BVerwG 3. Senat, Urteil vom 29.08.2024, AZ 3 C 13/23, 3 C 13/23 (3 C 5/21), ECLI:DE:BVerwG:2024:290824U3C13.23.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 12. August 2020, Az: 8 A 10213/20, Urteil
vorgehend VG Trier, 16. Mai 2019, Az: 2 K 6183/18.TR, Urteil
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. August 2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
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Der Rechtsstreit betrifft die Verwendung der Angaben „Weingut“ und „Gutsabfüllung“. Streitig ist, ob die Kelterung der Trauben in einer durch den namensgebenden Weinbaubetrieb für 24 Stunden angemieteten Kelteranlage die unionsrechtliche Anforderung einer „Weinbereitung vollständig in diesem Betrieb“ erfüllt.
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Die Klägerin ist Inhaberin eines Weinbaubetriebs im Weinbaugebiet Mosel. Sie stellt Wein nicht nur aus den Weintrauben der in ihrem Eigentum stehenden, sondern auch gepachteter Rebflächen her. Von einem etwa 70 km entfernt liegenden Weinbaubetrieb hat sie Rebflächen gepachtet und mit dem Verpächter einen Bewirtschaftungsvertrag geschlossen, aufgrund dessen der Weinberg nach ihren Vorgaben bearbeitet wird. Darüber hinaus hat die Klägerin die Kelteranlage des Bewirtschafters jährlich jeweils für die Dauer von 24 Stunden, beginnend mit dem Ernten der Pachtfläche, gemietet. In dieser Zeit steht das Kelterhaus ausschließlich für die Verarbeitung der Trauben der gepachteten Rebflächen zur Verfügung.
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Nach Auffassung des Beklagten darf die Klägerin für den in den Betriebsräumen des Bewirtschafters gekelterten Wein nicht die Angaben „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ verwenden. Hierfür müsse die Weinbereitung in einem räumlich und organisatorisch abgrenzbaren eigenen Weingut vorgenommen werden. Dies setze die Eigenständigkeit der Betriebsstätte und den Einsatz von eigenem Personal voraus. Eine lediglich kurzfristige Anmietung der Kelteranlage entspreche diesen Anforderungen nicht.
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Auf die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage hat das Verwaltungsgericht Trier mit Urteil vom 16. Mai 2019 festgestellt, dass die Klägerin zur Verwendung der Angaben „Weingut A. K.“ und „Gutsabfüllung“ berechtigt ist und ihr dies vom Beklagten nicht untersagt werden darf. Maßgeblich hierfür sei nach den Vorgaben der Weinverordnung allein, dass beim Erzeuger die tatsächliche Leitung, die ständige Aufsicht und die ausschließliche Verantwortung für die Weinbereitung liege. Durch den Mietvertrag werde die Kelteranlage dem Betrieb der Klägerin zugeordnet, dies gelte auch bei einer auf 24 Stunden beschränkten Mietdauer.
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Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat das Urteil auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 12. August 2020 abgewiesen. Um die unions- und bundesrechtlichen Voraussetzungen für die Verwendung der Angaben „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ zu erfüllen, müsse die Weinbereitung in einem Betrieb stattfinden, der sich nicht lediglich als organisatorische Einheit darstelle, sondern darüber hinaus eine einheitliche Betriebsgesamtheit mit einer dem Weingutsbesitzer dauerhaft zuzuordnenden Betriebsstätte aufweise, und in dem seinem Direktionsrecht unterstehendes, dem Betrieb zugehöriges Personal tätig sei. Daran fehle es bei der Kelterung. Der mit dem Bewirtschafter geschlossene Mietvertrag stelle zudem nicht sicher, dass alle Phasen der Weinherstellung unter Leitung und Verantwortung der gleichen natürlichen oder juristischen Person erfolgten. Angesichts der eigenständigen und von der Klägerin unabhängigen Entscheidungsbefugnisse des Bewirtschafters – zumal bei überraschend auftretenden Problemen – gewährleiste der Mietvertrag nicht die durchgängige Leitung und Verantwortung durch das Weingut der Klägerin.
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Zur Begründung ihrer Revision hat die Klägerin vorgetragen, entscheidend sei, dass die Weinerzeugung unter der tatsächlichen Leitung und der ausschließlichen Verantwortung eines einzigen Betriebsinhabers erfolge; dieser stehe für die Qualität des Erzeugnisses ein. Wo die Weinbereitung räumlich stattfinde, spiele keine Rolle. Auch die Anmietung einer Kelteranlage und die Durchführung der Kelterung aufgrund der Weisungen des Weingutinhabers entspreche den Anforderungen des Unionsrechts.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 10. März 2022 ausgesetzt und gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 Delegierte VO (EU) 2019/33 eingeholt (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2022 – 3 C 5.21 – LRE 85, 55). Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 23. November 2023 über das Ersuchen entschieden (Rechtssache C-354/22 – LRE 87, 145).
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Die Klägerin hat unter dem 31. Januar 2024 mitgeteilt, von dem streitgegenständlichen Wein sei kein Bestand mehr vorhanden. Daher habe sich der Rechtsstreit erledigt. Der Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen und beruft sich auf ein berechtigtes Interesse an der Sachentscheidung. Er verteidigt weiterhin das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin mit dem Antrag festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
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1. Nach einseitiger Erledigungserklärung darf das Klagebegehren auch im Revisionsverfahren auf den Antrag umgestellt werden, die Erledigung der Hauptsache festzustellen. § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht dem nicht entgegen (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 3 ZPO; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 8 C 26.20 – BVerwGE 171, 36 Rn. 16 m. w. N.).
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2. Der Feststellungsantrag ist unbegründet. Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist festzustellen, wenn der Rechtsstreit sich tatsächlich erledigt hat (a) und entweder der Beklagte kein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung hat (b) oder bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses auf die Revision der Klägerin das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen gewesen wäre, die Klage also Erfolg gehabt hätte (c). Die letztgenannte Voraussetzung liegt hier nicht vor.
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a) Der Rechtsstreit hat sich dadurch, dass bei der Klägerin kein Bestand des in Rede stehenden Weins mehr vorhanden ist, in tatsächlicher Hinsicht erledigt. Das war – wie sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat – spätestens im Zeitpunkt ihrer Mitteilung vom 31. Januar 2024 der Fall.
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b) Der Beklagte kann ein schutzwürdiges Interesse an einer gerichtlichen Sachentscheidung geltend machen. Ein solches Interesse ist in Anlehnung an die Kriterien des berechtigten Feststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu beurteilen. Danach ist das Sachentscheidungsinteresse des Beklagten schutzwürdig, wenn die gerichtliche Entscheidung zur Vermeidung oder Vereinfachung künftiger Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten beiträgt, etwa, weil die streitige Frage sich im Zuge der Verwaltungspraxis des Beklagten im Verhältnis zum Kläger jederzeit erneut stellen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2020 – 8 C 26.20 – BVerwGE 171, 36 Rn. 19 m. w. N.). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, die Klägerin habe mit zehn weiteren Weingütern entsprechende Mietverträge über Kelteranlagen geschlossen. Für diese weiteren Weine der Klägerin kann sich die streitige Rechtsfrage jederzeit erneut stellen. Die Rechtslage hat sich insoweit nicht entscheidungserheblich geändert (vgl. Art. 54 und Anhang VI Delegierte VO <EU> 2019/33 der Kommission vom 17. Oktober 2018 zur Ergänzung der Verordnung <EU> Nr. 1308/2013, in der aktuellen Fassung der Delegierten Verordnung <EU> 2023/1606 der Kommission vom 30. Mai 2023 <ABl. L 198 S. 6>; Art. 3 Abs. 3 VO <EU> Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse in der aktuellen Fassung der Verordnung <EU> 2024/1143 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 <ABl. L 1143 S. 1> i. V. m. Art. 3 Nr. 2 der Verordnung <EU> 2021/2115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 <ABl. L 435 S. 1>; § 38 der Weinverordnung <WeinV> i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. April 2009 <BGBl. I S. 827>, zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Weinverordnung und der Alkoholhaltige Getränke-Verordnung vom 11. Oktober 2021 <BGBl. I 2021, 4683>).
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c) Bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses war das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf die Revision der Klägerin nicht aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil nicht zurückzuweisen. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für die Verwendung der Begriffe „Weingut“ und „Gutsabfüllung“ hätten hinsichtlich des in Rede stehenden Weins der Klägerin nicht vorgelegen, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Danach hat es die – unstreitig zulässige – Feststellungsklage zu Recht als unbegründet abgewiesen.
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Nach Art. 122 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1308/2013 (im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereignisses zuletzt geändert durch die Verordnung <EU> 2021/2117 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2. Dezember 2021 <ABl. L 435 S. 262>) i. V. m. Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 Delegierte VO (EU) 2019/33 dürfen die in deren Anhang VI aufgeführten Begriffe – und damit in Deutschland auch die Angabe „Weingut“ – nur verwendet werden, wenn das Weinbauerzeugnis ausschließlich aus Trauben gewonnen wird, die von Rebflächen dieses Betriebs stammen, und die Weinbereitung vollständig in diesem Betrieb erfolgt. Weitergehende Anforderungen zur Verwendung der Bezeichnung „Weingut“ sind im nationalen Recht nicht geregelt (Art. 54 Abs. 2 Satz 1 Delegierte VO 2019/33 i. V. m. § 38 Abs. 1 WeinV <im Zeitpunkt des Erledigungseintritts zuletzt geändert durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Weinverordnung und der Alkoholhaltige Getränke-Verordnung vom 11. Oktober 2021, BGBl. I 2021, 4683>). Gemäß § 38 Abs. 3 und 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 WeinV gelten diese Anforderungen auch für den Gebrauch der Bezeichnung „Gutsabfüllung“ (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2022 – 3 C 5.21 – LRE 85, 55 Rn. 13).
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(aa) Die Kelterung der zur Bereitung des streitgegenständlichen Weins verwendeten Trauben in der durch die Klägerin für 24 Stunden angemieteten Kelteranlage des Bewirtschafters H., die in dieser Zeit – wie das Berufungsgericht für den Senat bindend festgestellt hat (§ 137 Abs. 2 VwGO) – ausschließlich der Klägerin zur Verfügung gestanden hat, schließt nicht aus, dass die Weinbereitung im Sinne von Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 Delegierte VO (EU) 2019/33 als vollständig im Weinbaubetrieb der Klägerin erfolgt anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 23. November 2023 – C-354/22 – LRE 87, 145 Rn. 53 f.). Soweit das Oberverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Erfordernisse einer „einheitlichen Betriebsgesamtheit“, „dauerhaften räumlichen Betriebseinrichtung“ oder „dauerhaften räumlichen […] Zuordnung aller Schritte der Weinbereitung“ Anderes angenommen hat (UA S. 12 ff.), verstößt das Berufungsurteil gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i. V. m. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV).
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Die Weinbereitung erfolgt auch dann vollständig im Sinne des Art. 54 Abs. 1 Unterabs. 2 Delegierte VO (EU) 2019/33 im namensgebenden Betrieb, wenn die Kelterung von Mitarbeitern des vermietenden Betriebs durchgeführt wird, sofern der Inhaber des namensgebenden Betriebs die tatsächliche Leitung, die enge und ständige Überwachung und die Verantwortung für diesen Vorgang übernimmt (EuGH, Urteil vom 23. November 2023 – C-354/22 – LRE 87, 145 Rn. 58 f., 62). Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Keltervorgang müsse von eigenem Personal des namensgebenden Weinbaubetriebs durchgeführt werden (UA S. 13 f.), ist daher ebenfalls nicht mit Bundesrecht vereinbar.
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(bb) Das Urteil beruht jedoch nicht auf den genannten Verletzungen von Bundesrecht, denn die für den Einsatz fremden Personals erforderlichen Voraussetzungen waren nicht erfüllt.
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Um der Anforderung zu genügen, dass die Kelterung unter der tatsächlichen Leitung, der engen und ständigen Überwachung sowie der ausschließlichen Verantwortung des namensgebenden Weinbaubetriebs durchgeführt wird, muss die Kelterung nach dessen Vorgaben erfolgen, ohne dass sich dieser Betrieb darauf beschränken darf, auf etwaige Anweisungen des die Kelteranlage vermietenden Weinbaubetriebs zu verweisen; bei unvorhergesehenen Problemen, die den Erlass sofortiger Entscheidungen erforderlich machen, müssen diese Entscheidungen vom Inhaber des namensgebenden Weinbaubetriebs selbst oder von dessen Mitarbeitern getroffen werden (EuGH, Urteil vom 23. November 2023 – C-354/22 – LRE 87, 145 Rn. 55 ff., 60).
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Nach den für den Senat verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) war bei während der Kelterung auftretenden unvorhergesehenen Problemen, die den Erlass sofortiger Entscheidungen erforderlich gemacht hätten, nicht sichergestellt, dass diese Entscheidungen von der Klägerin selbst oder von ihren Mitarbeitern getroffen wurden. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, nach dem Vertrag über die Anmietung der Kelteranlage habe der Vermieter bei unvorhergesehenen Problemen während des Keltervorgangs unabhängig von der Klägerin eigenständige Entscheidungen treffen können und sollen (UA S. 19). Die Klägerin hat dagegen keine Verfahrensrüge erhoben.
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Danach war die Klägerin nicht berechtigt, für den streitgegenständlichen Wein die Angabe „Weingut“ zu verwenden.
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(cc) Für den Gebrauch der Angabe „Gutsabfüllung“ (§ 38 Abs. 3 und 5 i. V. m. Abs. 4 Nr. 1 WeinV) ergibt sich nichts Abweichendes.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.