Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr; dienstliche Maßnahme; Feststellungsinteresse (Beschluss des BVerwG 1. Wehrdienstsenat)

BVerwG 1. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 26.09.2024, AZ 1 WB 40/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:260924B1WB40.23.0

§ 17 Abs 3 S 1 WBO, § 19 Abs 1 S 3 WBO, § 21 Abs 2 S 1 WBO

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Tatbestand

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Das Verfahren betrifft die Verpflichtung zur Duldung einer COVID-19-Impfung.

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Der 19… geborene Antragsteller trat 2016 in die Bundeswehr ein und ist seit 2017 Soldat auf Zeit. Er wurde zuletzt im Jahre 2021 zum Unteroffizier befördert. Mit Verfügung des Kommandeurs … vom 1. Februar 2023 wurde gegen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er im zweiten Quartal des Jahres 2022 zweimal einen Befehl verweigert habe, nach einem Aufklärungsgespräch durch den zuständigen Truppenarzt die COVID-19-Impfung zu dulden. Ein am 19. Juli 2023 gegen den Soldaten ausgesprochenes Verbot der Dienstausübung wurde am 6. Dezember 2023 aufgehoben. Die Dienstzeit des Antragstellers wird voraussichtlich am 31. Juli 20… enden.

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Mit Wirkung vom 24. November 2021 trat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses, des Hauptpersonalrates und der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Änderung der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 „Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen – Fachlicher Teil“ in Kraft. Dadurch wurde die Impfung gegen den COVID-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 aufgenommen. Nach Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 erfordern die COVID-19-Impfstoffe eine oder zwei Teilimpfungen sowie Auffrischimpfungen gemäß den aktuellen nationalen Empfehlungen. Nach Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000 ist für alle Kräfte (Einheiten und Einzelpersonen), die für Hilfs- und Unterstützungsleistungen im Inland eingesetzt werden – die sogenannten „Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland“ – die Basisimmunisierung erforderlich. Nr. 210 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-840/8 „Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen“ sieht vor, dass alle Soldaten die angewiesenen Impf- und Prophylaxemaßnahmen und Impfungen der „Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland“ zu dulden haben. Nach Nr. 406 ZDv A-840/8 sind damit alle aktiven Soldaten duldungspflichtig zu impfen, sofern in der Person des Soldaten keine individuelle medizinische Kontraindikation vorliegt.

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Gegen die Änderungen der AR A1-840/8-4000 hat der Antragsteller am 4. Mai 2023 beim Bundesministerium der Verteidigung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag am 29. September 2023 dem Senat mit einer Stellungnahme vorgelegt.

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Mit Schreiben vom 4. Juni 2024 teilte das Bundesministerium der Verteidigung mit, dass der Wehrmedizinische Beirat unter dem 22. Mai 2024 für eine Herabstufung der bisherigen Duldungspflicht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hin zu einer bloßen Empfehlung einer Impfung gegen COVID-19 votiert habe. Daraufhin habe das Kommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr eine Neubewertung vorgenommen und im Anschluss an das Votum des Wehrmedizinischen Beirats vorgeschlagen, die AR A1-840/8-4000 entsprechend zu ändern. Diesem Vorschlag ist der Bundesminister der Verteidigung am 28. Mai 2024 gefolgt und habe dessen Umsetzung eingeleitet. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller zugesichert, ihn bis zu der beabsichtigten Änderung der AR A1-840/8-4000 nicht mehr durch Befehl einer Duldung der Impfung gegen COVID-19 auszusetzen, um eine Basisimmunisierung herzustellen.

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Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass die Anordnung der Bundesverteidigungsministerin vom 24. November 2021, die COVID-19-Schutzimpfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr „Allgemeine Regelung (AR) Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen – Fachlicher Teil – A1-840/8-4000“ aufzunehmen, rechtswidrig war.

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Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

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Das Bundesministerium der Verteidigung tritt dem Antrag entgegen.

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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist bereits unzulässig.

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1. Der ausdrücklich gegen die Anordnung der Bundesministerin der Verteidigung vom 24. November 2021 gerichtete Feststellungsantrag ist bereits deshalb unzulässig, weil es sich bei der ministeriellen Anordnung nicht um eine dienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO handelt.

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a) Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur geltend gemacht werden, dass eine dienstliche Maßnahme oder deren Unterlassung rechtswidrig sei.

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Merkmal einer Maßnahme in diesem Sinne ist (u. a.), dass sie unmittelbar gegen den Soldaten gerichtet ist oder – obwohl an andere Soldaten gerichtet – in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirkt. Überlegungen, Bewertungen, Stellungnahmen oder Zwischenentscheidungen, die lediglich der Vorbereitung von truppendienstlichen Maßnahmen oder Personalmaßnahmen dienen, sind hingegen als Elemente innerdienstlicher Willens- und Meinungsbildung noch keine die Rechte eines Soldaten unmittelbar berührenden Maßnahmen; sie sind infolgedessen einer selbstständigen gerichtlichen Nachprüfung nicht zugänglich (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Oktober 2012 – 1 WB 59.11 – juris Rn. 26 ff. und vom 21. März 2019 – 1 WB 38.18 – juris Rn. 12). Etwas anderes gilt nur für solche, eine andere Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen, die diese wesentlich prägen (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2019 – 1 WB 7.18 – juris Rn. 10).

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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei der Anordnung der Bundesministerin der Verteidigung vom 24. November 2021 lediglich um einen letzten Verfahrensschritt auf dem Weg zur Aufnahme der COVID-19-Impfung in die Liste der grundsätzlich verpflichtenden Basisimpfungen. Die Bundesministerin ersucht in dieser Anordnung lediglich intern ihren nachgeordneten Bereich um die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen für die Aufnahme der SARS-CoV-2-Impfung in das duldungspflichtige Basisimpfschema. Erst mit der Einarbeitung dieser internen Willensentscheidung in das Regelwerk der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 und mit der Zeichnung und Veröffentlichung der ausformulierten Änderungen ist eine extern wirkende dienstliche Maßnahme entstanden. Die interne Anweisung zu dieser Ausarbeitung und Veröffentlichung ist ebenso wenig wie die vorangegangene Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses gemäß § 38 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SBG oder die Anrufung des Schlichtungsausschusses nach § 38 Abs. 4 Satz 1 SBG eine nach außen wirkende dienstliche Maßnahme. Erst wenn das Bundesministerium der Verteidigung auf der Grundlage der Empfehlung des Schlichtungsausschusses nach § 38 Abs. 4 Satz 4 SBG endgültig entscheidet und eine neue Grundsatzregelung veröffentlicht, liegt eine nach außen wirksame, dienstliche Maßnahme vor.

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2. Soweit sich der Antragsteller mit seinem Feststellungsantrag der Sache nach auch gegen die Aufnahme der COVID-19-Impfung in die Liste der grundsätzlich verpflichtenden Basisimpfungen wendet, erweist sich sein Begehren ebenfalls als unzulässig.

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Hat sich eine truppendienstliche Maßnahme, die keinen Befehl im Sinne von § 2 Nr. 2 WStG darstellt, vor der gerichtlichen Entscheidung erledigt, so entscheidet das Wehrdienstgericht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO, ob die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Bestimmung verlangt zwar von dem jeweiligen Antragsteller nicht mehr die förmliche Stellung eines Feststellungsantrages. Dieser muss aber das Feststellungsinteresse substantiiert geltend machen (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 – 1 WB 42.09 – NZWehrr 2010, 161 <161 f.> m. w. N.). Daran fehlt es hier.

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Der Senat hat dem anwaltlich vertretenen Antragsteller mit Schreiben vom 5. Juni 2024 Gelegenheit gegeben, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob er mit Blick auf die vom Bundesministerium der Verteidigung gegebene Zusicherung eine verfahrensbeendende Erklärung abgeben wolle. Der Antragsteller hat hierauf zwar mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 21. Juni 2024 einen Fortsetzungsfeststellungsantrag stellen lassen. In diesem Schreiben werden jedoch keine Umstände dargelegt, aus denen sich ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 3 WBO ergeben könnte. Ein derartiges Interesse ist auch sonst nicht ersichtlich. Eine Aufklärungspflicht hinsichtlich eines möglichen Feststellungsinteresses obliegt dem Senat nicht (s. dazu BVerwG, Beschluss vom 25. März 2010 – 1 WB 42.09 – NZWehrr 2010, 161 <162> m. w. N.). Ein Feststellungsinteresse ist auch nicht nach § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO entbehrlich, weil die Aufnahme der COVID-19-Impfung in die Liste der Basisimpfungen keinen an den Antragsteller gerichteten Befehl enthält.

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