BFH 9. Senat, Beschluss vom 30.10.2020, AZ IX B 18/20, ECLI:DE:BFH:2020:B.301020.IXB18.20.0
§ 74 FGO, § 99 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 135 Abs 1 FGO
Leitsatz
1. NV: Unterlässt das FG die nach § 74 FGO gebotene Aussetzung der Verhandlung, verstößt es gegen die Grundordnung des Verfahrens.
2. NV: Erlässt es stattdessen ein Zwischenurteil, liegt auch darin ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, den der BFH im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls dann von Amts wegen beachtet, wenn die aus anderen Gründen zuzulassende Revision wegen des Verfahrensmangels nicht zu einer Sachentscheidung führen würde.
3. NV: Ein Zwischenurteil darf nur ergehen, wenn für das Endurteil noch mindestens eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage verbleibt. Über den verbleibenden Verlustvortrag wird abschließend im Feststellungsverfahren (Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid) und nicht im Verfahren über den Folgebescheid (hier: Einkommensteuer) entschieden.
4. NV: Hat das FG ein nicht statthaftes Zwischenurteil erlassen, hebt der BFH das Urteil im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 6 FGO ersatzlos auf; einer Zurückverweisung bedarf es nicht.
5. NV: Führt die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein zu Unrecht ergangenes Zwischenurteil zu dessen ersatzloser Aufhebung (ohne Zurückverweisung), kommt § 143 Abs. 2 FGO nicht zum Tragen.
Verfahrensgang
vorgehend FG München, 21. Januar 2020, Az: 5 K 2346/17, Zwischenurteil
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird das Zwischenurteil des Finanzgerichts München vom 21.01.2020 – 5 K 2346/17 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Gründe
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1. Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–). Die mit der Beschwerde geltend gemachte Frage, ob sich die für § 17 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes maßgebliche Beteiligungshöhe bei einer britischen Private Limited Company nach dem Nominalkapitel (Authorised Share Capital) oder nach dem tatsächlich gezeichneten Kapital (Issued Share Capital) bemisst, hat grundsätzliche Bedeutung (ebenso Finanzgericht –FG– Münster, Urteil vom 27.11.2013 – 11 K 3468/11 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 341). Sie ist im Streitfall auch klärungsbedürftig und klärbar. Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, dass der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nur zu 0,8 % an der Gesellschaft beteiligt war, weil nur zwei der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen 100 Anteile tatsächlich gezeichnet waren und der Kläger daran 40 % hielt. Danach wäre die Revision im Streitfall zuzulassen.
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2. Der Senat sieht von der Zulassung der Revision ab. Die Beschwerde führt stattdessen gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils aus verfahrensrechtlichen Gründen. Das FG hat zu Unrecht ein Zwischenurteil erlassen. Es hätte das Verfahren aussetzen müssen. Eine Sachentscheidung durfte schon deshalb nicht ergehen. Außerdem lagen die Voraussetzungen für den Erlass eines Zwischenurteils nicht vor.
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a) Das FG hätte das vorliegende Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen müssen, um den Ausgang des vorgreiflichen Klageverfahrens gegen den Feststellungsbescheid abzuwarten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.12.2003 – VI R 2/02, BFH/NV 2004, 774). Während der Dauer der Aussetzung ist jede Entscheidung in der Sache, auch durch Zwischenurteil, ausgeschlossen. Das Unterlassen einer nach § 74 FGO gebotenen Verfahrensaussetzung ist ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom BFH im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls dann von Amts wegen zu beachten ist, wenn die Beschwerde aus anderen Gründen Erfolg haben würde (BFH-Beschluss vom 22.09.2010 – IV B 120/09, BFH/NV 2011, 257, Rz 7; vgl. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 74 Rz 20, m.w.N.). Würde die Zulassung der Revision voraussichtlich nicht zur Klärung der Sachfrage führen, weil das Urteil im Revisionsverfahren schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben werden müsste, erscheint die Anwendung von § 116 Abs. 6 FGO angemessen und geboten, auch wenn der Verfahrensmangel nicht gerügt worden ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 257, Rz 7).
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b) Ein Zwischenurteil hätte auch deshalb nicht ergehen dürfen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen (§ 99 Abs. 2 FGO). Ein Zwischenurteil darf nach dem Zweck der Vorschrift nur ergehen, wenn über die entschiedene(n) Rechtsfrage(n) hinaus, wenigstens eine weitere entscheidungserhebliche Rechtsfrage verbleibt (BFH-Urteil vom 09.02.2017 – V R 69/14, BFHE 257, 6, BStBl II 2017, 1221, m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall. Das FG hat im angefochtenen Urteil über sämtliche umstrittene Besteuerungsgrundlagen dem Grunde und der Höhe nach entschieden. Als weitere entscheidungserhebliche Rechtsfrage hat es angesehen, ob und in welcher Höhe ein Verlustvortrag aus dem Jahr 2003 zu berücksichtigen sei. Über die Höhe des verbleibenden Verlustvortrags wird aber, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, abschließend im Bescheid über die gesonderte Verlustfeststellung entschieden. Dieser ist Grundlagenbescheid für den Einkommensteuerbescheid, in dem sich der Verlust auswirken soll. Es verbleibt insofern, was das Ob und die Höhe des Verlustvortrags betrifft, keine entscheidungserhebliche Frage, die im Verfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für 2004 noch zu klären wäre. Aus dem vom FG angeführten BFH-Beschluss vom 28.04.2008 – I B 42/08 (BFH/NV 2008, 1523) ergibt sich nichts anderes.
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c) Das unter Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens zustande gekommene Zwischenurteil könnte im Revisionsverfahren schon deshalb keinen Bestand haben. Der Senat hebt das Urteil deshalb auf. Einer Zurückverweisung bedarf es nicht. Wegen der gebotenen Aussetzung der Verhandlung könnte ein anderes Zwischenurteil derzeit nicht rechtmäßig ergehen. Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium wie vor Erlass des Zwischenurteils (vgl. BFH-Urteil vom 04.09.2019 – I R 11/17, BFH/NV 2020, 766). Damit wird zwar die eigentlich dem Revisionsverfahren vorbehaltene Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen. Wäre die Zulassung der Revision insofern aber bloße Förmelei, kann der BFH die Endentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO ausnahmsweise auch im Beschwerdeverfahren treffen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 257, Rz 7; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 116 Rz 66, m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.