Beschluss des BVerwG 7. Senat vom 30.10.2024, AZ 7 B 9/24

BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 30.10.2024, AZ 7 B 9/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:301024B7B9.24.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 30. Januar 2024, Az: 2 K 129/21, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 30. Januar 2024 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 643 145 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin begehrt im Zuge eines sogenannten Repowering die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung von sieben Windenergieanlagen bei gleichzeitigem Rückbau von 14 kleiner bemessenen Windenergieanlagen. Die Anlagen sollen in dem Gebiet eines Bebauungsplans der Beigeladenen zu 2 aus dem Jahr 1996 errichtet werden, der dort insgesamt 26 Windenergieanlagen mit einer maximalen Höhe von 70 m und maximaler Leistung von 1,5 MW vorsieht. Nach Inkrafttreten des Bebauungsplans sind entsprechend seiner Vorgaben 26 Windenergieanlagen errichtet worden, von denen nunmehr 14 zurückgebaut werden sollen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Untätigkeitsklage als unbegründet abgewiesen. Die Windenergieanlagen, für die die Genehmigung beantragt worden sei, verstießen mit einer Höhe von 137 m und einer maximalen Leistung von 3,45 MW gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans. Der Bebauungsplan sei auch nicht aufgrund von Funktionslosigkeit unwirksam geworden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II

2

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

3

1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2022 – 7 B 6.22 – juris Rn. 5). Daran fehlt es hier.

4

Die von der Beschwerde aufgeworfenen, inhaltlich zusammenhängenden Fragen,

„Kann ein Bebauungsplan, der eine Höhen- und Leistungsbegrenzung für Windenergieanlagen festsetzt, funktionslos werden, solange die Windenergieanlagen stehen bleiben und betrieben werden?

Ist Voraussetzung für eine Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans mit Höhen- und Leistungsbegrenzung für Windenergieanlagen, dass die Windenergieanlagen bereits zurückgebaut sind?

Sind Bebauungspläne für die Errichtung eines Windparks anders zu beurteilen als andere Bebauungspläne?“,

rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie lassen sich ohne Weiteres auf der Grundlage der langjährigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verneinend beantworten.

5

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine bauplanerische Festsetzung funktionslos sein kann, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2023 – 4 A 9.21 – juris Rn. 39 m. w. N.). Dafür genügt es nicht schon, dass über längere Zeit von dem Plan abgewichen worden ist und inzwischen Verhältnisse entstanden sind, die den Festsetzungen des Plans nicht entsprechen (BVerwG, Urteil vom 3. August 1990 – 7 C 41.89 u. a. – BVerwGE 85, 273 <281>). Insbesondere eine derzeitige planwidrige Nutzung schließt als solche die in die Zukunft gerichtete städtebauliche Gestaltungs- und Steuerungsfunktion des Bebauungsplans nicht aus. Eine offenkundige Abweichung vom Planinhalt ist in der Regel nur dann gegeben, wenn die den Festsetzungen entgegenstehende Nutzung durch eine Baugenehmigung rechtlich gesichert ist oder in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass die zuständige Behörde sich mit ihrem Vorhandensein (endgültig) abgefunden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2023 – 4 A 9.21 – juris Rn. 41 m. w. N.).

6

Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Soweit sie der Auffassung ist, die Funktionslosigkeit eines auf die zukünftige Verwirklichung gerichteten Bebauungsplans könne „nicht mit aufgrund des Bebauungsplans vor über 25 Jahren errichteten Windenergieanlagen prinzipiell ausgeschlossen werden“, liegen ihr rechtsfehlerhafte Vorstellungen der planerischen Voraussetzungen einer Funktionslosigkeit zugrunde.

7

Ist – wie hier – eine Bebauung entsprechend der planerischen Festsetzung realisiert und damit die von der Gemeinde gewählte Städtebaupolitik umgesetzt worden, stellt sich die Frage der Funktionslosigkeit grundsätzlich nicht. Es fehlt an einer planwidrigen Nutzung als Voraussetzung der Funktionslosigkeit. Der Bebauungsplan hat auch nicht seine Steuerungsfunktion für die städtebauliche Entwicklung verloren. Er erfüllt sie vielmehr weiterhin, indem er die plankonform errichteten baulichen Anlagen für die Dauer ihres Bestandes rechtlich absichert. Will die Gemeinde die eingeschlagene und tatsächlich verwirklichte städtebauliche Entwicklung für die Zukunft ändern, muss sie den Weg der Planänderung gehen. Ein geänderter oder neuer Bebauungsplan kann für die Zukunft eine andere Bebauung ermöglichen und die bisherige ausschließen, ohne allerdings die Rechtmäßigkeit und den Bestand der aufgrund der bisherigen Planung verwirklichten baulichen Anlagen in Frage stellen zu können.

8

Hiervon für Windenergieanlagen abzuweichen besteht, entgegen der Auffassung der Beschwerde, kein Anlass. Insbesondere hat die in § 2 EEG zum Ausdruck gebrachte überragende Bedeutung der Errichtung und des Betriebs von Windenergieanlagen nicht zur Folge, dass planungsrechtliche Festsetzungen nicht mehr zu beachten wären und von baurechtlichen Grundsätzen abzuweichen wäre. § 2 EEG kommt ebenso wenig wie Art. 20a GG oder § 13 KSG ein absoluter Vorrang gegenüber anderen Belangen oder gar gesetzlichen Regelungen zu (zu Art. 20a GG BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a. – BVerfGE 157, 30 Rn. 198; zu § 13 KSG BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 – 9 A 7.21 – BVerwGE 175, 312 Rn. 85). Die Vorschrift begründet keine neuen Handlungs- und Entscheidungsspielräume, sondern setzt das Bestehen derartiger Spielräume voraus. Überall, aber auch nur dort, wo materielles Bundesrecht auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe verwendet oder Planungs-, Beurteilungs- oder Ermessensspielräume konstituiert, ist nunmehr die überragende Bedeutung erneuerbarer Energien nach § 2 EEG als mitentscheidungserheblicher Gesichtspunkt in die Erwägungen einzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 – 9 A 7.21 – BVerwGE 175, 312 Rn. 62).

9

Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus der von der Beschwerde behaupteten Unwirtschaftlichkeit des Betriebs der bestehenden Anlagen. Zwar mögen auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Rahmen der Betrachtung, ob eine planerische Festsetzung funktionslos geworden ist, eine Rolle spielen, wenn sie bei der Gesamtbetrachtung allein oder im Zusammenwirken mit weiteren Faktoren die plankonforme Nutzung auf unabsehbare Zeit ausschließen (zusammenfassend VGH München, Urteil vom 25. März 2004 – 25 N 01.308 – NVwZ-RR 2005, 776 <777 f.>). Das angegriffene Urteil hat aber keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen, sondern betont ausdrücklich, dass es an jeglichen Darlegungen der Unwirtschaftlichkeit der Bestandsanlagen durch die Klägerin fehlt.

10

2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Beschwerde sieht eine Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht die „bestehende Notwendigkeit des erfolgten Rückbaus für eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans“ zu keinem Zeitpunkt thematisiert habe. Darauf kann es nicht ankommen, weil dieser Gesichtspunkt das Urteil nicht trägt. Das Oberverwaltungsgericht hat mit den oben (1.) dargestellten Erwägungen begründet, warum es den Bebauungsplan als verwirklicht ansieht. Danach kam es auf die Frage, ob der Rückbau eine Voraussetzung dafür sei, dass der Bebauungsplan funktionslos werde, nicht mehr an.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

12

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

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