicht der Entscheidung, ob die Regelung des § 28 Abs. 2 S. 3 MarkenG zur Übernahme des Verfahrens durch den Rechtsnachfolger ohne Zustimmung der übrigen Verfahrensbeteiligten neben § 53 Abs. 7 MarkenG überhaupt anwendbar ist, oder ob es sich bei § 53 Abs. 7 MarkenG hinsichtlich des Nichtigkeitsverfahren um eine lex specialis handelt (vgl. Miosga in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl. 2024, § 53 Rn. 90).

43

B. Auf den gem. § 53 Abs. 1 i. V. m. § 51 MarkenG zulässigen Antrag des Beschwerdeführers auf Erklärung der Nichtigkeit wegen älterer Rechte sowie den rechtzeitigen Widerspruch des damaligen Markeninhabers und Beschwerdegegners gem. § 53 Abs. 4, Abs. 5 MarkenG war das – mit der

44

Neufassung von § 53 MarkenG zum 1. Mai 2020 eingeführte – amtliche Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte durch die Markenabteilung durchzuführen.

45

Der am 17. September 2020 beim DPMA eingegangene Antrag ist zulässig, insbesondere hat der Beschwerdeführer das geltend gemachte Recht ausreichend konkret bezeichnet. Er hat dieses beschrieben und in der Antragsbegründung ausgeführt, das Motiv zeichne sich durch zwei Flügel, jeweils besetzt mit Strass-Steinen, aus, welche ähnlich einer Korsage miteinander verbunden seien, und er hat mit dem Antrag eine Abbildung der Zeichnung beigefügt, wenn auch in schlechter Qualität. Seinen Antrag hat er demgegenüber nicht auf die weitere Abbildung eines Kleidungsstücks mit Flügeln ohne Korsettschnürung gestützt, wie die Markenabteilung im angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat.

46

C. Der Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit ist begründet und die Eintragung der angegriffenen Marke ist gem. § 51 i. V. m. § 53 Abs. 1 MarkenG für nichtig zu erklären und zu löschen, weil dieser ein Recht mit älterem Zeitrang, nämlich das verfahrensgegenständliche Urheberrecht des Beschwerdeführers aus dem Jahr 2015, entgegensteht, aufgrund dessen dem Beschwerdeführer – bei unterstellter Benutzung der angegriffenen Marke – ein bundesweit gültiger Unterlassungsan-spruch gegen den Beschwerdegegner zusteht, §§ 13 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 MarkenG i. V. m. § 97 Abs. 1 UrhG.

47

Diese Voraussetzungen sind sowohl für den Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke als auch für den Entscheidungszeitpunkt zu bejahen (zu den maßgeblichen Zeitpunkten vgl. Kopacek/Schödel in BeckOK Markenrecht, 38. Edition, Stand: 01.07.2024, § 51 Rn. 5 u. 11).

48

I. Die Gestaltung, auf die der Beschwerdeführer seinen Nichtigkeitsantrag stützt, ist urheberrechtlich schutzfähig.

49

1. Der Prüfung der Schutzfähigkeit werden die mit der Beschwerdebegründung vorgelegten (Licht-) Bilder zugrunde gelegt. Da das geltend gemachte Urheberrecht mit dem Nichtigkeitsantrag ausreichend konkret bezeichnet und individualisiert war, handelt es sich bei der Nachreichung besser erkennbarer Bilder, nämlich der Zeichnung sowie der beiden Lichtbilder von Kleidungsstücken, lediglich um eine Konkretisierung des Vortrags im laufenden Verfahren und nicht um die Einführung weiterer Rechte, so dass sich auch die Frage der Änderung bzw. Erweiterung des Streitgegenstands nicht stellt.

50

2. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst sowie Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen darstellen. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann. Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (vgl. BGH GRUR 2023, 571 Rn. 13 – Vitrinenleuchte; GRUR 2022, 899 Rn. 28 – Porsche 911 m. w. N).

51

In der Sache entsprechen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (vgl. BGH GRUR 2023, 571 Rn. 14 – Vitrinenleuchte; GRUR 2022, 899 Rn. 29 – Porsche 911 m. w. N). Dabei handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden ist (vgl. EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 33 – [Levola Hengelo BV/Smilde Foods BV]Levola/Smilde; GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – [Cofemel – Sociedade de Vestuário SA/G-Star Raw CV]Cofemel/G-Star). Für die Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 30 f. – Cofemel/G-Star). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH a. a. O. Rn. 29 – Cofemel/G-Star; BGH a. a. O. – Vitrinenleuchte). Hiermit steht im Einklang, dass bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (vgl. BGH a. a. O. Rn. 15 – Vitrinenleuchte; GRUR 2014, 175 Rn. 26 – Geburtstagszug). Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist lediglich der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt. Eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe führt zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werks (BGH a. a. O. Rn. 41 – Geburtstagszug m. w. N).

52

3. Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend die Schutzfähigkeit des geltend gemachten älteren Rechts zu bejahen. Die verfahrensgegenständliche zeichnerische Darstellung zweier Engelsflügel mit Korsettschnürung zur Umsetzung mit Strass-Steinen auf Kleidung, die der Beschwerdeführer nach seinem unbestrittenen Vortrag bereits im Jahr 2015 entworfen hat, genießt Schutz als Werk der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.

53

Die Schutzfähigkeit kommt dabei nicht der zugrundeliegenden Idee, eine Korsage mit Engelsflügeln zu kombinieren, als solche zu. Urheberrechtlichen Schutz genießen nicht die Ideen, sondern stets nur deren Umsetzungen, also die konkreten Gestaltungen, in denen eine Idee ihren Niederschlag gefunden hat.

54

a) Mit der Beschwerdebegründung wurde eine Zeichnung vorgelegt, die Strass-Steine erkennen lässt, sowie zwei Lichtbilder von Kleidungsstücken, die das mit Strass-Steinen applizierte Motiv zeigen. Es handelt sich daher bei dem zeichnerischen Entwurf sowie seiner Umsetzung um ein – geltend gemachtes – Werk aus dem Bereich der angewandten Kunst. Anders als bei der Formgestaltung eines Gebrauchsgegenstands ist die Ausgestaltung einer Applikation auf einem Kleidungsstück jedoch nicht per se durch die Funktion des Gegenstands – also der Kleidung – vorgegeben. Vielmehr handelt es sich um ein rein dekoratives Motiv, bei dem der Gestaltungsspielraum allenfalls in geringem Maße eingeschränkt ist, da lediglich durch die Verwendung von Strass-Steinen bzw. die Größe und Form des Kleidungsstücks gewisse (Größen-)Vorgaben zu berücksichtigen sind. Die Gestaltung wurde daher insgesamt nicht durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben.

55

Im Hinblick auf den deutlichen Gestaltungsspielraum kommt es im vorliegenden Verfahren nicht auf die Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren USM Haller an (vgl. BGH GRUR 2024, 132 – USM Haller, EuGH-Vorlage zum urheberrechtlichen Werkbegriff u. a. mit der Vorlagefrage, ob bei Werken der angewandten Kunst zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dergestalt bestehe, dass bei der urheberrechtlichen Prüfung der Originalität dieser Werke höhere Anforderungen an die freien kreativen Entscheidungen des Schöpfers zu stellen sind als bei anderen Werkarten.).

56

b) Die zeichnerische Darstellung zweier Engelsflügel mit Korsettschnürung zur Umsetzung mit Strass-Steinen auf Kleidung orientiert sich des Weiteren nicht nur an Vorgegebenem. Sie erreicht vielmehr eine Gestaltungshöhe, die urheberrechtlichen Schutz rechtfertigt.

57

Die vorliegende Gestaltung zeichnet sich aus durch

58

– die Darstellung von zwei vertikal angeordneten, spiegelbildlich verlaufenden Flügeln, bei denen jeweils vier Reihen von sich überlappenden Federn erkennbar sind, wobei die letzte Reihe länger ausgestaltet ist als die vorhergehenden,

59

– einen oben geschwungenen Rand der Flügel, der jeweils einen „Wulst“ zur Innenseite aufweist, sowie eine nach unten schmaler werdende Form der Flügel,

60

– eine unterhalb der vorgenannten Wülste beginnende Verbindung der Flügel durch eine Korsettschnürung, die von ihrer Größe her ungefähr das mittlere Drittel des Motivs ausmacht, nach unten etwas breiter wird und so ausgestaltet ist, dass die jeweils x-förmige Schnürung durch zwei horizontal verlaufende gerade Linien „eingerahmt“ ist,

61

– und ein unteres Ende der Korsettschnürung mit einer asymmetrischen Schleife, deren Enden rechts länger herabhängen als links.

62

Der Gesamteindruck der Gestaltung und deren Eigenpersönlichkeit beruhen dabei vor allem auf

63

– der Gesamtkomposition mit der konkreten Anordnung und Größe der Schnürung im Verhältnis zu den Flügeln und insbesondere dem Kontrast zwischen bewegten und starren Elementen, nämlich den schwungvoll wirkenden Flügeln mit Federn einerseits und der geraden/geometrischen Ausführung der Korsettschnüre andererseits (mit Ausnahme der wiederum verspielt wirkenden Schleife),

64

– sowie der besonderen Art der dargestellten Korsettschnürung mit Kreuzen und Linien.

65

In dieser kontrastreichen Gestaltung mit auffälliger Schnürung des Korsetts kommt eine künstlerische Leistung zum Ausdruck.

66

c) Diese Ausführung des Motivs hebt sich auch ausreichend deutlich vom vorbekannten Formenschatz ab, wie er vom Senat festgestellt werden konnte bzw. vom Beschwerdegegner in das Verfahren eingeführt wurde.

67

aa) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners ist keine Darlegungs- und Beweislast des Beschwerdeführers hinsichtlich des vorbekannten Formenschatzes anzunehmen. Dabei bedarf es nicht der Entscheidung, ob vorliegend von der grundsätzlichen Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes mit (weitreichenden) Darlegungs- und Mitwirkungspflichten der Beteiligten auszugehen ist oder der Beibringungsgrundsatz gilt. In jedem Fall ist es nicht Sache des Beschwerdeführers, im Einzelnen zum vorbekannten Formenschatz vorzutragen.

68

(1) Ob für das Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte gem. § 59 Abs. 1 MarkenG vom Grundsatz der Amtsermittlung auszugehen ist, ist in der Kommentarliteratur umstritten (vgl. Miosga in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 14. Aufl. 2024, § 53 Rn. 60 m. w. N.: mangels gesetzlicher Spezialregelung ist von der Geltung der allgemeinen Regelung des § 59 Abs. 1 MarkenG auszugehen; a. A. Bröcker in Ingerl/Rohnke/Nordemann, MarkenG, 4. Aufl. 2023, § 53 Rn. 29 mit der Begründung, dass mit dem Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte Partikularinteressen verfolgt würden). Auch bei Zugrundelegung des Amtsermittlungsgrundsatzes können Mitwirkungspflichten der Beteiligten bestehen. Diese müssen alleine in ihrer Sphäre liegende Tatsachen vortragen und beweisen, wodurch auch bei Anwendung von § 59 Abs. 1 MarkenG für das – kontradiktorisch ausgestaltete – Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte eine starke Annäherung an den Beibringungsgrundsatz resultieren kann. Im Nichtigkeitsverfahren ist der Antragsteller daher in jedem Fall für die seinen Vortrag stützenden tatsächlichen Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig, die einer Ermittlung von Amts wegen nicht zugänglich sind (vgl. Miosga in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 53 Rn. 61).

69

(2) Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer auf ein nicht registriertes älteres Recht beruft. Für diesen Fall wird auch bei Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes (beispielsweise im Widerspruchsverfahren) von einer Darlegungs- und Mitwirkungspflicht – und ggf. Feststellungslast – des dieses Recht geltend machenden Beteiligten (z. B. des Widersprechenden) hinsichtlich des Bestehens und des Zeitrangs des älteren Rechts sowie der Inhaberschaft angenommen (vgl. Miosga in Ströbele/Hacker/Thiering a. a. O. § 42 Rn. 68 und § 53 Rn. 61). Den hiesigen Beschwerdeführer trifft daher in jedem Fall, auch bei Zugrundelegung des Amtsermittlungsgrundsatzes, eine Darlegungslast hinsichtlich der Entstehung dieses Schutzrechts. Eine solche Darlegungslast kann im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte jedoch nicht weiter reichen als bei zivilrechtlichen Urheberrechtsstreitigkeiten. In diesen Streitigkeiten vor den Verletzungsgerichten muss nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die Schutzfähigkeit eines Werks darlegen und beweisen, der sich auf ein bestehendes Urheberrecht beruft. Dies kann üblicherweise regelmäßig durch die Vorlage des Werks erfolgen; falls das Werk nicht von vorneherein die urheberrechtlich relevante Leistung erkennen lässt, müssen die für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit maßgeblichen Gestaltungsmerkmale konkret dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden (vgl. BGH a. a. O. Rn. 18 – Vitrinenleuchte; Schulze in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 7. Aufl. 2022, § 2 Rn. 70 f.). Demgegenüber muss ebenfalls nach allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der behauptet, eine Formgestaltung beruhe auf dem vorbekannten Formenschatz, dies konkret vortragen und gegebenenfalls beweisen (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, a. a. O. § 2 Rn. 73). Dieses Wechselspiel der jeweiligen Darlegungslasten nach allgemeinen Grundsätzen ist auch bei der Bestimmung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten im Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte zu beachten.

70

Der Beschwerdeführer ist seiner Darlegungslast vorliegend ausreichend nachgekommen, indem er im Beschwerdeverfahren sowohl Abbildungen des Werks vorgelegt hat als auch im Einzelnen zu den für den Gesamteindruck maßgeblichen Gestaltungselementen vorgetragen und nicht zuletzt ausgeführt hat, inwieweit die Gestaltung seiner Auffassung nach die erforderliche Schöpfungshöhe erreiche.

71

bb) Die Gestaltung hebt sich ausreichend vom vorbekannten Formenschatz ab.

72

Der Senat hat, ebenso wie das DPMA und unter Zugrundlegung einer grundsätzlichen Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes, eigene Recherchen zum vorbekannten Formenschatz durchgeführt und die Rechercheergebnisse den Beteiligten im Rahmen eines Hinweises zur Kenntnis gebracht. Daneben sind die beiden vom Beschwerdegegner im Beschwerdeverfahren eingereichten Abbildungen von mit Engelsflügeln und Korsettschnüren bedruckten Bekleidungsstücken in die Prüfung einzubeziehen.

73

Das Motiv von Engelsflügeln wurde als solches, also ohne Korsettschnürung, bereits vor 2015 und damit vor dem geltend gemachten Zeitpunkt der Entstehung des älteren Rechts auf Kleidungsstücken verwendet. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Markenabteilung hat im angegriffenen Beschluss insoweit festgestellt, dass die Darstellung zweier Flügel grundsätzlich ein sehr gängiges Motiv und auch auf dem hier maßgeblichen Textilsektor sehr beliebt sei, und hat dem Beschluss Ausdrucke von Google-Trefferlisten mit Abbildungen von Engelsflügeln auf Textilien als – zu dem Zeitpunkt – aktuelle Recherchebelege beigefügt. Feststellungen zur Kombination von Engelsflügeln mit einer Korsage hat das DPMA unter Zugrundelegung des Akteninhalts nicht treffen können.

74

Die Recherche des Senats hat ergeben, dass in allgemein zugänglichen öffentlichen Quellen (Internet, z. B. google-Suche oder Suche auf Amazon oder Etsy) zwar das Motiv von Flügeln ohne Korsettschnürung auf Kleidung wie T-Shirts oder Hoodies für den Recherchezeitpunkt ohne Weiteres festgestellt werden konnte (vgl. Anlagenkonvolut 1 zum Hinweis des Senats vom 19. März 2024, Bl. 81 ff. d. A., Suche mit den Stichworten „Engelsflügel“, „Engelsflügel mit Korsett“, „Engelsflügel mit Corsage-Schnürung“ etc.). Auch wenn nach dem Vortrag des Beschwerdegegners die Kombination von Flügeln mit einem Korsett als solche bereits bekannt war, beispielsweise aus dem Erotikbereich, so konnten konkrete vorbekannte Gestaltungen dieser Kombination vom Senat jedoch nicht festgestellt werden (vgl. Anlagenkonvolute 1 und 2, Bl. 81 ff. d. A.). Der Senat konnte Verwendungen des Motivs von Engelsflügeln mit einer solchen Korsettschnürung auf Kleidung für die Zeit vor 2015 überhaupt nicht recherchieren, sondern lediglich das Motiv von Engelsflügeln ohne Korsage auf T-Shirts aus den Jahren 2013 und 2016 sowie einen bereits 2016 angebotenen Wandbehang, der die Rückansicht einer Figur mit Flügeln einer Korsage-Bindung zeigt, die jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung von dem Werk des Beschwerdeführers ganz erheblich abweicht (vgl. Anlagenkonvolut 2, Bl. 92 ff. d. A.).

75

Auf den Hinweis des Senats hat der Beschwerdegegner, den hinsichtlich des vorbekannten Formenschatzes bei Annahme des Beibringungsgrundsatzes eine Darlegungslast bzw. bei Zugrundelegung des Amtsermittlungsgrundsatzes entsprechende Mitwirkungspflichten treffen und dem der Senat insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, zwei seinem Vortrag nach vorbekannte Verwendungen vorgelegt:

76

Von diesen hebt sich die Gestaltung des Beschwerdeführers erheblich ab. Dies gilt zunächst für den Motivaufdruck auf dem weißen T-Shirt (Abbildung oben rechts), von dem sich die verfahrensgegenständliche Gestaltung des Beschwerdeführers bereits aufgrund der Gesamtkomposition ganz deutlich unterscheidet. Die Umrissgestaltung der Darstellung auf weißem Grund ist deutlich geschwungener mit oben rund auslaufenden Flügeln, die im Zusammenspiel mit der nach unten spitz zulaufenden Korsage-Schnürung innerhalb des Motivs die Form eines Herzens erkennen lassen. All dies findet in der Gestaltung des Beschwerdeführers keinerlei Entsprechung:

77

Aber auch von dem Motiv auf dem schwarzen Langarm-Shirt (Abbildung oben links) weicht die Gestaltung des Beschwerdeführers nicht nur in einer Vielzahl von Details (z.B. Schleifenbänder unterschiedlich lang statt gleich lang, längere Reihen der Federn), sondern vor allem in der Gesamtkomposition deutlich ab. Die nach dem Vortrag des Beschwerdegegners vorbekannte Gestaltung ist insgesamt schmaler und länglicher, die des Beschwerdeführers kompakter. Die Korsage-Bindungen sind unterschiedlich positioniert und unterschiedlich breit. Bei dem vorbekannten Motiv ist die pinkfarbene Schnürung schmal und im oberen Bereich der Flügel angebracht, mit denen sie nach oben hin einen (halb-)runden Abschluss bildet, während die breite Ausführung der Schnürung beim Beschwerdeführer in der Mitte des Motivs liegt und durch die Position und die konkrete Ausgestaltung massiver und geradezu dominierend wirkt.

78

Zudem ist die Art, wie die Schnürung in der Gestaltung des Beschwerdeführers dargestellt wurde, nämlich mit parallelen und überkreuzten Bändern und der zweifachen Nutzung des jeweiligen Schnürlochs, auffällig und hebt sich von vorbekannten Gestaltungen deutlich ab. So hat der Senat bei seiner Recherche konstatiert, dass es zwar verschiedene Möglichkeiten gibt, ein Korsett, Schnürschuhe oder Ähnliches zu binden (vgl. Anlagenkonvolut 3, Bl. 96 ff. d. A.), Darstellungen der vorliegend abgebildeten Art der Schnürung fanden sich jedoch nicht auf Anhieb. Diese taucht weder bei der Klassifikation sogenannter „Schnürfamilien“ auf (vgl. Bl. 102 d. A.) noch bei Vorschlägen für originelle Schnürtechniken bei Schuhen (vgl. Bl. 106 ff. d. A.). Neben der kontrastreichen Kombination der schwungvollen, lebendig wirkenden Flügel/Federn mit der starren geometrischen Ausführung der Korsettschnürung ist auch die Ausführung der Schnürung als solche etwas Besonderes und bestimmt den Gesamteindruck wesentlich mit. Klassischerweise sind Schnürungen entweder gerade oder über Kreuz, daneben gibt es auch kreative Möglichkeiten für die Schnürung eines Korsetts oder von Schuhen. Die Schnürung, wie sie vorliegend dargestellt ist, ist jedoch in der Praxis nur schwer ausführbar, weil man jedes Loch doppelt nutzen müsste, einmal für das Kreuz und einmal für die waagerechte Führung der Schnur. Dementsprechend findet sich diese spezielle Form der Korsettschnürung auch im Rahmen zeichnerischer Darstellungen nicht als Teil des vorbekannten Formenschatzes (vgl. Anlagenkonvolut 3, Bl. 96 ff. d. A.).

79

d) Die vorliegende zeichnerische Darstellung von Engelsflügeln mit Korsettschnürung zur Umsetzung mit Strass-Steinen auf Kleidung stellt somit eine eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers dar, die sich deutlich vom vorbekannten Formenschatz abhebt und – auch im Hinblick auf den Schutz der sog. „kleinen Münze“ – urheberrechtlichen Schutz genießt. Der Schutzbereich ist aufgrund der vorbekannten Verwendungen von Engelsflügeln in unterschiedlicher Ausführung auf Kleidung allerdings gering und wird maßgeblich bestimmt durch die besondere Art der Korsettschnürung sowie die Gesamtkomposition, insbesondere den Kontrast zwischen der „geometrisch“ anmutenden Schnürung einerseits und der schwungvollen Darstellung der Flügel/Federn andererseits.

80

II. Der Beschwerdeführer ist als Inhaber des geltend gemachten Urheberrechts aktivlegitimiert, § 53 Abs. 3 MarkenG.

81

Die Inhaberschaft des Beschwerdeführers wurde ebenso wenig bestritten wie der Zeitpunkt der Entstehung des behaupteten älteren Rechts, so dass die Einvernahme der in der Antragsschrift insoweit angebotenen Zeugen entbehrlich ist.

82

III. Eine (unterstellte) markenmäßige Benutzung der angegriffenen Marke würde eine Verletzung dieses älteren Urheberrechts darstellen und einen (hypothetischen) Unterlassungsanspruch des Beschwerdeführers begründen, so dass dieser berechtigt wäre, die Benutzung der eingetragenen Marke im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu untersagen, § 13 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG. Denn bei der angegriffenen Marke handelt es sich um eine unfreie Bearbeitung und nicht um eine freie Benutzung des urheberrechtlich geschützten Werks des Beschwerdeführers gem. § 24 Abs. 1 UrhG a. F.

83

1. § 23 UrhG wurde geändert und § 24 UrhG aufgehoben mit Wirkung zum 7. Juni 2021 durch Gesetz vom 31. Mai 2021 (BGBl. I S. 1204). Die bis dahin in § 24 UrhG a. F. geregelte sog. „freie Bearbeitung“ ist nunmehr als Schutzbereichsbegrenzung in § 23 Abs. 1 S. 2 UrhG geregelt. Für die Frage der Anwendbarkeit dieser Vorschriften in ihrer alten bzw. neuen Fassung ist maßgeblich auf den Kollisionszeitpunkt abzustellen, also den Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke am 29. Juni 2019, so dass vorliegend §§ 23, 24 UrhG in ihrer alten Fassung anwendbar sind (vgl. OLG München, Urteil vom 25.11.2021, 29 U 5825/20, ZUM-RD 2023, 213 Rn. 34 – The real Badman & Robben; s. auch Thiering in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 51 Rn. 47 zum relevanten Zeitpunkt für die Voraussetzungen der Verwechslungsgefahr bei einem Antrag auf Nichtigkeit wegen einer älteren Marke).

84

2. Eine Verletzung des Urheberrechts gem. § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG (alte und neue Fassung), nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts i. S. v. § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gem. § 15 UrhG sich – bis zu einer gewissen Grenze – auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (vgl. BGH a. a. O. Rn. 27 – Vitrinenleuchte; a. a. O. Rn. 55 – Porsche 911 m. w. N). Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung i. S. d. § 16 UrhG darstellt. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG und keine Vervielfältigung i. S. d. § 16 UrhG, sondern ein selbstständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 24 UrhG a. F./§ 23 Abs. 1 S. 2 UrhG n. F. ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH a. a. O. Rn. 28 – Vitrinenleuchte; a. a. O. Rn. 56 – Porsche 911 m. w. N.). Bei der Frage, ob in freier Benutzung eines geschützten älteren Werkes ein selbstständiges neues Werk geschaffen worden ist, kommt es somit entscheidend auf den Abstand an, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält. Die Voraussetzung einer freien Benutzung, dass angesichts der Eigenart des neuen Werkes die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen, ist in der Regel erfüllt, wenn die dem geschützten älteren Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge im neuen Werk zurücktreten, so dass die Benutzung des älteren Werkes durch das neuere nur noch als Anregung zu einem neuen, selbstständigen Werkschaffen erscheint (vgl. BGH, GRUR 2011, 134 Rn. 11 – Perlentaucher; OLG München a. a. O. Rn. 35 – The real Badman & Robben).

85

3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann nicht von einer freien Bearbeitung ausgegangen werden, da nach der erforderlichen Gesamtschau die eigenschöpferischen Züge des älteren Werks in der angegriffenen Marke in erheblichem Umfang übernommen worden sind und die Abweichungen in der angegriffenen Marke nicht aus dem Schutzbereich des älteren Rechts herausführen.

86

Zwar weicht die Gestaltung der angegriffenen Marke in mehreren Punkten von der älteren Gestaltung ab, wie aus der nachfolgenden Gegenüberstellung ersichtlich:

87

Die angegriffene Marke weicht von der älteren Gestaltung ab hinsichtlich

88

– der Verwendung des rot schattierten Hintergrunds in Form einer quadratischen Umrahmung,

89

– der Hinzufügung von einem Herz und vier Sternen, wobei sich das Herz in den oberen Bereich zwischen den Flügeln symmetrisch und stimmig einfügt,

90

– der ein wenig schmaleren, geraderen und länglicheren Gestaltung der Flügel, die im oberen Bereich etwas weniger „wulstig“ wirken und am unteren Ende spitzer zulaufen, voneinander einen geringeren Abstand aufweisen und deren Federn besser erkennbar sind,

91

– der leicht abgewandelten Darstellung der Korsettschnürung (nämlich der besseren Sichtbarkeit der Ösen, der geringeren Anzahl von Reihen und der etwas längeren Schleife).

92

Demgegenüber wurde eine Vielzahl von Elementen übernommen, insbesondere wurden die groben Proportionen und der Umriss der Gesamtgestaltung im Wesentlichen übernommen, zudem die Art der Darstellung und Reihung der Federn und die Art der Korsettschnürung mit überkreuzten und waagerecht verlaufenden Bändern bis hin zur asymmetrische Schleife am unteren Ende.

93

Beim Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, bei dem nicht nur auf die Unterschiede, sondern insbesondere auch auf die Gemeinsamkeiten der Gestaltungen abzustellen ist (vgl. BGH a. a. O. Rn. 32 – Vitrinenleuchte), ist festzuhalten, dass nicht nur eine Vielzahl von Elementen übernommen wurde, sondern gerade auch die eigenpersönlichen Züge des älteren Werks, nämlich die ungefähren Größenverhältnisse, die kontrastreiche Darstellung der schwungvoll wirkenden Flügel einerseits und der geraden/geometrischen Ausführung der Korsettschnüre andererseits (mit Ausnahme der wiederum verspielt wirkenden Schleife) sowie die auffällige Art der Korsettschnürung mit Kreuzen und Linien. Die festgestellten Abweichungen sind demgegenüber nicht so wesentlich, dass sie aus dem – wenn auch geringen – Schutzbereich des älteren Rechts herausführen.

94

Der Gesamteindruck der neuen Gestaltung weicht daher vom Gesamteindruck des älteren Werks keinesfalls dergestalt ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen würden, also nicht mehr wiederzuerkennen wären (vgl. BGH GRUR 2022, 899 Rn. 58 – Porsche 911 m. w. N.). Vielmehr ist aufgrund der den Gesamteindruck beider Gestaltungen wesentlich bestimmenden und in der angegriffenen Marke übernommenen eigenpersönlichen Züge eine Verletzung des Urheberrechts des Beschwerdeführers anzunehmen, so dass diesem ein – bei unterstellter Benutzung auch bundesweiter – Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG zusteht und die Eintragung der angegriffenen Marke gem. §§ 51, 53 MarkenG für nichtig zu erklären und die Löschung der Marke anzuordnen war.

95

D. Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen besteht kein Anlass.

96

I. § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG geht von dem Grundsatz aus, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Die Kosten können gem. § 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG ausnahmsweise einem der Beteiligten auferlegt werden, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dies kann bei Vorliegen besonderer Umstände, beispielsweise bei der Verletzung prozessualer Sorgfaltspflichten, angenommen werden (vgl. Meiser in Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 14. Auflage 2024, § 71 MarkenG, Rn. 13; st. Rspr., vgl. z. B. BPatG, Beschluss vom 19.07.2021, 26 W (pat) 567/18 – Crystal Smoke/Cristal m. w. N.).

97

II. Vorliegend sind derartige besondere Umstände nicht ersichtlich. Nicht ausreichend ist insoweit das Obsiegen des Beschwerdeführers sowie die Tatsache, dass der Nichtigkeitsantrag wohl eine Reaktion auf die Verletzungsklage des Beschwerdegegners vor dem Landgericht Hamburg darstellt, da dies, also die Antragstellung im Hinblick auf anderweitige Streitigkeiten zwischen den Beteiligten, keine ungewöhnliche Konstellation in Nichtigkeitsverfahren allgemein darstellt (a. A. Albrecht/Hoffmann, Die neuen amtlichen Markenlöschungsverfahren, MarkenR 2020, 1).

98

III. Zwar bestehen Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG mit Art.14 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens wegen älterer Rechte (s. u. Ziff. E. II.). Selbst wenn diese Regelung mit Art. 14 der Durchsetzungsrichtlinie nicht vereinbar sein sollte, bleibt jedoch trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist angesichts des klaren Wortlauts der nationalen Vorschrift sowie der Tatsache, dass es sich nicht um eine ausschließlich begünstigende Regelung handelt, für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie kein Raum. Der Senat hat daher die Kostenentscheidung auf der Basis der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 MarkenG getroffen.

99

Von einer Vorlage des Verfahrens an den EuGH sieht der Senat ab, lässt aber die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu. Auch wenn eine Kostenentscheidung nicht isoliert anfechtbar ist gem. §§ 82 Abs. 2 MarkenG, 91 Abs. 1 ZPO, so kann sie doch überprüft werden, wenn Rechtsbeschwerde in der Hauptsache eingelegt wird (vgl. Koch in BeckOK Markenrecht, a. a. O. § 83 Rn. 14).

100

E. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 83 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 MarkenG zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist.

101

I. Die vorliegende Entscheidung betrifft das neue amtliche Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte, zu dem bislang keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen ist. In Bezug auf dieses Verfahren stellt sich u. a. die Frage der Geltung des Amtsermittlungs- oder Beibringungsgrundsatzes.

102

II. Zudem ist fraglich, ob die Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG – gerade auch im Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte – mit dem Unionsrecht, nämlich mit Art.14 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG, vereinbar ist.

103

1. Art. 14 der RL 2004/48/EG (Enforcement- bzw. Durchsetzungsrichtlinie) normiert eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. Die Richtlinie sieht damit eine grundsätzliche Verteilung der Kosten nach dem Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien vor, sofern nicht eine andere Kostenregelung der Billigkeit entspricht.

104

Damit enthalten § 71 Abs. 1 MarkenG und Art. 14 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG einander widersprechende Zweifelsregelungen.

105

2. Die Durchsetzungsrichtlinie ist auch auf gewerbliche Schutzrechte und damit im Markenrecht anwendbar. Die Richtlinie betrifft nach ihrem Art. 1 S. 1 die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Art. 1 S. 2 RL 2004/48/EG stellt ausdrücklich klar, dass der Begriff „Rechte des geistigen Eigentums“ im Sinne der Richtlinie auch die gewerblichen Schutzrechte umfasst.

106

3. Inwieweit § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wird in den Beschlüssen des Bundespatentgerichts und in der Kommentarliteratur regelmäßig nicht oder nur am Rande diskutiert (vgl. kurze Darstellung der Problematik bei Albrecht in BeckOK Markenrecht, 38. Edition 1.07.2024, § 71 Rn. 1.1; für eine Konformität mit Unionsrecht Meiser in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 71 Rn. 6 mit Verweis auf BPatG, Beschluss vom 21.12.2021, 25 W (pat) 37/19 – Sallaki/Sallaki-Hecht). Zum Widerspruchsverfahren wurde entschieden, dass der Grundsatz der eigenen Kostentragung nach § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG bereits deswegen nicht im Widerspruch zur Durchsetzungsrichtlinie stehe, da deren Anwendungsbereich nicht eröffnet sei. Die Richtlinie verfolge das Ziel der Bekämpfung der Produktpiraterie und beziehe sich damit maßgeblich auf Verletzungsfälle, nicht jedoch auf Fragen, welche die Entstehung von Rechten des geistigen Eigentums beträfen (vgl. BPatG a. a. O. – Sallaki/Sallaki-Hecht m. w. N.). Im Widerspruchsverfahren seien demgegenüber keine Rechtsverletzungen zu prüfen, sondern lediglich die Frage, ob ein älteres Recht die Entstehung eines jüngeren Rechts dulden muss oder nicht.

107

4. Bei dem zum 1. Mai 2020 eingeführten amtlichen Nichtigkeitsverfahren wegen älterer Rechte stellt sich die Frage der Geltung der Durchsetzungsrichtlinie und der Unionsrechtswidrigkeit von § 71 Abs. 1 MarkenG nach Auffassung des Senats erneut. Auch wenn es in derartigen Verfahren nicht um Rechtsverletzungen, sondern um den Bestand von Rechten geht, so sind sie doch kontradiktorisch ausgestaltet. Vor allem aber war bislang in derartigen Konstellationen lediglich der Weg zu den Verletzungsgerichten eröffnet mit der in §§ 91 f. ZPO normierten Kostenregelung, nach der grundsätzlich die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat und die der Regelung in Art. 14 Durchsetzungsrichtlinie entspricht. Es erscheint fraglich, ob die vom nationalen Gesetzgeber geschaffenen unterschiedlichen prozessualen Ausgestaltungen der Nichtigkeitsklage vor den Zivilgerichten einerseits und des amtlichen Nichtigkeitsverfahrens vor dem DPMA und dem BPatG andererseits für die Frage der Anwendung der Durchsetzungsrichtlinie und insbesondere die Geltung von Art. 14 DurchsetzungsRL 2004/48/EG entscheidend sein können.

Kategorien: Allgemein