BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 01.10.2024, AZ 9 B 29/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:011024B9B29.23.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 25. Oktober 2023, Az: OVG 12 B 10/23, Beschluss
vorgehend VG Potsdam, 25. Oktober 2022, Az: 11 K 3112/18, Urteil
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Oktober 2023 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 961 228,74 € festgesetzt.
Gründe
I
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1. Der Kläger wendet sich gegen den Haftungsbescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2016, mit dem er als Kommanditist der „A. KG“ in Höhe von 1 022 583,75 € für deren Gewerbesteuerschulden aus dem Jahr 2005 in Höhe von 1 169 070 € in Anspruch genommen wurde.
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Die A. GmbH als Komplementärin sowie der Kläger und Herr S. als Kommanditisten gründeten 1997 mit Sitz in München die A. GmbH & Co. KG. Nach zwei Umfirmierungen sowie einer Sitzverlagerung nach Potsdam war diese ab dem 28. Dezember 2004 als A. GmbH & Co. P. KG mit Gesellschaftsanteilen des Klägers in Höhe von 961 228,74 € sowie des Herrn S. in Höhe von 61 355,03 € in das Handelsregister beim Amtsgericht Potsdam eingetragen. Im Dezember 2005 ersetzte die I. AG die A. GmbH als Komplementärin und vereinbarten die Gesellschafter eine weitere Umfirmierung als A. KG sowie deren Sitzverlagerung nach Vaduz, Liechtenstein. Der Wechsel der Komplementärin und die Umfirmierung wurden am 9. März 2007 in das Handelsregister eingetragen. Eine Eintragung der Sitzverlegung lehnte das Registergericht jedoch mit der Begründung ab, diese sei nach geltendem Recht nicht möglich; eine Verlegung könne nur durch eine Liquidation der Gesellschaft in Deutschland und ihre anschließende Neuanmeldung im Ausland vollzogen werden. Dahingehende Maßnahmen ergriffen der Kläger und die übrigen Gesellschafter im Folgenden bis zur Löschung der Gesellschaft aus dem Handelsregister von Amts wegen am 4. August 2014 nicht. Bereits zuvor hatte das Grundbuch- und Öffentlichkeitsregisteramt in Vaduz im Januar 2006 eine dortige Eintragung der Gesellschaft abgelehnt; diese erfolgte sodann am 24. Januar 2006 unter der Firma A. KG. Am 31. Juli 2008 erwarb der Kläger die Geschäftsanteile von Herrn S. für 1 €; am 19. Januar 2012 veräußerte er sämtliche Anteile für 25 000 € an Herrn Pa.
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2. Das Verwaltungsgericht wies die Klage des Klägers gegen den Haftungsbescheid mit der Begründung zurück, der Gewerbesteueranspruch der Beklagten sei in Höhe von 1 169 070,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von 385 786,00 € entstanden. Aufgrund des bestandskräftigen Gewerbesteuermessbescheids des Finanzamts M. vom 28. August 2012 stehe bindend fest, dass Steuer- und Zinsschuldnerin die A. GmbH & Co. P. KG sei.
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Die Einwände des Klägers gegen die Wirksamkeit dieses Bescheids seien unbegründet. Die Adressatin sei hinreichend bestimmt. Darauf, ob es 2005/2006 eine identitätswahrende rechtsformkongruente Umwandlung gegeben habe, komme es danach nicht an. Eine Sitzverlegung unter Beibehaltung der Eigenschaft als Gesellschaft des deutschen Rechts sei nicht möglich gewesen; sie habe nur durch Liquidation und anschließende Neuanmeldung im Ausland vollzogen werden können. Dieser Weg sei zu keinem Zeitpunkt beschritten worden. Der Kläger sei daher bis zur Löschung im August 2014 Kommanditist einer Potsdamer KG geblieben. Der Gewerbesteuermessbescheid sowie der Gewerbesteuer- und der Zinsbescheid vom 27. September 2012 seien darüber hinaus wirksam bekanntgegeben worden.
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Die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist sei folglich bei Erlass des Haftungsbescheids im Dezember 2016 nicht verstrichen gewesen. Der Kläger habe seine Einlage nicht geleistet, sodass seine Haftung nicht nach § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB ausgeschlossen sei. Diese erstrecke sich gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1, § 161 Abs. 2 HGB auf bis zum Ausscheiden begründete Verbindlichkeiten, die vor Ablauf von fünf Jahren nach der Eintragung des Ausscheidens im Handelsregister fällig seien. Die Frist sei damit unabhängig davon nicht verstrichen, ob man auf das Ausscheiden des Klägers aus der Liechtensteinischen KG zum 28. Januar 2013 oder auf die Löschung der Potsdamer KG 2014 abstelle. Die Auswahl des Klägers sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Auch die Höhe der Haftung von 1 022 583,75 € sei rechtmäßig. Der Kläger hafte mit dem ursprünglichen Kommanditanteil in Höhe von 961 228,74 € auch für die seit 1. Dezember 2012 angefallenen Aussetzungszinsen sowie die ab September 2013 angefallenen Säumniszuschläge.
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Auf etwaige Mängel in der Bekanntgabe der hier maßgeblichen Bescheide in Zusammenhang mit der Adressierung in Liechtenstein könne sich der Kläger im Übrigen unter Berücksichtigung von § 42 AO nicht berufen. Er habe entscheidend auf die Schaffung der dortigen Briefkastengesellschaft hingewirkt und müsse daher den Zugang der Bescheide gegen sich bzw. gegen die Gesellschaft unter der liechtensteinischen Anschrift gelten lassen.
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3. Mit Beschluss vom 6. Juli 2023 ließ das Oberverwaltungsgericht die Berufung wegen ernstlicher Zweifel nur bzgl. des 961 228,74 € übersteigenden Betrags mit der Begründung zu, soweit das Verwaltungsgericht die Klage auch in Höhe des später hinzuerworbenen Kommanditanteils abgewiesen habe, habe es auf die deutschen Haftungsverhältnisse abgestellt, aber die damit verbundene Haftungsbegrenzung nicht berücksichtigt. Im Übrigen bewertete das Berufungsgericht den Zulassungsantrag des Klägers als unsubstantiiert, soweit das Verwaltungsgericht seine Entscheidung selbständig tragend auf § 42 AO gestützt habe. Auch bzgl. der anderen tragenden Begründung des angefochtenen Urteils habe der Kläger keine ernstlichen Richtigkeitszweifel dargelegt. Ein Verfahrensfehler liege ebenfalls nicht vor.
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4. Auf die gleichwohl vollumfänglich eingelegte Berufung des Klägers stellte das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. Oktober 2023 das Verfahren ein, soweit die Beteiligten nach der Aufhebung des angefochtenen Bescheids im Umfang der Rechtsmittelzulassung den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten; im Übrigen verwarf es die Berufung als unstatthaft. Den Einwand des Klägers, die Beschränkung der Berufungszulassung sei mangels Teilbarkeit des Haftungsbescheids unwirksam, wies das Gericht zurück. Der Bescheid habe eine Geldleistung zum Gegenstand, die grundsätzlich teilbar sei. Eine Gefahr widersprechender Entscheidungen bestehe nicht. Mit der Rechtskraft der Abweisung der Anfechtungsklage stehe verbindlich fest, dass der Bescheid bis zu der angegebenen Haftungssumme rechtmäßig sei und eine teilweise Aufhebung nur noch aus anderen Gründen erfolgen könne. Erfasst von der Rechtskraft sei insbesondere die Entscheidung über die Vorfragen der Wirksamkeit des Gewerbesteuermessbescheids und der Bestimmung des Steuerschuldners.
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5. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.
II
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Verwirft das Berufungsgericht – wie hier – eine Berufung durch Beschluss als unzulässig, steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte; die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren (§ 125 Abs. 2 Satz 4 und 5 VwGO).
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Statthaftes Rechtsmittel ist hier die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, worauf das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Berufungsbeschluss vom 25. Oktober 2023 auch zutreffend hingewiesen hat. Soweit es allerdings im konkreten Fall von der Unstatthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeht (Berufungsbeschluss S. 4), bezieht es sich auf Rechtsprechung (BVerwG, Beschlüsse vom 22. April 1999 – 6 B 8.99 – NVwZ-RR 1999, 539, vom 13. Juni 2001 – 3 B 64.01 – juris Rn. 2 und vom 8. Januar 2007 – 10 B 63.06 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 34 Rn. 3) zu einer hier nicht einschlägigen Verfahrenskonstellation. Danach kann das Bundesverwaltungsgericht weder auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin noch im Revisionsverfahren prüfen, ob ein Zulassungsantrag zu Recht abgelehnt worden ist. Um eine solche Fallgestaltung geht es hier nicht. Der Kläger macht nicht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe dem Zulassungsantrag wegen des Vorliegens der geltend gemachten Zulassungsgründe (in vollem Umfang) stattgeben müssen. Vielmehr hält er die Beschränkung der Zulassung aus prozessualen Gründen – mangels Teilbarkeit des Streitgegenstandes – für unwirksam und die hierauf gestützte Abweisung der Berufung für verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (vgl. allgemein zum Verfahrensmangel durch Nichtentscheidung in der Sache BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2021 – 3 B 25.21 – NVwZ 2022, 548 Rn. 8 m. w. N.; Rudisile, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Januar 2024, § 125 Rn. 16).
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2. Die Beschwerde ist auch begründet.
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a) Die Revision ist allerdings nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zur Klärung der Fragen,
ob im Falle einer Anfechtungsklage gegen einen Geldleistungsverwaltungsakt, welchem ein singulärer Haftungssachverhalt zu Grunde liegt, eine Teilentscheidung über einzelne der vom Kläger vorgebrachten Einwendungen gegen die Haftungsschuld möglich ist,
und ob trotz unanfechtbarer wirksamer Gewerbesteuerfestsetzung gegenüber der Gewerbesteuerschuldnerin dennoch § 42 AO gegenüber dem nach § 191 AO herangezogenen Haftungsschuldner angewandt werden kann, um die strittige Wirksamkeit des für die materielle Steuerschuld und damit auch seine Haftung maßgeblichen Gewerbesteuermessbetragsbescheides zu fingieren,
zuzulassen, denn diese Fragen waren für das Oberverwaltungsgericht im Berufungsbeschluss nicht entscheidungserheblich. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung, es liege eine wirksame Beschränkung der Berufung vor, hat es die Berufung aus rein formalen Gründen als unstatthaft verworfen und keine Sachentscheidung getroffen.
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b) Es liegt aber ein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem der Beschluss beruht.
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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, hätte das Oberverwaltungsgericht die Berufung nicht nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig verwerfen dürfen. Die Berufung war auch insoweit nach § 124 Abs. 1 VwGO statthaft. Zwar hatte das Oberverwaltungsgericht sie nur zugelassen, soweit die Klage wegen des einen Haftungsbetrag von 961 228,74 € übersteigenden Betrags abgewiesen und der Rechtsstreit nach der Zulassung übereinstimmend für erledigt erklärt worden war. Diese Beschränkung der Berufungszulassung war aber unwirksam, so dass die Berufung insgesamt als zugelassen anzusehen war.
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aa) Die (nur) teilweise Zulassung eines Rechtsmittels ist möglich, soweit der Streitgegenstand teilbar ist. Die Wirksamkeit der Beschränkung setzt zur Vermeidung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen über beide Teile des Streitgegenstandes (vgl. für den Erlass eines Teilurteils BVerwG, Urteil vom 25. November 2009 – 8 C 12.08 – BVerwGE 135, 272 Rn. 25 ff.) voraus, dass die teilweise Zulassung sich auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes bezieht, auf den auch der Prozessbeteiligte sein Rechtsmittel beschränken könnte. Soweit ein Streitgegenstand nicht teilbar ist, ist eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung unwirksam, das Rechtsmittel ist als insgesamt zugelassen anzusehen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. November 2019 – 9 C 4.19 – BVerwGE 167, 137 Rn. 31 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und Beschluss vom 24. August 2016 – 9 B 54.15 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 108 Rn. 4; BGH, Urteil vom 6. Mai 1987 – IV b ZR 52/86 – NJW 1987, 3264; BFH, Urteil vom 28. September 1990 – VI R 57/89 – BFHE 162, 290).
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bb) Allgemein wird eine Teilbarkeit – auch hinsichtlich einer Rechtsmittelzulassung – angenommen bei subjektiver Klagehäufung, bei der Unterscheidbarkeit von Grund und Höhe eines Anspruchs bei allgemeinen Leistungsklagen oder bei Haupt- und Nebenansprüchen (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 266 ff.; Buchheister, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Januar 2024, § 132 Rn. 24 ff.; jew. m. w. N. zur Rspr.). Über diese klaren Fälle einer Teilbarkeit hinaus wird eine Beschränkung der Zulassung auch für einen abtrennbaren Teil
eines Anspruchs für möglich gehalten. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich um einen individualisierbaren, selbständig zur Bescheidung geeigneten Teil des (einen) Streitgegenstandes handelt, was etwa bei einer im Bescheid angegebenen summenmäßigen Aufspaltung oder bei einer Beschränkung auf einen bestimmten, abgrenzbaren Zeitabschnitt eines im Bescheid geregelten größeren Zeitraums angenommen werden kann (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 271; BFH, Beschluss vom 1. Oktober 1999 – VII R 32/98 – NVwZ-RR 2000, 334; BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2010 – 8 B 125.09 – juris Rn. 16). Zwingende Voraussetzung ist allerdings auch hier stets die Unabhängigkeit der Teilentscheidung von der Entscheidung des Reststreits (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2016 – 9 B 54.15 – Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 108 Rn. 4 sowie Rauda, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Juni 2021, § 98 FGO Rn. 8, 15 und 23 m. w. N. zur Rspr.).
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cc) Dies zugrunde gelegt, war der Streitgegenstand hier entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht teilbar.
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Der Haftungsbescheid stützt sich auf
eine– genauer bezeichnete – Anspruchsgrundlage und nimmt den Kläger in Höhe
einer– genau bezeichneten – Summe (1 022 583,75 €) in Anspruch. Einer der o. g. unproblematischen Fälle der Teilbarkeit (subjektive oder objektive Klagehäufung oder Streit über Grund und Höhe des Anspruchs bei allgemeinen Leistungsklagen) liegt offensichtlich nicht vor. Zwar geht es um eine Geldleistung, die grundsätzlich teilbar ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27. November 2019 – 9 C 4.19 – BVerwGE 167, 137 Rn. 32; Beschluss vom 22. Dezember 2021 – 9 B 26.21 – juris Rn. 26), und der Haftungsbescheid erwähnt – wenngleich nicht im Tenor, aber immerhin in den Gründen – die beiden Teilsummen, auf die das Oberverwaltungsgericht bei seiner Differenzierung abstellt. Es fehlt jedoch an der weiteren zwingenden Voraussetzung, dass beide Teilbeträge tatsächlich und rechtlich völlig unabhängig voneinander zu sehen sind und deshalb nicht zu einander widersprechenden Entscheidungen führen können.
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Die Zulassung der Berufung hinsichtlich des den Haftungsbetrag von 961 228,74 € übersteigenden Betrags betrifft keinen tatsächlich und rechtlich unabhängigen und deshalb abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes. Das Verwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der über den ursprünglichen Kommanditanteil des Klägers von 961 228,74 € hinausgehende Inanspruchnahme in Höhe von 1 022 583,75 € ohne weitere Ausführungen damit begründet, dass der Kläger mit diesem Kommanditanteil auch noch für die seit 1. Dezember 2012 angefallenen Aussetzungszinsen nach § 237 AO bzw. für die ab September 2013 angefallenen Säumniszuschläge nach § 240 AO einzustehen habe.
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Der angefochtene Haftungsbescheid nimmt den Kläger jedoch nicht nur für die Zinsen und Säumniszuschläge in Anspruch, die auf den seinem ursprünglichen Kommanditanteil in Höhe von 961 228,74 € entsprechenden Teil der Steuerschuld entfallen. Vielmehr wird der Kläger bis zur Höhe seines späteren Kommanditanteils von 1 022 583,75 €, der sich aus dem ursprünglichen Kommanditanteil des Klägers und dem von Herrn S. hinzuerworbenen Kommanditanteil von 61 355,03 € zusammensetzt, auch für die Gewerbesteuerschuld in Höhe von 1 169 070,00 € selbst in Haftung genommen. Würden sich die ernstlichen Zweifel bestätigen, auf die das Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung insoweit gestützt hat, weil sich die Haftung des Klägers nach § 171 Abs. 1 Halbs. 1 HGB nicht auf die Zinsen und Säumniszuschläge erstreckt, so würde sich die Frage stellen, ob der Kläger gleichwohl über seinen ursprünglichen Kommanditanteil von 961 228,74 € hinaus für die Gewerbesteuerschuld bis zur Höhe seines späteren Kommanditanteils in Höhe von 1 022 583,75 € in Anspruch genommen werden durfte. Sowohl die Wirksamkeit des Gewerbesteuermessbescheids und der Bekanntgabe des Gewerbesteuerbescheids als auch die Bestimmung des Steuerschuldners und die Auswirkungen von § 42 AO sind daher für den Teil des Streitgegenstandes, der über 961 228,74 € hinausgeht, ebenso zu prüfen wie für denjenigen, für den die Berufung nicht zugelassen wurde. Beide Teile des Streitgegenstandes sind daher nicht tatsächlich und rechtlich voneinander unabhängig, so dass die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht.
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Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist diese Gefahr auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig wird, soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist. Zwar nehmen die tragenden Entscheidungsgründe an der Rechtskraft des Urteils teil, wenn eine Anfechtungsklage abgewiesen oder ihr stattgegeben wird. Die Entscheidung erschöpft sich in diesem Fall nicht in dem Rechtsschluss, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, sondern umfasst grundsätzlich die Feststellung, dass die Voraussetzungen der unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage vorliegen oder nicht vorliegen (BVerwG, Urteil vom 7. August 2008 – 7 C 7.08 – BVerwGE 131, 346 Rn. 18). Rechtskräftige Urteile binden nach § 121 VwGO aber nur, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Im Falle einer teilweisen Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung erstreckt sich die Rechtskraftwirkung nach § 121 VwGO daher nur auf den Teil des Streitgegenstandes, der durch die Ablehnung des Zulassungsantrags nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig geworden ist. Dementsprechend reicht die Bindung des nur teilweise in Rechtskraft erwachsenen erstinstanzlichen Urteils und seiner tragenden Gründe hier nicht über die Haftung des Klägers in Höhe von 961 228,74 € hinaus und erstreckt sich nicht auf die Haftung für den Teil der Steuerschuld, der diesen Betrag übersteigt.
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c) Der Senat übt sein ihm im Rahmen von § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumtes Ermessen dahin aus, dass die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung, weil durch die noch fehlende Sachprüfung möglicherweise weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich werden.
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3. Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.