BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 26.09.2024, AZ III ZB 55/23, ECLI:DE:BGH:2024:260924BIIIZB55.23.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 19. Mai 2023, Az: 11 S 2177/22
vorgehend AG Hersbruck, 24. Februar 2022, Az: 1 C 111/18
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth – 11. Zivilkammer – vom 12. Mai 2023 – 11 S 2177/22 – wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Streitwert: 2.970,46 €
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit zwei stationären Aufenthalten des Klägers in einem Krankenhaus der Beklagten.
2
Das Amtsgericht hat durch Versäumnisurteil vom 20. Juli 2021 die Klage abgewiesen und einer Widerklage der Beklagten stattgegeben. Mit Endurteil vom 24. Februar 2022 hat es das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt, indes innerhalb der vom Kammervorsitzenden bis zum 17. Juni 2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist das Rechtsmittel nicht begründet. Die Rechtsmittelbegründung hat er vielmehr erst mit einem am 20. Juni 2022 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz vorgelegt und zugleich beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
3
Mit hier angefochtenem Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
5
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert statthafte (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 30. November 2023 – III ZB 4/23, NJW-RR 2024, 331 Rn. 5) und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. In Sonderheit verletzt der angefochtene Beschluss den Kläger nicht in seinen Ansprüchen auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
6
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag (§ 233 Satz 1 ZPO) im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen, weil nach dem Vorbringen des Klägers die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung auf ihm zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) schuldhaften anwaltlichen Organisationsmängeln bei der abendlichen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten beruht.
7
a) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (st. Rspr., zB Senat, Beschluss vom 26. Februar 2015 – III ZB 55/14, NJW 2015, 2041 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2019 – VIII ZB 103/18, VIII ZB 104/18, NJW-RR 2020, 52 Rn. 11; jew. mwN). Zu diesem Zweck hat er seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet.
8
Unter anderem gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft nochmals und abschließend selbständig überprüft wird (Senat aaO mwN). Diese Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient dabei – auch – der Überprüfung, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (BGH aaO Rn. 13 mwN).
9
Für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens des Rechtsanwalts ist es zudem erforderlich, dass aufgrund allgemeiner Büroanweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt stets nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristenkontrolle verantwortlich ist und nicht mehrere oder gar alle Büroangestellten hierfür zuständig sind, weil sonst die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall jeder auf den anderen verlässt (vgl. Senat aaO Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2006 – II ZB 1/05, NJW 2006, 1520 Rn. 5 f und vom 17. Januar 2007 – XII ZB 166/05, NJW 2007, 1453 Rn. 12 bis 14; jew. mwN). Im Fall der Abwesenheit der mit der Fristenkontrolle beauftragten Fachkraft gehört es zur Organisationspflicht des Rechtsanwalts, die Vertretung durch eine andere – gleichfalls zuverlässige – Fachkraft sicherzustellen; darauf, dass das Personal selbst die Vertretung in geeigneter Weise regelt, darf er sich nicht verlassen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. November 1984 – III ZB 29/84, VersR 1985, 148 und vom 28. Februar 1985 – III ZB 38/84, VersR 1985, 574; BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 1986 – IVb ZB 138/86, VersR 1987, 617, 618 und vom 8. November 1988 – VI ZB 26/88, NJW 1989, 1157 f).
10
b) Die Darlegungen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag ergeben – auch unter Einbeziehung der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin B. W. – nicht, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdende Ausgangskontrolle gewährleistet war.
11
So kann man dem Vorbringen schon nicht entnehmen, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei einer – hier eingetretenen – geplanten Abwesenheit der mit der Fristenkontrolle beauftragten Fachkraft diese durch eine bestimmte andere qualifizierte Fachkraft vertreten wird; vielmehr wird die Aufgabe der Fristenkontrolle dann – was nicht genügt – „von den anderen Rechtsanwaltsfachangestellten übernommen“. Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht selbst die Vertretung regelt, sondern – was ebenfalls nicht genügt – auf eine „Absprache unter den Mitarbeitern“ verweist. Darüber hinaus ist nach dem Vorbringen des Klägers auch eine „allabendliche Ausgangskontrolle“ (vgl. zB BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 – VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 11 f; vom 15. Dezember 2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 8; vom 29. Oktober 2019 aaO Rn. 13 und vom 9. Januar 2020 – I ZB 41/19, juris Rn. 14) fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten nicht sichergestellt. Denn das Vorbringen „Vor Büroschluss wird grundsätzlich kontrolliert …“ lässt – mit der Verwendung des Wortes „grundsätzlich“ – darauf schließen, dass Ausnahmen möglich sind, wobei offenbleibt, wann und unter welchen Bedingungen man ausnahmsweise von einer abendlichen Ausgangskontrolle absieht (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Februar 2015 aaO Rn. 14; BGH, Beschluss vom 6. Februar 2006 aaO Rn. 6).
12
c) Eines Hinweises an den Kläger und der Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten und dessen Mitarbeiterin W. als Zeugen vor Feststellung der vorgenannten Organisationsmängel bei der abendlichen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens stellt, sind bekannt und müssen einem Rechtsanwalt auch ohne richterlichen Hinweis geläufig sein. Tragen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deutet das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 aaO Rn. 13 mwN).
13
d) Die vorgenannten Organisationsmängel waren für die Fristversäumung ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine den vorstehend unter Buchstabe a beschriebenen Anforderungen genügende Anordnung zur Durchführung der allabendlichen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der dann vertretungsweise zuständigen Fachkraft (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 aaO Rn. 14) am 17. Juni 2022 noch kurz vor Büroschluss die im Fristenkalender eingetragene Frist als noch nicht gestrichen entdeckt worden und aufgefallen, dass die Berufung noch nicht begründet worden war; die (vier DIN A 4-Seiten umfassende) Berufungsbegründung hätte noch am selben Tag gefertigt und an das Landgericht übermittelt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 aaO Rn. 11). Die Berufungsbegründungsfrist wäre mithin nicht versäumt worden.
Herrmann Herr