Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 25.09.2024, AZ VIa ZR 577/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 25.09.2024, AZ VIa ZR 577/22, ECLI:DE:BGH:2024:250924UVIAZR577.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 24. März 2022, Az: 18 U 1671/21
vorgehend LG Traunstein, 3. März 2021, Az: 6 O 3541/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. März 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 50.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb von einem Autohaus einen von der Beklagten hergestellten VW Tiguan 4Motion 2,0 I TDI SCR mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 der Schadstoffklasse Euro 6.

2

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung zuzüglich Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und der Ersatzpflicht für weitere Schäden und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht hat seine Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten nach § 826 BGB bestehe nicht. Konkreter nachvollziehbarer Vortrag des Klägers, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbunden mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte, fehle. Dies gelte auch für das in dem klägerischen Fahrzeug unstreitig zum Einsatz kommende „Thermofenster“. Anhaltspunkte dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des „Thermofensters“ in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, zeige die Klagepartei im Streitfall auch in der Berufungsbegründung nicht auf. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Beklagte genüge für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten – ebenso wie für den erforderlichen Schädigungsvorsatz – nicht. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe dem Kläger nicht zu, da der von ihm geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV falle.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Die Berufungsentscheidung ist
daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich
insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                            Möhring                         Götz

                      Liepin                           Vogt-Beheim

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