Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 16.10.2024, AZ VIa ZR 631/21

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 16.10.2024, AZ VIa ZR 631/21, ECLI:DE:BGH:2024:161024UVIAZR631.21.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 18. Oktober 2021, Az: 16a U 108/19
vorgehend LG Stuttgart, 23. Mai 2019, Az: 9 O 269/18

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge – mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Zinsen – betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 40.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

    Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

    Er erwarb im Oktober 2016 von der Beklagten einen gebrauchten Mercedes-Benz E 220d Cabriolet zum – teilweise darlehensfinanzierten – Kaufpreis von 42.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters temperaturabhängig gesteuert.

3

    Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz der geleisteten Anzahlung und der gezahlten Darlehensraten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen sowie Freistellung von bestehenden Darlehensverbindlichkeiten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) verlangt.

4

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Zinsen weiter, soweit er die Anträge auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

    Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6

    Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

    Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Jedenfalls die Behauptung des Klägers, Repräsentanten der Beklagten hätten vorsätzlich eine manipulativ ausgestaltete Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzt, sei mangels tatsächlicher Anhaltspunkte als Vortrag ins Blaue hinein nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen sei hinsichtlich der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung weder eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts hierüber ersichtlich noch, dass die Beklagte insoweit vorsätzlich gehandelt habe. Ein Anspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil es sich bei den zuletzt genannten Normen nicht um Gesetze zum Schutz des Vermögensinteresses von Fahrzeugerwerbern handele.

II.

8

    Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

    1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

10

    2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

    Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

    
Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

    
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Möhring                Götz                  Rensen

               Wille          Vogt-Beheim

Kategorien: Allgemein