Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 16.10.2024, AZ VIa ZR 199/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 16.10.2024, AZ VIa ZR 199/22, ECLI:DE:BGH:2024:161024UVIAZR199.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 24. Januar 2022, Az: 15 U 4508/21
vorgehend LG Ingolstadt, 11. Juni 2021, Az: 83 O 2026/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 65.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb kreditfinanziert im März 2017 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi Q7 3.0 TDI quattro, der mit einem Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises zuzüglich der Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Delikts- und Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren mit Ausnahme der Deliktszinsen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwähnt hat, hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Der Kläger habe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte sittenwidrig gehandelt habe. Zwar könne unterstellt werden, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines „Thermofensters“ verbaut sei, dies begründe alleine noch nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, ließen sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines zumindest fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer – bislang unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Möhring                 Götz                     Rensen

               Wille            Vogt-Beheim

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