BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 02.10.2024, AZ VIa ZR 1371/22, ECLI:DE:BGH:2024:021024UVIAZR1371.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Nürnberg, 8. September 2022, Az: 5 U 3817/21
vorgehend LG Regensburg, 17. September 2021, Az: 83 O 396/21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. September 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung – mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten – zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger erwarb am 31. Januar 2015 von dritter Seite ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz ML 250 BLUETEC 4MATIC, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
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Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu II) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Insbesondere hinsichtlich des Thermofensters und der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) – unterstellt, diese Einrichtungen seien als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren – könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht angenommen werden. Nach dem Vortrag des Klägers verhielten sich das Thermofenster und die KSR unter vergleichbaren Bedingungen im realen Fahrbetrieb nicht anders als in der Prüfungssituation. Entsprechendes gelte hinsichtlich der von dem Kläger weiter angeführten Abschalteinrichtungen, soweit es nicht bereits an Anhaltspunkten für ihr Vorhandensein in dem Fahrzeug des Klägers fehle. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil diese Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
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1. Der Kläger hat sich entgegen der Ansicht der Beklagten mit einer zulässigen Berufung gegen die Klageabweisung durch das Landgericht gewendet. Einer Überprüfung der Berufungsentscheidung in der Sache durch den Senat steht ein Mangel dieser amtswegig zu prüfenden Prozessfortsetzungsvoraussetzung (vgl. etwa
BGH, Urteil vom 13. November 2023 – VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Urteilvom 6. Februar 2024 – VIa ZR 368/22, juris Rn. 6) demgemäß nicht entgegen.
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2. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
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Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Götz Rensen
Liepin Katzenstein